HolstAußerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers im deutschen und im englischen Recht
Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2022 229 Seiten, broschiert, € 79,90
HolstAußerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers im deutschen und im englischen Recht
Die vorliegende Arbeit stellt eine an der Universität Tübingen approbierte Dissertation dar. Sie setzt sich mit dem dogmatisch höchst anspruchsvollen Thema des außerdienstlichen Verhaltens des AN auseinander und führt eine rechtsvergleichende Analyse zwischen dem deutschen und englischen Recht durch.
Den Fokus legt die Autorin auf die Nutzung von sozialen Medien durch AN, die aus dem heutigen Alltag nicht mehr wegzudenken sind. Angesichts der zunehmenden Digitalisierung verschwimmen die Grenzen zwischen dienstlichem und außerdienstlichem Verhalten immer mehr, was zahlreiche neue Rechtsfragen im Hinblick auf das außerdienstliche Verhalten von AN aufwirft. Dies zeigt sich etwa auch an einer erheblichen Zunahme an Kündigungen und Entlassungen von AN aufgrund von öffentlich preisgegebenen Informationen auf sozialen Medien in vielen Staaten. Ziel der Arbeit ist es, die Reichweite und die Grenzen außerdienstlichen Verhaltens des AN im deutschen und englischen Recht herauszuarbeiten, Schwachstellen in diesem Zusammenhang zu erkennen und Lösungsansätze für die derzeit bestehenden Probleme zu entwickeln. Damit hat die Autorin für ihre Dissertation ein aktuelles und praktisch höchst relevantes Thema gewählt, das in Zukunft wohl immer mehr an Bedeutung erlangen wird. Zudem soll nicht unerwähnt bleiben, dass das Thema des außerdienstlichen Verhaltens des AN auch seit Ausbruch der Corona-Pandemie immens an Bedeutung gewonnen hat, zumal während der Pandemie vermehrt Fragen aufgetreten sind, wie sich das Verhalten von AN in der Freizeit auf das Arbeitsverhältnis auswirken kann, wenn sie sich etwa in ihrer Freizeit weigern, die behördlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie einzuhalten. In vielen Staaten waren die Höchstgerichte mehrfach mit Fragen dieser Art befasst, in Österreich etwa bei einer Amtsärztin, deren Arbeitsverhältnis beendet worden ist, weil sie öffentlich erklärt hat, sich den Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung der Pandemie zu widersetzen (OGH 30.8.2022, 8 ObA 44/22m). Zwar hat Lisa-Katharina Holst den Schwerpunkt auf soziale Medien und nicht auf Fragen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gelegt, doch lassen sich viele dieser Probleme für das deutsche und englische Recht mit den von der Autorin entwickelten Ansätzen lösen. Durch die Pandemie hat daher das von der Autorin gewählte Thema der Dissertation mit Sicherheit noch zusätzlich an Aktualität gewonnen.
Inhaltlich ist das Werk in sieben Kapitel gegliedert. Nach der Einleitung in Kapitel A, in der die Autorin die Problemstellung, die Methodik und den Gang der Untersuchung erläutert (S 19-23), widmet sie sich in Kapitel B (S 24-34) der historischen Entwicklung außerdienstlicher Verhaltenspflichten des AN im deutschen und englischen Recht. In Kapitel C (S 35-55) werden darauf aufbauend zahlreiche Rechtsfragen analysiert, die sich im geltenden Recht stellen. Holst setzt sich insb mit der dogmatischen Herleitung außerdienstlicher Verhaltenspflichten in Deutschland und England eingehend auseinander. Zwar obliegen den AN in beiden Rechtsordnungen gewisse Rücksichtnahmepflichten, die über die reine Erfüllung der Arbeitsleistung hinausgehen und teilweise auch in den privaten Bereich hineinreichen können. Während jedoch im deutschen Recht solche Pflichten aus § 242 BGB hergeleitet werden, wobei auch übergeordnete Prinzipien wie das Sozialstaatsprinzip zur Begründung herangezogen werden, wird im englischen Recht mit dem Billigkeitsrecht argumentiert. Die Verfasserin arbeitet heraus, dass das Recht der equity in England unter Billigkeitsgesichtspunkten weitaus höhere Anforderungen an den AN 558 stellt als das im deutschen Recht der Fall ist. In Kapitel D (S 57-145) untersucht sie die Grenzen und die Reichweite außerdienstlicher Verhaltenspflichten des AN. Dazu bildet die Autorin verschiedene Fallgruppen, nämlich (1) Meinungsäußerungen des AN, (2) vom AN begangene Straftaten und (3) das Privatleben des AN, etwa der Alkoholkonsum, persönliche Beziehungen oder das Sexualleben des AN. Holst analysiert eingehend die Judikatur in Deutschland und England zu diesen Themenbereichen und kommt zum Ergebnis, dass das Recht des AN auf Privatsphäre in England insgesamt einen geringeren Stellenwert hat als in Deutschland; auch die Einführung des Human Rights Act (HRA) hat in England zu keinen nennenswerten Änderungen im Hinblick auf die Bewertung des Privatlebens von AN mit sich gebracht, was insb in der dritten Fallgruppe zu erheblichen Unterschieden zu Deutschland führt. Die Rechtsfolgen außerdienstlichen Verhaltens werden in Kapitel E (S 146-162) beleuchtet, insb ein Anspruch des AG auf Erfüllung, Schadenersatzansprüche des AG, die Abmahnung sowie die Kündigung oder Entlassung des AN. Wenig überraschend wird hier in beiden Rechtsordnungen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses als das stärkste Verteidigungsmittel des AG genannt, wobei bei den Kündigungsvoraussetzungen erhebliche Unterschiede zwischen dem deutschen und englischen Recht bestehen. Zuletzt setzt sich die Autorin in Kapitel F (S 163-199) inhaltlich mit den Gestaltungsmitteln des AG auseinander und betont auch hier wichtige Unterschiede zwischen dem deutschen und dem englischen Recht. Kapitel G (S 200-202) rundet die Arbeit mit einer abschließenden rechtsvergleichenden Betrachtung ab, aus der im Ergebnis der hohe Stellenwert des AN-Schutzes im deutschen Recht auf der einen Seite und weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten des AG im englischen Recht auf der anderen Seite hervorgehen. Daraus entwickelt Holst einen eigenen Ansatz für das deutsche Recht, der auf einen angemessenen Ausgleich der AN- und AG-Interessen abzielen soll.
Insgesamt ist es der Autorin sehr gut gelungen, durch die rechtsvergleichende Analyse Probleme und Schwachstellen in den deutschen und englischen Regelungen aufzuzeigen und neue Lösungsansätze dafür zu entwickeln. Die Arbeit ist sehr übersichtlich gegliedert, in jedem Kapitel werden die rechtlichen Fragen klar nach deutscher und englischer Rechtslage gegliedert und anschließend durch eine rechtsvergleichende Betrachtung abgerundet. Sowohl inhaltlich als auch sprachlich ist die Arbeit durchgehend auf hohem Niveau und trotz der Komplexität des Themas sehr verständlich geschrieben und gut lesbar, auch für Personen, die mit dem deutschen und/oder englischen Recht nicht im Detail vertraut sind. Zu bemängeln ist, dass die Autorin das Thema „Whistleblowing“ trotz der Aktualität dieses Themas angesichts der Whistleblowing-RL 2019/1937 gänzlich außer Acht gelassen hat. Insb die Auseinandersetzung mit den Meinungsäußerungen des AN auf sozialen Medien kann wohl nicht als abschließend betrachtet werden, wenn die Whistleblowing-RL und deren Umsetzung in den nationalen Rechtsordnungen nicht in die Analyse miteinbezogen werden. Denn eine Offenlegung von Informationen über den AG ist gem Art 15 Whistleblowing-RL 2019/1937 nur unter sehr strengen Voraussetzungen zulässig. Wer sich daher zum Whistleblowing detailliert informieren möchte, muss auf andere Literatur verwiesen werden. Dies schmälert jedoch den Wert des vorliegenden Werks keineswegs, zumal eine zusätzliche eingehende Auseinandersetzung mit dem Thema Whistleblowing, der Whistleblowing-RL und deren Umsetzung in den nationalen Rechtsordnungen den Rahmen einer Dissertation wohl eindeutig gesprengt hätte.
Fasst man die Ausführungen zusammen, handelt es sich um eine sehr spannende Dissertation auf durchgehend hohem wissenschaftlichen Niveau, die die Judikatur und Ansätze in der Literatur zum außerdienstlichen Verhalten des AN im deutschen und englischen Recht tiefschürfend analysiert und aus rechtsvergleichender Perspektive neue Erkenntnisse zu diesem Thema liefert. Die Arbeit kann auch Wissenschafter:innen, die sich mit dem außerdienstlichen Verhalten des AN im österreichischen Recht befassen, zur Information und als Überblick empfohlen werden, wenngleich darauf hingewiesen sei, dass die deutsche Rechtslage aufgrund zahlreicher Unterschiede im Detail gerade nicht ohne Weiteres auf das österreichische Recht übertragen werden darf!