47Verspäteter Ausspruch einer Entlassung auf Grund vierwöchigen Zuwartens
Verspäteter Ausspruch einer Entlassung auf Grund vierwöchigen Zuwartens
Die Geschäftsführerin der Bekl hatte bereits Ende Februar vor Antritt eines dreiwöchigen Urlaubs Kenntnis von einer Beschwerde von Mitarbeiterinnen gegenüber dem Kl. Darüber hinaus wussten auch der zweite Geschäftsführer und ein Prokurist bereits Ende Februar 2022 von den Vorfällen und Beschwerden der teilweise noch minderjährigen Lehrlinge, somit auch davon, dass es sich um keinen Einzelfall handelte. Anfang März 2022 erfuhr auch der zweite Prokurist von sexistischen Äußerungen des Kl gegenüber den Lehrlingen. Sämtliche nötigen Informationen lagen den entscheidungsbefugten Organen bereits zu diesem Zeitpunkt vor. Die Entlassung wurde dem Kl Ende März ausgesprochen. Gegen diese Entlassung richtet sich der Kl mit seiner Klage. Die Vorinstanzen erachteten die Entlassung als verspätet ausgesprochen.
Der OGH wies die dagegen erhobene außerordentliche Revision der Bekl mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurück und führte aus:
Der – insgesamt auch für Dienstverhältnisse nach dem VBG geltende – Grundsatz der Unverzüglichkeit der Entlassung besagt, dass der AG – bei sonstigem Verlust des Entlassungsrechts – die Entlassung ohne Verzug, dh sofort nachdem ihm der Entlassungsgrund bekannt geworden ist, aussprechen muss. Die Unterlassung der sofortigen Geltendmachung eines Entlassungsgrundes führt zur Verwirkung des Entlassungsrechts, wenn das Zögern nicht in der Sachlage begründet war. Diesem Grundsatz liegt der Gedanke zugrunde, dass ein AG, der eine ihm bekannt gewordene Verfehlung des AN nicht unverzüglich mit der Entlassung beantwortet, die Weiterbeschäftigung dieses AN offenbar nicht als unzumutbar ansieht und auf die Ausübung des Entlassungsrechts im konkreten Fall verzichtet.
Der Unverzüglichkeitsgrundsatz darf jedoch nicht überspannt werden. Entscheidend ist vor allem der Verständnishorizont des betroffenen DN. Für diesen muss das Verhalten des DG gerechtfertigten Grund zur Annahme geben, dieser verzichte auf die Geltendmachung der Entlassungsgründe. Dies trifft regelmäßig dann nicht zu, wenn das Zögern sachlich begründet ist und der DG durch sein Verhalten nicht den Eindruck erweckt, er werde den Entlassungsgrund nicht wahrnehmen. In der Regel liegt kein konkludenter Verzicht auf die Geltendmachung von Kündigungs- oder Entlassungsgründen vor, wenn der AG dem AN in unmissverständlicher Weise, zB durch eine Suspendierung bis zur Klärung der tatsächlichen oder rechtlichen Lage, zeigt, dass er aus dem Verhalten des AN Konsequenzen ziehen werde und eine Weiterbeschäftigung als unzumutbar ansehe. Solche vorläufigen Maßnahmen können daher die Annahme eines Verzichts verhindern.
Ein Beendigungsgrund gilt als bekannt geworden, sobald der Auflösungsberechtigte über alle Einzelheiten Bescheid weiß, die er für eine fundierte Entscheidung benötigt. Bei einem zweifelhaften Sachverhalt ist der AG verpflichtet, die zu seiner Klärung erforderlichen und zumutbaren Erhebungen ohne Verzögerung durchzuführen, will er nicht sein Entlassungsrecht verlieren. Diese Obliegenheit zur Nachforschung besteht dann, wenn dem AG konkrete Umstände zur Kenntnis gelangt sind, die die Annahme rechtfertigen, dass das Verhalten des DN eine Entlassung rechtfertigt. 108
Der Kenntniserlangung durch den AG ist grundsätzlich die Kenntnisnahme durch seinen Stellvertreter oder durch einen ganz oder teilweise mit Personalagenden befassten leitenden Angestellten gleichzuhalten, wenn dieser dem AG oder seinem Stellvertreter von dem Entlassungsgrund nicht unverzüglich berichtet hat. Bei juristischen Personen öffentlichen Rechts kommt es hingegen auf die Kenntnisnahme durch das Organ an, das die Entlassung zu beschließen hat. Selbst die Kenntnis einzelner Mitglieder dieses Organs genügt nicht.
Die Frage, ob dem Erfordernis der Unverzüglichkeit des Ausspruchs der Entlassung entsprochen wurde, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab und stellt regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar.
Die Revision zeigt dagegen keine erhebliche Rechtsfrage auf. Die Revisionswerberin behauptet gar nicht mehr, dass die Unternehmensstruktur oder die Notwendigkeit der Rechtsinformation eine Rolle gespielt hätten.
Dem Argument der Revisionswerberin, die Geschäftsführerin habe erst am 24.3.2022 volle Kenntnis des entlassungsrelevanten Sachverhalts gehabt, ist der festgestellte Sachverhalt, insb die Zeitpunkte der Kenntniserlangung entgegenzuhalten. Die Bekl hat wochenlang keine Schritte gesetzt, der Kl wurde nie verwarnt. Die Dringlichkeit – insb gerade der in der Revision hervorgehobene Umstand des Schutzes der persönlichen Integrität minderjähriger weiblicher Lehrlinge – war auch zumindest einem der beiden Prokuristen sowie einem Geschäftsführer bekannt. Es hätte der anwesende Geschäftsführer gemeinsam mit einem der beiden informierten Prokuristen die Entlassung aussprechen können. Wenn man schon der Meinung war, die auf Urlaub befindliche, jedoch telefonisch erreichbare weitere Geschäftsführerin in die Entscheidung miteinbeziehen zu müssen, hätte man diese kontaktieren können. Wieso selbst nach deren Rückkehr am 14.3.2022 wiederum mehr als eine Woche der Untätigkeit verstrich, legt die Bekl nicht dar.