35Zeitguthaben unterliegen nicht den Wirkungen des Sanierungsplans
Zeitguthaben unterliegen nicht den Wirkungen des Sanierungsplans
Der Anspruch aus einer Vereinbarung über Zeitausgleich hat keinen Entgeltcharakter, sondern beruht nur auf einer anderen Verteilung der Arbeitszeit.
Zeitguthaben stellen damit auch keine vermögensrechtlichen Ansprüche dar, die als Insolvenzforderungen den Wirkungen des Sanierungsplans unterliegen.
Ein vermögensrechtlicher Anspruch, der den Folgen des Insolvenzverfahrens unterliegt, entsteht nach der Rsp zu § 19f Abs 2 und 3 AZG nur und erst dann, wenn die Zeitguthaben in einen Geldanspruch umgewandelt werden.
[1] Die Kl war beim Bekl vom 27.8.2019 bis 11.1.2022 mit einer vereinbarten Arbeitszeit von 10 Stunden pro Woche und einem Monatslohn von zuletzt 437,25 € brutto als Arbeiterin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis unterlag dem KollV für Friseure, Kosmetiker und Fußpfleger. Zwischen den Streitteilen bestand eine Zeitausgleichsvereinbarung. Die von der Kl über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus auftragsgemäß geleisteten Mehrarbeitsstunden wurden in ein Zeitausgleichskonto eingestellt. Sie konsumierte während des Dienstverhältnisses auch immer wieder Zeitausgleich, allerdings wurden dadurch nicht sämtliche geleisteten Mehrstunden ausgeglichen.
[2] Am 22.4.2021 wurde über das Vermögen des Bekl ein Insolvenzverfahren eröffnet. Die Kl meldete in diesem Verfahren nur Forderungen auf ausständiges laufendes Entgelt an, das Arbeitsverhältnis blieb aufrecht. Am 20.9.2021 wurde das Insolvenzverfahren aufgrund eines gerichtlich bestätigten Sanierungsplans (Quote 23 %) wieder aufgehoben.
[3] Bei Insolvenzeröffnung wies das Zeitausgleichskonto der Kl ein Guthaben von 311,95 Stunden auf. Sie konsumierte in der Folge davon bis zur Annahme des Sanierungsplans 22,40 und danach bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses weitere 56,70 Stunden an Zeitausgleich durch „Minusstunden“. 92 Stunden wurden ihr anlässlich der Beendigung ausbezahlt.
[4] Das (eingeschränkte) Klagebegehren ist insb – im Revisionsverfahren nur noch wesentlich – auf Zahlung des Entgelts für 141,30 offene Mehrarbeitsstunden gerichtet.
[5] Das Erstgericht sprach der Kl Entgelt für 9,9 Stunden unter Abweisung des Mehrbegehrens zu. Diese Anzahl ergebe sich aus der Anwendung der Sanierungsplanquote von 23 % auf das im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bestehende und um den während des Insolvenzverfahrens konsumierten Zeitausgleich reduzierte Zeitguthaben.
[6] Das Berufungsgericht gab dem gegen die Abweisung des Mehrbegehrens gerichteten Rechtsmittel der Kl keine Folge. Es trat der Rechtsansicht des Erstgerichts bei, dass das vor der Insolvenzeröffnung erarbeitete Zeitguthaben ungeachtet dessen, dass die Zeitausgleichsvereinbarung fortgeführt wurde, als Insolvenzforderung zu behandeln sei und der Sanierungsplanquote unterliege. Die nach Abzug des konsumierten Zeitausgleichs bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses verbliebenen 232,85 Mehrstunden unterlägen daher der Quote. Von den resultierenden 53,55 Stunden sei nach Abzug der ausbezahlten 92 Stunden demnach überhaupt kein Guthaben mehr verblieben.
[...]
[8] Die Revision ist zur Klärung von bisher in der höchstgerichtlichen Rsp noch nicht abschließend behandelten Rechtsfragen zulässig und auch berechtigt.
[...]
[10] 2. Nach § 19f Abs 2 und 3 AZG (in der hier maßgeblichen, bis 31.5.2022 geltenden Fassung BGBl I 2007/61) gilt für ein Zeitausgleichsguthaben für Überstundenarbeit mangels abweichender kollektivvertraglicher Regelungen (worauf sich der Bekl nicht berufen hat) Folgendes:
[11] Wurde der Zeitpunkt des Zeitausgleichs nicht im Vorhinein vereinbart, und kommt es nicht innerhalb der Frist nach Abs 2 (grundsätzlich sechs Monate nach Ende des Anfallsmonats) zu einem Verbrauch, so kann der AN nach weiteren vier Wochen den Verbrauch des Guthabens einseitig bestimmen oder die Abgeltung in Geld verlangen. [12] Stellt der AN dieses Verlangen, so kommt es zu einer Rückumwandlung des Zeitausgleichs in Geld. Verlangt er weder das eine noch das andere, macht der AN von seinem Wahlrecht also nicht Gebrauch, so kommt es nicht zur automatischen Umwandlung des Zeitausgleichs in Geld (8 ObS 4/14t unter Verweis auf 141 RV BlgNR 23. GP 7).
[13] Das Zeitguthaben bleibt dann als solches grundsätzlich unverändert bestehen, und zwar bis zum Zeitpunkt, in dem feststeht, dass die von den Parteien in Aussicht genommene Konsumation nicht mehr möglich ist, im Regelfall bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses (8 ObS 4/14t; Heilegger in Gasteiger/Heilegger/Klein [Hrsg], Arbeitszeitgesetz7 §§ 19e und 19f AZG Rz 50).
[14] 3. Der Anspruch aus einer Vereinbarung über Zeitausgleich hat keinen Entgeltcharakter, sondern beruht nur auf einer anderen Verteilung der Arbeitszeit. Nicht verbrauchtes Zeitguthaben aus Überstunden, das nicht in einen fälligen Geldanspruch umgewandelt wurde, ist daher nicht Arbeitsentgelt (RS0051784 [T1]).
[15] 4. Nach § 51 Abs 1 IO sind Insolvenzforderungen Forderungen von Gläubigern, denen vermögensrechtliche Ansprüche an den Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zustehen. Durch den rechtskräftig bestätigten Sanierungsplan wird der Schuldner nach § 156 Abs 1 IO von der Verbindlichkeit befreit, seinen Gläubigern den Ausfall, den sie erleiden, nachträglich zu 384 ersetzen oder für die sonst gewährte Begünstigung nachträglich aufzukommen.
[16] Zeitguthaben, die als solche aufgrund einer Zeitausgleichsvereinbarung iS einer anderen Verteilung der Arbeitszeit auszugleichen sind, stellen nach den vorstehenden Grundsätzen keine Entgeltansprüche dar und damit auch keine vermögensrechtlichen Ansprüche, die als Insolvenzforderungen den Wirkungen eines Sanierungsplans unterliegen. Ein vermögensrechtlicher Anspruch, der den Folgen des Insolvenzverfahrens unterliegt, entsteht nach der Rsp zu § 19f Abs 2 und 3 AZG (idF BGBl I 2007/61) nur und erst dann, wenn die Zeitguthaben in einen Geldanspruch umgewandelt werden.
[17] Dem entspricht, wie die Kl zutreffend geltend macht, dass nicht umgewandelte, sondern naturaliter zu konsumierende Zeitguthaben (nach der im hier maßgeblichen Zeitraum geltenden Rechtslage) keine nach dem IESG gesicherte Forderung begründen (RS0122693).
[18] Nach dem Sachverhalt ist es vor und während des Insolvenzverfahrens des Bekl nie zu einer Umwandlung des Zeitguthabens der Kl in eine Geldforderung gekommen, sondern es wurde bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses wie vereinbart nur durch Zeitausgleich („Minusstunden“) verringert. Eine Geldforderung, die als Insolvenzforderung den Wirkungen des Sanierungsplans unterlegen wäre (vgl Katzmayr in Koller/Lovrek/Spitzer [Hrsg], IO2, § 51 IO Rz 52) und dem entsprechend im Rahmen des § 3a IESG gesichert gewesen wäre, bestand nicht. Die Geldforderung ist erst später und nur für jenen Teil des Guthabens entstanden, der wegen der Beendigung des Dienstverhältnisses nicht mehr ausgeglichen werden konnte.
[19] Der von den Vorinstanzen und der Revisionsbeantwortung für deren Rechtsstandpunkt ins Treffen geführten E 8 ObA 60/18h liegt ein nicht einschlägiger Sachverhalt zugrunde. Das Dienstverhältnis der dort klagenden Partei war gem § 25 IO aufgelöst worden, sodass der Entgeltanspruch an Stelle des Zeitguthabens während des Insolvenzverfahrens entstanden ist. Wesentlicher Gegenstand jener E war die Lösung der Frage, ob dieser Entgeltanspruch als Masse (laufendes Entgelt) oder als Insolvenzforderung zu behandelt ist.
[20] Zur rechtlichen Qualifikation eines Zeitguthabens, das während des Insolvenzverfahrens verbraucht wird, hat der OGH aber bereits zu 8 ObA 60/18h festgehalten, dass in einem solchen Fall unabhängig von der geringeren Arbeitspflicht einfach das laufende Entgelt für eine Leistung nach Insolvenzeröffnung geschuldet wird, bei dem es sich um eine Masseforderung handelt. Aus diesen Ausführungen kann aber gerade nicht abgeleitet werden, dass naturaliter erst später auszugleichende Zeitguthaben selbst schon Insolvenzforderungen darstellen würden und den Wirkungen eines Sanierungsplans unterliegen.
[21] 5. An diesem Ergebnis ändert es nichts, wenn die Revisionsbeantwortung ins Treffen führt, dass die Möglichkeit eines unerwarteten „Wiederauflebens“ von Forderungen aus Zeitausgleichsguthaben die Fortführung des Unternehmens gefährden könne, weil es bei der Berechnung der leistbaren Quote nicht einkalkuliert werde. Das Zeitausgleichsguthaben stellt ja nach dem Willen der Parteien primär keinen Anspruch auf eine Geldleistung dar, sondern soll dem AN zusätzliche Freizeit – ähnlich offenen Urlaubstagen – ermöglichen. Ob diese für den AG einen wirtschaftlichen Nachteil bedeutet oder etwa wegen saisonaler Auslastungsschwankungen die Arbeitsleistung ohnehin nicht benötigt wird, kann nicht generell beantwortet werden. Im Übrigen sieht § 25 IO im Sanierungsverfahren nicht generell eine begünstigte Beendigungsmöglichkeit vor.
[22] 6. Der Revision war daher Folge zu geben. Die Forderungshöhe war im Revisionsverfahren nicht mehr strittig.
[...]
Für den bekl AG mochte das vorliegende Urteil eine bittere Pille und unter dem Gerechtigkeitsaspekt vielleicht sogar unbegreiflich sein. Warum auch sollte ein AN mit einer Zeitausgleichsvereinbarung gegenüber einem solchen begünstigt sein, dessen Mehrarbeits- oder Überstundenentgelt üblicherweise ausbezahlt wird? Aus rechtsdogmatischer Sicht ist an der E des OGH trotzdem nicht zu rütteln. Umso unverständlicher ist es, wie das Erst- und das Berufungsgericht in Anbetracht der einschlägigen höchstgerichtlichen Vorjudikatur überhaupt zu einer gegenläufigen Rechtsansicht gelangen konnten. Wie auch immer – die Entscheidungsbegründung des OGH handelt die Entscheidungsfindung konsistent ab. Da sie aber die eigentliche Kernfrage, ob Zeitguthaben betagte Forderungen iSd § 14 Abs 2 IO sind, nicht einmal anspricht, soll darauf im Folgenden näher eingegangen werden.
Wie der OGH zutreffend ausführte, stellen Zeitguthaben keinen Entgeltanspruch dar (so auch Holzer/Reissner in Reissner [Hrsg], Arbeitsverhältnis und Insolvenz5 [2018] § 46 IO Rz 8). Damit blieb der OGH seiner bisherigen Rsp treu: Er hatte sich mit dem Thema bereits anlässlich der geblockten Altersteilzeit (OGH8 ObA 24/05wDRdA 2006, 151; OGH8 ObA 65/05pDRdA 2006, 495), der gleitenden Arbeitszeit (OGH8 ObA 60/18h ZIK 2019/207 [Weber-Wilfert] = DRdA 2020/11, 139) oder Überstunden (OGH9 ObA 50/12m ZIK 2013/64, 42 [Kolland] = SZ 2012/107, wobei offen blieb, welchen Ursprungs diese Überstunden waren) befasst. Er hatte seine Sichtweise in einer dieser Entscheidungen folgendermaßen begründet: Durchrech 385 nungsvereinbarungen dürften nicht dazu führen, dass im Fall der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des AG – in Widerspruch zur Vereinbarung der gleichmäßigen Lohnzahlung während des gesamten Durchrechnungszeitraums – Teile des nach Konkurseröffnung geschuldeten Entgelts als auf die Zeit vor Konkurs entfallend und daher als Konkursforderung qualifiziert werden (OGH8 ObA 65/05pDRdA 2006, 495).
Das vorliegende Urteil stellt insofern ein Novum dar, als der OGH darin erstmals zur insolvenzrechtlichen Qualifikation von Zeitguthaben aus Teilzeit- Mehrarbeit Stellung nimmt.
Auch wenn es im zu besprechenden Urteil nirgendwo erwähnt wird – die zentrale Frage ist, ob Zeitguthaben betagte Forderungen iSd § 14 Abs 2 IO darstellen. Der OGH verneint dies in mittlerweile stRsp (OGH8 ObA 65/05pDRdA 2006, 49; OGH9 ObA 50/12m ZIK 2013/64, 42 [Kolland] = SZ 2012/107). Er begründete dies sehr rudimentär damit, dass eine solche Auffassung mit dem Wesen der Arbeitszeitdurchrechnung und mit der zugrunde liegenden Vereinbarung nicht im Einklang stehe. Mittlerweile untermauern die Gesetzesmaterialien zu §§ 3a und 3b IESG (IA 2234/A BlgNR 25. GP 4) diese These, wenngleich diese sich wiederum bloß auf die höchstgerichtliche Rsp berufen. Ein Zirkelschluss also. Doch ist die Begründung des OGH wirklich stichhaltig?
Gem § 14 Abs 1 IO sind Forderungen, die nicht auf eine Geldleistung gerichtet sind oder deren Geldbetrag unbestimmt oder nicht in inländischer Währung festgesetzt ist, nach ihrem Schätzwert in inländischer Währung zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geltend zu machen. Nach Abs 2 leg cit gelten betagte Forderungen – also solche, die bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwar bereits entstanden, aber noch nicht fällig sind (Schwab in Münchener Kommentar zum BGB5 [2009] § 813 Rz 16; vgl OGH 29.8.1990, 9 ObS 10/90) – im Insolvenzverfahren als fällig. Hinter diesen Bestimmungen steht die Überlegung, dass die notwendige Voraussetzung für die gleichmäßige Befriedigung der Insolvenzgläubiger die Verwandlung aller nicht auf die Leistung von Geld gerichteten Forderungen gegen den Gemeinschuldner in Geldforderungen ist (RIS-Justiz RS0064103).
Dem ersten Anschein nach sind auch Zeitguthaben dem § 14 Abs 1 und 2 IO zu unterwerfen, zumal arbeitsrechtliche Ansprüche davon nicht ausdrücklich ausgeschlossen sind. Das vertritt zB Anzenberger (Altersteilzeit und Insolvenz, ZIK 2002/3, 5), wenngleich ohne nähere Begründung. Dennoch muten die daraus abzuleitenden Rechtsfolgen befremdlich an. Man darf nicht außer Acht lassen, dass es nach jedem Insolvenzverfahren auch ein „Danach“ gibt. Immerhin dient das Insolvenzverfahren ein Stück weit auch der Unternehmenssanierung (Kodek in Koller/Lovrek/Spitzer [Hrsg], IO: Insolvenzordnung: mit ReO, EKEG und EuInsVO2 [2023] § 1 Rz 4). Dem trägt auch der Umstand Rechnung, dass der Bestand des Arbeitsverhältnisses von der Eröffnung der Insolvenz über das Vermögen des AG unberührt bleibt (Reissner in Reissner [Hrsg], Arbeitsverhältnis und Insolvenz5 § 25 IO Rz 4; vgl RIS-Justiz RS0120934). Verträte man die Meinung, bei Zeitguthaben handle es sich um betagte Forderungen, würde ein Zeitausgleich im Stadium nach dem Insolvenzverfahren durch die Fälligstellung vereitelt werden, obwohl dieser uU ganz entscheidend zur Unternehmenssanierung beitragen könnte. So zeigt auch der vorliegende Fall, dass die Dauer des Sanierungsverfahrens oft zum Abbau des Zeitguthabens genutzt wird. Davon abgesehen wäre eine Umwandlung in einen Geldanspruch gem § 14 Abs 1 IO wohl auch mit dem Anfallen von Zuschlägen verbunden, was die Masse zusätzlich belasteten würde. Sundl (Forderungsqualifikation von Zeitguthaben im Insolvenzverfahren des Arbeitgebers, DRdA 2020/11, 139 [142]) sieht bei einer Fälligstellung der Zeitguthaben bei der Insolvenzeröffnung gar die Geschäftsgrundlage des Arbeitsvertrags gefährdet. Er veranschaulicht dies gut am Extrembeispiel der geblockten Altersteilzeit. Das Zeitguthaben muss also das Schicksal des Arbeitsverhältnisses teilen und über die Insolvenzeröffnung hinaus Bestand haben. Eine Anwendung des § 14 IO würde dem entgegenstehen, weshalb er mE teleologisch dahin zu reduzieren ist, dass er Zeitguthaben nicht erfasst.
Weber-Wilfert (Insolvenzrechtliche Qualifikation des Zeitausgleichs, ZIK 2019/207, 167 [168 f]) und ihr folgend Schöffmann (Insolvenz-Entgelt für Zeitausgleich, DRdA 2020/37, 383 [387]) differenzieren hingegen: Während Zeitguthaben aus der Arbeitszeitdurchrechnung nicht dem § 14 IO unterliegen würden, weil diese nur eine andere Verteilung der Normalarbeitszeit darstellten, seien solche aus Überstundenarbeit sehr wohl als betagte Forderungen anzusehen. Sie begründen dies im Wesentlichen damit, dass § 10 Abs 2 AZG primär eine monetäre Vergütung von Überstunden vorsieht und die Vereinbarung von Zeitausgleich (quasi „an Zahlungs statt“) nur eine andere Form der Abgeltung sei. Bei genauerer Betrachtung überzeugt diese Sichtweise allerdings nicht (vgl auch Sundl, DRdA 2020/11, 143). Zwar unterscheiden sich Über- und natürlich auch Mehrarbeitsstunden sowohl in ihrem Entstehungsgrund, den Vergütungsmöglichkeiten als auch der Vergütungshöhe von Zeitgutgaben aus einer Arbeitszeitdurchrechnung. Im Kern erfüllt der Zeitausgleich aber immer dieselbe Funktion: Er sorgt für einen zeitlichen Ausgleich bei der Arbeitsmenge. Ob dies aus sozialpolitischen Gründen geschieht oder als Ausfluss des arbeitsvertraglichen Synallagmas, kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben. So gesehen stellt jede Form des Zeitausgleichs eine Umverteilung der Arbeitszeit – wenngleich nicht zwingend der Normalarbeitszeit – dar. Dass diese Arbeitszeit-Umverteilung nicht immer im Verhältnis 1 : 1 erfolgt, tut dieser Funktion keinen Abbruch; ebenso wenig der Umstand, dass der Zeitausgleich teilweise eigens vereinbart werden muss. Man bedenke, dass auch Mehrarbeits- und Überstunden vielfach gezielt zu dem Zweck aufgebaut werden,
Weber-Wilfert (Insolvenzrechtliche Qualifikation des Zeitausgleichs, ZIK 2019/207, 167 [168 f]) und ihr folgend Schöffmann (Insolvenz-Entgelt für Zeitausgleich, DRdA 2020/37, 383 [387]) differenzieren hingegen: Während Zeitguthaben aus der Arbeitszeitdurchrechnung nicht dem § 14 IO unterliegen würden, weil diese nur eine andere Verteilung der Normalarbeitszeit darstellten, seien solche aus Überstundenarbeit sehr wohl als betagte Forderungen anzusehen. Sie begründen dies im Wesentlichen damit, dass § 10 Abs 2 AZG primär eine monetäre Vergütung von Überstunden vorsieht und die Vereinbarung von Zeitausgleich (quasi „an Zahlungs statt“) nur eine andere Form der Abgeltung sei. Bei genauerer Betrachtung überzeugt diese Sichtweise allerdings nicht (vgl auch Sundl, DRdA 2020/11, 143). Zwar unterscheiden sich Über- und natürlich auch Mehrarbeitsstunden sowohl in ihrem Entstehungsgrund, den Vergütungsmöglichkeiten als auch der Vergütungshöhe von Zeitgutgaben aus einer Arbeitszeitdurchrechnung. Im Kern erfüllt der Zeitausgleich aber immer dieselbe Funktion: Er sorgt für einen zeitlichen Ausgleich bei der Arbeitsmenge. Ob dies aus sozialpolitischen Gründen geschieht oder als Ausfluss des arbeitsvertraglichen Synallagmas, kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben. So gesehen stellt jede Form des Zeitausgleichs eine Umverteilung der Arbeitszeit – wenngleich nicht zwingend der Normalarbeitszeit – dar. Dass diese Arbeitszeit-Umverteilung nicht immer im Verhältnis 1 : 1 erfolgt, tut dieser Funktion keinen Abbruch; ebenso wenig der Umstand, dass der Zeitausgleich teilweise eigens vereinbart werden muss. Man bedenke, dass auch Mehrarbeits- und Überstunden vielfach gezielt zu dem Zweck aufgebaut werden, 386 um sich einen „Polster“ für weniger arbeitsintensive Zeiten zu richten, in denen die Zeitguthaben wieder abgebaut werden sollen. Warum also sollten diese Zeitguthaben im Insolvenzfall ein anderes Schicksal teilen?
Auch der OGH sieht, wie das vorliegende Urteil demonstriert, keinen Anlass, zwischen Zeitguthaben aus der Arbeitszeitdurchrechnung einerseits und Mehrarbeits- und Überstunden andererseits zu unterscheiden. Zwar bezieht sich der OGH nur auf die Zeitguthaben aus Teilzeit-Mehrarbeit, doch können seine Schlussfolgerungen aufgrund der inhaltlichen Ähnlichkeit des § 19d Abs 3a und 3e mit § 10 Abs 1 bis 3 AZG ohne weiteres auf Überstunden übertragen werden.
Damit ist klar: Zeitguthaben unterliegen in natura nicht dem § 14 IO. Sie müssen sich, damit sie in das Insolvenzverfahren einbezogen werden, erst in einen Geldanspruch wandeln, der entweder vor oder während des Insolvenzverfahrens fällig wird. Hierfür kommen mehrere Möglichkeiten in Betracht:
AG und AN vereinbaren die Auszahlung offener Zeitguthaben. Zumindest bei Mehr- und Überstunden ist ein solches Vorgehen statthaft (§ 10 Abs 2 und § 19d Abs 3e AZG). Bei Zeitguthaben aus Durchrechnungsmodellen tun sich indessen Zweifel auf, weil eine solche Vorgangsweise einen Zeitausgleich verunmöglichen und damit dem Durchrechnungsprinzip konterkarieren würde.
Der AN macht von seinem Wahlrecht gem § 19f Abs 1 Satz 2 oder Abs 3 AZG in dem Sinn Gebrauch, dass er sich für eine Abgeltung der Zeitguthaben in Geld entscheidet.
Das Arbeitsverhältnis wird beendet, womit alle Zeitguthaben gem § 19e Abs 1 AZG auszuzahlen sind.
In einem zweiten Schritt ist die Einordnung dieses Geldanspruchs als Insolvenz- oder Masseforderung vorzunehmen. Es sei betont, dass es hierbei um die Qualifikation des monetären Surrogats der Zeitguthaben geht, nicht etwa des während eines Zeitausgleichs bezahlten Entgelts.
Zu den Masseforderungen zählen gem § 46 Z 3 IO das laufende Arbeitsentgelt (einschließlich Sonderzahlungen) für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Aber auch Beendigungsansprüche gehören dazu, sofern das Arbeitsverhältnis, jedoch nicht nach § 25 IO, durch den Insolvenzverwalter oder – wenn die Beendigung auf eine Rechtshandlung oder ein sonstiges Verhalten des Insolvenzverwalters zurückzuführen ist – durch den AN gelöst wird oder das Arbeitsverhältnis überhaupt erst nach Insolvenzeröffnung eingegangen wird (§ 46 Z 3a IO). Alle anderen Ansprüche, insb jene, die vor der Insolvenzeröffnung entstanden sind, stellen Insolvenzforderungen dar. § 46 Z 3 IO verwendet einen funktionellen Entgeltbegriff (Sundl, Insolvenzrechtliche Qualifikation von Sonderzahlungen, ASoK 2008, 429 [429]). Das laufende Entgelt ist daher weit zu verstehen. Dazu zählen auch jene Geldansprüche, welche auf der Umwandlung von Zeitguthaben fußen (Holzer/Reissner in Reissner [Hrsg], Insolvenz5 § 46 IO Rz 8).
Bei der Forderungsqualifikation kommt es ungeachtet der Fälligkeit darauf an, ob die zugrunde liegenden Arbeitsstunden vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geleistet wurden. Denn es soll hier der Vorteil, der der Masse durch das Zurverfügungstehen des AN zukommt, auch als Masseforderung abgegolten werden (OGH8 ObA 24/05wDRdA 2006, 151; am Beispiel der Sonderzahlungen OGH8 ObA 11/08pDRdA 2008, 444). Folglich stellen Geldansprüche für Zeitguthaben aus Arbeitsstunden, die vor der Insolvenzeröffnung geleistet wurden, Insolvenz-, alle anderen Masseforderungen dar (Sundl, Insolvenz- und Arbeitsrecht, in Nunner-Krautgasser/Knapp/Clavora [Hrsg], Jahrbuch Insolvenz- und Sanierungsrecht [2013] 217; Holzer/Reissner in Reissner [Hrsg], Insolvenz5 § 46 IO Rz 8; OGH8 ObA 24/05wDRdA 2006, 151; OGH8 ObA 60/18hDRdA 2020/11, 139 [Sundl]).
Wie aber hätte der AG im vorliegenden Fall der Kostenfalle entrinnen können?
Zum einen hätten der Insolvenzverwalter (die Quote von 23 % lässt auf ein Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung schließen) und der AN noch im laufenden Sanierungsverfahren eine Umwandlung der Zeitguthaben vereinbaren können. Dass dies aus Sicht des AN nicht gerade attraktiv gewesen wäre, weil er sich dann mit der Sanierungsplanquote hätte begnügen müssen, liegt auf der Hand. Somit handelt es sich hierbei um eine Problemlösung aus dem Reich der Theorie. Ebenso unwahrscheinlich wäre die Ausübung des Wahlrechts nach § 19f Abs 1 Satz 2 oder Abs 3 AZG gewesen.
Als einzig realistischer Ausweg hätte sich eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses vor oder während des Sanierungsverfahrens angeboten. Nur mit dieser hätte der AG bzw Insolvenzverwalter auch gegen den Willen des AN eine Umwandlung der Zeitguthaben in einen Geldanspruch herbeiführen können. Und weil im gegenständlichen Fall sämtliche Zeitguthaben vor der Insolvenzeröffnung entstanden waren, wären sie auch alle als Insolvenzforderungen zu qualifizieren und mit der Sanierungsplanquote zu befriedigen gewesen. 387