Kaiser/Schober (Hrsg)Beschäftigung für alle – Die Zukunft der Arbeit
Verlag des ÖGB, Wien 2023, 344 Seiten, broschiert, € 29,90
Kaiser/Schober (Hrsg)Beschäftigung für alle – Die Zukunft der Arbeit
Auf dem Arbeitsmarkt sind tiefgreifende Umwälzungen im Gang, man denke nur an die Auswirkungen von Digitalisierung und demographischem Wandel oder an die Ausbreitung von Homeoffice und Plattformdiensten. Zusammen mit dem Weiterbestehen von altbekannten Problemen, wie dem strukturellen Machtgefälle zwischen AG und AN sowie hartnäckigen Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt, resultieren daraus große Herausforderungen für die Arbeitsmarktpolitik. Gründe genug 565 also, um über die Zukunft der Arbeit nachzudenken. Der vorliegende Band tut dies aus einer Wiener Perspektive (was der Name der Buchreihe erwarten lässt) und (fast ausschließlich) aus einer sozialdemokratischen und arbeitnehmerorientierten Perspektive.
Der Band umfasst knapp zwei Dutzend Aufsätze und startet nach dem Vorwort des Wiener Bürgermeisters Michael Ludwig mit einem Beitrag des für Wirtschaft und Arbeit zuständigen amtsführenden Stadtrats Peter Hanke. Darin werden wichtige wirtschaftspolitische Strategien und Ansätze kurz angesprochen (Smart Klima City Rahmenstrategie, Wirtschafts- und Innovationsstrategie) und arbeitsmarktpolitische Aktivitäten der Wiener Landesregierung dargestellt (ua des Wiener Arbeitnehmer*innen Förderungsfonds). Angaben zur Höhe und Entwicklung der Arbeitslosenquote in Wien finden sich im Beitrag, der immerhin den Untertitel „Der Wiener Arbeitsmarkt“ trägt, nicht. Ein weiterer Beitrag aus der Perspektive der Wiener Politik von Josef Taucher, dem Vorsitzenden des SPÖ-Klubs im Wiener Landtag, und Daniela Mataliewa referiert interessante Ergebnisse zweier Studien zur Arbeitswelt, die vom SPÖ-Landtagsklub in Auftrag gegeben wurden. Ebenfalls mit Blickpunkt auf Wien behandelt der Präsident der Wiener Wirtschaftskammer, Walter Ruck, den Fachkräftemangel. Hier wird skizziert, wie dieser durch Lehre und Bildung, Zuzug von potenziellen Arbeitskräften, durch die Nutzung bestehender Potenziale und eine Unterrichts- und Schulbauoffensive bekämpft werden soll.
Die weiteren Beiträge bearbeiten Arbeitsmarkt- Themen aus einer allgemeinen und über den Wiener Arbeitsmarkt hinaus reichenden Perspektive. Unter den Autor*innen dominieren Mitarbeiter*innen und Funktionär*innen von Arbeiterkammer und Gewerkschaften, einige Beiträge sind von Wissenschaftler*innen verfasst. Die Vielfalt der behandelten Themen ist beträchtlich, die erhobenen Forderungen an die Arbeitsmarktpolitik ebenso. So gebe es gemäß dem Präsidenten und der Vizepräsidentin des Gewerkschaftsbundes, Wolfgang Katzian und Korinna Schumann, „viele Gründe, warum in Zukunft die Normalarbeitszeit nicht 40 Stunden, sondern 30 Wochenstunden betragen muss
“ (S 68). Aus der großen Zahl an Beiträgen seien einige herausgegriffen, die dem Rezensenten besonders interessant erschienen.
Anschaulich und gut argumentiert ist der Beitrag von Friederike Spieker über „neoliberale Arbeitsmarktmythen“, in dem gezeigt wird, dass das Marktdogma das gesamtwirtschaftliche Denken blockiert. Ein zentrales Problem besteht darin, dass auf einzelwirtschaftlicher Ebene nachvollziehbare Vorstellungen von wirtschaftlichen Zusammenhängen – wie zB dass für einen Privathaushalt in wirtschaftlich schlechten Zeiten Zurückhaltung bei den Ausgaben eine durchaus vernünftige Strategie sein kann – gesamtwirtschaftlich nicht haltbar sind. Diese Vorstellungen sind aber von denjenigen, denen dieses Modell bislang genützt hat, „dem unbeteiligten Laien leicht zu vermitteln und daher irgendwie einleuchtend
“ (S 114). Entsprechend wirkmächtig erweisen sich falsche Analogien, die zwischen einzelwirtschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen oder zwischen privaten und öffentlichen Haushalten hergestellt werden.
Zwei lesenswerte Beiträge behandeln das Modellprojekt Arbeitsplatzgarantie Marienthal. Die Ortschaft Marienthal ist seit den 1930er-Jahren ein Fixpunkt in der globalen sozialwissenschaftlichen Forschung. Am Beispiel der Schließung des einzigen Betriebes in der Ortschaft wurden hier erstmalig die sozialen und politischen Folgen von (Langzeit-)Arbeitslosigkeit erforscht. Das Projekt soll Langzeitarbeitslose wieder in Beschäftigung bringen und gibt dazu insb eine Beschäftigungsgarantie für Teilnehmer*innen des Projektes ab. Der Landesparteivorsitzende der SPÖ Niederösterreich, Sven Hergovich, erläutert das Projekt, bei dem er als Landesgeschäftsführer des AMS Niederösterreich einer der Motoren war und zeigt die positiven Arbeitsmarktauswirkungen (Senkung der Langzeitarbeitslosigkeit in der Projektgemeinde Grammatneusiedl auf null!). Maximilian Kasy und Lukas Lehner fokussieren auf die Auswirkungen des Modellprojekts auf die Betroffenen – dh auf diejenigen Personen, die vor Projektstart langzeitarbeitslos waren. Die Arbeitsplatzgarantie hat durchwegs positive Auswirkungen auf das wirtschaftliche (Einkommen, Beschäftigung, finanzielle Sicherheit) und das soziale Wohlergehen (soziale Anerkennung, Zeitstruktur, soziale Interaktionen) der Teilnehmer*innen.
Einen historischen Bezug weist schließlich auch der Beitrag von Sascha Obrecht auf. Durch atypische und neue Beschäftigungsformen ist eine Gruppe von Erwerbstätigen entstanden, deren Arbeitsmarktstatus an die Wienerberger Ziegelarbeiter des späten 19. Jahrhunderts erinnert und mit Prekariat bezeichnet werden kann. Der kurze Beitrag verschafft einen Überblick über verschiedene Formen von atypischen und neuen Beschäftigungsformen und zeigt das Erfordernis auf, eine nicht geringe Zahl von Erwerbstätigen (wieder) in den Wirkungsbereich des Arbeitsrechts zu bringen.