JöchtlPraxishandbuch Arbeitsverfassungsrecht – Die wesentlichen Bestimmungen von ArbVG, LAG und PVG
Linde Verlag, Wien 2023, 408 Seiten, kartoniert, € 79,–
JöchtlPraxishandbuch Arbeitsverfassungsrecht – Die wesentlichen Bestimmungen von ArbVG, LAG und PVG
Mit seinem „Praxishandbuch Arbeitsverfassungsrecht“ legt Stefan Jöchtl ein Werk vor, das sich von der übrigen Literatur zum kollektiven Arbeitsrecht abhebt: Es erschöpft sich nicht in der Aufbereitung des ArbVG, sondern stellt das Arbeitsverfassungsrecht in umfassender Breite dar. Neben den Regelungen des ArbVG widmet sich der Autor auch den Bestimmungen des Landarbeitsgesetzes (LAG) sowie des Bundes- Personalvertretungsgesetzes (PVG). Ein solches Vorhaben ist gleichermaßen verheißungs- wie anspruchsvoll. Die Zusammenschau dieser drei Gesetze ermöglicht ein vertieftes Verständnis der Rechtslage, allerdings bestehen gerade zwischen dem ArbVG und dem PVG tiefgreifende Systemunterschiede sowohl in Bezug auf die Organisation als auch die Befugnisse der Belegschaft. 564 Letzteres ringt dem Autor bei der Gliederung des Rechtsstoffes dann auch ein Zugeständnis ab: Während die Regelungen des ArbVG und des LAG in einem abgehandelt werden können (S 1-324), muss den Bestimmungen des PVG ein eigener Abschnitt gewidmet werden (S 325-374).
Dem Wesen eines Praxishandbuches entsprechend wird der Rechtsstoff anhand des Gesetzestextes sowie ausgewählter Entscheidungen aufbereitet. Der Fokus liegt dabei auf der systematischen Darstellung des Rechtsstoffes und nicht auf einer möglichst vollständigen Erfassung der Judikatur (eine solche – für das ArbVG – bietend Lindmayr, Handbuch der Arbeitsverfassung8 [2015]); Hinweise auf weiterführende Literatur unterbleiben – abseits vereinzelter Ausnahmen (vgl zB FN 130, FN 604) – zur Gänze. Diese Darstellungsform erweist sich einerseits als großer Vorzug, vermittelt sie doch das Recht so, wie es von den entscheidenden Stellen (bislang) gelesen wurde. Andererseits handelt es sich dabei auch um die Achillesferse des vorliegenden Werkes, bleibt den Leser:innen mitunter die Angreifbarkeit mancher von der Judikatur eingenommener Positionen verborgen. Das lässt sich an folgendem Beispiel veranschaulichen: Was bedeutet der Abschluss eines KollV durch eine freiwillige Berufsvereinigung der AN für die Kollektivvertragsfähigkeit der gesetzlichen Interessenvertretung der AN in Bezug auf die Außenseiter:innen? Im Einklang mit einer älteren E des OGH (9 ObA 502/89 ZAS 1990/21, 168 [abl G. Klein]) wird dazu ausgeführt, dass dies den Verlust der Kollektivvertragsfähigkeit sowohl in Bezug auf die Mitglieder der freiwilligen Berufsvereinigung als auch in Bezug auf die Außenseiter:innen nach sich ziehe (S 13). Darüber, ob diese – im Zusammenhang mit der Kollektivvertragsfähigkeit als Voraussetzung für die Einleitung eines besonderen Feststellungsverfahrens iSd § 54 Abs 2 ASGG ergangene – Entscheidung, welche nicht nur im Widerspruch zum Wortlaut des § 6 ArbVG steht (arg: „verliert [...] hinsichtlich der Mitglieder der Berufsvereinigung die Kollektivvertragsfähigkeit
“), sondern auch von weiten Teilen des Schrifttums abgelehnt wird (vgl jeweils mwN Strasser in Jabornegg/Resch/Kammler [Hrsg], ArbVG [LoseBl 1. Lfg, 2002] § 6 Rz 15; Reissner in Neumayr/Reissner [Hrsg], ZellKomm3 [2018] § 6 ArbVG Rz 6 f; Mosler in Gahleitner/Mosler [Hrsg], Arbeitsverfassungsrecht § 6 Rz 8 [arbvg.oegbverlag.atarbvg.oegbverlag.at, Stand 1.7.2023]; vgl auch Runggaldier in Brameshuber/Tomandl [Hrsg], ArbVG [LoseBl 3. Lfg, 2007] § 6 Rz 4 ff; Neumayr, Zur Verfahrenslegitimation nach § 54 Abs 2 ASGG, in GedS Rebhahn [2019] 385 [390 f]), ohne weitere Erläuterungen referiert werden sollte, lässt sich ebenso trefflich wie fruchtlos streiten. Unabhängig davon, welches Maß an „Judikaturkritik“ man in einem Praxishandbuch letztlich für geboten hält, liegt doch eines auf der Hand: Ohne einen gewissen „Mut zur Lücke“ vermag ein Praxishandbuch die an es gestellten Anforderungen nicht zu erfüllen.
Insgesamt gilt es zu konstatieren, dass Jöchtl der Verlockung in Detailbetrachtungen abzudriften, nicht nur widersteht, vielmehr kennzeichnet das gesamte Werk ein gelungener Spagat zwischen der gebotenen Kürze auf der einen Seite und der erforderlichen Präzision auf der anderen Seite: Die Erläuterungen sind auf das Notwendige reduziert und bleiben dennoch verständlich. Bloß gelegentlich wäre wohl der eine oder andere ergänzende Satz wünschenswert. So erscheint es zumindest ambitioniert, die Thematik der Ist-Lohn- Klauseln auf einer halben Seite darzustellen und dabei in einem auch die Problematik der Aufsaugungsklauseln abzuhandeln (S 16). Diese gedrängte Darstellung fordert ihren Tribut: Die Zulässigkeit einer (nachträglichen) vertraglichen Disposition über das durch eine schlichte Ist-Lohn-Klausel erhöhte Entgelt bis zum kollektivvertraglichen Mindestentgelt wird zwar (zumindest) angedeutet, aber nicht mit letzter Klarheit ausgesprochen. Es bleibt zu hoffen, dass es allen Leser:innen des Praxishandbuches gelingen wird, sich dies aus den Ausführungen zur schlichten Ist-Lohn-Klausel sowie den allgemeinen Erläuterungen zum Günstigkeitsprinzip (S 4 ff) zu erschließen. Der Praxistauglichkeit des vorliegenden Werkes tut dies letztlich jedoch keinen Abbruch: Die klare Sprache leistet Gewähr dafür, dass auch komplexe Rechtsfragen nachvollziehbar aufbereitet werden. Die eingestreuten steuerrechtlichen Hinweise verdeutlichen die Auswirkungen verschiedener Gestaltungsmöglichkeiten (zB S 69 f und FN 71) und wem selbst mitunter die Worte fehlen, der kann Anleihen bei einem der Formulierungsvorschläge (zB S 157, S 164, S 315 f) nehmen. Ein ausführliches Stichwortverzeichnis sowie besonders praxisrelevanten Kapiteln vorangestellte Kurzzusammenfassungen sorgen schließlich dafür, dass die gesuchten Informationen schnell aufgefunden werden können.
Das „Praxishandbuch Arbeitsverfassungsrecht“ sei Einsteiger:innen und Fortgeschrittenen gleichermaßen empfohlen. Während die einen eine verständliche Aufbereitung des Rechtsstoffes finden, werden die anderen Nutzen insb aus der Gegenüberstellung der unterschiedlichen arbeitsverfassungsrechtlichen Gesetze ziehen. Die sorgsam herausgearbeiteten Unterschiede zwischen den einzelnen Gesetzen schärfen nicht nur den Blick für die großen und kleinen Besonderheiten des LAG sowie des PVG, vielmehr laden diese auch dazu ein, die vertrauten Bestimmungen des ArbVG in neuem Licht zu betrachten: Das Streben nach einer von Wertungswidersprüchen möglichst freien Rechtsordnung verlangt es, sich bei der Interpretation des ArbVG auch mit den Wertentscheidungen auseinanderzusetzen, welche sich dem arbeitsverfassungsrechtlichen Sonderrecht (LAG, PVG etc) entnehmen lassen; diese mühevolle Arbeit wird mit dem Praxishandbuch von Jöchtl ein gutes Stück einfacher.