50Entziehung des zu Unrecht zuerkannten Rehabilitationsgeldes nur bei Besserung jener Gesundheitsbeeinträchtigungen, die die Einschätzung des Vorliegens vorübergehender Invalidität (mit-)begründet haben
Entziehung des zu Unrecht zuerkannten Rehabilitationsgeldes nur bei Besserung jener Gesundheitsbeeinträchtigungen, die die Einschätzung des Vorliegens vorübergehender Invalidität (mit-)begründet haben
Der OGH hatte im Revisionsverfahren erneut die Frage zu beantworten, unter welchen Voraussetzungen die Entziehung einer Leistung – hier des Rehabilitationsgeldes – zulässig ist.
Die 1967 geborene Kl absolvierte die Ausbildung zur Diplomkrankenschwester mit Sonderausbildung Palliativpflege und war in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag mehr als 90 Beitragsmonate als diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin tätig. Mit Bescheid vom 16.10.2020 gewährte ihr die bekl Pensionsversicherungsanstalt das Rehabilitationsgeld ab dem Stichtag 1.9.2020. Der Gewährung lag ein (angenommenes) Leistungskalkül zugrunde, wonach der Kl lediglich leichte Tätigkeiten möglich und Zwangshaltungen sowie Nacht- und Schichtarbeiten zu vermeiden gewesen wären. Tatsächlich waren der Kl aber zu diesem Zeitpunkt geistig mittelschwere 112 (durchschnittliche) Arbeiten unter durchschnittlichem, sowie drittelzeitig auch unter überdurchschnittlichem (besonderen) Zeitdruck zumutbar gewesen; die psychische Belastbarkeit war im durchschnittlichen Bereich anzusetzen, die Kl war in kleinen Gruppen einordenbar, kalkülskonforme Aufsichtstätigkeiten waren möglich. Zum Entziehungszeitpunkt hatte sich das psychische Zustandsbild der Kl (nur) dahingehend gebessert, dass die zum Zeitpunkt der Gewährung vorliegende Einschränkung der Einordenbarkeit in kleine Gruppen nunmehr weggefallen war.
Der Kl waren zum Gewährungszeitpunkt und sind im Entziehungszeitpunkt verschiedene Tätigkeiten innerhalb des Berufsfeldes für den gehobenen Gesundheits- und Krankenpflegedienst (diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester im Ambulanzbereich, im arbeitsmedizinischen Dienst oder in der Diät- und Diabetesberatung) zumutbar, weil dabei das vorliegende medizinische Leistungskalkül nicht überschritten wird. Die gesundheitliche Besserung (hinsichtlich der Einordenbarkeit der Kl) ergibt keine Verbesserung bezüglich der möglichen Tätigkeiten.
Mit Bescheid vom 17.3.2023 stellte die Bekl fest, dass vorübergehende Berufsunfähigkeit nicht mehr vorliege und entzog das Rehabilitationsgeld mit 30.4.2023. Die Vorinstanzen sprachen aus, dass vorübergehende Berufsunfähigkeit weiter vorliege und die Kl weiter Anspruch auf das Rehabilitationsgeld und auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation habe. Betreffend die für die Gewährung maßgebliche Diagnose Fibromyalgiesyndrom sei keine Besserung eingetreten. Das gebesserte psychische Zustandsbild könne die Entziehung nicht rechtfertigen, weil die psychische Diagnose nicht maßgeblich war für die Gewährung.
Die außerordentliche Revision der Bekl wurde vom OGH zurückgewiesen.
Der OGH stellt in der Begründung – in einer Zusammenfassung der stRsp – klar, unter welchen Voraussetzungen eine Entziehung zulässig ist. Eine Leistung aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit kann entzogen werden, wenn sich die Verhältnisse wesentlich geändert haben – durch die Wiederherstellung oder Besserung des körperlichen oder geistigen Zustandes oder durch Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit infolge Gewöhnung und Anpassung. Haben die objektiven Grundlagen für eine Leistungszuerkennung hingegen keine wesentliche Änderung erfahren, so steht die Rechtskraft der Gewährungsentscheidung der Entziehung entgegen; an einer solchen Änderung fehlt es regelmäßig dann, wenn bestimmte Leistungsvoraussetzungen gar nie vorhanden waren. Die nachträgliche Erkenntnis, dass die Voraussetzungen zur Zeit der Gewährung nicht vorhanden waren, rechtfertigt die Entziehung daher nicht. Ist jedoch im Fall eines aufgrund der irrtümlichen Annahme des Vorliegens vorübergehender Invalidität zuerkannten Rehabilitationsgeldes eine – wenn auch nur geringfügige – Verbesserung des körperlichen oder geistigen Zustands der versicherten Person im Entziehungszeitpunkt feststellbar und bezieht sich diese Verbesserung auf ursprünglich bestehende Beeinträchtigungen, die die (unrichtige) Einschätzung des Vorliegens vorübergehender Invalidität iSd § 255b ASVG begründet haben, so ist eine Entziehung des Rehabilitationsgeldes gem § 99 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 lit b sublit aa ASVG dann gerechtfertigt, wenn im Entziehungszeitpunkt vorübergehende Invalidität nicht vorliegt.
Das bedeutet für den vorliegenden Fall, dass eine Entziehung nicht gerechtfertigt ist, weil der Kl bereits zum Gewährungszeitpunkt die festgestellten Tätigkeiten in ihrem Berufsfeld zumutbar waren, weshalb keine wesentliche Besserung des Gesundheitszustandes vorliegt, der zu einer Entziehung führen könnte. Der Bekl ist zwar darin zuzustimmen, dass es auf im Bescheid als maßgeblich erachtete oder im Gewährungsgutachten genannte (geänderte oder nicht geänderte) Diagnosen regelmäßig nicht ankommt, weil daraus mangels eigener medizinischer Fachkenntnis des Gerichts bzw des Bescheidadressaten keinerlei Schlussfolgerungen hinsichtlich der konkreten für die Einschätzung der vorübergehenden Berufsunfähigkeit maßgeblichen Beeinträchtigungen abgeleitet werden können. Ebenso wenig genügt es aber, wenn sich – wie die Bekl in der außerordentlichen Revision vorbringt – der „gesundheitliche Zustand“, die „psychischen Einschränkungen“ oder das „psychische Zustandsbild“ der Kl verbessert haben. Abzustellen ist auf eine Änderung des Leistungskalküls. Im vorliegenden Fall besserte sich der Gesundheitszustand der Kl ausschließlich hinsichtlich ihrer Einordenbarkeit, weil die zunächst bestehende Beeinträchtigung wegfiel, wonach die Kl lediglich in kleinen Gruppen einordenbar war. Die Bekl legt in der außerordentlichen Revision aber nicht dar, inwiefern diese Beeinträchtigung der Einordenbarkeit die (unrichtige) Einschätzung des Vorliegens vorübergehender Invalidität (zumindest mit-)begründet hätte. Weder im Bescheid, mit dem der Anspruch auf Rehabilitationsgeld festgestellt wurde, noch in dem diesem zugrunde liegenden Gutachten wird die Einordenbarkeit der Kl überhaupt angesprochen. Soweit die Bekl meint, die psychische Belastbarkeit der Kl hätte die damalige Einschätzung mitbegründet, trifft dies zwar zu, insofern kam es aber nicht zu einer Verbesserung, weil die psychische Belastbarkeit zu den maßgeblichen Vergleichszeitpunkten jeweils im durchschnittlichen Bereich lag. 113
In einem ähnlich gelagerten Fall vom selben Tag (OGH 19.11.2024, 10 ObS 115/24w) kam der OGH dagegen zu einem anderen Ergebnis. Dem Kl, dem Berufsschutz als Maurer zukam, war zunächst ebenfalls infolge irrtümlicher Annahme vorübergehender Invalidität Rehabilitationsgeld zuerkannt worden. Aufgrund einer geringfügigen (nicht wesentlichen) Änderung des Gesundheitszustandes hatte sich das Leistungskalkül aus internistischer Sicht von nur „leicht“ auf „leicht und halbtägig mittelschwere Arbeiten“ verbessert. Der OGH sah die daraufhin ausgesprochene Entziehung des Rehabilitationsgeldes als zulässig an, obwohl die Verweisung auf eine Tätigkeit als Baumarktfachberater bereits im Gewährungszeitpunkt möglich gewesen wäre. Entscheidend war, dass sich in diesem Fall die – wenn auch nur geringfügige – Änderung des Gesundheitszustands auf ursprünglich bestehende Einschränkungen (die Ausübung leichter Arbeiten) bezog, die (ausweislich des im Akt ersichtlichen Gewährungsgutachtens) die Einschätzung des Vorliegens vorübergehender Invalidität iSd § 255b ASVG (mit-)begründet hatten.