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Insolvenz-Entgelt bei Insolvenz eines ausländischen Rechtsträgers im Inland

MargitMader

Der Kl war bei der B* Limited „Zweigniederlassung Österreich“ als Zeitungslieferant beschäftigt. Die B* Limited ist ein in Irland ansässiges Unternehmen mit einer im österreichischen Firmenbuch eingetragenen Zweigniederlassung. Die Sozialversicherungsbeiträge wurden in Österreich entrichtet. Der Kl erhielt bis August 2021 das vereinbarte Entgelt; danach erfolgten keine Zahlungen mehr. Am 10.12.2021 wurde vom LG Innsbruck über das Vermögen der B* Limited „Zweigniederlassung Österreich“ ein Konkursverfahren eröffnet. Der Kl erklärte daraufhin seinen vorzeitigen Austritt aus dem Dienstverhältnis und stellte einen Antrag auf Insolvenz-Entgelt bei der IEF-Service GmbH, der mit Bescheid vom 6.4.2022 abgelehnt wurde, weil die B* Limited in Irland ansässig sei. Das Erstgericht gab der auf Gewährung von Insolvenz-Entgelt gerichteten Klage statt. Da eine Zweigniederlassung in Österreich bestanden habe und im Inland Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden seien, bestehe Anspruch auf Insolvenz-Entgelt. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der dagegen gerichteten außerordentlichen Revision der Bekl wurde vom OGH nicht Folge gegeben.

Gem § 1 Abs 1 IESG haben AN Anspruch auf Insolvenz-Entgelt, wenn ihr Beschäftigungsort nach § 3 Abs 1 oder Abs 2 lit a bis d ASVG im Inland gelegen ist und über das Vermögen des AG im Inland ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. Im Ergebnis hängt der Anwendungsbereich des IESG somit davon ab, ob das Beschäftigungsverhältnis der Sozialversicherungspflicht im Inland unterliegt. Nach dem geltenden Versicherungsprinzip haben grundsätzlich jene AN Anspruch auf Leistung, für die Beiträge geleistet wurden. Das Abstellen auf den Beschäftigungsort entspricht der InsolvenzRL 2008/94/EG und der E des EuGH vom 16.12.1999 zu C-198/98, Everson, wonach bei grenzüberschreitenden Sachverhalten die Garantieeinrichtung jenes Mitgliedstaats zuständig ist, in dessen Hoheitsgebiet der AN seine Arbeit gewöhnlich verrichtet hat und der die Beiträge vom AG einheben durfte. Da der Kl in Österreich tätig war und der österreichischen Sozialversicherungspflicht unterlag, fällt sein Beschäftigungsverhältnis in den Schutzbereich des IESG.

Die Bekl bestreitet im Anlassfall jedoch das Bestehen eines Anspruchs auf Insolvenz-Entgelt, weil der Zweigniederlassung in Österreich keine selbständige Rechtspersönlichkeit zukomme und die B* Limited nicht zahlungsunfähig sei.

Richtig ist, dass einer bloßen Zweigniederlassung grundsätzlich keine Rechtspersönlichkeit zukommt. Dementsprechend ist nicht die Zweigniederlassung in Österreich, sondern die in Irland ansässige B* Limited als AG des Kl anzusehen. Auch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens setzt Rechtsfähigkeit voraus, sodass sich das Insolvenzverfahren im Fall der inländischen Zweigniederlassung eines ausländischen Rechtsträgers nicht gegen die Zweigniederlassung, sondern unmittelbar gegen den ausländischen Rechtsträger richten muss. Der Umstand, dass das Insolvenzgericht im Konkurseröffnungsbeschluss über das Vermögen der B* Limited die österreichische Zweigniederlassung angeführt hat, bedeutet nicht, dass sich das Insolvenzverfahren nur gegen die Zweigniederlassung richtet, zumal ein Rechtsträger auch unter der Firma seiner Zweigniederlassung belangt werden kann. 91

Nach Art 3 Abs 1 EUInsVO sind österreichische Gerichte für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens zuständig, wenn der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen im Inland hat. Ist dies nicht der Fall, hat der Schuldner aber eine Niederlassung im Inland, sind österreichische Gerichte nach Art 3 Abs 2 EUInsVO nur zur Eröffnung eines so genannten Partikularinsolvenzverfahrens befugt, dessen Wirkungen sich ausschließlich auf das im Inland befindliche Vermögen des Schuldners beschränken. Da es sich in beiden Fällen um Verfahren nach der Insolvenzordnung handelt, die im Inland eröffnet werden, könnte auch die Eröffnung eines Partikularverfahrens nach § 1 IESG einen Anspruch auf Insolvenz-Entgelt für die im Inland tätigen AN begründen. Im vorliegenden Fall hat das Insolvenzgericht aber ohnehin rechtskräftig ein Hauptverfahren eröffnet, welches sich sowohl auf das inländische als auch auf das ausländische Vermögen der B* Limited erstreckt.

Der Anspruch auf Insolvenz-Entgelt knüpft an die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens an. Es kommt nicht darauf an, ob eine Gesellschaft tatsächlich zahlungsunfähig oder überschuldet ist. Da im Anlassfall über das Vermögen des AG ein Insolvenzverfahren im Inland eröffnet wurde, hat der Kl nach § 1 IESG Anspruch auf Insolvenz-Entgelt. Der Revision der Bekl war daher nicht Folge zu geben.