26Die Nichtverlängerungserklärung verstößt nicht gegen die Grundrechtecharta der EU
Die Nichtverlängerungserklärung verstößt nicht gegen die Grundrechtecharta der EU
Die §§ 24 und 27 Theaterarbeitsgesetz (TAG) können nicht auf ihre Vereinbarkeit mit Art 20 und 21 GRC überprüft werden, weil Bühnendienst-AN durch die Nichtverlängerungserklärung gegenüber vergleichbaren Dauerbeschäftigten nicht diskriminiert werden.
Art 30 GRC kann wegen seines Ausgestaltungsvorbehalts nicht als Rechtsgrundlage für die Feststellung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses bei Bühnendienstverhältnissen herangezogen werden.
[1] Die Kl war bei den Bekl beginnend mit 16.1.2008 laufend im Rahmen von jeweils auf ein Jahr befristeten Bühnendienstverträgen als Balletttänzerin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis sind das TAG und der KollV für die Ballettmitglieder im Konzernbereich der Bundestheater-Holding (Bundestheater- Holding GmbH und deren Tochtergesellschaft) anzuwenden (Bundestheater-Ballett-KollV).
[2] Mit Schreiben vom 13.9.2019 (zugestellt am 16.9.2019) gaben die Bekl nach vorangehender Verständigung des BR eine Nichtverlängerungserklärung nach § 27 TAG zum 31.8.2020 ab. Der BR hatte keinen Widerspruch erhoben.
[3] Die Entscheidung für die Nichtverlängerung erfolgte durch den neuen Ballettdirektor, der eine geänderte Ausrichtung zu modernem Tanz anstrebt.
[4] Mit ihrem Hauptbegehren begehrt die Kl die Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses über den 31.8.2020 hinaus. Zwischen den Parteien bestehe ein durchgehendes, auf unbestimmte Zeit abgeschlossenes Dienstverhältnis. Die einzelnen Verträge seien zwar nach § 24 TAG auf ein Spieljahr befristet abgeschlossen und jeweils stillschweigend um ein weiteres Spieljahr verlängert worden. Dies stelle jedoch eine unzulässige Kettenbefristung dar, für die es nach der RL 1999/70/EG des Rates vom 28.6.1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (Befristungs-RL) einer sachlichen Rechtfertigung bedürfe. Zur Missbrauchskontrolle sei die auf § 879 ABGB gestützte Kettenvertragsjudikatur heranzuziehen, wonach dazu besondere soziale, wirtschaftliche, organisatorische oder technische Gründe gegeben sein müssten. Solche lägen beim Dienstverhältnis zwischen den Parteien nicht vor. In eventu werde die Nichtverlängerungserklärung wegen Geschlechterdiskriminierung nach § 12 Abs 7 GlBG angefochten und begehrt, diese für rechtsunwirksam zu erklären.
[5] Die Bekl bestritten und wendeten ein, dass die Beendigung des Dienstverhältnisses zulässig und sachlich gerechtfertigt sei. Die Aneinanderreihung von Dienstverhältnissen im Anwendungsbereich des TAG sei nach der Judikatur im Hinblick auf das Abwechslungsbedürfnis des Publikums und die in Theaterunternehmen erforderliche Flexibilität bei der Rollenbesetzung zulässig. Dies müsse insb für den Fall eines Intendantenwechsels mit neuer künstlerischer Ausrichtung gelten. Der Theaterunternehmer habe ein besonderes Interesse an der Anpassung der Belegschaft an den Spielplan. Die Nichtanerkennung dieses Interesses stelle einen eklatanten Verstoß gegen den grundrechtlich abgesicherten Grundsatz der Freiheit der Kunst und den in § 2 Abs 4 und Abs 5 Bundestheaterorganisationsgesetz (BThOG) definierten kulturpolitischen Auftrag der Bekl dar. Die Kl werde den durch die Neuausrichtung des Balletts geänderten künstlerischen Anforderungen technisch und physisch nicht gerecht. Vor diesem Hintergrund sei die Nichtverlängerung des Arbeitsverhältnisses anlässlich eines Intendantenwechsels auch aus unionsrechtlicher Sicht unbedenklich.
[6] Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren statt. Die gegenüber der Kl ausgesprochene Nichtverlängerungserklärung sei keine Kündigung, sondern nur die Ablehnung des Abschlusses eines neuen Vertrags nach Ablauf der Befristung. Mehrfach befristete Bühnenarbeitsverträge unterlägen zwar der Befristungs-RL, diese sei aber nicht unmittelbar anwendbar und in Österreich nur teilweise umgesetzt. Der Gesetzgeber habe zur Beschränkung von Kettenarbeitsverträgen auf § 879 ABGB als gleichwertige gesetzliche Maßnahme verwiesen. Die demzufolge notwendige sachliche Rechtfertigung für die Aneinanderreihung befristeter Arbeitsverhältnisse liege bei der Kl aber nicht vor. Das führe zur Teilnichtigkeit der Befristungsabrede und damit zu einem durchgehenden Dienstverhältnis auf unbestimmte Zeit.
[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl gegen diese Entscheidung nicht Folge. Dazu führte es aus, dass das Befristungs- und Beendigungssystem nach den §§ 24, 27 TAG Kettenbefristungen ex lege entstehen lasse. Auch diese fielen aber in den Anwendungsbereich der Befristungs- RL. Zur Umsetzung der Befristungs-RL in das österreichische Recht sei zur Missbrauchskontrolle die auf § 879 ABGB gestützte Kettenvertragsjudikatur heranzuziehen. Diese gelte auch für den Bereich des TAG. Danach sei eine wiederholte Befristung nur bei sachlicher Rechtfertigung zulässig. Bei der über 12 Jahre dauernden Beschäftigung der Kl sei von der Deckung eines ständigen Bedarfs auszugehen, die eine Befristung nicht rechtfertigen könne. [...]
[8] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil noch keine höchstgerichtliche Rsp zur Frage vorliege, ob die Befristungs-RL 335 auf nach § 27 TAG verlängerte Bühnenarbeitsverträge anzuwenden sei.
[...]
[11] Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig und auch berechtigt. [12] I. Zu der hier vorliegenden Rechtsfrage hat der OGH – nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts – in den Entscheidungen 8 ObA 58/22w und 9 ObA 11/22s (auf die verwiesen wird) ausführlich Stellung genommen. Daraus ergibt sich zusammengefasst Folgendes:
[13] 1. Aus den Bestimmungen der §§ 24, 27 TAG und § 10 Abs 2 KollV zeigt sich, dass das TAG und der KollV vom auf ein Jahr bzw eine Spielzeit befristeten Arbeitsvertrag als Normalfall ausgehen. [...] (9 ObA 11/22s Pkt 1.).
[14] 2. Die Abgabe einer Nichtverlängerungserklärung stellt keine Kündigung eines bestehenden (unbefristeten) Dienstvertrags, sondern die Ablehnung des Abschlusses eines weiteren befristeten Dienstvertrags über das Befristungsende des vorangehenden Vertrags hinaus dar (9 ObA 11/22s Pkt 2.).
[15] 3. [...] Auch die Arbeitsverhältnisse nach §§ 24, 27 TAG sind nicht nur nach nationalem Recht, sondern auch iSd § 3 Nr 1 der Befristungs-RL als befristet und iSd § 5 Nr 1 der Befristungs-RL als aufeinanderfolgend anzusehen (9 ObA 11/22s Pkt 3.).
[16] 4. Lässt man offen, ob das TAG mit der Befristungs-RL vereinbar ist, prüft aber deren gegebenenfalls bestehende Wirkungen, so stellt sich § 5 Nr 1 der Befristungs-RL nach der EuGH-Rsp inhaltlich nicht als unbedingt und genau genug dar, damit sich ein Einzelner (hier im Zusammenhang mit befristeten Dienstverträgen iSd §§ 24, 27 TAG) vor einem nationalen Gericht darauf berufen kann. Selbst unter der Prämisse, dass die Befristungsregelung des TAG mit ihrem System der automatischen Verlängerung den Zielen und Zwecken der Befristungs-RL widersprechen sollte, muss daher eine allfällige richtlinienkonforme Interpretation in dem mit dem Klagebegehren angestrebten Sinn am ausdrücklichen gegenteiligen Wortlaut und vom Gesetzgeber verfolgten Ziel der §§ 24 und 27 TAG scheitern (9 ObA 11/22s Pkt 4. ff).
[17] 5. Die Besonderheit der spezielleren Regelungen des TAG liegt darin, dass dieses Gesetz befristete Dienstverhältnisse nicht nur zulässt, sondern als Regelfall ansieht. [...] § 879 ABGB bietet daher keine Grundlage für eine richtlinienkonforme Interpretation (9 ObA 11/22s Pkt 8.).
[18] II. Die Kl [...] stützt die Berechtigung ihrer Begehren nunmehr – erstmals im Revisionsverfahren – darauf, dass die Bestimmungen der §§ 24, 27 TAG nicht mit dem unionsrechtlichen Gleichheitssatz des Art 20 GRC, dem Diskriminierungsverbot des Art 21 GRC und dem Grundrecht auf Kündigungsschutz nach Art 30 GRC vereinbar seien. Um dem Unionsrecht zur vollen Wirksamkeit zu verhelfen, habe das Befristungsregime des TAG unangewendet zu bleiben. Dies habe zur Folge, dass von einem unbefristeten Dienstverhältnis zwischen den Parteien auszugehen sei. Jedenfalls aber hätte dem Eventualbegehren stattgegeben werden müssen.
Dazu ist auszuführen:
[...]
[22] 2.3. Die Kl meint nun zum einen, sie sei gegenüber vergleichbaren Dauerbeschäftigten iSd § 4 Z 1 der Befristungs-RL diskriminiert, weil ihr keine Anfechtungsmöglichkeit nach § 105 ArbVG sowie § 12 Abs 7 GlBG zukomme.
[23] Damit verkennt sie aber, dass sich dieser Unterschied ja gerade aus der Befristung ergibt. Dem steht im Übrigen auch entgegen, dass die Anfechtungsmöglichkeit nach § 105 ArbVG selbst gekündigten unbefristet beschäftigten AN nicht in jedem Fall offensteht oder Erfolg verspricht (ua in Kleinbetrieben, in den ersten sechs Monaten, bei guter Vermittelbarkeit oder Vorliegen wichtiger betrieblicher Gründe [9 ObA 11/22s Rz 28]) und als Gegengewicht hier die Nichtverlängerungserklärung bereits eine besonders lange Zeit vor der Beendigung abgegeben werden muss.
[24] [...] Dass ihr Bühnendienstvertrag auf die Umwandlung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis angelegt wäre, macht die Kl nicht geltend. Ginge man davon aus, dass die Bekl die Nichtverlängerungserklärung gegenüber der Kl (wie von ihr behauptet) aus diskriminierenden Gründen (wegen dem Geschlecht) abgegeben hätte, läge im Übrigen mangels Abgabe einer Beendigungserklärung (Kündigung, Entlassung oder Auflösung des Probearbeitsverhältnisses) durch die Bekl keine Beendigungsdiskriminierung iSd § 12 Abs 7 Satz 1 GlBG vor. Sonstige Ansprüche leitet die Kl aus ihren Behauptungen zur Beendigungsdiskriminierung nicht ab.
[25] 2.4. Der Anregung der Kl, die §§ 24 und 27 TAG auf ihre Konformität mit den Art 20 und 21 GRC überprüfen zu lassen, war daher nicht zu folgen.
[26] 3.1. Aber auch soweit die Kl nunmehr die Berechtigung ihres Feststellungsbegehrens auf Art 30 GRC stützt, kann ihr dies nicht zum Erfolg verhelfen. Diese Bestimmung verankert zwar das Recht jeder AN und jedes AN auf Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung, unterliegt allerdings einem Ausgestaltungsvorbehalt. Ausgestaltungsvorbehalte sind als Auftrag an den zuständigen Gesetzgeber anzusehen, ein Grundrecht überhaupt erst zu gestalten. Das Recht auf Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung ist demnach nur insofern bzw insoweit garantiert, als es sich aus dem Unionsrecht und den nationalen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten ergibt (Kröll in Holoubek/Lienbacher, GRC-Kommentar2 Art 30 Rz 9).
[27] 3.2. Selbst wenn man aber davon ausginge, dass sachgrundlose Kettenarbeitsverträge gegen Art 30 GRC verstoßen (vgl Kovács, Ein europäisches Grundrecht auf Kündigungsschutz – Art 30 GRC [2022], 234; zur Zulässigkeit von gesetzlichen Ausnahmen, die dem Gemeinwohl dienen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren, siehe schon Rebhahn, Europäische Entwicklung im Kündigungsschutz, DRdA 2014, 183 [188]) und man auch davon ausginge, dass Befristungen von Arbeitsverträgen verboten sind, soweit damit der Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung umgangen werden soll (Kröll in Holoubek/Lienbacher, 336 GRC-Kommentar2 Art 30 Rz 19 mwN), besteht keine Rechtsgrundlage für das Begehren der Kl auf Feststellung eines unbefristeten Dienstverhältnisses. Weder der Unionsgesetzgeber noch der nationale Gesetzgeber haben aber für den Fall eines Verstoßes gegen dieses Grundrecht die von der Kl gewünschte Rechtsfolge, nämlich das Bestehen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses, normiert. Wie bereits in den Entscheidungen 8 ObA 58/22w und 9 ObA 11/22s ausführlich erläutert, stellt sich die Befristungs-RL nicht als unbedingt und genau genug dar, dass daraus konkrete Ansprüche abgeleitet werden können. Der nationale Gesetzgeber bietet die Möglichkeit, Kettenarbeitsverhältnisse im Einzelfall im Hinblick auf eine allfällige Sittenwidrigkeit nach § 879 ABGB überprüfen zu lassen. Dies scheitert hier aber daran, dass die (fortlaufenden) Befristungen nicht dem Gesetz widersprechen, sondern von diesem sogar vorgegeben werden (§ 24 TAG; vgl 9 ObA 11/22s Rz 50). Ließe man, wie von der Kl gewünscht, die Bestimmungen der §§ 24, 27 TAG unangewendet, könnte dies keinem der Klagebegehren zum Erfolg verhelfen, weil letztlich offen bliebe, was dann gelten sollte (vgl 9 ObA 11/22s Rz 53) und woraus die Kl ihr Feststellungsbegehren auf Vorliegen eines unbefristeten Vertrags dann ableiten möchte. Weder § 2b AVRAG noch die Befristungs-RL sehen eine konkrete Rechtsfolge vor (vgl Reissner in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 2b AVRAG Rz 13; Binder/Mair in Binder/Burger/Mair, AVRAG3 § 2b Rz 21; Krebber in Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht4, § 4 RL 1999/70/EG Rz 21).
[28] 3.3. Die Anregung der Kl auf Einholung eines Vorabentscheidungsersuchens zur Frage der Vereinbarkeit der §§ 24, 27 TAG mit den unionsrechtlichen Vorgaben war daher nicht aufzugreifen.
[29] Da sich die Revision der Bekl damit als berechtigt erweist, sind die Entscheidungen der Vorinstanzen iS einer Klagsabweisung abzuändern.
[...]
Die wichtigste Vorfrage für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Verlängerungsmechanismus von Bühnenarbeitsverträgen ist die Entscheidung, ob die durch Nichtverlängerungserklärung (im Folgenden: NVE) beendeten Verträge als befristet oder unbefristet zu qualifizieren sind. Diese Frage kann nach österreichischem Recht und nach Unionsrecht unterschiedlich beantwortet werden.
Die österreichische Rechtslage ist durch den ausdrücklichen gesetzlichen und durch die Rsp nicht auflösbaren Widerspruch zwischen § 24 Abs 3 und § 27 Abs 1 TAG geprägt. Während § 24 Abs 3 TAG im Wege einer gesetzlichen Vermutung befristete Bühnenarbeitsverhältnisse als Regelfall vorschreibt, regelt § 27 Abs 1 TAG Willenserklärungen, die diese Arbeitsverhältnisse beenden. Dieses besondere Befristungs- und Beendigungsrecht weicht von der allgemeinen Befristungslehre und dem allgemeinen Kündigungsschutz ab.
Gem § 27 Abs 1 TAG kann die NVE nur für Bühnenarbeitsverhältnisse ausgesprochen werden, die von vornherein befristet sind. § 24 Abs 3 TAG sieht eine gesetzliche Vermutung für befristete Bühnenarbeitsverhältnisse vor, die in der Praxis den Regelfall darstellen. Folgerichtig erscheint daher die Judikatur des OGH, die in der NVE keine Kündigung und auch keine einseitige Willenserklärung zur Beendigung eines unbefristeten Dienstverhältnisses sieht, sondern nur die Ablehnung des Abschlusses eines neuen Vertrages nach Ablauf der Befristung (OGH 25.8.2020, 8 ObA 68/20p; OGH 8 ObA 58/22w ZAS 2023/6, 300 [Schöffmann]). Der OGH stützt seine Ansicht auf systematische und historische Gründe. Das TAG regelt ein Sonderkündigungsrecht für Bühnenarbeitsverhältnisse, das einerseits in § 27 TAG für die Beendigung von befristeten Arbeitsverhältnissen die NVE vorschreibt, andererseits die Kündigung von unbefristeten Bühnenarbeitsverhältnissen gar nicht regelt, sondern nur den Abschluss von Kündigungsvereinbarungen zulässt, diese aber auch für befristete Bühnenarbeitsverhältnisse vorsieht. Ein dem § 105 ArbVG vergleichbares Kündigungsrecht enthält das TAG nicht (siehe dazu auch Potz, Ausgetanzt – Das System der Nichtverlängerung im Theaterarbeitsgesetz und die Kettenarbeitsvertragsproblematik, JAS 2024/1, 49, 59).
Weiters führt der OGH die Judikatur fort, die sich noch auf § 32 Schauspielergesetz (SchSpG) stützte. Diese Norm sah vor, dass, wenn der Bühnen-AN bis spätestens 15. Jänner beim Theaterunternehmen schriftlich die Fortsetzung des Dienstverhältnisses beantragt, das Dienstverhältnis als um ein weiteres Jahr verlängert gilt, sofern das Unternehmen nicht widerspricht. Mit der Regierungsvorlage zum TAG wurde diese Regelung in Anlehnung an die kollektivvertragliche Praxis dahingehend modifiziert, dass die Initiative zur Nichtverlängerung nunmehr beim Theaterunternehmen liegt. Die ErläutRV betont, dass sich die Rechtsnatur der „Nichtverlängerungsanzeige“ durch die neue Bestimmung nicht ändert. „Diese ist nach wie vor keine Kündigungserklärung, sondern eine bloße Bekräftigung der durch den Arbeitsvertrag bzw. durch das TAG vorgesehenen Beendigung durch Fristablauf“ (ErläutRV 936 BlgNR 24. GP 14, 3, 17). Die durch das TAG eingeführte Änderung des Wortlauts betrifft aber nicht nur die Person des Erklärenden, sondern auch die Rechtswirkung der Erklärung. Nach § 32 SchSpG bewirkte die Erklärung die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses um ein Jahr, ohne Erklärung endete das Arbeitsverhältnis. Der Wortlaut des § 27 Abs 1 TAG legt die umgekehrte Rechtslage fest, indem er einen gesetzlichen Verlängerungsautomatismus verankert, der nur durch aktives Handeln des Theaterunternehmens durch Erklärung der NVE unterbrochen wird. Dieselbe Rechtswirkung sehen auch die einschlägigen Kollektivverträge vor, etwa § 10 des Bundestheater-Ballett-KollV (KollV für 337 Ang Bundestheater/Ballett/Rahmen – 1.9.2005 [idF 1.9.2023]), § 9 des KollV für die Solistinnen und Solisten der Bundestheater-Holding (KollV für Ang Bundestheater-Holding/Solistinnen und Solisten/ Rahmen – 1.9.2019 [idF 1.9.2023]) und § 37 Abs 2 und 3 des KollV des Theatererhalterverbandes (KollV für Ang Theatererhalterverband/Bühnenmitglieder/ Rahmen – 1.9.2007 [idF 2.2.2011]). Alle diese kollektivvertraglichen Normen regeln, dass sich der Vertrag um ein weiteres Jahr verlängert, wenn der*die AN keine Erklärung der Nichtverlängerung vom Theaterunternehmen erhält.
Die NVE nach § 27 Abs 1 TAG stellt daher – wie Kietaibl (Kettenbefristungen von Bühnendienstverträgen im Lichte des Unionsrechts, in FS Pfeil [2022] 127 ff), Schöffmann (Nichtverlängerungserklärung nach TAG und Unionsrecht, ZAS 2023/6, 300, 304 f) und Potz ( JAS 2024/1, 49, 60 f) dies zutreffend ausführen – eine Willenserklärung und keine bloße Wissenserklärung dar, weil ohne diese das Bühnenarbeitsverhältnis fortbestehen würde. Sie kann nicht als bloße Ablehnung des Abschlusses eines weiteren befristeten Dienstvertrages über das Befristungsende des bisherigen hinaus gedeutet werden, weil sie eine konstitutive Erklärung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses darstellt. Aufgrund dieser rechtsgestaltenden Wirkung kann die NVE nicht auf eine Wissenserklärung reduziert werden. Das sieht zum Teil auch der OGH ein, als er in der NVE eine Willenserklärung ortet, ohne deren Abgabe „das Bühnen-AV ex lege gerade nicht nur bis zur nächsten Frist oder Spielzeitende iSd § 24 TAG, sondern so lange aufrecht (bleibt), bis ein Vertragsteil irgendwann erklärt, es tatsächlich beenden zu wollen“ (OGH8 ObA 58/22w ZAS 2023/6, 300 [Schöffmann], Rz 28). Dennoch hält der OGH daran fest, dass Bühnenarbeitsverhältnisse nach §§ 24, 27 TAG sowohl nach nationalem Recht als auch iSd Art 3 Abs 1 Befristungs-RL als befristet anzusehen sind. Naheliegender wäre der Schluss, dass es sich bei Bühnenarbeitsverhältnissen um unbefristete Arbeitsverhältnisse mit einem Kündigungstermin – Ende der Spielzeit – handelt (Schöffmann, ZAS 2023/6, 304 f), doch spricht das gesamte Beendigungssystem des TAG und insb § 24 Abs 3 TAG ausdrücklich dagegen.
Eine dogmatisch korrekte und konsistente Lösung des Widerspruchs zwischen § 24 Abs 3 TAG und § 27 Abs 1 TAG ist daher kaum möglich. Dass der OGH mit der derzeitigen Rechtslage nicht zufrieden ist, zeigt sich daran, dass seine Aussagen sowohl hinsichtlich der Qualifikation der Bühnenarbeitsverhältnisse als auch hinsichtlich der Anwendbarkeit der Befristungs-RL auf die Bühnenarbeitsverhältnisse und auch in Bezug auf die allfälligen Folgen der Anwendung der Richtlinie auf das TAG zurückhaltend sind.
Wenn die Bühnenarbeitsverhältnisse nach § 24 Abs 3 TAG als befristete Arbeitsverhältnisse anzusehen sind, die aber gem § 27 Abs 1 TAG nach dem Willen des AG beendet werden können, dann handelt es sich um auflösend bedingte Arbeitsverhältnisse, bei denen der Zeitpunkt, mit dem das Arbeitsverhältnis möglicherweise enden soll, sicher, der Eintritt der Bedingung – Abgabe der NVE – aber unsicher ist. Es handelt sich jedoch um eine Potestativbedingung, die ausschließlich vom Willen des AG abhängt. Potestativbedingungen sind grundsätzlich nur dann zulässig, wenn sie vom Willen des AN abhängen (stRsp seit OGH4 Ob 78/79
[Fenyves]), nicht aber umgekehrt. Bei der NVE wird die Unsicherheit des*der AN zwar durch die langen Fristen für die Abgabe dieser Erklärung verringert, dies ändert aber im Grunde nichts daran, dass die Sonderregelung des TAG die Bedingungsfeindlichkeit aller einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärungen überspannt und eine Erklärung gesetzlich verankert, die nach der allgemeinen Befristungslehre unzulässig wäre.Alternativ könnte die Qualifizierung der NVE als Willenserklärung dazu führen, dass Bühnenarbeitsverhältnisse als unbefristete Arbeitsverhältnisse mit Verlängerungsautomatismus angesehen werden. Daran ändert auch § 24 Abs 3 TAG nichts, der eine gesetzliche Vermutung für befristete Arbeitsverhältnisse vorsieht, schließlich gilt § 27 Abs 1 für Bühnenarbeitsverhältnisse „für bestimmte Zeit“. Für diese Lösung spricht, dass es sich bei der im TAG vorgesehenen Sonderbefristung nicht um eine Befristung im materiellen Sinn, sondern lediglich um einen gesetzlich vorgesehenen automatischen Verlängerungsmechanismus handelt.
Eine Gleichstellung der NVE mit einer Kündigung nach § 105 ArbVG – und die Anwendung der Kündigungsregeln auf diese Beendigungsart – wäre auch bei dieser Interpretation nicht geboten, da die NVE eine Beendigungserklärung sui generis darstellt (so bereits Potz, JAS 2024, 61), die sich in mehrfacher Hinsicht von einer Kündigung nach § 105 ArbVG unterscheidet. So ist die Beendigungsmöglichkeit auf bestimmte Zeitpunkte beschränkt, die Erklärung hat schriftlich zu erfolgen, für die Einbindung des BR bestehen besondere Regelungen (§ 133 Abs 4 ArbVG) und das TAG sieht keinen Motivschutz vor.
Die nationale Qualifikation von Bühnenarbeitsverhältnissen ist für die Frage, ob sie als befristet iSd § 3 Nr 1 Befristungs-RL anzusehen sind, nicht bindend (Kietaibl in FS Pfeil 128; Schöffmann, ZAS 2023/6, 305 mwN). Die Befristungs-RL definiert den befristeten Arbeitsvertrag unionsautonom, wobei das Ende des Arbeitsverhältnisses durch objektive Bedingungen bestimmt sein muss. Bühnenarbeitsverhältnisse, die nach § 24 Abs 1 TAG zustande kommen und nach § 27 Abs 1 TAG enden, könnten diese Definition erfüllen, auch wenn die Frage, ob das Arbeitsverhältnis tatsächlich endet, vom subjektiven Willen des Theaterunternehmens abhängt und nicht durch objektive Bedingungen bestimmt wird. Der Zeitpunkt, zu dem das Bühnenarbeitsverhältnis enden könnte, ist jedoch objektiv festgelegt.
Darüber hinaus legt der EuGH den Begriff des befristeten Arbeitsverhältnisses für die Zwecke des § 5 der Befristungs-RL weit aus. Wiederholte Verlängerungen der Befristung, auch wenn 338 sie automatisch kraft Gesetzes und nicht durch erneute Vereinbarung erfolgten, hat der EuGH in den Urteilen Instituto Madrileño de Investigación (EuGH 3.6.2021, C-726/19, ECLI:EU:C:2021:439, Rn 25 ff) und M.V. ua (EuGH 11.2.2021, C 760/18, ECLI:EU:C:2021:113, Rn 35) als befristete Arbeitsverhältnisse qualifiziert (OGH 21.11.2022, 8 ObA 58/22w, Rz 25 f). In weiterer Folge lässt der OGH die Anwendbarkeit der Befristungs-RL auf durch NVE beendete Bühnenarbeitsverhältnisse offen. Dabei wurde übersehen, dass der EuGH bei der Frage, ob es sich hier um befristete Arbeitsverhältnisse iSd § 3 Nr 1 Befristungs-RL handelt, nicht nur die Gesetzeslage berücksichtigen, sondern sich jedenfalls an der Judikatur des OGH orientieren würde, da diese für die Praxis maßgeblich ist. Der EuGH würde daher die einschlägigen Bestimmungen des TAG auf ihre Unionsrechtskonformität überprüfen.
Da der OGH davon ausgeht, dass Bühnendienstverträge in der Regel befristet sind, würde der EuGH mE die Unionsrechtskonformität der §§ 24 Abs 3 und 27 Abs 1 TAG prüfen, wobei Art 5 und Art 4 der Befristungs-RL getrennt zu beurteilen sind.
Der OGH betont, dass § 5 Nr 1 Befristungs-RL inhaltlich nicht als unbedingt und hinreichend genau anzusehen ist, damit sich ein Einzelner vor einem nationalen Gericht darauf berufen kann. Die Gerichte seien daher nicht verpflichtet, eine dieser Norm widersprechende Regelung unangewendet zu lassen. Diese Aussage folgt der EuGH-Rsp (EuGH 23.4.2009, verb Rs C-378/07 bis C-380/07, Angelidaki ua, Rn 196). Überzeugend erscheint aber das Argument von Kozak, wonach die wichtigsten Theaterunternehmen nicht nur deshalb als öffentliche AG anzusehen sind, weil sie überwiegend vom Staat finanziert werden, sondern auch, weil der Staat einen erheblichen Einfluss auf ihre Organisation und Leitung hat (Kozak, Ist das Kettenbefristungssystem des Theaterarbeitsgesetzes [unions-]rechtskonform? DRdA 2023/40, 330, 335 f).
Weiters betont der OGH, dass es nicht möglich sei, den Mindestschutz, der jedenfalls nach § 5 Z 1 zu gewähren wäre, hinreichend zu bestimmen (EuGH Rs Angelidaki ua, Rn 196). Dies vermag im vorliegenden Fall nicht zu überzeugen. Zwar ist das Missbrauchsverbot in § 5 Nr 1 der Befristungs-RL nicht hinreichend bestimmt, weil es den Mitgliedstaaten drei Regelungsoptionen zur Umsetzung und Konkretisierung dieses Verbots einräumt. Auch sind die einzelnen Möglichkeiten zu unbestimmt formuliert, weil weder die möglichen Sachgründe noch die zulässige Höchstdauer der Befristung oder die Höchstzahl der zulässigen Verlängerungen festgelegt sind (vgl im Detail Krebber in Franzen/Gallner/Oetker [Hrsg], Komm EU AR5 [2024] RL 1999/70/EG § 5 Rz 2). Für die Beurteilung der vorliegenden Rechtslage sind diese Unsicherheiten mE jedoch unerheblich, da die unbeschränkte Zulässigkeit mehrfacher Befristungen einen klaren Verstoß gegen § 5 der Befristungs-RL darstellt.
Auch wenn die Konturen des § 5 zu vage sind, um den Mindestschutz genau zu bestimmen, so ist doch klar, dass eine Rechtslage, die Kettenarbeitsverträge überhaupt nicht einschränkt, gegen das Missbrauchsverbot verstößt, wenn es dafür keine Rechtfertigungsgründe gibt. Wie Krebber zu Recht betont, verlangt § 5 Nr 1 der Befristungs-RL, dass der Aneinanderreihung von Befristungen eine klare Grenze gesetzt wird (Krebber in Franzen/Gallner/Oetker [Hrsg], Komm EU AR5 § 5 Rz 58).
Die nächste Frage ist, ob das TAG einen gleichwertigen Schutz zur Vermeidung von Missbrauch bietet (bejahend Kietaibl in FS Pfeil 13 ff und Potz, JAS 2024, 64 f). Der OGH argumentiert, dass der Befristungsschutz einen dem allgemeinen Kündigungsschutz gleichwertigen Schutz bietet (OGH8 ObA 58/22w ZAS 2023/6, 300 [Schöffmann], 28). Er betont, dass „die Nichtverlängerungserklärung bereits besonders lange vor der Beendigung abgegeben werden muss“ und dies ein – nach Ansicht des OGH – ausreichendes „Gegengewicht“ dafür ist, dass § 105 ArbVG auf die Nichtverlängerung von Bühnendienstverhältnissen nicht anzuwenden ist. „Angesichts der in Österreich im Regelfall ohne besonderen Grund jederzeit möglichen Kündigung von Dienstverhältnissen ist eine konkrete Gefahr eines „Missbrauchs“ durch die Einhaltung des TAG nicht evident“ (OGH 21.11.2022, 8 ObA 58/22w, Rz 29). An anderer Stelle will sich der OGH zunächst nicht festlegen, ob die Bühnen-AN aufgrund des starken Zeitschutzes einen den NVE gleichwertigen Schutz vor Missbrauch iSd § 5 der RL genießen. Er betont aber, dass „der sichere Vorteil aus den sehr langen „Kündigungsfristen“ und der Quasi Unkündbarkeit während der Spielzeit (mit Beschäftigungsanspruch) branchenspezifisch der fehlenden Befristung gleich“wertig“ ist“ (OGH 21.11.2022, 8 ObA 58/22w, Rz 39).
Tatsächlich ist der Zeitraum zwischen Abgabe der Erklärung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses sehr lang. Gem § 27 Abs 1 TAG und § 10 Abs 1 und 2 des Bundestheater-Ballett-KollV muss der*die Theaterunternehmer*in dem Mitglied die Erklärung bis zum 31.1. des Jahres übermitteln, damit das Bühnendienstverhältnis in diesem Jahr endet. Im gegenständlichen Fall wurde die NVE am 16.9.2019 zugestellt und das Bühnendienstverhältnis endete mit 31.8.2020. Zwischen der Erklärung und dem Ende des Dienstverhältnisses lag also fast ein ganzes Jahr. Selbst wenn die Erklärung am 31.1. abgegeben wird, vergehen in der Regel sieben Monate bis zum Ende des Spieljahres und damit bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses. Dieser Zeitraum überschreitet sogar die Kündigungsfrist eines AN mit 26 Dienstjahren. Außerdem ist eine Kündigung des Bühnenarbeitsverhältnisses während der Spielzeit unzulässig. Der Zeitschutz des TAG ist daher wesentlich stärker als der Zeitschutz durch die gesetzlichen Kündigungsfristen gem § 20 AngG und § 1159 ABGB (vgl Potz, JAS 2024, 64 f). Das Argument des Zeitschutzes könnte mE aber nur dann greifen, wenn man in den Bühnenarbeitsverhältnissen unbefristete Arbeitsverhältnisse sieht. Qualifiziert man sie aber als befristete Arbeitsverhältnisse, wovon der OGH ausgeht, dann gibt e
gar keinen Zeitschutz, weil die NVE dem*der AN nur das ohnehin feststehende Ende des Arbeitsverhältnisses mitteilt. Wenn diese Verträge als befristete Arbeitsverhältnisse qualifiziert werden, gibt es gar keinen „Zeitschutz“ und damit auch keinen gleichwertigen Schutz vor Kettenbefristungen.
Für die Beurteilung der Gleichwertigkeit des Schutzes ist kurz auf den Schutzzweck des § 5 der Befristungs-RL einzugehen. Diese Norm soll verhindern, dass befristete Arbeitsverträge missbräuchlich zur Deckung eines ständigen und dauerhaften Arbeitskräftebedarfs eingesetzt werden. Wenn Bühnen-AN über mehrere Jahre beim selben Theaterunternehmen beschäftigt sind und ähnliche Tätigkeiten ausüben, dient ihre Beschäftigung nicht der Deckung eines vorübergehenden, sondern eines ständigen Bedarfs (EuGH 25.10.2018, C-331/17, Sciotto, Rn 46 ff). Gleichwertige gesetzliche Maßnahmen zur Verhinderung von Missbrauch iSd § 5 Abs 1 Befristungs-RL liegen mE nur dann vor, wenn Kettenbefristungen Grenzen gesetzt würden. Die §§ 24-27 AÜG sehen keinen gleichwertigen Schutz vor, weil dafür erforderlich wäre, dass die Regelung Verlängerungen ausschließt oder zumindest erheblich einschränkt (so auch Krebber in Franzen/Gallner/Oetker [Hrsg], Komm EU AR5 RL 1999/70/EG § 5 Rz 10; siehe auch EuGH 10.3.2011, C-109/09, Deutsche Lufthansa, Rn 44 ff).
Problematisch sind die Sonderregelungen des TAG auch im Lichte des Diskriminierungsverbots in § 4 der Befristungs-RL. Diese sekundärrechtliche Norm hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, da sie vom EuGH häufiger zitiert wird und im Gegensatz zu § 5 der Befristungs-RL auch von Einzelnen unmittelbar geltend gemacht werden kann (siehe zuletzt EuGH 20.2.2024, C-715/20., K.L und dazu Kovács, Das Ende der grundlosen Kündigung? ASoK 2024, 130 ff). Im Zusammenhang mit § 4 der Befristungs-RL stellt sich vor allem die Frage, ob Bühnen-AN durch die Sonderregelungen der §§ 24 und 27 TAG gegenüber unbefristet Beschäftigten diskriminiert werden. Wird diese Frage bejaht, könnte § 4 Befristungs-RL die Anwendung des Art 21 EU-Grundrechtecharta auf die Regelungen des TAG auslösen.
In der vorliegenden E geht der OGH davon aus, dass eine diskriminierende NVE nicht nach dem GlBG angefochten werden kann, weil es sich dabei nicht um eine in § 12 Abs 7 GlBG aufgezählte Beendigungserklärung handelt. „Ginge man davon aus, dass die Beklagte die NVE gegenüber der Klägerin (wie von ihr behauptet) aus diskriminierenden Gründen (wegen dem Geschlecht) abgegeben hätte, läge im Übrigen mangels Abgabe einer Beendigungserklärung (Kündigung, Entlassung oder Auflösung des Probearbeitsverhältnisses) durch die Beklagte keine Beendigungsdiskriminierung iSd § 12 Abs 7 Satz 1 GlBG vor
“ (OGH 31.5.2023, 9 ObA 16/23b, Rz 24). Dem kann ich nicht zustimmen.
Aus unionsrechtlicher Sicht ist Art 14 Abs 1 lit c) der Geschlechtergleichbehandlungs-RL 2006/54/EG maßgeblich, der Diskriminierungen in Bezug auf „Entlassungsbedingungen“ verbietet, wobei unter diesem Begriff alle Beendigungen des Arbeitsverhältnisses seitens des*der AG zu verstehen sind. Eine NVE ist eine einseitige Beendigungserklärung seitens des*der AG, die unter diesen Begriff zu subsumieren ist. Eine unionsrechtskonforme Auslegung des GlBG verlangt, dass das Diskriminierungsverbot auch auf die NVE zur Anwendung kommt (vgl Hopf/Mayr/Eichinger/Erler, GlBG2 [2021] § 12 [Stand 1.1.2021, rdb.at], Rz 76). Eine Ausnahme vom Diskriminierungsverbot des Art 14 der RL 2006/54/EG für Bühnenarbeitsverhältnisse ist nicht zulässig, weil diese Vorschrift für alle AN iSd autonomen unionsrechtlichen AN gilt und Bühnen-AN davon erfasst sind.
Diese Schutzlücke könnte durchaus einen Verstoß gegen Art 21 GRC darstellen. § 12 Abs 7 setzt die Geschlechtergleichbehandlungs-RL 2006/54/EG in nationales Recht um (so wie § 26 Abs 7 GlBG und § 7f BEinstG die Rahmen-RL 2000/78/EG umsetzen). Da Art 14 RL 2006/54/EG das Diskriminierungsverbot des Art 21 GRC konkretisiert, ist der Anwendungsbereich dieses Grundrechts eröffnet. Daraus folgt, dass sich auch AN, die einen Bühnenarbeitsvertrag mit einem privaten AG haben, unmittelbar auf Art 21 GRC berufen können.
Auch nach nationalem Recht kann die NVE durchaus unter § 12 Abs 7 GlBG fallen. Nach Potz liegt hier eine planwidrige Lücke vor (Potz, JAS 2024, 62). Aber bereits eine teleologische Interpretation des § 12 Abs 7 GlBG (wie auch des § 26 Abs 7 GlBG und § 7f BEinstG) führt mE zu dem Ergebnis, 340 dass der Gesetzgeber alle einseitigen Beendigungserklärungen (Willenserklärungen) des AG aufzählen wollte. Parallelen können im Übrigen auch zur Aufnahme der diskriminierenden Nichtverlängerung eines befristeten Arbeitsverhältnisses durch die Novelle BGBl I 2008/98 (ErläutRV 415 BlgNR 23. GP 1, 3, 6) gezogen werden, da dieses Instrument der NVE nach § 27 Abs 1 TAG sehr nahe kommt, auch wenn Bühnenarbeitsverhältnisse nicht von vornherein auf die Umwandlung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis angelegt sind.
Nach der Judikatur des EuGH verstößt es nicht gegen § 4 Z 1 der Befristungs-RL, wenn der allgemeine Kündigungsschutz auf die Beendigung befristeter Arbeitsverhältnisse nicht anwendbar ist. Dem OGH ist daher zuzustimmen, dass die Nichtanwendung des § 105 ArbVG auf befristete Arbeitsverhältnisse an sich keine Diskriminierung darstellt. Eine Diskriminierung könnte jedoch dann vorliegen, wenn die einseitige Beendigung eines befristeten Bühnenarbeitsverhältnisses durch den AG insgesamt wesentlich leichter möglich wäre als die Beendigung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses. Die Frage ist, ob die Modalitäten und Folgen einer NVE für die Bühnen-AN ungünstiger sind als die Folgen einer Kündigung eines unbefris teten Arbeitsverhältnisses für die betroffenen AN. Die leichtere einseitige Beendigung durch NVE wäre problematisch, weil damit die Bestandsfestigkeit befristeter Arbeitsverhältnisse, die den Vorteil dieser Beschäftigungsform für die AN ausmacht, verloren ginge.
Wie bereits ausgeführt, ist der zeitliche Schutz des TAG wesentlich stärker als der zeitliche Schutz durch die gesetzlichen Kündigungsfristen gem § 20 AngG und § 1159 ABGB. Darüber hinaus normiert § 133 Abs 4 ArbVG die zwingende Einbindung des BR, die allerdings nicht ganz den Schutz des betriebsverfassungsrechtlichen Vorverfahrens gem § 105 Abs 1 ArbVG bietet. Während die Nichteinhaltung des Vorverfahrens mit Unwirksamkeit sanktioniert wird, kann der BR eine NVE nicht anfechten.
Der OGH argumentierte in seiner früheren E, dass der Ausschluss von Bühnendienst-AN von der Anfechtungsmöglichkeit nach § 105 ArbVG nicht „evident“ missbräuchlich sei. Begründet wurde dies damit, dass die Anfechtung nach § 105 ArbVG „auch gekündigten unbefristet beschäftigten AN nicht in jedem Fall offensteht oder Erfolg verspricht (ua in Kleinbetrieben, in den ersten sechs Monaten, bei guter Vermittelbarkeit oder Vorliegen wichtiger betrieblicher Gründe)
“ (OGH8 ObA 58/22w ZAS 2023/6, 300 [Schöffmann], 29). Die Erfolgsaussichten sollten mE nicht in die Beurteilung einfließen, da diese auch bei Bühnen-AN je nach den Umständen unterschiedlich sein können. Die Ausnahmen vom persönlichen Geltungsbereich des § 105 ArbVG sind sachlich gerechtfertigt (vgl zur Ausnahme für Kleinstbetriebe Kovács, Ein europäisches Grundrecht auf Kündigungsschutz – Art 30 GRC [2022] 372 ff; zur Wartezeit 385 ff). Derartige besondere Umstände, die eine gänzliche Ausnahme rechtfertigen würden, liegen bei Bühnenarbeitsverhältnissen mE nicht vor.
Ob eine überlange Quasikündigungsfrist und die Mitwirkung des BR das Schutzniveau des allgemeinen Kündigungsschutzes nach § 105 ArbVG erreichen, ist fraglich, da zwei wichtige Schutzmechanismen, nämlich der Schutz vor Motivkündigungen und der Schutz vor sozialwidrigen Kündigungen, fehlen (zur Kategorisierung von Kündigungsschutzmechanismen siehe Schrank, Der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses als Schutzobjekt der Rechtsordnung [1982] 15 ff und Kovács, Ein europäisches Grundrecht auf Kündigungsschutz – Art 30 GRC, 326). Eine Anfechtung wegen eines verpönten Motivs ist aber nach § 879 ABGB möglich, auch wenn die AN im Vergleich zu einer Anfechtungsklage nach § 105 ArbVG prozessuale Einbußen hinnehmen müssen. Bei einer Gesamtbetrachtung komme ich zu dem Ergebnis, dass Bühnenarbeitsverhältnisse insgesamt überdurchschnittlich bestandsfest sind, weil sie in der Regel während der Spielzeit unkündbar sind, eine Nichtverlängerung des Arbeitsverhältnisses viele Monate im Voraus bekannt gegeben werden muss und auch die Kündigungsgründe eine sehr hohe Hürde für eine vorzeitige Beendigung darstellen (so Potz, JAS 2024, 59 f). Ein Verstoß gegen § 4 Befristungs-RL wegen Nichtanwendung des allgemeinen Kündigungsschutzes auf Bühnenarbeitsverhältnisse kann daher nicht festgestellt werden. 341