46Zur Auslegung der Abfertigungsregelung des Kollektivvertrags für Angestellte des Außendienstes der Versicherungsunternehmen
Zur Auslegung der Abfertigungsregelung des Kollektivvertrags für Angestellte des Außendienstes der Versicherungsunternehmen
§ 5 des KollV für Angestellte des Außendienstes der Versicherungsunternehmen (KVA, in der derzeitigen Fassung vom 1.3.2024) lautet auszugsweise wie folgt:
„§ 5 Kündigung und Abfertigung
(1) Es gelten die Bestimmungen des Angestelltengesetzes. Angestellte, die Anspruch auf eine Alters- oder Berufsunfähigkeitspension aus der Sozialversicherung haben und mindestens zehn Dienstjahre bei dem gleichen Dienstgeber verbracht haben, erhalten einen Zuschlag zur gesetzlichen Abfertigung in der Höhe von 25% ihres monatlichen Mindestentgelts gemäß § 3 Abs 2 bzw des sich aus einer Aufteilung nach § 3 Abs 3 ergebenden Monatsmindestentgelts für den einzelnen laufenden Kalendermonat. […]
(5) Abfertigungen sind zum Zeitpunkt des Ablaufes der Kündigungsfrist fällig.“
Unklar ist, ob § 5 nur auf AN zur Anwendung kommt, die einen Anspruch auf Abfertigung alt haben, oder auch auf jene, die der Abfertigung neu unterliegen.
Zur Klärung dieser Rechtsfrage wurde ein Feststellungverfahren gem § 54 Abs 2 ASGG geführt.
Der Antragsteller begehrte die Feststellung, dass AN, auf deren Arbeitsverhältnis der KollV für Angestellte des Außendienstes der Versicherungsunternehmen (KVA) zur Anwendung gelangt und deren Arbeitsverhältnis nach dem 31.12.2002 begonnen hat, dann, wenn sie Anspruch auf eine Alters- oder Berufsunfähigkeitspension aus der SV haben und mindestens zehn Dienstjahre bei dem gleichen DG verbracht haben, Anspruch auf den kollektivvertraglichen Zuschlag haben.
Der Antragsteller brachte hingegen vor, dass auch für Dienstverhältnisse, die der „Abfertigung neu“ unterliegen, nach § 48 Abs 2 Betriebliches Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgegesetz (BMSVG) kollektivvertragliche Abfertigungsregelungen in jenem Ausmaß weiter bestünden, in dem sie den gesetzlichen Mindestanspruch übersteigen. Die betroffenen AN hätten im den gesetzlichen Mindestanspruch übersteigenden Ausmaß einen Abfertigungsanspruch gegen den AG. Die Parteien hätten in Pkt 2.) des Zusatz-KollV vom 1.12.1977 klargestellt, dass der Zuschlag zur gesetzlichen Abfertigung für jeden Monat des Abfertigungsanspruchs nach § 23 AngG zustehe. Das sei eine verbindliche authentische Interpretation des § 5 Abs 1 KVA, die nunmehr auch für Dienstverhältnisse gelte, deren vertraglich vereinbarter Beginn nach dem 31.12.2002 liege.
Der OGH hielt fest, dass der normative Teil eines KollV gem den §§ 6 und 7 ABGB nach seinem objektiven Inhalt auszulegen ist; maßgeblich ist, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann. In erster Linie ist dabei der Wortsinn zu erforschen und die sich aus dem Text des KollV ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen. Führt der Wortsinn der Bestimmung zu keinem eindeutigen Ergebnis, so ist mittels objektiv-teleologischer Interpretation nach dem Sinn und Zweck zu fragen, den die Regelung vernünftigerweise haben kann.
In Anwendung dieser Auslegungsgrundsätze ergab sich für den OGH im vorliegenden Fall: Nach dem ersten Satz des § 5 Abs 1 KVA gelten (auch) für die Abfertigung „die Bestimmungen des Angestelltengesetzes“. Auch § 5 Abs 5 KVA bezieht sich inhaltlich auf das AngG, indem er eine für den DN günstigere Fälligkeitsregelung vorsieht als § 23 Abs 4 AngG. Im Lichte des klaren Wortlauts des § 5 Abs 1 KVA ist also primär zu prüfen, ob ein AN, der dem KVA unterliegt, einen gesetzlichen Anspruch auf Abfertigung nach den Bestimmungen des AngG hat („Abfertigung alt“). Sollte das der Fall sein, sieht der zweite Satz des § 5 Abs 1 KVA unter den dort geregelten Voraussetzungen einen „Zuschlag zur gesetzlichen Abfertigung“ vor. Mit anderen Worten: Die Anwendung des zweiten Satzes des § 5 Abs 1 KVA setzt nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung einen Abfertigungsanspruch nach dem AngG („Abfertigung alt“) voraus. Sind zudem die Voraussetzungen des zweiten Satzes des § 5 Abs 1 KVA erfüllt, gebührt der dort geregelte Zuschlag zur gesetzlichen Abfertigung (nach dem AngG).107
Der Feststellungsantrag bezieht sich nur auf Dienstverhältnisse, deren vertraglich vereinbarter Beginn nach dem 31.12.2002 liegt. Für diese Dienstverhältnisse sieht das AngG aber keine Abfertigung vor. Das folgt aus § 42 Abs 3 AngG, wonach die §§ 23 und 23a AngG auf diese Dienstverhältnisse nicht mehr anzuwenden sind. Den betroffenen AN gebührt nunmehr eine „Abfertigung neu“ nach dem BMSVG. Mangels eines Abfertigungsanspruchs nach dem AngG kommt der im zweiten Satz des § 5 Abs 1 KVA vorgesehene kollektivvertragliche Zuschlag zur gesetzlichen Abfertigung für Dienstverhältnisse, deren vertraglich vereinbarter Beginn nach dem 31.12.2002 liegt, nicht in Betracht.
Im vorliegenden Fall kann dem Vorbringen des Antragstellers, § 5 Abs 1 KVA könne zumindest analog auf Dienstverhältnisse, die in den Anwendungsbereich des BMSVG fallen, angewendet werden, laut OGH nicht gefolgt werden. Gegen die Analogie spricht nicht nur der klare Wortlaut der Bestimmung, sondern auch der Umstand, dass sie – trotz anderer Änderungen in § 5 KVA nach dem Jahr 2002 (zB § 5 Abs 4 mit 1.3.2014, Abs 5 mit 1.3.2022) – nicht geändert wurde, während dieselben Kollektivvertragsparteien § 19 des KollV für Angestellte des Innendienstes der Versicherungsunternehmen (KVI) schon mit März 2003 an das neue Abfertigungsrecht angepasst haben.
Nach dem OGH ist § 48 Abs 2 BMSVG, mit dem sich die Parteien ausführlich auseinandergesetzt haben, hier schon deshalb ohne Relevanz, weil sich die konkrete kollektivvertragliche Abfertigungsregelung wegen der Anknüpfung an einen Abfertigungsanspruch nach dem AngG ohnehin nicht auf Dienstverhältnisse bezieht, deren vertraglich vereinbarter Beginn nach dem 31.12.2002 liegt.