37Wirksamer Zugang des Kündigungsschreibens durch Einwurf in den Briefkasten durch Kurierdienst
Wirksamer Zugang des Kündigungsschreibens durch Einwurf in den Briefkasten durch Kurierdienst
Der Kl war seit 15.1.2018 als Angestellter der Bekl beschäftigt. Ab 30.11.2022 befand sich der Kl im Krankenstand, währenddessen er für die Bekl nicht erreichbar war und jegliche Kommunikation ablehnte. Nach Zuwarten beschloss die Bekl, den Kl zu kündigen und beauftragte einen Kurierdienst mit der Zustellung des Kündigungsschreibens. Ein Mitarbeiter des Kurierdienstes fuhr am Freitag, 13.1.2023, zum Einfamilienhaus des Kl, klopfte an der Wohnungstür und läutete an der Türklingel. Da der Kl dies nicht wahrnahm und nicht öffnete, sodass eine persönliche Zustellung nicht möglich war, warf der Kurierdienstmitarbeiter das Briefkuvert um 11:50 Uhr in den Briefkasten des Kl. Der Kl, der sich den ganzen Tag in seinem Haus aufhielt, entleerte seinen Briefkasten erst wieder am Montag, dem 16.1.2023, und fand das Kündigungsschreiben der Bekl vor. Der Kl ging von einer fristwidrigen Kündigung aus, da nicht die längere Kündigungsfrist von drei Monaten nach vollendetem fünftem Dienstjahr eingehalten wurde.
Die Vorinstanzen gingen von einem wirksamen Zugang des Kündigungsschreibens am 13.1.2024 aus.
Der OGH entschied, dass die außerordentliche Revision des Kl mangels Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen wird.
Laut OGH gilt nach der sogenannten Empfangstheorie eine schriftlich erklärte Kündigung als zugegangen, sobald das Kündigungsschreiben in den „Machtbereich“ des Adressaten gelangt ist, sodass er sich unter normalen Umständen von ihrem Inhalt Kenntnis verschaffen konnte, und wenn eine solche Kenntnisnahme nach den Gepflogenheiten des Verkehrs von ihm erwartet werden musste, selbst wenn sie dieser persönlich nicht erhalten hat (OGH 27.5.2021, 9 ObA 27/21t). Es ist nicht erforderlich, dass sich der Empfänger wirklich Kenntnis verschafft, weil es sonst in seinem Belieben stünde, das Wirksamwerden einer Erklärung zu verhindern, sondern es genügt vielmehr, dass er die Möglichkeit hatte, die Erklärung zur Kenntnis zu nehmen.
Nach stRsp sind für die Frage des rechtzeitigen Zugangs einer empfangsbedürftigen Erklärung und für die Beurteilung, ob objektiv mit einer Kenntnisnahme durch den Empfänger gerechnet werden kann, immer die Umstände des Einzelfalls maßgeblich.
Ob eine schriftliche Willenserklärung ua per Post oder per Kurier- oder Botendienst zugeht, ist für die Frage des wirksamen Empfangs nach der Rsp irrelevant. Wie der OGH ua in der E 9 ObA 61/06w vom 8.8.2007 mwN (zur Zustellung per Botendienst siehe im Übrigen auch OGH-E 27.5.2021, 9 ObA 27/21t Rz 14) ausführte, bestimmt sich die Frage, wann der Zugang einer Kündigung als erfolgt anzusehen ist, nach den Regeln des allgemeinen Privatrechts (§§ 862 f ABGB). Die Kündigung ist zu dem Zeitpunkt zugegangen, zu dem erwartet werden kann, dass der Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen von der Erklärung Kenntnis erlangen kann. Schriftliche Kündigungen, die mit der Post zugestellt oder sonst in den Hausbriefkasten geworfen werden, sind in dem Zeitpunkt zugegangen, zu dem erwartet werden kann, dass der Empfänger den Briefkasten entleert, regelmäßig also am selben Tag, soweit der Einwurf in den Briefkasten nicht zu einer Zeit erfolgt, zu der mit Kenntnisnahme nicht gerechnet werden kann, wie zB in der Nacht oder nach 19:00 Uhr (vgl OGH 8.3.1966, 4 Ob 14/66 sowie Rummel in Rummel/Lukas [Hrsg], ABGB4 § 862a Rz 4).
Eine Unvertretbarkeit der Rechtsansicht der Vorinstanzen, die übereinstimmend von einem wirksamen Zugang des Kündigungsschreibens an den Kl am 13.1.2023 ausgingen, zeigt dieser in der Revision nicht auf. Davon, dass der Kl die Zustellung der Kündigung wider Treu und Glauben vereitelt hätte, gingen die Vorinstanzen ohnehin nicht aus.
Inwiefern der Zugang einer Kündigung und deren Rechtswirksamkeit im Krankenstand des AN anders zu beurteilen sein sollen, wurde vom Revisionswerber nicht näher ausgeführt. Dass Kündigungen im Krankenstand möglich sind, ergibt sich aus § 5 EFZG.
Laut OGH sind die Vorinstanzen richtig davon ausgegangen, dass das Recht auf eine längere Kündigungsfrist aufgrund einer längeren Dienstzeit erst durch deren Ablauf erworben wird und daher im vorliegenden Fall keine fristwidrige Kündigung vorliegt. Das Recht auf eine längere Kündigungsfrist muss bereits in dem Zeitpunkt vorhanden sein, in dem spätestens gekündigt werden konnte (zuletzt OGH 26.6.2024, 8 ObS 5/23b).100