Das Gesundheitswesen im digitalen Wandel: Digitale Gesundheitsanwendungen – sozialversicherungsrechtliche, berufsrechtliche und datenschutzrechtliche Aspekte

DIANANIKSOVA (INNSBRUCK)
Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs), auch „Gesundheits-Apps“, „Health- Apps“ oder „Apps auf Rezept“ gennant, erlangen einen immer größeren Stellenwert und werden in der Zwischenzeit in vielen Staaten in unterschiedlichen medizinischen Bereichen eingesetzt, etwa als e-Stethoskop, zur Überwachung des Blutzuckers bei Diabetes, zur Linderung von Tinnitus, zur Überwachung und Dokumentation der Werte bei Asthma, bei Hautscreenings, bei psychischen Erkrankungen und vielen anderen Krankheiten. Anders als in Deutschland hat der österreichische Gesetzgeber bislang keinen rechtlichen Rahmen für DiGAs geschaffen. Der vorliegende Beitrag* untersucht sozialversicherungsrechtliche, berufsrechtliche und datenschutzrechtliche Aspekte von solchen neuen technologischen Anwendungen und kommt zum Ergebnis, dass der österreichische Gesetzgeber im ASVG einen eigenen Leistungsanspruch auf Versorgung mit DiGAs normieren sollte, um Rechtssicherheit zu schaffen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Österreich bei neuen technologischen Entwicklungen von anderen Staaten überholt wird, jedoch aus unionsrechtlichen Gründen dennoch die Kosten tragen muss, wenn sich Versicherte aus Österreich innovative medizinische Dienstleistungen und Produkte, die in Österreich nicht angeboten werden, im Ausland verschaffen.
  1. Einleitung: Digitale Gesundheitsanwendungen, „Gesundheits-Apps“, „Health-Apps“, „Apps auf Rezept“

  2. Sozialversicherungsrechtliche Aspekte

    1. Allgemeines

    2. Rechtslage in Deutschland

      1. Definition iSd § 33a Abs 1 SGB V

      2. Prüfverfahren beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte

    3. Klassifizierung im österreichischen Recht

      1. Allgemeines

      2. DiGAs als Heilbehelfe

      3. DiGAs mit kombinierten Funktionen: Ärztliche Hilfe – Heilbehelf

      4. DiGAs als Hilfsmittel

      5. DiGAs in der medizinischen Rehabilitation

      6. Zwischenfazit

    4. Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung: Kostenerstattung für von ausländischen Ärzten verschriebene DiGAs?

      1. Allgemeines

      2. Ausgangspunkt: Art 17-20 Sozialrechtskoordinierungs- VO 883/2004/EG

      3. EuGH-Judikatur zur Kostenerstattung bei Auslandsbehandlungen

      4. Patientenmobilitäts-RL 2011/24/EU als Parallelsystem zu den Art 17-20 VO 883/2004/EG

      5. Kostenerstattung für von ausländischen Ärzten verschriebene DiGAs

      6. Überlegungen de lege ferenda

    5. Zwischenfazit

  3. Berufsrechtliche Aspekte

  4. Datenschutzrechtliche Aspekte

    1. Verarbeitung personenbezogener Daten

    2. Rechtslage bei Kindern: Undurchsichtiges Zusammenspiel zwischen Art 6, 8 und 9 DSGVO

  5. Fazit und Ausblick

1.
Einleitung: Digitale Gesundheitsanwendungen, „Gesundheits-Apps“, „Health-Apps“, „Apps auf Rezept“

Die Digitalisierung führt in rasantem Tempo tiefgreifende Veränderungen in fast allen Bereichen der Wirtschaft, Gesellschaft und des täglichen 495

Lebens herbei. Längst hat sie auch das Gesundheitswesen erfasst, dessen Versorgungsstrukturen aufgrund von digitalen Innovationen zunehmend verändert werden.* Insb seit Ausbruch der Corona-Pandemie hat die Digitalisierung im Gesundheitswesen einen enormen Bedeutungszuwachs erlangt, zumal Ärzte und Patienten von heute auf morgen vor die Frage gestellt wurden, ob ärztliche Leistungen auch mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien, etwa per Videotelefonie, erbracht werden können. Obgleich die Telemedizin in einigen anderen Bereichen schon seit vielen Jahren und Jahrzehnten erfolgreich eingesetzt wird, etwa im Bereich der Teleradiologie, der Telepathologie oder bei Telekonsultationen und Telekonferenzen, hat sich die Entwicklung seit der Corona-Pandemie erheblich beschleunigt. Zwar gibt es trotz der immer größeren Bedeutung von Telemedizin bislang weder auf nationaler noch auf europäischer Ebene eine einheitliche Definition von Telemedizin, allerdings finden sich unterschiedliche Umschreibungen von Telemedizin etwa in den Zusatzprotokollen betreffend Telemedizin zu den Ärzte-Gesamtverträgen (zB „Bereitstellung von ärztlichen Leistungen durch Vertragsärzte mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien [wie zB das Telefon, die Videokonsultation] für den Fall, dass der Patient und der Angehörige des Gesundheitsberufs nicht am selben Ort sind“)* in den Gesetzesmaterialien zu § 49 ÄrzteG nF („Telemedizin ist ein vielschichtiger Begriff, der sehr heterogene automationsunterstützte medizinische Leistungen, aber auch Vorgänge im Gesundheitswesen von überwiegend administrativer Natur zusammenfasst. Gemeinsam ist diesen Leistungen, dass sie örtlich und/oder zeitlich asynchron erbracht werden*) oder etwa im Kommissionsvorschlag für eine VO über den Europäischen Raum für Gesundheitsdaten („Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen [...] mithilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien in Situationen, in denen sich der Angehörige eines Gesundheitsberufs und der Patient nicht an demselben Ort befinden“).* Wenngleich die Definitionen im Detail unterschiedlich sind, haben sie doch immer gemeinsam, dass es um Fernbehandlungen geht, also Leistungen im Gesundheitswesen, wenn sich der Gesundheitsdiensteanbieter und Patient nicht am gleichen Ort befinden. Durch die zunehmende Bedeutung von solchen Fernbehandlungen sowie durch die digitale Transformation des Gesundheitswesens insgesamt erhofft man sich eine Verbesserung der medizinischen Versorgung sowie eine Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitssteigerung. Aus diesem Grund sollen digitale Innovationen in die Regelversorgung implementiert und Anreize für digitale Innovationen im Gesundheitsbereich geschaffen werden.*

Zu solchen digitalen Innovationen gehören aktuell auch sogenannte digitale Gesundsheitsanwendungen, auch „Gesundheits-Apps“, „Health-Apps“ oder „Apps auf Rezept“ genannt, die in der Zwischenzeit in vielen Staaten in unterschiedlichen medizinischen Bereichen eingesetzt werden und für die Gesetzgeber in einigen anderen Staaten, etwa in Deutschland, bereits einen rechtlichen Rahmen geschaffen haben. Dabei handelt es sich um digitale Gesundheitsanwendungen mit einer gesundheitsbezogenen Zweckbestimmung, die dazu dienen, bei der Erkennung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten zu unterstützen. In der Zwischenzeit ist ein bunter Strauß von solchen Apps und anderen digitalen Anwendungen – häufig handelt es sich um Apps, doch muss dies nicht zwingend der Fall sein, sondern können es zB auch mobile Geräte sein, auf denen medizinische Werte von Patienten gemessen und an den Arzt übertragen werden – am Markt verfügbar, die in ganz unterschiedlichen Bereichen eingesetzt werden, etwa bei Asthma, als e-Stethoskop, zur telekardiologischen Überwachung von Herzschrittmacherpatienten, zur Regulierung des Blutzuckers bei Diabetes, zur Linderung von Tinnitus, bei Adipositas, psychischen Erkrankungen oder etwa bei Hautscreenings. Während bei manchen DiGAs Arzt und Patient über die App miteinander verbunden sind (zB e-Stethoskop, Asthma-App), wendet in anderen Fällen auf ärztliche Verschreibung der Patient die App alleine an (zB ein Therapieplan bei Tinnitus, den die App erstellt und an den sich der Patient hält).* Zwar erfolgt im zweiten Fall anders als sonst bei Telemedizin keine Fernbehandlung zwischen Arzt und Patient (oder zwischen zwei Ärzten), doch sind auch diese Apps nur auf Verschreibung des Arztes verfügbar und muss auch hier zumindest ein ärztliches Vor- und ein Nachgespräch mit dem Patienten stattfinden. Die Zahl und Bedeutung von DiGAs nimmt laufend zu; Umfragen zufolge nutzen bereits zwischen jedem zweiten und fünften Smartphone-Besitzer Apps mit medizinischer Zweckausrichtung.*

Anders als in Deutschland hat der österreichische Gesetzgeber bislang keinen rechtlichen Rahmen für solche DiGAs geschaffen. Doch haben in der Zwischenzeit der Bund und die Länder die zunehmende Bedeutung von DiGAs erkannt und in der Vereinbarung gem Art 15a Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens für die Jahre 2024-2028 einen der inhaltlichen Schwerpunkte auf die Steigerung der Digitalisierung im österreichischen Gesundheitswesen ua durch Auf- und Ausbau der öffentlichen Gesundheitstelematik-Infrastruktur festgelegt. Gem Art 1 Abs 12 Z 4 der Vereinbarung gehört zum Auf- und Ausbau der öffentlichen Gesundheitstelematik-Infrastruktur auch die Entwicklung und Regulierung digitaler Gesundheitsanwendungen und deren Verankerung in der Regelversorgung. Konkrete inhaltliche Vorgaben fehlen dazu aber bislang. Der vorliegende Beitrag untersucht aus diesem Grund sozialversicherungsrechtliche (Pkt 2), berufsrechtliche 496 (Pkt 3) und datenschutzrechtliche Aspekte (Pkt 4) von solchen technologischen Innovationen, um Perspektiven und Lösungsansätze im Bereich der Digitalisierung des Gesundheitswesens zu ermitteln und aus gegebenem legislativen Anlass zu klären, ob auch in Österreich ein rechtlicher Rahmen für DiGAs geschaffen werden sollte.

2.
Sozialversicherungsrechtliche Aspekte
2.1.
Allgemeines

Für den Begriff der DiGAs findet sich im österreichischen Recht bislang keine Definition. Vielmehr ist dieser Begriff dem deutschen Recht entlehnt, in dem der Gesetzgeber bereits im Jahr 2019, also noch vor Ausbruch der Corona-Pandemie, mit dem Digitale-Versorgungs-Gesetz (DVG)* einen eigenen Leistungsanspruch auf Versorgung mit DiGAs geschaffen hat, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind: Erstens, die DiGA muss die Definition gem § 33a Abs 1 SGB V erfüllen und zweitens, sie muss gem § 139e SGB V erfolgreich ein Prüfverfahren beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte durchlaufen haben. Auf diese beiden Voraussetzungen ist in weiterer Folge näher einzugehen.

2.2.
Rechtslage in Deutschland*
2.2.1.
Definition iSd § 33a Abs 1 SGB V

Gem § 33a Abs 1 S 1 SGB V handelt es sich bei den DiGAs um „Medizinprodukte niedriger oder höherer Risikoklasse, deren Hauptfunktion wesentlich auf digitalen Technologien beruht und die dazu bestimmt sind, bei den Versicherten oder in der Versorgung durch Leistungserbringer die Erkennung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten oder die Erkennung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen zu unterstützen“. Aus dieser Definition geht zunächst hervor, dass es sich um Medizinprodukte niedriger oder höherer Risikoklasse iSd Medizinprodukte-VO 745/2017* handeln muss. Diese unterscheidet zwischen vier verschiedenen Risikoklassen: Risikoklasse I, IIa, IIb und III. Bei höheren Risikoklassen werden gesteigerte Anforderungen im Rahmen des dem Inverkehrbringen eines Medizinprodukts vorausgehenden Konformitätsbewertungsverfahrens nach den Art 52 ff Medizinprodukte-VO verlangt, in denen die Übereinstimmung mit den europäischen medizinprodukterechtlichen Vorgaben festgestellt und erklärt wird sowie eine CE-Kennzeichnung angebracht wird.* Im Falle der Einstufung in die Risikoklasse III liefert die Software Informationen, die zu Entscheidungen führen können, die den Tod des Patienten verursachen können. Bei der Risikoklasse IIb liefert die Software Informationen, die eine schwerwiegende Verschlechterung des Gesundheitszustands oder einen chirurgischen Eingriff verursachen können. Risikoklasse IIa bedeutet, dass die Software solche Informationen liefert, die zu Entscheidungen für diagnostische und therapeutische Zwecke herangezogen werden können und Risikoklasse I enthält jedes andere, geringere Risiko.*

Bis zum 25.3.2024 waren von der Definition iSd § 33a Abs 1 SGB V nur solche DiGAs erfasst, die der Risikoklasse I und IIa entsprechen. Allerdings hat dies der deutsche Gesetzgeber als Innovationshemmnis angesehen, zumal bereits zahlreiche Apps am Markt verfügbar sind, die unter die Risikoklasse IIb fallen. Insb solche DiGAs, mit denen telemedizinisches Monitoring ermöglicht wird, etwa die telekardiologische Überwachung von Herzschrittmacherpatienten oder des Blutzuckers bei Diabetikern, waren bis zum 25.3.2024 in Deutschland nicht vom Leistungsanspruch nach dem DVG erfasst.* Dies hat sich jedoch mit 26.3.2024 geändert. Um auch den Einsatz dieser DiGAs zu ermöglichen, hat der deutsche Gesetzgeber die Definition des § 33a Abs 1 S 1 SGB V novelliert und nunmehr auch Medizinprodukte höherer Risikoklasse mitaufgenommen. Unter höherer Risikoklasse sind gem § 33a Abs 2 S 2 SGB V solche DiGAs zu verstehen, die der Risikoklasse IIb nach Art 51 iVm Anhang VIII der VO 745/2017 zugeordnet und als solche bereits in den Verkehr gebracht sind.* Risikoklasse III ist dagegen nach wie vor ausgeschlossen.

Des Weiteren muss die DiGA gem § 33a Abs 1 S 1 SGB V dazu bestimmt sein, die Erkennung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten oder die Erkennung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen zu unterstützen. Daraus geht hervor, dass es sich um echte DiGAs mit einer medizinischen Zweckbestimmung handeln muss und nicht etwa um Fitness- oder Wellnessanwendungen.*

Neben der Definition iSd § 33a SGB V muss die DiGA ferner vorläufig oder endgültig in das DiGAVerzeichnis aufgenommen worden sein. Dazu muss sie gem § 139e SGB V erfolgreich ein Prüfverfahren beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte durchlaufen haben. 497

2.2.2.
Prüfverfahren beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte

Im Rahmen des Prüfverfahrens beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte wird die DiGA gem § 139e Abs 2 SGB V im Hinblick auf folgende Voraussetzungen geprüft:

  • Sicherheit,

  • Funktionstauglichkeit,

  • Qualität,

  • Datenschutz und Datensicherheit und

  • Positiver Versorgungseffekt.

Unter positivem Versorgungseffekt ist gem § 139e Abs 2 SGB V zu verstehen, dass die DiGA einen medizinischen Nutzen aufweist. Sollte der medizinische Nutzen noch nicht nachgewiesen werden können, muss zumindest eine patientenrelevante Struktur- und Verfahrensverbesserung in der Versorgung nachgewiesen werden. Im zweiten Fall wird die DiGA vorläufig für zwölf Monate zur Probe in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen. Sollte sich der medizinische Nutzen jedoch nicht bestätigen, wird die DiGA nach zwölf Monaten wieder aus dem Verzeichnis gestrichen; eine erneute Antragstellung ist frühestens zwölf Monate nach dem ablehnenden Bescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte oder der Rücknahme des Antrags durch den Hersteller zulässig, wenn mit dem neuen Antrag neue oder noch nicht bereits übermittelte Nachweise für positive Versorgungseffekte vorgelegt werden. Es ist jedoch nicht zulässig, die DiGA erneut nur vorläufig in das Verzeichnis zur Erprobung aufzunehmen. Bei DiGAs höherer Risikoklasse, also der Risikoklasse IIb, muss hingegen der medizinische Nutzen von vornherein nachgewiesen werden; eine vorläufige Aufnahme ist bei diesen DiGAs gem § 139e Abs 2 SGB V nF nicht zulässig.*

2.3.
Klassifizierung im österreichischen Recht
2.3.1..
Allgemeines

Da der österreichische Gesetzgeber – anders als der deutsche – bislang keinen eigenen Leistungsanspruch auf Versorgung mit DiGAs geschaffen hat, stellt sich die Frage, ob sich solche neuen Technologien in die derzeit im ASVG vorgesehenen Kategorien einordnen lassen. Dabei kommen im Falle einer Krankheit die ärztliche Hilfe gem § 135 ASVG, Heilmittel iSd § 136 ASVG oder Heilbehelfe iSd § 137 ASVG in Betracht. Sollte keine Krankheit mehr vorliegen, sondern ein Gebrechen, sind Hilfsmittel iSd § 154 ASVG zu prüfen. Abhängig davon, um welche Kategorie es sich handelt, ist auch die Frage der Finanzierung/Kostenerstattung unterschiedlich zu beantworten.* Das Ergebnis kann je nach Funktion der DiGA unterschiedlich ausfallen, weshalb in weiterer Folge unterschiedliche Fallgruppen gebildet werden sollen: DiGAs als Heilbehelfe (Pkt 2.3.2.), DiGAs mit kombinierten Funktionen: Ärztliche Hilfe und Heilbehelf (Pkt 2.3.3.), DiGAs als Hilfsmittel (Pkt 2.3.4.) und DiGAs in der medizinischen Rehabilitation (Pkt 2.3.5.).

2.3.2..
DiGAs als Heilbehelfe

Im deutschen DiGA-Verzeichnis finden sich im Moment (Stand: März 2024) nur solche Apps, bei denen der Patient selbständig die DiGA nutzt, dies jedoch ohne mit einem mobilen Endgerät des Arztes (etwa zur Überwachung der Werte des Patienten) verbunden zu sein, was wohl auf den Ausschluss der Risikoklasse IIb in Deutschland bis 25.3.2024 zurückzuführen ist. Ein Beispiel dafür wäre eine aus dem DiGA-Verzeichnis ausgewählte Tinnitus-App*, die folgendermaßen funktioniert: Der Tinnitus-Patient gibt selbständig in der App seine Beschwerden ein, die er aufgrund des Tinnitus hat, zB Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen etc. Daraufhin erstellt die App für diesen Patienten einen Therapieplan, der ihm helfen soll, Maßnahmen zu erlernen, um im Alltag mit dem Tinnitus besser umgehen zu können, gleichzeitig aber auch den Tinnitus zu lindern und die Tinnitus-Belastung zu reduzieren.

Bei einer solchen Tinnitus-App handelt es sich mE zunächst um kein Hilfsmittel gem § 154 ASVG, zumal in diesem Fall kein Gebrechen vorliegt, sondern der Tinnitus noch behandelt und gelindert werden kann. Auch ein Heilmittel iSd § 136 ASVG liegt nicht vor. Weder handelt es sich um ein Arzneimittel noch um ein sonstiges Mittel iSd § 136 ASVG, weil die App nicht auf den Körper einwirkt und nicht verbraucht wird.* Etwas komplizierter ist dagegen die Frage, ob es sich um ärztliche Hilfe iSd § 135 ASVG handeln kann. Immerhin erstellt die App einen Therapieplan, den wohl sonst ein Arzt erstellt hätte. Dennoch ist mE ärztliche Hilfe in diesem Fall zu verneinen, zumal es in der Regel ein Algorithmus sein wird, der entsprechend den eingegebenen Daten den Therapieplan erstellt. Der Arzt erbringt in diesem Fall gerade keine ärztliche Leistung. Vielmehr liegt im Ergebnis ein Heilbehelf vor, zumal alle Voraussetzungen des § 137 ASVG erfüllt sind. Die App dient der Heilung, Linderung oder Verhütung von Verschlimmerungen der Krankheit und wird anders als ein Heilmittel auch nicht verbraucht, sondern gebraucht. Wenn sie Teil des ärztlichen Behandlungsplans ist und vom Arzt verordnet wird, erfüllt die DiGA alle Voraussetzungen für einen Heilbehelf iSd § 137 ASVG.*

Die Kostenerstattung für solche DiGAs erfolgt daher wie bei Heilbehelfen. Gem § 137 Abs 5 ASVG darf das Ausmaß der vom Versicherungsträger zu übernehmenden Kosten einen durch die Satzung festzusetzenden Höchstbetrag nicht übersteigen. 498

Die Satzung kann den Höchstbetrag maximal mit dem Zehnfachen der Höchstbeitragsgrundlage festsetzen. So übernimmt etwa die Österreichische Gesundheitskasse die Kosten für Heilbehelfe iSd § 137 ASVG gem § 28 der Satzung in der Höhe des Achtfachen der täglichen Höchstbeitragsgrundlage, jedoch begrenzt mit der Höhe der tatsächlichen Kosten.* Gem § 137 Abs 2 ASVG beträgt der Selbstbehalt mindestens 20 % der Höchstbeitragsgrundlage und maximal 10 % der Gesamtkosten. Im Jahr 2024 entspricht das einem Selbstbehalt von € 40,40.*

2.3.3..
DiGAs mit kombinierten Funktionen: Ärztliche Hilfe – Heilbehelf

Deutlich schwieriger ist die Einordnung solcher DiGAs, die mehrere Funktionen aufweisen, weil sie einerseits einen Heilbehelf darstellen, gleichzeitig aber auch mit dem Arzt verbunden sind, der mit Hilfe der DiGA auch eine ärztliche Leistung erbringt. Zu denken ist etwa an ein e-Stethoskop, das der Patient einerseits für sich selbst nutzt, indem die App für ihn Werte aufzeichnet, die er selbst ablesen und kontrollieren kann. Zugleich kann jedoch der Arzt, dessen mobiles Endgerät mit der App des Patienten verbunden ist, den Patienten digital abhören und dessen Herzschläge in regelmäßigen Abständen kontrollieren, ohne dass der Patient für jede Untersuchung physisch den Arzt aufsuchen müsste. Gleiches gilt etwa bei einer Asthma-App, bei der das Peak Flow Gerät mit der App des Patienten und des Arztes verbunden ist. Auch in diesem Fall handelt es sich einerseits um einen Heilbehelf, andererseits aber auch um ärztliche Hilfe, wenn der Arzt die Werte des Patienten in Echtzeit oder in regelmäßigen Abständen überprüft und kontrolliert. Die App erfüllt daher die Funktion eines Heilbehelfs und zugleich auch die der ärztlichen Hilfe.*

In einem solchen Fall ist bei der Kostenerstattung mE eine Trennung vorzunehmen. Die Kosten für die App sind wiederum wie für einen Heilbehelf zu ersetzen, also mit einem Selbstbehalt von € 40,40. Die ärztlichen Leistungen sind jedoch zusätzlich abzurechnen, zumal diese mE noch nicht im Preis der App inkludiert sein können. Der App-Hersteller kann nämlich im Vorhinein gar nicht wissen, ob und in welchem Ausmaß bei welchem Patienten eine ärztliche Leistung notwendig sein wird. Während bei einem Versicherten möglicherweise eine Kontrolle der Herzschläge mittels des e-Stethoskops alle drei Monate ausreicht, wird ein anderer Patient aus gesundheitlichen Gründen täglich abgehört werden müssen. Die ärztlichen Leistungen sind daher eigens abzurechnen. Sollte dafür kein entsprechender Tarifposten in der Honorarordnung im Gesamtvertrag gefunden werden können – viele Gesamtverträge sehen auch bereits Zusatzvereinbarungen für telemedizinische Leistungen vor –*, handelt es sich um eine außervertragliche Leistung. Bei außervertraglichen Leistungen sind entsprechende Kostenzuschüsse, die in der Satzung vorgesehen sind, heranzuziehen.* Ein Problem der Überkompensation stellt sich mE in diesem Fall nicht, zumal die App rechtlich sowohl als Heilbehelf als auch als ärztliche Hilfe einzuordnen ist.*

Zwar findet in der Regel auch bei den DiGAs, die nur als Heilbehelf einzuordnen sind, ein Vorgespräch mit einem Arzt, das auch eine ärztliche Aufklärung enthält, sowie ein ärztliches Nachgespräch statt. Das Vor- und Nachgespräch mit dem Arzt sind in diesem Fall jedoch bereits im Preis der App vom App-Hersteller berücksichtigt, zumal diese bei den meisten Apps jedenfalls enthalten sein müssen; andernfalls dürfte die App auch nicht vom Arzt verschrieben werden. Erbringt der Arzt keine zusätzlichen Leistungen, sind daher bei diesen DiGAs mit dem Preis der App alle Leistungen abgegolten.

2.3.4..
DiGAs als Hilfsmittel

Wenn keine beeinflussbare Krankheit mehr vorliegt, sondern bereits ein Gebrechen, können DiGAs durchaus auch als Hilfsmittel iSd § 154 ASVG qualifiziert werden, wenn sie die Funktion fehlender oder unzulänglicher Körperteile übernehmen oder die mit einer Verstümmelung, Verunstaltung oder einem Gebrechen verbundene körperliche oder psychische Beeinträchtigung mildern oder beseitigen. Ein Beispiel könnte etwa ein Hörgerät sein, das über die App gesteuert wird.* In diesem Fall ist wie bei analogen Hilfsmitteln nach Maßgabe der Satzung ein Kostenzuschuss zu gewähren.*

2.3.5..
DiGAs in der medizinischen Rehabilitation

Schließlich sei angemerkt, dass DiGAs auch im Rahmen der medizinischen Rehabilitation in der KV eingesetzt werden können. Denn zu den medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation gehören gem § 154a Abs 2 nicht nur die Unterbringung in Krankenanstalten (Z 1 leg cit) und die Gewährung von Körperersatzstücken, orthopädischen Behelfen und anderen Hilfsmitteln (Z 2 leg cit), sondern auch die Gewährung ärztlicher Hilfe und die Versorgung mit Heilbehelfen, wenn diese Leistungen unmittelbar im Anschluss an eine oder iZm einer der in Z 1 und 2 genannten Maßnahmen erforderlich sind (Z 3 leg cit). Wie Warter überzeugend ausführt, gehören zur ärztlichen Hilfe auch telemedizinische Leistungen und müssen Heilbehelfe nicht zwingend analoger Form, sondern können durchaus auch digital sein. Aus diesem Grund sind 499 auch DiGAs von § 154a ASVG erfasst, wenn sie im Rahmen der ärztlichen Hilfe eingesetzt werden oder als Heilbehelfe einzustufen sind.* Dass in § 154a Abs 2 ASVG die ambulante Rehabilitation inklusive Telerehabilitation – anders als in § 302 ASVG bei der Rehabilitation in der PV, im Rahmen welcher DiGAs jedenfalls eingesetzt werden können – nicht ausdrücklich genannt ist, schadet deshalb nicht. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Aufzählung in § 154a Abs 2 ASVG demonstrativ und nicht taxativ ist. Zwar ist dies in der Literatur bereits seit Langem umstritten,* die besseren Argumente sprechen aber für eine demonstrative Aufzählung, weil sich eine taxative Aufzählung aus dem Wortlaut nicht eindeutig ableiten lässt. Zudem wäre der Ausschluss ambulanter medizinischer Rehabilitationsmaßnahmen vor dem Hintergrund des gewünschten Vorrangs von ambulanten Leistungen vor stationären widersprüchlich.*

Ob auch Hilfsmittel im Rahmen der medizinischen Rehabilitation in der KV eingesetzt werden können, ist hingegen umstritten. Zwar sind in § 154a Abs 1 Z 2 ASVG sonstige Hilfsmittel angeführt. Aufgrund der schwierigen Abgrenzung zwischen der Krankenbehandlung und der medizinischen Rehabilitation iSd § 154a ASVG, die bislang nicht abschließend geklärt ist, ist jedoch umstritten, ob § 154a ASVG das Vorliegen des Versicherungsfalls der Krankheit voraussetzt oder nicht.*

Das wichtigste Abgrenzungskriterium zwischen der Krankenbehandlung und der medizinischen Rehabilitation, das sich aus dem Gesetz ergibt, ist das zeitliche Element, zumal die medizinische Rehabilitation erst „im Anschluss an die Krankenbehandlung“ einsetzt, um deren Erfolg zu sichern. Das bedeutet Windisch-Graetz zufolge, dass keine Krankheit mehr vorliegt.*Felten/Mosler gehen dagegen davon aus, dass die Krankenbehandlung zwar abgeschlossen sein muss, aber dennoch ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand vorliegt, der noch beeinflussbar ist.* Der OGH prüft jedoch auch im Falle eines Gebrechens, ob § 154a ASVG zur Anwendung kommt und schließt die medizinische Rehabilitation nicht automatisch aufgrund eines Gebrechens aus, sondern verlangt nur einen zeitlichen Konnex zwischen der Krankenbehandlung und den medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation aus der KV.* Aus diesem Grund hat Warter zu Recht die Schlussfolgerung gezogen, dass auch solche DiGAs, die als Hilfsmittel zu qualifizieren sind, im Rahmen der medizinischen Rehabilitation iSd § 154a ASVG eingesetzt werden können.* Zu Recht wurde aber in der Literatur darauf hingewiesen, dass die Abgrenzung zwischen der Krankenbehandlung und der medizinischen Rehabilitation insgesamt sehr unbefriedigend ist.*

Es bleibt daher zu hoffen, dass der Gesetzgeber de lege ferenda die Abgrenzungskriterien zwischen der Krankenbehandlung und der medizinischen Rehabilitation iSd § 154a ASVG klarer definieren wird. Zu beachten ist zudem, dass die medizinische Rehabilitation eine freiwillige Leistung der KV darstellt und die Leistungsgewährung im pflichtgemäßen Ermessen des Krankenversicherungsträgers besteht.*

2.3.6..
Zwischenfazit

Als Zwischenfazit ist festzuhalten, dass sich DiGAs de lege lata zwar im ASVG einordnen lassen, jedoch durchaus neue Abgrenzungsprobleme aufwerfen, die mit dem ASVG nicht einwandfrei gelöst werden können. Aus diesem Grund besteht im Hinblick auf sozialversicherungsrechtliche Aspekte keine Rechtssicherheit. Hinzu kommt, dass Ärzte in Österreich nicht bereit sein werden, solche neuen DiGAs anzuwenden und den Patienten zu verschreiben, solange die Anwendungen nicht im Hinblick auf deren medizinischen Nutzen, Qualität, Funktionstauglichkeit und Datensicherheit geprüft worden sind, zumal eine solche Prüfung den Ärzten nicht zumutbar ist. Aus diesen Gründen werden Ärzte derzeit in Österreich davon abgehalten, solche neuen Technologien einzusetzen. Sollten sich jedoch solche Gesundheits-Apps in anderen Mitgliedstaaten am Markt durchsetzen, weil sie einen medizinischen Nutzen bringen und als international erprobt und anerkannt gelten, könnten sich österreichische Versicherte die DiGAs von ausländischen Ärzten verschreiben lassen. Fraglich ist, ob ihnen der österreichische Krankenversicherungsträger dafür die Kosten zu erstatten hat. Darauf ist in weiterer Folge näher einzugehen.

2.4.
Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung: Kostenerstattung für von ausländischen Ärzten verschriebene DiGAs?
2.4.1..
Allgemeines

Die Frage der Kostenerstattung für medizinische Behandlungen im Ausland ist höchst komplex, zumal unionsrechtlich zwei Systeme nebeneinander bestehen, die nicht optimal aufeinander abgestimmt sind: einerseits Art 17-20 der Sozialrechtskoordinierungs-VO 883/2004/EG*, die Regelungen für die Sachleistungsaushilfe im Ausland vorsehen und andererseits die Patientenmobilitäts-RL 2011/24/EU*, die der Unionsgesetzgeber 500 auf Basis der EuGH-Judikatur erlassen hat, die der Gerichtshof in den Entscheidungen Kohll* und Decker* begonnen und in zahlreichen Entscheidungen* weiterentwickelt hat. Überdies findet sich in § 131 ASVG eine nationale Regelung zur Kostenerstattung für Sachleistungen der Krankenbehandlung (ärztliche Hilfe, Heilmittel, Heilbehelfe) von Nicht-Vertragspartnern und zwar unabhängig davon, ob die Leistung im In- oder im Ausland erbracht wird.

2.4.2..
Ausgangspunkt: Art 17-20 Sozialrechtskoordinierungs-VO 883/2004/EG

Gem Art 17-20 VO 883/2004/EG ist unter bestimmten Voraussetzungen eine Kostentragung für Auslandsbehandlungen durch den zuständigen Versicherungsträger nach den Regelungen des Behandlungsstaates vorgesehen. Ohne vorherige Genehmigung kommt eine solche Sachleistungsaushilfe bei Grenzgängern in Betracht (Art 17 und 18) oder wenn eine Krankenbehandlung während eines Auslandsaufenthalts, etwa während eines Urlaubs, notwendig wird (Art 19). Für geplante Krankenbehandlungen im Ausland ist dagegen gem Art 20 VO 883/2004/EG eine vorherige Genehmigung notwendig. Eine solche ist dann zu erteilen, wenn die betreffende Behandlung Teil der Leistungen ist, die nach den Rechtsvorschriften des Versicherungsstaates der betreffenden Person vorgesehen sind und die Behandlung nicht innerhalb eines medizinisch vertretbaren Zeitraums gewährt werden kann.* Trotz der Regelungen in Art 17-20 VO 883/2004/EG hat der EuGH jedoch auf Basis der Grundfreiheiten ein Parallelsystem dazu geschaffen, das von den Art 17-20 VO 883/2004/EG abweicht und später auch in der Patientenmobilitäts-RL 2011/24/EU kodifiziert worden ist.

2.4.3..
EuGH-Judikatur zur Kostenerstattung bei Auslandsbehandlungen

Den Ausgangspunkt dieser EuGH-Judikatur bilden die Entscheidungen Kohll* und Decker* aus dem Jahr 1998. In diesen Entscheidungen ging es um in Luxemburg versicherte Personen, die sich im Ausland medizinisch behandeln ließen (Rs Kohll) bzw eine Brille im Ausland gekauft haben (Rs Decker), ohne dafür eine Vorabgenehmigung vom luxemburgischen Krankenversicherungsträger eingeholt zu haben. Luxemburg, dessen System auf dem Kostenerstattungsprinzip basiert, hat sich in weiterer Folge geweigert, die Kosten für die im Ausland durchgeführte Zahnbehandlung sowie die im Ausland angeschaffte Brille zu erstatten. Nach Ansicht des EuGH steht dies jedoch mit den Grundfreiheiten nicht in Einklang. Der Gerichtshof hat zunächst den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten für eröffnet erklärt. So handelt es sich dem EuGH zufolge auch bei medizinischen Leistungen um gegen Entgelt erbrachte Leistungen iSd Art 57 AEUV,* sodass bei medizinischen Leistungen der Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit eröffnet ist; bei der Brille der Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit. In beiden Fällen lag nach Ansicht des Gerichtshofs eine Beschränkung der Grundfreiheit vor, weil Versicherte aus Luxemburg davon abgehalten würden, medizinische Leistungen/ Produkte im Ausland in Anspruch zu nehmen/einzukaufen. Die Rechtfertigungsargumente, die Luxemburg dagegen vorgebracht hat, hat der EuGH allesamt verworfen. Insb werde das finanzielle Gleichgewicht des luxemburgischen Systems der sozialen Sicherheit nicht erheblich gefährdet, zumal Luxemburg ohnehin nur die Kosten nach dem inländischen Tarif zu tragen habe, so wie wenn sich die Versicherten im Inland behandeln ließen. Auch das Argument der Aufrechterhaltung einer ausgewogenen, allen zugänglichen ärztlichen und klinischen Versorgung ließ der EuGH nicht gelten. Schließlich hat der Gerichtshof auch nicht als Rechtfertigungsargument akzeptiert, dass die Behandlung in Luxemburg zur Sicherung der Qualität der Leistungen aus Gesundheitsschutzgründen notwendig wäre. Luxemburg war daher zur Kostenerstattung verpflichtet.*

Der EuGH hat diese Judikatur in vielen weiteren Entscheidungen* bestätigt und weiterentwickelt. Insb hat er sie auch auf die Mitgliedstaaten mit einem Sachleistungsprinzip, Staaten mit Mischsystemen und Staaten mit einer innerstaatlichen Organisation über einen staatlichen Gesundheitsdienst übertragen. Es hat den EuGH auch nicht überzeugt, zumindest in Staaten mit einem Sachleistungssystem eine Rechtfertigung zuzulassen. Vielmehr hat er auch die Argumentation verworfen, dass sich ein Staat mit einem Sachleistungssystem ein solches aufbaut, mit den Ärzten Verträge abschließt und diese im Land entsprechend verteilt, damit auf diese Art und Weise die Versicherten im Inland bestmöglich versorgt werden 501 und ein solches System zusammenbrechen würde, wenn Staaten mit einem Sachleistungsprinzip verpflichtet wären, für alle Versicherten, die sich im Ausland medizinisch behandeln lassen, die Kosten zu ersetzen. Denn nach Ansicht des Gerichtshofs nehmen ohnehin nur sehr wenige Versicherte medizinische Leistungen im Ausland in Anspruch, zumal sich aufgrund von Sprachbarrieren, Kosten eines Auslandsaufenthalts, mangelnden Informationen über die im Ausland geleistete Versorgung, der räumlichen Entfernung und mangels eines Vertrauensverhältnisses zum ausländischen Arzt inländische Versicherte nur selten im Ausland behandeln lassen. Aus diesem Grund wird das finanzielle Gleichgewicht des Systems der sozialen Sicherheit des Versicherungsstaates nicht erheblich gefährdet, wenn er verpflichtet wird, die Kosten für Auslandsbehandlungen zu erstatten.*

Der EuGH hat diese Rsp auch auf den stationären Bereich übertragen,* doch lässt der Gerichtshof im Krankenanstaltenbereich aufgrund des Erfordernisses der Planbarkeit eine Rechtfertigung zu.* Später wurde diese Judikaturlinie in der Patientenmobilitäts-RL 2011/24/EU kodifiziert.*

2.4.4..
Patientenmobilitäts-RL 2011/24/EU als Parallelsystem zu den Art 17-20 VO 883/2004/EG

In der Patientenmobilitäts-RL 2011/24/EU ist die Erstattung von Kosten für die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung in den Art 7-9 geregelt. Gem Art 7 Abs 4 Patientenmobilitäts-RL hat der Versicherungsmitgliedstaat sicherzustellen, dass die Kosten, die einem Versicherten iZm der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung entstanden sind, bis zu den Höchstbeträgen erstattet werden, die er übernommen hätte, wenn die betreffende Gesundheitsdienstleistung in seinem Hoheitsgebiet erbracht worden wäre. Dabei darf die Erstattung gem Abs 8 leg cit nicht von einer Vorabgenehmigung abhängig gemacht werden. Eine Ausnahme gilt gem Art 8 der Patientenmobilitäts-RL nur bei Krankenhausbehandlungen und aufwändigen Behandlungen außerhalb von Krankenhäusern.*

2.4.5..
Kostenerstattung für von ausländischen Ärzten verschriebene DiGAs

Für die Frage, ob österreichische Krankenversicherungsträger die Kosten für von ausländischen Ärzten verschriebene DiGAs zu erstatten haben, bedeutet das, dass gem Art 7 Patientenmobilitäts-RL Kostenerstattung zu leisten ist, sofern die DiGA im österreichischen System als ärztliche Hilfe oder als Heilbehelf zu qualifizieren ist, wie es oben (Pkt 2.3) aufgezeigt worden ist. ME kann auch nicht argumentiert werden, dass das bei telemedizinischen Leistungen anders zu beurteilen wäre. Zunächst hat der Unionsgesetzgeber die Telemedizin in Art 7 Abs 7 Patientenmobilitäts-RL selbst ausdrücklich erwähnt, sodass dem Unionsgesetzgeber nicht unterstellt werden kann, dass er die Telemedizin übersehen hätte. Aber auch auf primärrechtlicher Ebene kommt man zu keinem anderen Ergebnis. So hat es der EuGH zwar für zulässig erklärt, dass die Mitgliedstaaten eine taxative Liste mit Leistungen vorsehen, für die sie Kosten erstatten, während für andere Leistungen ohne Vorabgenehmigung keine Kosten übernommen werden. Voraussetzung ist jedoch, dass die Liste auf objektiven und vorher bekannten Kriterien beruht. Sollte ein Mitgliedstaat nur allgemein das zu ersetzen bereit sein, was in diesem Mitgliedstaat in ärztlichen Kreisen üblich ist, ist dem EuGH zufolge nicht ausschlaggebend, was in diesem Mitgliedstaat üblich ist, sondern was in der internationalen Medizin als hinreichend erprobt und anerkannt gilt.* Der österreichische Gesetzgeber hat jedoch DiGAs nicht aus dem Katalog der zu ersetzenden Leistungen ausgenommen. Wenn die DiGA daher als ärztliche Hilfe oder Heilbehelf zu qualifizieren ist und alle Voraussetzungen dafür erfüllt sind, ist ein Ausschluss der Kostenerstattung mE nicht zulässig. Und selbst wenn sich der österreichische Gesetzgeber dazu entschließen sollte, DiGAs ausdrücklich aus dem derzeitigen „Katalog“ auszunehmen – was de lege lata nicht der Fall ist –, ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis DiGAs in der internationalen Medizin als hinreichend erprobt und anerkannt gelten werden. Spätestens dann wird es nicht mehr möglich sein, die Kostenerstattung für DiGAs zu verweigern, wenn sie in Österreich weiterhin nicht angeboten werden sollten. Denn ein Staat, der mit der technologischen Entwicklung nicht mithält, muss dann dennoch die Kosten dafür tragen, wenn sich Versicherte solche Leistungen im Ausland verschreiben lassen.

Dagegen kann auch nicht argumentiert werden, dass es um Anwendungen geht, die in Österreich ohnehin in analoger Form verfügbar sind und der Rückgriff auf die DiGA daher nicht notwendig und zweckmäßig ist. Häufig geht es nämlich um innovative digitale Anwendungen, die in dieser Form gerade nicht in analoger Form verfügbar sind und sowohl für Ärzte als auch für Patienten neue Vorteile, zusätzliche Funktionen und Zusatzinformationen mit sich bringen, die analoge Anwendungen nicht aufweisen. Aus diesem Grund wird in der Regel auch die Argumentation scheitern, dass die analoge Leistung wirtschaftlich günstiger sei als die DiGA.

Fraglich ist zuletzt noch, auf welcher Basis die zu erstattenden Kosten zu ermitteln sind. Beim Heilbehelf ist mE der Herstellerpreis der App heranzuziehen, solange österreichische Krankenversicherungsträger nicht eigene Preise mit den Herstellern verhandelt haben. Dieser ist einerseits mit dem tatsächlich im Ausland bezahlten Tarif begrenzt, wenn er niedriger sein sollte; andererseits ist gem § 137 Abs 5 ASVG durch die Satzung ein Höchstbetrag festzulegen, der das Zehnfache 502 der Höchstbeitragsgrundlage nicht überschreiten darf. Zudem ist zu beachten, dass gem § 131 Abs 1 ASVG nur 80 % des Inlandstarifs rückerstattet werden, wenn Nicht-Vertragspartner zur Erbringung der Sachleistungen der Krankenbehandlung (ärztliche Hilfe, Heilmittel, Heilbehelf) in Anspruch genommen werden, was bei ausländischen Ärzten in der Regel der Fall sein wird. Der OGH war erst vor Kurzem mit der Frage der Unionsrechtskonformität der 80 %-Regel befasst und hat die Regelung zu Recht als unionsrechtskonform angesehen.* Bei der ärztlichen Hilfe ist daher zu ermitteln, ob sich ein entsprechender Tarifposten in der Honorarordnung finden lässt. Ist das der Fall, sind 80 % des Inlandstarifs zu erstatten. Andernfalls handelt es sich um eine außervertragliche Leistung, für die in der Satzung vorgesehene Kostenzuschüsse heranzuziehen sind (siehe oben Pkt 2.3.3).

2.4.6..
Überlegungen de lege ferenda

Schließlich erscheint im Hinblick auf die Telemedizin und die skizzierte EuGH-Judikatur noch ein weiterer Aspekt erwähnenswert. Sollte aufgrund der rasanten technologischen Entwicklung die Telemedizin so schnell voranschreiten wie es derzeit erwartet wird, stellt sich nämlich die grundlegende Frage, ob die EuGH-Judikatur, die auch in der Patientenmobilitäts-RL kodifiziert ist, in Zukunft überhaupt noch haltbar sein wird. Zwar ist der Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit mE auch dann eröffnet, wenn weder der Dienstleistungsempfänger noch der Dienstleistungserbringer ihren Ort verlassen. Vielmehr genügt es, dass nur die medizinische Leistung die Grenze überschreitet.* Sollten aber in Zukunft vermehrt Ärzte im Ausland digital Behandlungen an Versicherten aus anderen Mitgliedstaaten vornehmen, ist nicht ausgeschlossen, dass das Hauptargument des EuGH auf der Rechtfertigungsebene, wonach sich aufgrund von Sprachbarrieren, räumlichen Entfernungen, Kosten eines Auslandsaufenthalts etc ohnehin nur wenige Versicherte im Ausland behandeln lassen, in einigen Jahren oder Jahrzehnten aufgrund der Telemedizin in dieser Form nicht mehr gelten wird. Insb räumliche Entfernungen und Kosten eines Auslandsaufenthaltes werden als Argumente auf der Rechtfertigungsebene wegfallen. Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass mit dem technologischen Fortschritt auch die Zahl an Patientenströmen, die sich im Ausland behandeln lassen, wachsen wird. Dann ist es aber auch nicht mehr ausgeschlossen, dass die Verpflichtung zur Kostenerstattung im Inland doch das finanzielle Gleichgewicht des Systems der sozialen Sicherheit erheblich gefährdet – insb in Staaten mit einem Sachleistungsprinzip oder in Mischsystemen –, sodass die Beschränkung der Grundfreiheit doch gerechtfertigt werden könnte. Dies könnte langfristig auch den Unionsgesetzgeber dazu bewegen, in der Patientenmobilitäts-RL Anpassungen vorzunehmen. Bei diesen Überlegungen handelt es sich jedoch um Entwicklungen in ferner Zukunft, die möglicherweise – wenn überhaupt – erst in vielen Jahren oder Jahrzehnten eintreten könnten. Bis dahin bleibt es mE dabei, dass auf Basis der derzeitigen EuGH-Judikatur Österreich zur Kostenerstattung verpflichtet ist, sofern sich die DiGA im österreichischen System als Heilbehelf oder als ärztliche Hilfe einordnen lässt.

2.5.
Zwischenfazit

Als Zwischenfazit ist daher festzuhalten, dass aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht die besseren Argumente für die Schaffung eines rechtlichen Rahmens für DiGAs sprechen, um Rechtssicherheit zu schaffen und um zu verhindern, dass Österreich beim technologischen Fortschritt hinter den anderen Staaten zurückbleibt, jedoch aus unionsrechtlichen Gründen dennoch die Kosten tragen muss, wenn sich Versicherte aus Österreich innovative Gesundheitsleistungen und -produkte, die in Österreich nicht angeboten werden, im Ausland verschaffen. Zwar könnte dagegen argumentiert werden, dass sich neue Technologien ohnehin auch in das jetzige ASVG-System einordnen lassen und sich auch bisher schon zahlreiche Abgrenzungsfragen im ASVG gestellt haben; dennoch wäre es aus meiner Sicht sinnvoll, einen eigenen Leistungsanspruch für die Versorgung mit DiGAs zu schaffen, zumal es sich dabei um eine neue Kategorie handelt, die eine Software darstellt und daher zahlreiche Eigenheiten mit sich bringt. Zudem ist in Zukunft mit einer immer steigenden Bedeutung von DiGAs zu rechnen, die auch beträchtliche Kosten mit sich bringen wird.* Überdies würde dadurch Rechtssicherheit geschaffen, sodass der Rückgriff auf die Versorgung mit DiGAs aus dem Ausland in Grenzen gehalten werden könnte.

Neben sozialversicherungsrechtlichen Fragen muss der Gesetzgeber aber auch berufsrechtliche und datenschutzrechtliche Aspekte berücksichtigen, auf die in weiterer Folge näher einzugehen ist. Haftungsrechtliche Fragen bleiben hier aus Platzgründen ausgespart. Hingewiesen sei nur darauf, dass die Haftung von Ärzten für Aufklärungsund Behandlungsfehler auch bei telemedizinischen Behandlungen nach den allgemeinen zivilrechtlichen Regeln zu beurteilen ist.* Besonders erwähnenswert ist jedoch bei DiGAs, dass in der Zwischenzeit auch die bislang im nationalen Recht umstrittene Frage, ob eine Software ein Produkt iSd Produkthaftungsgesetzes ist,* durch den Unionsgesetzgeber geklärt worden ist. Die Kommission hat nämlich in ihrem Vorschlag für eine neue EU-Produkthaftungs-RL* klargestellt, dass das der Fall ist; gem Art 4 Nr 1 des Richtlinienentwurfs 503 ist die Software als Produkt zu qualifizieren. Die RL ist im Gesetzgebungsverfahren schon weit fortgeschritten, sodass derzeit (April 2024) nur noch die Zustimmung des Rates fehlt. Die Mitgliedstaaten werden danach zwei Jahre Zeit haben, die RL ins nationale Recht umzusetzen.

3.
Berufsrechtliche Aspekte

Aus berufsrechtlicher Sicht ist zu betonen, dass der Gesetzgeber für die in der Vergangenheit umstrittene Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen telemedizinische Behandlungen zulässig sind, mit 1.1.2024 eine Klarstellung getroffen hat. Bis 31.12.2023 war in § 49 Abs 2 ÄrzteG aF geregelt, dass Ärzte ihren Beruf „persönlich und unmittelbar“ auszuüben haben. Schon nach der alten Rechtslage wurde aber zum Teil vertreten, dass Fernbehandlungen dann zulässig sind, wenn durch eine fehlende persönliche Untersuchung die Behandlungsqualität nicht abnimmt, die Behandlung also lege artis durchgeführt wird, und die Patientensicherheit nicht gefährdet wird, weil der Arzt die mit seiner Tätigkeit verbundenen Gefahren beherrschen kann.* Selbst nach aA konnten jedenfalls dann, wenn zumindest ein Mindestmaß an persönlichem Kontakt zwischen Arzt und Patient stattgefunden hat, also eine unmittelbare Untersuchung durch den Arzt vorgenommen worden ist, für weitere Abklärungen Telefon- oder Videotelefongespräche vereinbart werden.*

Mit 1.1.2024 wurde § 49 Abs 2 ÄrzteG novelliert und lautet seither: „Die Ärztin/der Arzt hat ihren/ seinen Beruf persönlich und unmittelbar, aber auch durch Anwendung von Telemedizin, erforderlichenfalls in Zusammenarbeit mit anderen Ärztinnen/Ärzten und Vertreterinnen/Vertretern einer anderen Wissenschaft oder eines anderen Berufes, auszuüben. Zur Mithilfe kann sie/er sich jedoch Hilfspersonen bedienen, wenn diese nach ihren/seinen genauen Anforderungen und unter ihrer/seiner ständigen Aufsicht handeln.“

Das bedeutet zwar nicht, dass Telemedizin nunmehr völlig uneingeschränkt zulässig wäre, zumal auch nach der neuen Rechtslage weiterhin § 49 Abs 1 ÄrzteG eingehalten werden muss, der verlangt, dass die Behandlung lege artis durchgeführt wird. So soll auch nach den Gesetzesmaterialien* Telemedizin aus berufsrechtlicher Sicht dann als zulässig angesehen werden, wenn die Berufspflichten in vollem Umfang eingehalten werden. Die telemedizinische Behandlung muss fachlich vertretbar sein und die erforderliche fachliche Sorgfalt einschließlich entsprechender Patientenaufklärung und Dokumentation muss gewahrt werden. Ärzte müssen daher bei Verwendung der Telemedizin eine hinreichende Entscheidungsgrundlage für ihre Tätigkeit zur Verfügung haben und die Gefahren ihrer Tätigkeit beherrschen können. Maßgeblich ist daher, dass sie mögliche auftretende Gefahren erkennen und beherrschen können, um in angemessener Weise reagieren zu können. Wenn jedoch die Gesetzesmaterialien davon ausgehen, dass eine vorangegangene persönliche Kontaktaufnahme zwischen Arzt und Patient notwendig sein wird,* ist dem mE nicht zuzustimmen. MaW: Der Unmittelbarkeitsgrundsatz, von dem einige Autoren vor der ÄrzteG-Novelle 2024 ausgegangen sind, muss nicht mehr zwingend eingehalten werden. Kann etwa ein Dermatologe ein ihm digital übermitteltes Foto mit einem Hautausschlag ohne persönlichen Kontakt mit dem Patienten lege artis einordnen und dabei alle auftretenden Gefahren erkennen und beherrschen, ist die Befundung des Hautausschlags jedenfalls nach der neuen Rechtslage auch ohne persönlichen Erstkontakt mit dem Patienten zulässig. Aus diesen Gründen ist der Einsatz von DiGAs mE nach österreichischem Recht berufsrechtlich unter den genannten Voraussetzungen zulässig, wobei bei DiGAs ohnehin in der Regel ein persönliches Vorgespräch mit dem Arzt stattfinden wird.

4.
Datenschutzrechtliche Aspekte
4.1..
Verarbeitung personenbezogener Daten

Zuletzt ist auf datenschutzrechtliche Aspekte näher einzugehen. Bei DiGAs werden personenbezogene Daten verarbeitet; konkret geht es um Gesundheitsdaten iSd Art 4 Z 15 DSVGO.* Die Verarbeitung personenbezogener Daten ist grundsätzlich verboten, außer es liegt ein entsprechender Rechtmäßigkeitstatbestand vor. Die Rechtmäßigkeitstatbestände für die Verarbeitung personenbezogener Daten sind in Art 6 DSGVO geregelt; für Gesundheitsdaten in Art 9 DSGVO. Wenngleich es zuvor in der Literatur umstritten war, ob ein Rechtmäßigkeitstatbestand iSd Art 6 DSGVO und ein Rechtmäßigkeitstatbestand iSd Art 9 DSGVO kumulativ vorliegen müssen, ist nunmehr seit der EuGH-E C-667/21* geklärt, dass eine kumulative Prüfung vorzunehmen ist.* In Betracht kommt bei DiGAs insb die ausdrückliche Einwilligung gem Art 9 Abs 2 lit a DSGVO; in Art 6 DSGVO wäre das Art 6 Abs 1 lit a DSGVO. Zudem kommt bei DiGAs auch Art 9 Abs 2 lit h DSGVO in Betracht, nämlich „die Verarbeitung für Zwecke der Gesundheitsvorsorge oder der Arbeitsmedizin, für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit des Beschäftigten, für die medizinische Diagnostik, die Versorgung oder Behandlung im Gesundheits- oder Sozialbereich oder für die Verwaltung von Systemen und Diensten im Gesundheits- oder Sozialbereich auf der Grundlage des Unionsrechts oder des Rechts eines Mitgliedstaats oder aufgrund eines Vertrags mit einem Angehörigen eines Gesundheitsberufs504 (...)“. In Art 6 DSGVO wäre das der Rechtmäßigkeitstatbestand gem Art 6 Abs 1 lit b DSGVO: „die Verarbeitung ist für die Erfüllung eines Vertrags, dessen Vertragspartei die betroffene Person ist, (...) erforderlich.“*

4.2..
Rechtslage bei Kindern: Undurchsichtiges Zusammenspiel zwischen Art 6, 8 und 9 DSGVO

Besondere Schwierigkeiten stellen sich aus datenschutzrechtlicher Sicht jedoch bei Kindern, obgleich der Einsatz von DiGAs auch bei Kindern aus medizinischer Sicht sinnvoll sein kann, denkt man etwa an eine telekardiologische Überwachung eines Kindes nach einer Herzoperation. Ein Teil der Literatur geht nämlich davon aus, dass es sich beim Grundrecht auf Datenschutz um ein absolut höchstpersönliches Recht handeln würde, welches keine Vertretung zulässt. Demzufolge könnte nur das betroffene Kind, sofern es über die notwendige Urteils- und Einsichtsfähigkeit verfügt, selbst eine Einwilligung zur Verarbeitung personenbezogener Daten erteilen. Bei einem Kind mit fehlender oder unzureichender Urteils- und Einsichtsfähigkeit könnten dagegen weder das Kind noch die Eltern in datenschutzrechtlichen Angelegenheiten entscheiden.*

Selbst wenn man das so sehen sollte, käme aber mE bei DiGAs der Rechtmäßigkeitstatbestand iSd Art 9 Abs 2 lit h DSGVO (und Art 6 Abs 1 lit b DSGVO) in Betracht, sodass etwa der Einsatz von DiGAs, mit denen Kinder nach einer Herzoperation telekardiologisch überwacht werden, aus datenschutzrechtlichen Gründen dennoch zulässig wäre.

Problematisch ist der Rechtmäßigkeitstatbestand iSd Art 9 Abs 2 lit h DSGVO bei DiGAs allerdings dann, wenn die Daten auch an Dritte übermittelt werden, etwa an den App-Hersteller oder App- Betreiber. In diesem Fall kommt Art 9 Abs 2 lit h DSGVO nicht in Betracht, zumal dieser Rechtmäßigkeitstatbestand gem Art 9 Abs 3 DSGVO voraussetzt, dass die Daten vom Fachpersonal oder unter dessen Verantwortung verarbeitet werden und dieses Fachpersonal nach dem Unionsrecht oder dem Recht eines Mitgliedstaats oder den Vorschriften nationaler zuständiger Stellen dem Berufsgeheimnis unterliegt, oder wenn die Verarbeitung durch eine andere Person erfolgt, die ebenfalls nach dem Unionsrecht oder dem Recht eines Mitgliedstaats oder den Vorschriften nationaler zuständiger Stellen einer Geheimhaltungspflicht unterliegt. Diese Voraussetzung wird beim App-Hersteller bzw App-Betreiber in der Regel nicht erfüllt sein. Aus diesem Grund wäre in einem solchen Fall sehr wohl die ausdrückliche Einwilligung gem Art 9 Abs 2 lit a DSGVO (und Art 6 Abs 1 lit a DSGVO) erforderlich.

Die Regelungen der DSGVO zur Einwilligung sind jedoch bei der Verarbeitung von Gesundheitsdaten bei Kindern sehr undurchsichtig und bereiten aufgrund des komplexen Zusammenspiels zwischen Art 6, 8 und 9 DSGVO erhebliche Schwierigkeiten. Art 8 DSGVO regelt die Bedingungen für die Einwilligung eines Kindes in Bezug auf Dienste der Informationsgesellschaft und lautet: „Gilt Art 6 Abs 1 lit a bei einem Angebot von Diensten der Informationsgesellschaft, das einem Kind direkt gemacht wird, so ist die Verarbeitung der personenbezogenen Daten eines Kindes rechtmäßig, wenn das Kind das sechzehnte Lebensjahr vollendet hat. Hat das Kind noch nicht das sechzehnte Lebensjahr vollendet, so ist diese Verarbeitung nur rechtmäßig, sofern und soweit diese Einwilligung durch den Träger der elterlichen Verantwortung für das Kind oder mit dessen Zustimmung erteilt wird.“ Die Mitgliedstaaten können die Altersgrenze von 16 auf 13 herabsetzen; in Österreich wurde sie in § 4 Abs 4 DSG auf das 14. Lebensjahr herabgesetzt.

Fraglich ist in diesem Zusammenhang zunächst, ob DiGAs als Dienste der Informationsgesellschaft iSd Art 8 DSGVO zu qualifizieren sind. Primär dachte der Unionsgesetzgeber bei Diensten der Informationsgesellschaft wohl an Social Media, doch wird von einem Teil der Literatur* mE zu Recht vertreten, dass auch DiGAs die Definition der Dienste der Informationsgesellschaft erfüllen. Bezüglich der Definition von Diensten der Informationsgesellschaft verweist nämlich Art 4 Z 25 DSGVO auf Dienstleistungen iSd Art 1 Nr 1 lit b der RL 2015/1535*, also „jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf des Empfängers erbrachte Dienstleistung“. Eine „im Fernabsatz erbrachte Dienstleistung“ ist eine „Dienstleistung, die ohne gleichzeitige physische Anwesenheit der Vertragsparteien erbracht wird“. In Anhang I Nr 1 lit a der RL 2015/1535 wird als ein Beispiel für einen nicht im Fernabsatz erbrachten Dienst eine Untersuchung oder Behandlung in der Praxis eines Arztes mithilfe elektronischer Geräte, aber in Anwesenheit des Patienten genannt. Bei den DiGAs befinden sich jedoch Arzt und Patient gerade räumlich nicht am gleichen Ort. „Elektronisch erbrachte Dienstleistung“ ist „eine Dienstleistung, die mittels Geräten für die elektronische Verarbeitung (einschließlich digitaler Kompression) und Speicherung von Daten am Ausgangspunkt gesendet und am Endpunkt empfangen wird und die vollständig über Draht, über Funk, auf optischem oder anderem elektromagnetischem Wege gesendet, weitergeleitet und empfangen wird“. Ausgeschlossen ist nach Anhang I Nr 2 lit d RL 2015/1535 wiederum etwa die medizinische Beratung per Telefon/Telefax; dies ist jedoch bei DiGAs auch nicht der Fall. „Auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung“ ist eine „Dienstleistung, die durch die Übertragung von Daten auf individuelle Anforderung erbracht wird“. Auch das ist bei DiGAs erfüllt. Dass das Angebot gem Art 8 DSGVO 505 direkt dem Kind gemacht werden muss, ist weit auszulegen. So fallen nicht nur solche Dienste darunter, welche sich unmittelbar nur an Kinder als Zielgruppe richten, sondern auch solche, die sich sowohl an Erwachsene als auch an Kinder richten („dual use“). Andernfalls wäre Art 8 DSGVO in der Praxis weitgehend bedeutungslos.*

Erfüllen daher DiGAs alle Voraussetzungen für die Definition der Dienste der Informationsgesellschaft iSd Art 8 DSGVO, bedeutet das, dass eine Einwilligung der Eltern erforderlich ist. Dabei handelt es sich um die Einwilligung iSd Art 6 Abs 1 lit a DSGVO. Bei Gesundheitsdaten ist jedoch auch eine ausdrückliche Einwilligung iSd Art 9 Abs 2 lit a DSGVO notwendig. Fraglich ist daher, ob neben Art 6 Abs 1 lit a DSGVO auch Art 9 Abs 2 lit a DSGVO ein Anwendungsfall von Art 8 DSGVO ist. Dagegen scheint zwar der Wortlaut zu sprechen,* andererseits ist Art 8 DSGVO mE doch ein Indiz dafür, dass das Grundrecht auf Datenschutz doch nicht absolut höchstpersönlich ist, weil in dem in Art 8 DSGVO genannten Fall die Eltern einwilligen müssen. Wenn jedoch die Einwilligung der Eltern bereits in verzichtbaren Angelegenheiten, wie etwa bei Social Media, vorgesehen ist, dann muss sie umso mehr auch bei unverzichtbaren Angelegenheiten, wie medizinischen Behandlungen, die über DiGAs erfolgen, zulässig sein. Es wäre realitätsfern, wenn Eltern in die Verarbeitung von Gesundheitsdaten ihrer Kinder nicht einwilligen dürften und die DSGVO medizinische Behandlungen von nicht einsichts- und urteilsfähigen Kindern verunmöglichen würde. Im Ergebnis sprechen daher die besseren Argumente dafür, dass auch Art 9 Abs 2 lit a DSGVO ein Anwendungsfall von Art 8 DSGVO ist.

5
Fazit und Ausblick

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der österreichische Gesetzgeber im ASVG einen eigenen Leistungsanspruch für die Versorgung mit DiGAs normieren sollte, um Rechtssicherheit zu schaffen und beim technologischen Fortschritt nicht von anderen Staaten überholt zu werden. Zwar wurden in Österreich bereits etwa in Tirol spannende Projekte gestartet, etwa „Herzmobil Tirol“, „Tele-Reha HerzMobil“* oder „DiabCare Tirol“*, die sich bislang auch gut bewährt haben. Das ändert jedoch nichts daran, dass insb aus sozialversicherungsrechtlicher Perspektive derzeit keine Rechtssicherheit in Österreich besteht. Zwar ist ausdrücklich davon abzuraten, das deutsche Modell zu kopieren, im Gegenteil: In der Zwischenzeit haben sich beim in Deutschland geschaffenen Anspruch auf Versorgung mit DiGAs unterschiedliche Probleme gezeigt, die in Österreich nicht wiederholt werden sollten. Dies betrifft etwa die Aufnahme von DiGAs ins DiGA-Verzeichnis, bei denen der medizinische Nutzen noch nicht nachgewiesen werden konnte, was hohe Kosten verursacht und vermieden werden sollte. Gleiches gilt für die Festlegung des Preises allein durch den App-Hersteller in den ersten zwölf Monaten. So gelten in Deutschland gem § 134 SGB V erst nach zwölf Monaten die zwischen den Krankenkassen und den App-Herstellern verhandelten Preise; in den ersten zwölf Monaten erfolgt die Preisgestaltung einseitig durch den App-Hersteller, was häufig mit einer intransparenten Preisgestaltung einhergeht. Ein weiteres Problem im deutschen Recht war die Nichtaufnahme der Risikoklasse IIb, die in der Zwischenzeit vom deutschen Gesetzgeber selbst korrigiert worden ist. Diese Herausforderungen kann Österreich für sich zugleich als Chance nutzen, um sich im österreichischen System von Anfang an geeignete Lösungen dafür zu überlegen. Bei Untätigkeit des österreichischen Gesetzgebers besteht jedoch die Gefahr, dass andere Mitgliedstaaten Österreich bei technologischen Entwicklungen überholen werden und Österreich aufgrund der Patientenmobilitäts-RL und der EuGH-Judikatur zur Kostenerstattung für ausländische Behandlungen, die auf den Grundfreiheiten aufgebaut ist, verpflichtet werden wird, wenn sich österreichische Versicherte DiGAs im Ausland verschaffen. Wenn Österreich daher die positiven Effekte der Digitalisierung nutzen, den Anschluss an neue Technologien nicht verlieren und am Stand der Wissenschaft bleiben möchte, es zugleich jedoch selbst in der Hand haben will, Gefahren abzuwenden – denn nicht alles, was digital ist, ist gut –, dann wäre es an der Zeit, dass der österreichische Gesetzgeber das Thema selbst in die Hand nimmt und einen rechtlichen Rahmen für DiGAs schafft. 506