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Vordienstzeitenanrechnung und Zeitvorrückung in Gehaltssystemen – eine (ersehnte) Klarstellung

ANDREAPOTZ (WIEN)
  1. Die Regelung über die Vorrückung bei den Gehaltsstufen in § 43 Universitäts-Kollektivvertrag (Uni-KollV) stellt keine Berufserfahrungsregelung dar. Auch wenn wissenschaftliche Mitarbeiter untereinander in einem Wettbewerb stehen und daher durch die Fortdauer ihrer Beschäftigung allenfalls ihre Qualifikation vertiefen, stellt die Vorrückungsregelung gerade nicht auf das Erreichen wissenschaftlicher Ziele oder den Erfolg der Tätigkeit ab, sondern rein auf den Zeitablauf. Damit handelt es sich ausschließlich um eine Dienstzeitregel.

  2. Die Nichtberücksichtigung von berufseinschlägigen Vordienstzeiten bei der Vorrückung nach § 49 Abs 3 Uni-KollV stellt keinen Verstoß gegen die AN-Freizügigkeit dar.

  3. Wird die Vorrückung ausschließlich von der Dauer der Beschäftigung im konkreten Dienstverhältnis beim konkreten AG abhängig gemacht, liegt tatsächlich eine „echte Treueprämie“ vor.

[1] Auf die Mitarbeiter der Bekl ist der Kollektivvertrag der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Universitäten (KollV) anzuwenden.

[2] § 49 Abs 3 KollV lautete zum Zeitpunkt der Klagseinbringung wie folgt:

„Der monatliche Bruttobezug in der Gehaltsgruppe B1 beträgt Euro 2.971,50. Dieser Betrag erhöht sich
  1. nach dreijähriger Tätigkeit auf Euro 3.522,70. Die Dreijahresfrist verkürzt sich um Zeiträume, für die tätigkeitsbezogene Vorerfahrungen nachgewiesen werden;
  2. nach achtjähriger Tätigkeit in der Einstufung nach lit a oder bei Vorliegen eines Doktorates, das Voraussetzung für die Begründung des Arbeitsverhältnisses war (PostDoc-Stelle) auf Euro 3.945,90;
  3. nach achtjähriger Tätigkeit in der Einstufung nach lit b auf Euro 4.371,80;
  4. nach achtjähriger Tätigkeit in der Einstufung nach lit c auf Euro 4.601,10.“

[3] Eine Berücksichtigung der achtjährigen Tätigkeit nach lit b, c und d erfolgt ausschließlich hinsichtlich Tätigkeiten bei der Bekl im selben Dienstverhältnis, nicht hingegen von Tätigkeiten an anderen Universitäten in Österreich und/oder an Universitäten oder an vergleichbaren Institutionen in anderen Ländern.

[4] Der klagende BR begehrt die Feststellung, dass bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern der Bekl in der Verwendungsgruppe B, Gehaltsgruppe B1 des KollV bei der Vorrückung gem § 49 Abs 3 lit b nach lit c bzw gem § 49 lit c nach lit d des KollV gleichwertige Tätigkeiten als PostDoc auch dann zu berücksichtigen/anzurechnen seien, wenn diese Tätigkeiten von Mitarbeitern des wissenschaftlichen Personals der Bekl, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der Europäischen Union sind, an Universitäten oder vergleichbaren Einrichtungen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Österreich erbracht worden seien, sei es, dass diese vor Beginn der Beschäftigung bei der Bekl erbracht worden seien, sei es, dass diese nach dem Wechsel von der Bekl an eine andere Universität oder vergleichbare Einrichtungen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Österreich vor Rückkehr an die Bekl erbracht wurden. [...]

[6] Aus der Bestimmung ergebe sich nicht, dass die jeweilige achtjährige Tätigkeit in der vorangehenden Einstufung nur an einer bzw der betreffenden Universität erbracht werden müsse. Bei unionsrechtskonformer Interpretation des KollV sei jede gleichwertige Tätigkeit anzurechnen, gehe es doch um die Festlegung in der Gehaltseinstufung. Eine Nichtanrechnung von gleichwertigen Berufserfahrungen sei jedenfalls europarechtswidrig, zumal der EuGH in seiner E vom 10.10.2019, C-703/17, Adelheid Krah, bereits eine Beschränkung der Anrechnung von gleichwertigen Tätigkeiten als unionsrechtswidrig qualifiziert habe. Eine Rechtfertigung durch ein legitimes Ziel liege nicht vor. Die Gehaltseinstufung sei nicht als Treueprämie zu qualifizieren, weil die wissenschaftlichen Mitarbeiter in einem ständigen wissenschaftlichen Wettbewerb stünden. Die Ablehnung der Anrechnung sei zur Erreichung des Ziels der Betriebstreue auch nicht verhältnismäßig. [...]

[8] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. [...]

[9] Das Berufungsgericht gab der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung des Kl nicht Folge. [...]

[11] Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Kl mit dem Antrag, die Entscheidung dahingehend abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben wird. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt. [...]

[13] Die Revision ist entgegen dem – den OGH nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch 528 des Berufungsgerichts zur Klarstellung zulässig, aber nicht berechtigt. [...]

[15] 2. Voranzustellen ist, dass sich der Antrag nur auf sogenannte „PostDoc-Stellen“ bezieht. Für diese Personen sieht § 49 Abs 3 KollV vor, dass sie bei Beginn des Dienstverhältnisses unmittelbar in die Gehaltsgruppe B1 Gehaltsstufe b eingestuft werden. Eine Anrechnung von Vordienstzeiten bei einem anderen AG erfolgt nicht. Eine Vorrückung in die Gehaltsstufe c erfolgt nach acht Jahren in dieser Tätigkeit im selben Dienstverhältnis, ohne dass es auf andere Voraussetzungen als die Dienstzeit ankommt, eine Einstufung in die Gehaltsstufe d nach weiterer achtjähriger Tätigkeit in der Einstufung nach lit c.

[16] 3. Der Kl sieht unter Berufung auf die E des EuGH in der Rs Krah in der Nichtanrechnung von Vordienstzeiten auf den in der jeweiligen Gehaltsstufe zurückzulegenden Zeitraum eine Beschränkung der AN-Freizügigkeit nach Art 45 AEUV.

[17] Der Rs Krah lag, worauf bereits die Vorinstanzen hingewiesen haben, ein vom vorliegenden Fall abweichender Sachverhalt zugrunde, da an der Universität, bei der die klagende AN beschäftigt war, über die Regelung des KollV hinausgehend mit Beschluss des Rektorats eine Anrechnung einschlägiger Vordienstzeiten für PostDoc-Stellen im Ausmaß von vier Jahren vorgesehen war. [...]

[35] 6. Eine unmittelbare Diskriminierung bedeutet, dass die in Rede stehende nationale Regelung Ungleichbehandlungen aufgrund der Staatsangehörigkeit vorsieht, sodass Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten der Union in einer vergleichbaren Situation weniger günstig behandelt werden als andere Staatsangehörige.

[36] Eine Vorschrift des nationalen Rechts ist als mittelbar diskriminierend anzusehen, wenn sie sich ihrem Wesen nach mehr auf Wander-AN als auf inländische AN auswirken kann und folglich die Gefahr besteht, dass sie Wander-AN besonders benachteiligt. Um eine Maßnahme als mittelbar diskriminierend qualifizieren zu können, muss sie nicht bewirken, dass alle Inländer begünstigt werden oder dass unter Ausschluss der Inländer nur die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten benachteiligt werden (vgl Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in der Rs Krah, Rn 53 f).

[37] Dem Kl gelingt auch in der Revision nicht aufzuzeigen, inwiefern AN, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, durch die hier zu beurteilende Regelung unmittelbar oder mittelbar benachteiligt sind. Unabhängig von der Nationalität werden alle Beschäftigten, die bei der Bekl als PostDoc anfangen, gleich eingestuft und rücken nach demselben Zeitraum in die nächsthöhere Gehaltsstufe vor. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass ausländische Wander-AN eher tätigkeitsbezogene Berufserfahrungen aufzuweisen haben als österreichische AN. Im Verfahren ist auch unstrittig, dass ausschließlich die in einem konkreten Dienstverhältnis zur Bekl zurückgelegten Zeiten für die Vorrückung von Relevanz sind. Es werden daher auch nicht berufseinschlägige Dienstzeiten an anderen Universitäten günstiger behandelt. Es liegt daher keine mittelbare oder unmittelbare Diskriminierung vor. Eine solche wurde in der Rs Krah, in der nicht nur der KollV, sondern auch der Rektoratsbeschluss zu beurteilen war, auch vom EuGH ausdrücklich verneint.

[38] 7. Wie der Generalanwalt Bobek in seinen Schlussanträgen in der Rs Krah (Rn 83 mwN) ausführt, hat der EuGH mehrfach klargestellt, dass nationale Vorschriften, die eine Erwerbstätigkeit lediglich regeln, ohne Bedingungen für den Zugang einer Beschäftigung vorzusehen, normalerweise nicht als Beschränkungen iS von Art 45 AEUV angesehen werden können. Insb verschafft Art 45 AEUV dem AN nicht das Recht, sich im Aufnahmemitgliedstaat auf die Arbeitsbedingungen zu berufen, die ihm im Herkunftsmitgliedstaat nach den dortigen nationalen Rechtsvorschriften zustanden.

MaW bedeutet Freizügigkeit angesichts der Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsvorschriften auf bestimmten Gebieten nicht zwangsläufig soziale Neutralität. Daher können Regelungen, die notwendigerweise auf objektive und nicht diskriminierende gesetzgeberische Wahlentscheidungen auf in der Europäischen Union nicht harmonisierten Gebieten zurückgehen, nicht als Beschränkung betrachtet werden („keine Garantie der sozialen Neutralität“).

[39] Auch in der Rs Krah hat der EuGH klargestellt, dass ein Entlohnungssystem, das – wie das im vorliegenden Fall durch den KollV errichtete – an die Dauer der Beschäftigung bei dem aktuellen AG ein höheres Entgelt knüpft, an sich keine Behinderung der AN-Freizügigkeit darstellt (Rn 67).

[40] Entgegen der Rechtsauffassung des Kl bietet die Rs Krah daher keine Grundlage für die von ihm gewünschte Auslegung des KollV. In der Rs Krah hat der EuGH die Beschränkung der AN-Freizügigkeit darin gesehen, dass aufgrund des Beschlusses des Rektorats Vordienstzeiten angerechnet werden, allerdings nur im Umfang von vier Jahren. Aus dieser Entscheidung lässt sich jedoch nicht ableiten, dass nationale Vorschriften überhaupt eine Anrechnung vorsehen müssen. Dies wäre auch mit der zuvor zitierten Rsp, dass es keine Garantie der sozialen Neutralität gibt, nicht zu vereinbaren. Mit der überwiegenden Literatur ist vielmehr davon auszugehen, dass diese Entscheidung nur auf den konkret zu beurteilenden Sachverhalt (Rektoratsbeschluss) abstellt, jedoch keine grundsätzliche Gleichstellung zwischen Vordienstzeiten (vom GA Bobek als „Berufserfahrungszeiten“ bezeichnet) und beim AG verbrachten Dienstzeiten vornimmt. Auch erfolgt weder eine Ungleichbehandlung bei der Einstellung – aufgrund einer Entscheidung der Kollektivvertragsparteien werden keine Vorerfahrungen angerechnet – noch bei der Vorrückung. Alle AN müssen acht Jahre beim selben DN absolviert haben, um vorzurücken.

[41] Dem Kl kann auch nicht darin gefolgt werden, dass die Regelung über die Vorrückung bei den Gehaltsstufen eine Berufserfahrungsregelung darstellt. Auch wenn wissenschaftliche Mitarbeiter untereinander in einem Wettbewerb stehen und daher durch die Fortdauer ihrer Beschäftigung 529 allenfalls ihre Qualifikation vertiefen, stellt die Vorrückungsregelung gerade nicht auf das Erreichen wissenschaftlicher Ziele oder den Erfolg der Tätigkeit ab, sondern rein auf den Zeitablauf. Damit handelt es sich ausschließlich um eine Dienstzeitregel. Auch Personen, die keine Fortschritte in ihrer wissenschaftlichen Arbeit machen, würden, wenn sie lange genug beschäftigt sind, die Gehaltsvorrückung erhalten. Richtig wurde auch bereits vom GA Bobek sowie der Bekl darauf hingewiesen, dass zusätzliche Qualifikationen vielmehr in einem Wechsel der Gehaltsgruppe ihren Ausdruck findet, nicht in einer Vorrückung in eine andere Gehaltsstufe in der selben Gehaltsgruppe.

[42] Es ist auch nicht richtig, dass der EuGH in der Rs Krah nicht zwischen Vordienstzeiten und Dienstzeiten unterscheidet. Auch wenn diese Unterscheidung nicht im Vordergrund steht, stellt der EuGH nur auf die vom Rektoratsbeschluss umfasste Anrechnung von Vordienstzeiten ab und sieht deren zeitliche Beschränkung als Beeinträchtigung der AN-Freizügigkeit. Er weist aber auch, wie bereits ausgeführt, ausdrücklich darauf hin, dass die Abhängigkeit des Entgelts von der Dauer der Beschäftigung keine Behinderung der AN-Freizügigkeit darstellt.

[43] Zusammenfassend stellt die Nichtberücksichtigung von berufseinschlägigen Vordienstzeiten bei der Vorrückung keinen Verstoß gegen die AN-Freizügigkeit dar. Aufgrund der bestehenden Rsp des EuGH zu den hier zu beurteilenden Fragen besteht kein Grund für eine neuerliche Vorlage.

[44] 8. Der Vollständigkeit halber ist jedoch auch darauf zu verweisen, dass, selbst wenn man einen solchen Verstoß bejahen würde, tatsächlich eine „echte Treueprämie“, deren Zulässigkeit vom EuGH grundsätzlich bejaht wird, vorliegt, wird doch die Vorrückung ausschließlich von der Dauer der Beschäftigung im konkreten Dienstverhältnis beim konkreten AG abhängig gemacht.

[45] Soweit der Kl auf die Rs Köbler verweist (EuGH 30.9.2003, C-224/01, ECLI:EU:C:2003:513), war in dieser die Prämie nicht von der durchgehenden Beschäftigung beim selben AG abhängig. Dasselbe gilt für die Einstufung in der Rs Zentralbetriebsrat der gemeinnützigen Salzburger Landeskliniken Betriebs GmbH, C-514/12, ECLI:EU:C:2013:799, in der die Beschäftigung bei verschiedenen Betrieben, die zur selben Gebietskörperschaft gehören, honoriert wurden. Beides trifft auf den vorliegenden Fall nicht zu.

[46] 9. Bezüglich der Rückkehrerfälle, auf die sich der Antrag ebenfalls bezieht, ist den Vorinstanzen darin zuzustimmen, dass die Argumentation, dass AN davon abgehalten werden, das Dienstverhältnis zur Bekl zu beenden, um in einem anderen Mitgliedstaat eine Beschäftigung anzunehmen, weil bei ihrer Rückkehr nach Österreich keine Anrechnung von Vordienstzeiten erfolgt, auf einer Gesamtheit von Umständen beruht, die zu ungewiss und zu indirekt sind, als dass diese Regelung die AN-Freizügigkeit beeinträchtigen könnte (vgl EuGH 11.3.2019, Gemeinsamer Betriebsrat EurothermenResort Bad Schallerbach GmbH, C-437/17, Rn 40). [...]

ANMERKUNG

1.
Einleitung

Der OGH hat sich in diesem Verfahren mit der Frage auseinandergesetzt, inwiefern sämtliche gleiche bzw gleichwertigen Vordienstzeiten aus anderen EU-Mitgliedstaaten in einem kollektivvertraglichen Gehaltsschema zwingend anzurechnen sind, weil es eine dienstzeitabhängige Vorrückung vorsieht. Konkret betroffen war das Gehaltsschema für das wissenschaftliche Universitätspersonal (Postdoc-Stellen in der Verwendungsgruppe B1) im Kollektivvertrag für die AN der Universitäten (im folgenden Uni-KollV). Das Gehaltssystem des Uni- KollV baut auf der auszuübenden Tätigkeit auf und gliedert das wissenschaftliche Universitätspersonal in fünf verschiedene Verwendungsgruppen (A1, A2, B1, B2 und C), beginnend beim Studentischen Mitarbeiter (Verwendungsgruppe C) bis zum Universitätsprofessor (A). Nicht für alle Verwendungsgruppen besteht eine Zeitvorrückung und nur bei der Gruppe B1 (Universitätsassistenten, Senior Scientists, Senior Artists, Senior Lecturer und Projektmitarbeiter) ist zusätzlich explizit die Berücksichtigung von Vordienstzeiten normiert.

Die Verwendungsgruppe B1 gliedert sich in 5 Gehaltsstufen, wobei der Wechsel von Gehaltsstufe 1 auf Gehaltsstufe 2 nach drei Jahren erfolgt und die folgenden Sprünge in die nächsthöhere Gehaltsstufe dann jeweils nach acht Jahren (also erfolgen die Sprünge nach dem Schema von 3-8- 8-8 Jahren). Damit baut das Gehaltssystem der Gehaltsgruppe B1 grundsätzlich auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses als B1-Wissenschaftler bei der jeweiligen Universität auf.

Das System ist aber zweifach durchbrochen: Gem § 49 Abs 3 lit a Uni-KollV verkürzt sich die Dreijahresfrist (der Gehaltsstufe 1) um Zeiträume, für die tätigkeitsbezogene Vorerfahrungen nachgewiesen werden (dieser Tatbestand war hier aber nicht verfahrensgegenständlich). Für die anderen Gehaltsstufen hat der Uni-KollV keine vergleichbare Regelung vorgesehen. Zum anderen sind Postdoc-Stellen von Beginn an in die Gehaltsstufe 3 (§ 49 Abs 3 lit b Uni-KollV) einzureihen, aber eben ohne Anrechnung von Vordienstzeiten.

Dieses Zusammenspiel von Anrechnung von „tätigkeitsbezogener Vorerfahrung“ in der Grundstufe und eine daran anschließende Zeitvorrückung war der Knackpunkt für den klagenden BR: Er forderte mittels Feststellungsklage gem § 54 Abs 1 ASGG für Postdoc-Stellen die Anrechnung sämtlicher berufseinschlägiger Vordienstzeiten, die bei anderen AG im EU-Ausland erbracht wurden. Dabei hat er zwei Fallkonstellationen vor Augen, nämlich (1.) die Anrechnung von „fremden“ Dienstzeiten vor der erstmaligen Ausübung der Beschäftigung an der betroffenen Universität und (2.) die Anrechnung in so genannten Rückkehrer-Fällen, also Dienstzeiten von Mitarbeitern, die zwischenzeitig an anderen (Forschungs-)Einrichtungen tätig waren und dann wieder zur betroffenen Universität zurückkehren.

Der BR brachte vor, dass sich schon aufgrund unionsrechtskonformer Interpretation des Uni-KollV 530 ein Anspruch auf Anrechnung fremder Dienstzeiten ergebe. Das Hauptargument leitete der BR aus der EuGH-E Krah (10.10.2019, C-703/17) ab: Ein Unterbleiben der Vordienstzeitenanrechnung bei der Zeitvorrückung stelle einen Verstoß gegen die AN-Freizügigkeit dar.

Der OGH ist dieser Rechtsansicht zutreffend nicht gefolgt: Eine dienstzeitabhängige Vorrückung in einem kollektivvertraglichen Gehaltsschema verlangt keine Anrechnung von (auch einschlägigen) Vordienstzeiten und stellt keine Beeinträchtigung der AN-Freizügigkeit dar. Dafür hat der OGH nachvollziehbar auf die Trennlinie zwischen der für kollektivvertragliche Gehaltsschemata typischen Vordienstzeitenanrechnung bei der erstmaligen Einstufung einerseits sowie der dienstzeitabhängigen Vorrückung im Gehaltschema andererseits verwiesen, was angesichts der dazu geführten Diskussion in der Literatur (vgl etwa Burger-Ehrnhofer, Neue Regeln für die Anrechnung von Vordienstzeiten in Kollektivverträgen? ASoK 2019, 442; Pfeil in FS M. Fuchs, Sind Vordienstzeiten nun stets anzurechnen? [2020] 265; Potz, Arbeitnehmerfreizügigkeit und Entgeltsysteme – Verlangt das Unionsrecht die Gleichbehandlung von Vordienstzeiten und Dienstzeiten? JAS 2020, 83; Vinzenz/Burger, Beschränkte Anrechnung von Vordienstzeiten im Kollektivvertrag für das wissenschaftliche Universitätspersonal, EuZA 2020, 522; Schlachter, Vordienstzeitenanrechnung zwischen Freizügigkeit und Betriebstreue,DRdA 2021, 463; Posch, Vordienstzeitenanrechnung in Österreich aus unionsrechtlicher Sicht, ALJ 2021, 117; Friedrich, Die Berücksichtigung von Vordienstzeiten bei der Vorrückung und Arbeitnehmerfreizügigkeit – Eine scheinbar nicht enden wollende Geschichte, DRdA 2021, 24; Schöberl in Pfeil/Grimm/Schöberl [Hrsg], Personalrecht der Universitäten2 § 50 KollV Rn 1) nach der EuGH-E Krah eine erfreuliche Klarstellung, auch für die Auslegung vergleichbarer Kollektivverträge, bedeutet.

2.
Vordienstzeitenanrechnung vs Zeitvorrückung

Der Kern dieser E besteht in der Unterscheidung zwischen Vordienstzeitenanrechnung einerseits und der Berücksichtigung von Dienstzeiten beim selben AG für die Vorrückung im KollV andererseits.

2.1.
Zur Auslegung des Uni-KollV

Der OGH stellt zutreffend klar, dass die in § 49 Abs 3 Uni-KollV geregelte Vorrückung zwischen den Gehaltsstufen eine klassische Zeitvorrückung ist. Für die Vorrückung kommt es somit allein auf die beim konkreten AG verbrachte Dienstzeit an. Damit ist das Höchstgericht nicht dem Argument des BR gefolgt, aus dem Uni-KollV könne durch unionsrechtskonforme Interpretation eine Berücksichtigung von „fremden“ Dienstzeiten für die Vorrückung abgeleitet werden. Dem ist zur Gänze zuzustimmen: Der Uni-KollV unterscheidet in § 49 Abs 3 klar zwischen der Berücksichtigung von tätigkeitsbezogener Vorerfahrung für die Der OGH stellt zutreffend klar, dass die in § 49 Abs 3 Uni-KollV geregelte Vorrückung zwischen den Gehaltsstufen eine klassische Zeitvorrückung ist. Für die Vorrückung kommt es somit allein auf die beim konkreten AG verbrachte Dienstzeit an. Damit ist das Höchstgericht nicht dem Argument des BR gefolgt, aus dem Uni-KollV könne durch unionsrechtskonforme Interpretation eine Berücksichtigung von „fremden“ Dienstzeiten für die Vorrückung abgeleitet werden. Dem ist zur Gänze zuzustimmen: Der Uni-KollV unterscheidet in § 49 Abs 3 klar zwischen der Berücksichtigung von tätigkeitsbezogener Vorerfahrung für die Einstufung in die Gehaltsstufe 1 und der Vorrückung in die anderen Gehaltsstufen, die grundsätzlich nach der Absolvierung einer gewissen Dienstzeit erreicht werden. Der Uni-KollV kann daher nicht so ausgelegt werden, dass er eine Anrechnung von Vordienstzeiten für jede Gehaltsstufe in der Verwendungsgruppe B1 vorsieht. Das ist auch in Hinblick auf das Gesamtkonzept des Gehaltsschemas des wissenschaftlichen Personals stimmig. Beim wissenschaftlichen „Mittelbau“ fließt die typische Unterscheidung zwischen Praedoc- und Postdoc- Stellen und bis zu einem gewissen Grad Vorerfahrung in der Grundstufe ein. Weitere Gehaltssprünge sollen aber nur nach Zeitablauf ohne Hinzutreten weiterer Voraussetzungen erfolgen oder durch einen Wechsel in eine (höhere) Verwendungsgruppe. Die Gruppe B1 erfasst im Wesentlichen zwei Gruppen von Wissenschaftler:innen, nämlich zum einen jene Personen, die den klassischen Karrierepfad einschlagen und idealerweise über eine Tenure Track Stelle dann eine Stelle als Universitätsprofessor erhalten und damit in eine andere (höhere) Verwendungsgruppe (A1 oder A2) wechseln. Zum anderen sind auch Personen wie Senior Scientist bzw Senior Lecturer erfasst, die üblicherweise unbefristete Postdoc- oder Lektorenstellen innehaben. Auch für diese Gruppe wollten die Kollektivvertragsparteien Gehaltserhöhungen normieren, gerade für den Fall, dass sich an der ausgeübten Tätigkeit als Postdoc nichts ändert. Mit der Zeitvorrückung haben die Kollektivvertragsparteien daher eine Stagnation im Gehaltsschema für Personen vermieden, die auf einer Postdoc-Stelle verbleiben. Da die Auslegung des Uni-KollV nicht die vom BR gewünschte Anrechnung zuließ, wurde daher § 49 Abs 3 Uni-KollV unter dem Gesichtspunkt der AN-Freizügigkeit geprüft.

2.2.
Uni-KollV und Arbeitnehmerfreizügigkeit

Wie im Verfahren Krah gab es auch im gegenständlichen Verfahren keinerlei Indiz dafür, dass eine gegen Art 45 AEUV verstoßende unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit vorlag: Zum einen wurden die Regelungen des Uni-KollV unabhängig von der Staatsangehörigkeit auf alle AN gleich angewandt, zum anderen ergab das Verfahren keinen Hinweis darauf, dass Wander-AN mehr tätigkeitsbezogene Vorerfahrung aufwiesen als inländische AN und sich die an sich neutrale Vorrückungsregel des Uni-KollV daher insb auf Wander-AN nachteilig auswirken würde.

Die Prüfung des OGH fokussierte daher die Frage, inwiefern eine nach Art 45 AEUV ebenso verbotene Behinderung der AN-Freizügigkeit vorliegt. Der OGH schließt eine etwaige Behinderung der AN-Freizügigkeit allerdings bereits auf Tatbestandsebene aus: Mit Hinweis auf die Schlussanträge des GA Bobek (der in der Rs Krah eine Behinderung der AN-Freizügigkeit im Gegensatz zum EuGH verneint hat, vgl dazu Potz, JAS 2020, 94 f; Posch, ALJ 2021, 146) verweist der OGH auf die stRsp des EuGH, wonach nationale Vorschriften, die zwar die Erwerbstätigkeit bzw Arbeitsbedingungen regeln, 531

aber keine Bedingungen zum Zugang einer Beschäftigung vorsehen, in aller Regel keine Beschränkung der AN-Freizügigkeit darstellen. Der OGH betont, dass das Unionsrecht keinen Anspruch darauf einräume, dass ein Umzug in einen anderen Mitgliedstaat für einen AN in sozialer Hinsicht neutral sein müsse. Ein Umzug kann aufgrund der Unterschiede, die zwischen den Systemen und den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bestehen, für die betreffende Person je nach Einzelfall Vorteile oder Nachteile in diesem Bereich mit sich bringen (vgl etwa EuGH 26.4.2007, C-392/05, Alevizos; EuGH 13.7.2026, C-187/15, Pöpperl, Rn 24). Ein Wander-AN kann daher aus Art 45 AEUV keinen Anspruch auf die gleichen Arbeitsbedingungen bzw Sozialstandards wie in seinem Herkunftsstaat ableiten.

In Abgrenzung zum Sachverhalt in der Rs Krah hat der OGH herausgearbeitet, dass es im gegenständlichen Verfahren um eine reine Zeitvorrückung und damit um ein Entlohnungssystem ging, das an die Dauer der Beschäftigung bei dem aktuellen AG ein höheres Entgelt knüpft, was auch nach der Ansicht des EuGH (vgl Rs Krah Rz 67) keine Behinderung nach Art 45 AEUV darstellt. Entscheidend ist somit die scharfe Abgrenzung zwischen einer (gedeckelten) Anrechnung von facheinschlägigen Vordienstzeiten wie im Fall Krah, die auf die Abgeltung von Berufserfahrung abzielte und damit als Behinderung der AN-Freizügigkeit qualifiziert wurde, zu einer reinen Zeitvorrückung: Eine Berufserfahrungsregel wie in der Rs Krah stellt einen Verstoß gegen die AN-Freizügigkeit dar, nicht aber eine reine Dienstzeitregel wie im gegenständlichen Fall. Auch der Umstand, dass § 49 Abs 3 Uni-KollV in der Gehaltsstufe 1 eine Anrechnung von Vordienstzeiten vorsieht, führt nicht zu einer zwingenden Anrechnung von Vordienstzeiten auch in den anderen Gehaltsstufen des § 49 Abs 3 Uni-KollV. Vor diesem Hintergrund kommt der OGH daher für den ersten Antragspunkt zu dem Ergebnis, dass die verfahrensgegenständliche Zeitvorrückung eine neutrale Vorschrift darstellt, die die AN-Freizügigkeit nicht behindert.

Auch beim zweiten Antragspunkt, den so genannten „Rückkehrer-Fällen“, verneint der OGH einen Verstoß gegen die AN-Freizügigkeit, allerdings mit einer anderen Begründung: Er verweist auf die EuGH-Rsp, wonach eine unzulässige Beeinträchtigung der AN-Freizügigkeit dann nicht vorliegt, wenn die nationale Regelung an ein hypothetisches bzw ungewisses Ereignis in der Zukunft knüpft (siehe EuGH 27.1.2000, C-190/98, Graf ). Wie der OGH ausführt, ist eine mögliche Rückkehr zu einer früheren AG (der früheren Universität) nach Ausübung des Rechts auf AN-Freizügigkeit ein solch hypothetisches und ungewisses Ereignis. Dem ist zuzustimmen: Eine mögliche Rückkehr hängt insb nicht nur von der Entscheidung des jeweiligen AN ab, sondern vielmehr davon, ob ein Arbeitsplatz an derselben Universität in der Verwendungsgruppe B1 frei wird und ob der AN diesen Arbeitsplatz auch erhält. Hinzu kommt, dass gerade Universitäten zudem die Mobilität ihrer AN auf vielfältige Weise fördern, ohne dass das Arbeitsverhältnis dieser AN beendet werden muss. Dies geschieht etwa durch Austauschprogramme oder dadurch, dass Arbeitsverhältnisse für die Dauer einer Tätigkeit im Ausland (auch für einen unbefristeten Zeitraum) karenziert werden können. Die Entscheidung von AN, von ihrem Recht auf AN-Freizügigkeit Gebrauch zu machen, geht daher nicht zwingend mit der Entscheidung einher, ein Arbeitsverhältnis zu beenden. Vor diesem Hintergrund kam der OGH daher richtigerweise zum Ergebnis, dass keine unzulässige Beschränkung für „Rückkehrer“ vorliegt.

Schließlich verneinte der OGH einen Verstoß gegen die AN-Freizügigkeit auch auf der Rechtfertigungsebene: Selbst wenn dennoch eine Beeinträchtigung der AN-Freizügigkeit anzunehmen sei, könnte diese gerechtfertigt werden. Denn Zeitvorrückungen, die auf die Beschäftigung bei ein und denselben AG abstellen, wären iSd EuGH-Rsp zutreffend als zulässige Treueprämien zu qualifizieren (vgl Potz, JAS 2020, 102).

Der OGH hat im Ergebnis eine Verletzung der ANFreizügigkeit somit sowohl auf Tatbestands- als auch Rechtfertigungsebene ausgeschlossen und mit Hinweis auf die bestehende Rsp daher auch – mE zutreffend – keine Vorlage an den EuGH erstattet.

3.
Conclusio

Mit dieser E wahrt der OGH einen vernünftigen Gestaltungsspielraum für (kollektivvertragliche) Entlohnungssysteme. Das gegenteilige Ergebnis hätte weitreichende und von den Kollektivvertragsparteien nicht intendierte Folgen gehabt, nämlich eine unbegrenzte Anrechnung von Vordienstzeiten in jedem Gehaltsschema mit Zeitvorrückung. Das hätte Dienstzeit als (einen der) bestimmende(n) Entgeltfaktoren in Gehaltssystemen praktisch uninteressant gemacht und den Spielraum für die Berücksichtigung von zeitlichen Komponenten bei der Entgeltfestlegung deutlich eingeschränkt – was weder im Interesse der AN noch der AG liegt.

Zudem hat der OGH mit dieser E auch wieder die Notwendigkeit von klaren und stringenten Entlohnungssystemen veranschaulicht: Entlohnungssysteme haben zwischen der Anrechnung von Vordienstzeiten als Berücksichtigung von Berufserfahrung (Berufserfahrungsregel) und einer Abgeltung von Betriebstreue (Dienstzeitregel) zu unterscheiden. Dies wird zukünftig nicht nur unter dem Blickwinkel der AN-Freizügigkeit zu prüfen sein, sondern wird durch die (noch umzusetzenden) Regelungen der Lohntransparenz-RL 2023/970/EU verschärft werden. 532