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Eventualentlassung: Verfallsfrist für Kündigungsentschädigung beginnt erst mit Rechtskraft des Urteils über Kündigungsanfechtung zu laufen

LynnRothfischer

Die AG sprach während eines Kündigungsanfechtungsverfahrens am 7.6.2021 eine Eventualentlassung aus. Am 4.8.2022 wurde den Parteien das stattgebende Urteil über die Kündigungsanfechtung zugestellt. Daraufhin begehrte der AN in seiner am 16.8.2022 eingebrachten Klage, die Entlassung vom 7.6.2021 für rechtsunwirksam zu erklären, in eventu die Zahlung einer Kündigungsentschädigung. Die AG wendete Verspätung ein.

Die Vorinstanzen sahen die Entlassungsanfechtung mangels Einhaltung der prozessualen zweiwöchigen Frist, gerechnet ab dem Entlassungszeitpunkt, sowie (vom Berufungsgericht nur teilweise) den Anspruch auf Kündigungsentschädigung aufgrund des Ablaufs der Frist des § 34 AngG als verspätet an.

Der OGH gab der außerordentlichen Revision des Kl im Umfang der Abweisung des Eventualbegehrens, die Kündigungsentschädigung zu zahlen, Folge:

Nach § 34 Abs 1 AngG müssen Ersatzansprüche wegen vorzeitiger Entlassung iSd § 29 AngG bei sonstigem Ausschluss binnen sechs Monaten gerichtlich geltend gemacht werden. Diese Bestimmung normiert eine Fallfrist, auf deren Einhaltung (nur) der AG verzichten kann, insb dadurch, dass er sich nicht auf die Versäumung dieser Frist beruft. Daraus folgt, dass diese Frist nicht von Amts wegen, sondern – wie die Verjährung (§ 1501 ABGB) – nur bei einem entsprechenden Vorbringen des bekl AG vom Gericht zu beachten ist. Nach allgemeinen Grundsätzen trifft diesen somit die Behauptungs- und Beweislast für die den Verfall begründenden Umstände, insb den Beginn der Verfallsfrist.

Der Verfall der vom Kl geltend gemachten Ansprüche ist daher ausschließlich im Rahmen der von der Bekl im Verfahren erster Instanz erhobenen Einwendung zu prüfen, wonach die vom Kl geltend gemachten Ansprüche auf Kündigungsentschädigung mit der Entlassung am 7.6.2021 fällig gewor84den seien und die Klage mehr als sechs Monate danach eingebracht worden sei.

Aus diesem Vorbringen ist der eingewendete Verfall im vorliegenden Fall aber – entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen – nicht abzuleiten. Obwohl § 34 Abs 2 AngG für den Beginn der Verfallsfrist nach seinem Wortlaut (generell) auf den Tag der Beendigung des Dienstverhältnisses abstellt, ist es stRsp, dass bei Ansprüchen, die erst nach der Auflösung des Dienstverhältnisses fällig werden, der Lauf der Ausschlussfrist des § 34 AngG erst mit dem Tag der Fälligkeit beginnt. Das ist (nur) bei Ansprüchen nach § 29 AngG, die sofort gefordert werden können, der Ablauf des Tages der Beendigung des Dienstverhältnisses. Bei Ansprüchen, die erst nach der Auflösung des Dienstverhältnisses fällig werden, beginnt der Lauf der Ausschlussfrist des § 34 AngG hingegen erst, sobald der Anspruch erhoben werden konnte.

Im vorliegenden Fall ist aber zu beachten, dass im Zeitpunkt des Ausspruchs der (Eventual-)Entlassung über die anhängige Kündigungsanfechtungsklage noch nicht entschieden war.

Da mangels Vorliegens eines (rechtskräftigen) Rechtsgestaltungsurteils im Zeitpunkt des Ausspruchs der Entlassung kein Dienstverhältnis bestand, das vorzeitig beendet werden hätte können, kann auch der vom Kl aus der behaupteten ungerechtfertigten (Eventual-)Entlassung resultierende Anspruch auf Kündigungsentschädigung vor dieser Rechtsgestaltung nicht entstanden sein, mag die nachfolgende Rechtsgestaltung auch rückwirkend erfolgt sein. Hier entstand der Anspruch auf Kündigungsentschädigung (wenngleich rückwirkend) erst mit der Rechtskraft des Urteils, das die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung aussprach. Erst ab diesem Zeitpunkt war dem Kl die Geltendmachung eines Entgeltanspruchs für einen nach dem Ende der Kündigungsfrist liegenden Zeitraum oder eines Anspruchs auf Kündigungsentschädigung (soweit sie aus einer nach dem Ende der Kündigungsfrist ausgesprochenen Eventualentlassung resultiert) objektiv möglich.

Im Anlassfall wurde das die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung aussprechende (erstinstanzliche) Urteil den Parteien am 4.8.2022 zugestellt. Der Anspruch auf Kündigungsentschädigung kann mangels Möglichkeit früherer Geltendmachung somit zum Zeitpunkt der Einbringung der gegenständlichen Klage am 16.8.2022 noch nicht verfallen sein. Der Verfallseinwand der Bekl geht damit fehl.

Da Feststellungen zu den weiteren strittigen Umständen (der Berechtigung der Entlassung und der Dauer der [fiktiven] Kündigungsfrist) fehlen, ist das Verfahren ergänzungsbedürftig. Der Revision des Kl war daher iSd hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags Folge zu geben, die Entscheidungen der Vorinstanzen im revisionsgegenständlichen Umfang aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.