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Rückwirkende Neuzuordnung bei Fehlzuordnung freier Dienstnehmer:innen nach § 4 Abs 4 ASVG

PETERC.SCHÖFFMANN (WIEN)
  1. Die Heranziehung von §§ 10 Abs 1a und 410 Abs 1 Z 8 ASVG setzt voraus, dass zuvor im besonderen Feststellungsverfahren nach § 194a GSVG die Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG bejaht wurde.

  2. Nach § 10 Abs 1a ASVG beginnt die Pflichtversicherung nach § 4 Abs 4 ASVG im Fall der Erlassung eines Bescheides gem § 410 Abs 1 Z 8 ASVG (erst) mit dem Tag der Erlassung dieses Bescheides.

1 Aus den dem VwGH vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich, dass bei der erstmitbeteiligten Partei, einem Sportverein, im Jahr 2014 eine gemeinsame Prüfung aller lohnabhängigen Abgaben (GPLA) durchgeführt wurde, die zur Folge hatte, dass der Zweitmitbeteiligte für den Zeitraum 1.1.2010 bis 31.12.2012 im Nachhinein zur Pflichtversicherung in der KV, PV und UV nach § 4 Abs 1 Z 1 ASVG angemeldet wurde.

2 Am 14.10.2015 brachte der Zweitmitbeteiligte bei der Wiener Gebietskrankenkasse (GKK, nunmehr: Österreichische Gesundheitskasse – ÖGK) niederschriftlich das Ersuchen ein, auch den Zeitraum 1.1.2013 bis 31.10.2015 zu überprüfen und die entsprechenden Meldungen durchzuführen. Er sei auf Grund der GPLA nur bis zum 31.12.2012 nachgemeldet worden, habe danach aber die gleiche Tätigkeit durchgeführt.

3 Die Wiener GKK stellte daraufhin mit Bescheid vom 12.10.2017 fest, dass der Zweitmitbeteiligte auf Grund seiner Beschäftigung bei der erstmitbeteiligten Partei – einem Sportverein – im Zeitraum 1.1.2010 bis 31.10.2015 der Pflichtversicherung in der KV, UV und PV gem § 4 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 ASVG und der AlV gem § 1 Abs 1 lit a AlVG unterlegen sei.

4 Sowohl die erst- als auch die zweitmitbeteiligte Partei erhoben gegen diesen Bescheid Beschwerde an das BVwG. Der Zweitmitbeteiligte brachte vor, nunmehr auch davon auszugehen, dass kein Dienstverhältnis iSd § 4 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 ASVG vorgelegen sei.

5 Das BVwG führte eine mündliche Verhandlung durch und gab den Beschwerden mit dem angefochtenen Erkenntnis statt. Es sprach aus, dass der Zweitmitbeteiligte im Zeitraum 1.1.2010 bis 31.10.2015 nicht der Pflichtversicherung nach dem ASVG und dem AlVG unterlegen sei. [...]

7 Der Zweitmitbeteiligte sei im verfahrensgegenständlichen Zeitraum als Trainer der xxx-Mannschaft im xxx und als Sportkoordinator in der Sparte xxx für die erstmitbeteiligte Partei tätig gewesen. Es habe sich dabei nicht um eigenständige bzw getrennte Tätigkeiten, sondern um eine Kombination der Funktionen gehandelt.

8 Die „Dienstvereinbarung“ vom 2.1.2009 wurde vom BVwG wie folgt wiedergegeben:

„[...] als freier Dienstnehmer andererseits abgeschlossen wurde wie folgt:I.[BF 2] tritt ab 1. Jänner 2009 in die Dienste des [BF 1] und übernimmt den Bereich des Sportkoordinators und Trainers der Sparte xxx.169II.Der Dienstnehmer ist verpflichtet, seinen Obliegenheiten nachzukommen und die Interessen seines Dienstgebers in jeder Hinsicht zu wahren. Er ist weiters verpflichtet, den diesbezüglichen Anordnungen des Präsidenten und Gen. Sekretärs in dienstlichen Belangen Folge zu leisten. Er ist lt. beiliegendem Arbeitsprofil für die Sparte xxx in Absprache mit dem [BF 1] zuständig.III.[BF 1] sichert dem freien Dienstnehmer für das Jahr 2009 eine Aufwandsentschädigung in der Höhe von € 25.000,00 zu. Die Überweisung erfolgt auf ein vom Dienstnehmer bekannt zu gebendes Konto eines inländischen Geldinstitutes. Mit diesem Entgelt sind auch sämtliche, an Werk-, Sonn- und Feiertagen geleistete Überstunden abgegolten.Die Mittel werden aus der Besonderen Bundes- Sportförderung des [BF 1] bezahlt; der Dienstnehmer ist aufgrund seiner freien Tätigkeit verpflichtet, eine Honorarnote bzw. Honorarbestätigungen dem [BF 1] über die angeführten Beiträge zu übermitteln.IV.Der Dienstnehmer verpflichtet sich, über Verlangen des [BF 1] für etwaige Sponsoren unentgeltlich Werbung (insbesondere Verwendung zur Verfügung gestellter Kleidung und Ausrüstung, Autogrammstunden, Mitwirkung bei Showvorführungen) zu betreiben.V.Der Dienstnehmer ist bei seinen Dienstzeiten an keine Vorgaben des [BF 1] gebunden. Der Dienstnehmer ist zur Geheimhaltung und Verschwiegenheit aller ihm ausschließlich aus seinen dienstlichen Tätigkeiten bekannt gewordener Tatsachen verpflichtet. Die Verschwiegenheit besteht während des Dienstverhältnisses und auch nach Beendigung des Dienstverhältnisses. Der Dienstnehmer darf während seines Dienstverhältnisses eine andere Erwerbstätigkeit nur mit dem Einverständnis des Präsidenten ausüben.VI.Als Gerichtsstand wird das für [BF 1] zuständige Arbeitsgericht in Wien vereinbart.“9 Weiters wurde das „Dokument betreffend die Arbeitsprofile“ wie folgt wiedergegeben:„Arbeitsprofil – Sportkoordinator1. Entwicklung der SpoKo. xxxAufgabenteilung, mehr Mitarbeiter2. Entwicklung der VereineInteressierte als Mitarbeiter zu findendiese zu motivieren und für ihre freiwillige Tätigkeit belohnen3. Verbesserung der InfrastrukturOptimierung vorhandener xxxForderung nach mehr xxx4. Akquisition finanzieller Ressourcenund damit eine finanzielle Entlastung der Vereine durch Sponsorship zusätzliche finanzielle Mittel zu finden5. Kooperation Verein – Schule – xxxAusbildung von LehrwartenFür die Arbeit mit Schülern in den Vereinen (xxx)Weiterführend Organisation von Trainerausbildungen6. In Zusammenarbeit mit dem Fachwart:Organisation der Österreichischen MeisterschaftenArbeitsprofil xxx-Trainer1. Betreuung der xxx-Mannschaft im xxx2. Kontrolle der Trainingsaufgaben der xxx-Mannschaft3. Durchführung von Teamlehrgängen4. Betreuung bei Wettkämpfen“

10 Die Tätigkeit für die erstmitbeteiligte Partei habe, so das BVwG weiter, auch das Training der Heeressportler von November bis März umfasst.

11 Die Abrechnung zwischen der erst- und zweitmitbeteiligten Partei sei halbjährlich oder monatlich im Nachhinein erfolgt. Diesbezüglich seien seitens des Zweitmitbeteiligten Honorarnoten an die erstmitbeteiligte Partei gelegt worden. Eine vorgegebene Stundenzahl habe der Zweitmitbeteiligte nicht erfüllen müssen, es seien auch keine Arbeitszeitaufzeichnungen geführt worden. Das Entgelt sei über der Geringfügigkeitsgrenze gelegen und auf das Bankkonto des Zweitmitbeteiligten überwiesen worden. Für die Jahre 2010, 2011 und 2012 sei eine Veranlagung auf Grund der Einkommensteuererklärung vorgenommen worden.

12 Der Zweitmitbeteiligte sei mit dem Präsidenten, dem Generalsekretär sowie anderen Verantwortlichen der erstmitbeteiligten Partei im ständigen Kontakt und Austausch zur aktuellen sportlichen Lage sowie zu den zur Verfügung stehenden budgetären Mitteln gestanden (zwecks Planung von Trainingslagern etc). Der Zweitmitbeteiligte habe Vorschläge hinsichtlich beabsichtigter Trainingslager oder der Teilnahme an Wettkämpfen einbringen können, die letzte Entscheidung darüber sei jedoch dem Vorstand der erstmitbeteiligten Partei oblegen.

13 Hinsichtlich der Auswahl bzw Einteilung der Trainingszeiten und Trainingsorte in Bezug auf seine Tätigkeit für das xxx-Team sei der Zweitmitbeteiligte in seiner Entscheidung grundsätzlich frei gewesen. Er sei in seiner Entscheidungsfreiheit allerdings insofern eingeschränkt gewesen, als die Spieler für das xxx-Team nur zu bestimmten Zeiten (unter Berücksichtigung des Spielplans der Vereinsmannschaften) von ihren Vereinen freigestellt worden seien und daher die Vorbereitungen und Wettkämpfe in diesen Zeiträumen zu erfolgen gehabt hätten. Auch seien geeignete Räumlichkeiten (xxx) zur Abhaltung von Trainingseinheiten erforderlich gewesen, die nur in beschränkter Anzahl vorhanden bzw zugänglich gewesen seien, sodass auch diesbezüglich die Bestimmungsfreiheit des Zweitmitbeteiligten eingeschränkt gewesen sei. Entsprechende Räumlichkeiten seien von der erstmitbeteiligten Partei bereitgestellt worden. In Bezug auf die Trainingszeiten der Heeressportler sei der Zweitmitbeteiligte insofern an fixe Vorgaben gebunden gewesen, als deren Training im Rahmen des Grundwehrdienstes erfolgt sei. Der Zweitmitbeteiligte habe das Training für die Heeressportler am Standort xxx geleitet bzw diese in einen anderen Verein, für den er als Trainer tätig gewesen sei, integriert.170

14 Der Zweitmitbeteiligte sei in der inhaltlichen Ausgestaltung des Trainings völlig frei gewesen. Es sei auch allein ihm oblegen, welche Spieler er für das xxx-Team ausgewählt und einberufen habe. [...]

15 Zwischen der erstmitbeteiligten Partei und dem Zweitmitbeteiligten sei kein Vertretungsrecht vereinbart worden, der Zweitmitbeteiligte habe sich auch faktisch nicht vertreten lassen. [...]

16 Es habe kein Konkurrenzverbot bestanden. Der Zweitmitbeteiligte sei im verfahrensgegenständlichen Zeitraum neben der Tätigkeit für die erstmitbeteiligte Partei von September 2010 bis September 2012 für 20 Stunden pro Woche bei einem xxx-Verein in Salzburg und ab 1.10.2012 als DN bei einem xxx-Verein in Wien beschäftigt gewesen.

17 Zwischen der erst- und zweitmitbeteiligten Partei seien keine Urlaubsvereinbarungen getroffen worden. Ein krankheitsbedingter Ausfall des Zweitmitbeteiligten sei im verfahrensgegenständlichen Zeitraum nicht eingetreten.

18 Ein eigener (Büro-)Arbeitsplatz sei dem Zweitmitbeteiligten nicht zur Verfügung gestellt worden, jedoch sei ihm zu Beginn der Tätigkeit ein Laptop überlassen worden. [...]

19 Der Zweitmitbeteiligte habe weder über eigene Mitarbeiter noch über eigene Geschäfts- bzw Büroräumlichkeiten verfügt. Eine eigene unternehmerische Struktur habe nicht festgestellt werden können.

20 In rechtlicher Hinsicht bejahte das BVwG zunächst – in Abgrenzung vom Werkvertrag – das Vorliegen eines Dienstvertrags sowie die persönliche Arbeitspflicht des Zweitmitbeteiligten.

21 In einer Abwägung kam es sodann zum Ergebnis, dass von einem Überwiegen der Merkmale der persönlichen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit des Zweitmitbeteiligten auszugehen und daher die DN-Eigenschaft iSd § 4 Abs 2 ASVG zu verneinen gewesen sei.

22 Der Zweitmitbeteiligte sei hinsichtlich der Auswahl der Trainingszeiten und Trainingsorte grundsätzlich frei gewesen. [...]

23 Auch in Bezug auf die Abhaltung der Trainingseinheiten der Heeressportler sei von keiner Weisungsunterworfenheit des Zweitmitbeteiligten auszugehen. [...]

24 Der Zweitmitbeteiligte sei auch an keine arbeitsbezogenen Weisungen der erstmitbeteiligten Partei gebunden oder Kontrollrechten unterworfen gewesen. [...]

25 Eine Einbindung des Zweitmitbeteiligten in die Betriebsorganisation der erstmitbeteiligten Partei lasse sich insgesamt nicht erkennen. Ihm sei kein eigener Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt worden. [...]

26 In der Folge prüfte das BVwG das Vorliegen eines freien Dienstverhältnisses iSd § 4 Abs 4 ASVG.

27 Dem Zweitmitbeteiligten seien von der erstmitbeteiligten Partei nur unwesentliche Betriebsmittel zur Verfügung gestellt worden. Umgekehrt gebe es aber auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Zweitmitbeteiligte eine eigene betriebliche Struktur geschaffen habe, um seine Leistung am Markt anzubieten. Er sei im verfahrensgegenständlichen Zeitraum neben der Tätigkeit für die erstmitbeteiligte Partei jeweils für einen (weiteren) Verein tätig gewesen. Er sei somit nur für eine überschaubare Zahl von Auftraggebern tätig gewesen und verfüge über keine eigene unternehmerische Struktur, um für den Markt tätig zu werden. Er habe auch nicht eigens zur Ausübung seiner Tätigkeit Gegenstände angeschafft oder private Gegenstände in ein Betriebsvermögen aufgenommen.

28 Somit habe er über keine wesentlichen eigenen Betriebsmittel iSd § 4 Abs 4 ASVG verfügt. Da er außerdem seine Dienstleistungen für die erstmitbeteiligte Partei persönlich und entgeltlich erbracht habe, sei der Tatbestand des § 4 Abs 4 ASVG erfüllt.

29 In weiterer Folge ging das BVwG davon aus, dass ein Fall des § 410 Abs 1 Z 8 ASVG vorliege, weil die Kasse von Amts wegen einen Bescheid betreffend die Feststellung der Pflichtversicherung erlassen habe. In der Literatur werde die Meinung vertreten, dass die Anwendung des § 10 Abs 1a ASVG – wonach die Pflichtversicherung nach dem ASVG hinsichtlich der in § 4 Abs 4 bezeichneten Personen erst mit der Bescheiderlassung beginne – auch dann möglich sei, wenn sich der Feststellungsbescheid nicht ausdrücklich auf § 410 Abs 1 Z 8 ASVG stütze.

30 Es müsse auch nicht unbedingt ein Verfahren nach § 194a GSVG durchgeführt worden sein, sondern es genüge, dass eine „bestehende“ Pflichtversicherung nach dem GSVG vorgelegen sei.

31 Dies sei gegenständlich (mit Durchführung einer Pflichtversicherung gem § 2 Abs 1 Z 4 GSVG) der Fall gewesen. Die davon abweichende spätere Unterstellung der Tätigkeit unter § 4 Abs 4 ASVG werde gem § 10 Abs 1a ASVG ex nunc wirksam. [...]

32 Gem § 25a Abs 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gem Art 133 Abs 4 B-VG zulässig sei, weil [...] keine Rsp des VwGH zur Anwendbarkeit des § 10 Abs 1a ASVG in einer Konstellation, wie sie dem Beschwerdefall zugrunde liege (Pflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG ohne Prüfverfahren und erst spätere Prüfung durch den zuständigen Krankenversicherungsträger mit Unterstellung der Tätigkeit unter § 4 Abs 4 ASVG), vorhanden sei.

33 Gegen dieses Erkenntnis richten sich die vorliegenden Revisionen der ÖGK als belangte Behörde und des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, dessen Revisionslegitimation sich auf § 415 ASVG gründet.

34 Das BVwG hat über beide Revisionen das Vorverfahren eingeleitet, in dem von den erst- und zweitmitbeteiligten Parteien jeweils Revisionsbeantwortungen erstattet wurden.

35 Der VwGH hat die Revisionen wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbunden und erwogen:

36 Die Revisionen sind aus dem vom BVwG genannten Grund, auf den auch die Revisionen zurückkommen, zulässig.171

37 Gem § 10 Abs 1a ASVG beginnt die Pflichtversicherung der im § 4 Abs 4 ASVG bezeichneten Personen (also der freien DN) „im Fall der Erlassung eines Bescheides gemäß § 410 Abs 1 Z 8 mit dem Tag der Erlassung dieses Bescheides“.

38 Gem § 410 Abs 1 Z 8 ASVG hat der Versicherungsträger einen Bescheid zu erlassen, „wenn er entgegen einer bereits bestehenden Pflichtversicherung gemäß § 2 Abs 1 Z 4 GSVG auf Grund ein und derselben Tätigkeit die Versicherungspflicht gemäß § 4 Abs 4 als gegeben erachtet“.

39 Sowohl § 10 Abs 1a als auch § 410 Abs 1 Z 8 ASVG wurden mit der Novelle BGBl I Nr 138/1998 eingefügt und in den Materialien (ErlRV 1234 BlgNR 20. GP, 28) wie folgt erläutert:

„Die Problematik der sozialversicherungsrechtlichen Abgrenzung zwischen den nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG pflichtversicherten sogenannten ‚Neuen Selbständigen‘ und den nach § 4 Abs 4 ASVG pflichtversicherten freien Dienstnehmern soll im Rahmen der 23. GSVG-Novelle dadurch entschärft werden, daß für die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft die Möglichkeit der bescheidmäßigen Feststellung, ob der Tatbestand des § 2 Abs 1 Z 4 GSVG erfüllt ist, vorgesehen wird, wobei über die Vorfrage des Vorliegens einer Tätigkeit im Sinne des § 4 Abs 4 ASVG die Entscheidung der zuständigen Gebietskrankenkasse einzuholen ist.Als begleitende Maßnahme hiezu soll durch die vorgeschlagenen Ergänzungen der §§ 10 und 410 ASVG normiert werden, daß die (nachträgliche) Feststellung der Gebietskrankenkasse, eine auf Grund einer bestimmten Tätigkeit bereits nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG pflichtversicherte Person unterliege für diese Tätigkeit der Pflichtversicherung gemäß § 4 Abs 4 ASVG, in Bescheidform zu ergehen hat und Rechtswirkungen nur pro futuro entfaltet.“

40 Mit der 23. GSVG-Novelle, BGBl I Nr 139/1998, die in diesen Erläuterungen erwähnt wird, wurde § 194a GSVG eingefügt. Er hat – unter der Überschrift „Feststellungsbescheid“ – folgenden Wortlaut:

„§ 194a. Der Versicherungsträger hat in Verwaltungssachen auf Antrag mit Bescheid festzustellen, ob die in § 2 Abs 1 Z 4 erster Satz genannten Voraussetzungen vorliegen. Dabei darf das Vorliegen der Pflichtversicherung gemäß § 4 Abs 4 ASVG als Vorfrage nicht beurteilt werden. Der Versicherungsträger hat vielmehr die Einleitung des Verfahrens beim zuständigen Krankenversicherungsträger zu beantragen und das eigene Verfahren bis zur Rechtskraft der Entscheidung im Verwaltungsverfahren auszusetzen (zu unterbrechen). Der zuständige Krankenversicherungsträger hat binnen einem Monat ab Zustellung des Antrages des Versicherungsträgers zu entscheiden, widrigenfalls der Versicherungsträger über die Vorfrage selbst zu entscheiden hat. Die Entscheidung über die Vorfrage ist für den darüber als Hauptfrage zur Entscheidung zuständigen Krankenversicherungsträger solange bindend, als er nicht selbst einen Bescheid erläßt (§ 10 Abs 1a ASVG).“

41 In den Erläuterungen zu dieser Bestimmung (ErlRV 1235 BlgNR 20. GP, 26) heißt es:

„Im Zuge der Erlassung eines Feststellungsbescheides nach § 194a GSVG hat die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, wenn als Vorfrage das Vorliegen einer Pflichtversicherung gemäß § 4 Abs 4 ASVG zu beurteilen ist, den zuständigen Krankenversicherungsträger um Einleitung eines entsprechenden Verfahrens zu ersuchen und das eigene Verfahren zu unterbrechen. Um die, mit dem Feststellungsbescheid bezweckte und erforderliche Rechtssicherheit gewährleisten zu können, soll die Frist für die Feststellung, ob eine Pflichtversicherung gemäß § 4 Abs 4 ASVG vorliegt, mit einem Monat beschränkt werden. Entscheidet der Krankenversicherungsträger nicht innerhalb dieser Frist, so geht die Entscheidungsbefugnis auf die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft über. Die Entscheidung des Versicherungsträgers soll sodann solange bindende Wirkung für den Krankenversicherungsträger entfalten, als dieser selbst nicht einen Bescheid erläßt (§ 10 Abs 1a ASVG). Eine Wiederaufnahme und damit ein Aufrollen des Versicherungsverhältnisses soll aus verwaltungsökonomischen Gründen, aber vor allem aus Gründen der Rechtssicherheit für Versicherte und Auftraggeber bzw. Dienstnehmer im Falle der Erlassung eines Feststellungsbescheides ausgeschlossen sein.“

42 Strittig ist im vorliegenden Fall die Auslegung des § 10 Abs 1a ASVG betreffend den Beginn der Pflichtversicherung.

43 Da diese Bestimmung nach ihrem insofern eindeutigen Wortlaut nur für die Pflichtversicherung nach § 4 Abs 4 ASVG gilt, ist zunächst zu prüfen, ob das BVwG (ausgehend vom unstrittigen Vorliegen eines Dienstvertrags) zu Recht diesen Tatbestand bejaht hat oder ob – wie die ÖGK in der Revision vorbringt – nicht vielmehr eine Pflichtversicherung nach § 4 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 ASVG gegeben war. 44 Die diesbezügliche Beurteilung des BVwG ist jedoch – auf Basis seiner Feststellungen zur tatsächlichen Gestaltung des Beschäftigungsverhältnisses, die zum Teil vom Inhalt des eingangs wiedergegebenen schriftlichen Dienstvertrags abweichen, aber von der ÖGK in der Revision nicht bestritten wurden – nicht zu beanstanden.

45 Ob bei Erfüllung einer übernommenen Arbeitspflicht die Merkmale persönlicher Abhängigkeit einer Person vom Empfänger der Arbeit gegenüber jenen persönlicher Unabhängigkeit überwiegen und somit persönliche Abhängigkeit iSd § 4 Abs 2 ASVG gegeben ist, hängt – im Ergebnis in Übereinstimmung mit dem arbeitsrechtlichen Verständnis dieses Begriffspaares – davon ab, ob nach dem Gesamtbild der konkret zu beurteilenden Beschäftigung die Bestimmungsfreiheit des Beschäftigten durch die Beschäftigung weitgehend ausgeschaltet oder – wie bei anderen Formen einer Beschäftigung (zB auf Grund eines freien Dienstvertrages iSd § 4 Abs 4 ASVG) – nur beschränkt ist. Unterscheidungskräftige Kriterien der Abgrenzung der persönlichen Abhängigkeit von der persönlichen Unabhängigkeit sind nur die Bindungen des Beschäftigten an Ordnungsvorschriften über den172 Arbeitsort, die Arbeitszeit, das arbeitsbezogene Verhalten sowie die sich darauf beziehenden Weisungs- und Kontrollbefugnisse, während das Fehlen anderer (im Regelfall freilich auch vorliegender) Umstände (wie zB die längere Dauer des Beschäftigungsverhältnisses oder ein das Arbeitsverfahren betreffende Weisungsrecht des Empfängers der Arbeit) dann, wenn die unterscheidungskräftigen Kriterien kumulativ vorliegen, persönliche Abhängigkeit nicht ausschließt. Erlaubt im Einzelfall die konkrete Gestaltung der organisatorischen Gebundenheit des Beschäftigten in Bezug auf Arbeitsort, Arbeitszeit und arbeitsbezogenes Verhalten keine abschließende Beurteilung des Überwiegens der Merkmale persönlicher Abhängigkeit, so können im Rahmen der vorzunehmenden Beurteilung des Gesamtbildes der Beschäftigung auch diese an sich nicht unterscheidungskräftigen Kriterien ebenso wie die Art des Entgelts und der Entgeltleistung (§ 49 ASVG), die an sich in der Regel wegen des gesonderten Tatbestandscharakters des Entgelts für die DN-Eigenschaft nach § 4 Abs 2 ASVG für das Vorliegen persönlicher Abhängigkeit nicht aussagekräftig sind, von maßgeblicher Bedeutung sein.

46 Die personenbezogenen Weisungs- und Kontrollbefugnisse des DG gehen über die bloß sachliche Steuerung und Kontrolle des Arbeitsergebnisses hinaus und betreffen das Verhalten des Erwerbstätigen und die Art und Weise, wie er seine Tätigkeiten verrichtet (zB Pünktlichkeit, Verlässlichkeit, persönliches Erscheinungsbild, Benehmen, Kommunikationskultur, Arbeitseifer, Sorgfalt, Lernbereitschaft, Teamfähigkeit, Lenkbarkeit, Einfügungsbereitschaft in vorgegebene Strukturen des Arbeitsablaufs usw). Sie sind Mittel des DG, unter Beachtung der Fürsorgepflicht auf das persönliche Verhalten des DN Einfluss zu nehmen und dieses im betrieblichen Interesse (laufend) zu steuern. Der daraus erwachsende personenbezogene Anpassungsdruck schränkt die Bestimmungsfreiheit des Erwerbstätigen maßgeblich ein und begründet seine persönliche Abhängigkeit iSd § 4 Abs 2 ASVG. Im Unterschied dazu geht es dem Dienst- bzw Auftraggeber bei einem freien DN oder bei einem selbständigen Erwerbstätigen (nach dem Gesamtbild der Tätigkeit) nicht um eine solche (laufende) Steuerung des persönlichen Verhaltens, sondern in erster Linie um die sachlichen Ergebnisse der Tätigkeit bzw darum, ob die (Geschäfts-)Beziehung zu einem – in persönlichen Belangen selbstbestimmten – Partner zufriedenstellend verläuft oder nicht (vgl zum Ganzen etwa VwGH 20.2.2020, Ra 2019/08/0171, mwN).

47 Im Lichte dieser Rsp war im vorliegenden Fall vor allem maßgeblich, dass der Zweitmitbeteiligte nach den Feststellungen des BVwG an keine Weisungen betreffend das arbeitsbezogene Verhalten gebunden war. Was die Bindung an bestimmte xxx-Hallen und verfügbare Zeiten betrifft, ist das BVwG zu Recht davon ausgegangen, dass daraus keine Elemente persönlicher Abhängigkeit abzuleiten waren, weil Sachzwänge dafür maßgeblich waren. Ähnliches gilt für die Verpflichtung, bei bestimmten Anlässen Teambekleidung zu tragen: Sie ist im Umfeld von sportlichen Bewerben generell üblich und nicht Ausdruck der persönlichen Abhängigkeit von einem DG. Entgegen dem weiteren Revisionsvorbringen der ÖGK reichte auch die Zusammenarbeit mit anderen Trainern nicht aus, um eine Eingliederung des Zweitmitbeteiligten in eine Betriebsorganisation anzunehmen; auch insoweit kommt es nämlich darauf an, ob von der aus Infrastruktur und beteiligten Personen gebildeten organisatorischen Einheit ein personenbezogener Anpassungsdruck auf den darin eingebundenen Erwerbstätigen ausgeht (vgl VwGH 14.11.2018, Ra 2018/08/0172, 0173), wovon im vorliegenden Fall ausgehend von den Feststellungen des BVwG keine Rede war. Vor diesem Hintergrund konnten auch die von der ÖGK in der Revision ins Treffen geführten Nebenkriterien wie insb die lange Dauer des Dienstverhältnisses nicht zum Überwiegen der Merkmale persönlicher Abhängigkeit iSd § 4 Abs 2 ASVG führen.

48 Die Pflichtversicherung nach dem ASVG war daher anhand der Voraussetzungen des § 4 Abs 4 ASVG zu prüfen, deren Vorliegen das BVwG zu Recht bejahte, da der Zweitmitbeteiligte seine Leistung gegen Entgelt sowie persönlich erbrachte und über keine wesentlichen eigenen Betriebsmittel verfügte.

49 Nach Ansicht des BVwG war allerdings eine rückwirkende Einbeziehung in die Pflichtversicherung nach § 4 Abs 4 ASVG gem § 10 Abs 1a ASVG unzulässig. Gegen diese Beurteilung wenden sich, wie dargestellt, beide Revisionen.

50 Nach dem Wortlaut des § 10 Abs 1a ASVG beginnt die Pflichtversicherung nach § 4 Abs 4 ASVG im Fall der Erlassung eines Bescheides gem § 410 Abs 1 Z 8 ASVG (erst) mit dem Tag der Erlassung dieses Bescheides. Ein solcher Bescheid ist zu erlassen, wenn entgegen einer bereits bestehenden Pflichtversicherung gem § 2 Abs 1 Z 4 GSVG auf Grund ein und derselben Tätigkeit eine Versicherungspflicht gem § 4 Abs 4 ASVG angenommen wird. Diese Bestimmungen nehmen nicht explizit auf das besondere Feststellungsverfahren nach § 194a GSVG Bezug. Umgekehrt wird allerdings in § 194a GSVG auf § 10 Abs 1a ASVG verwiesen; außerdem bezeichnen die oben wiedergegebenen Gesetzesmaterialien die Einfügung des § 10 Abs 1a ASVG und des § 410 Abs 1 Z 8 ASVG als „begleitende Maßnahme“ zum besonderen Feststellungsverfahren nach § 194a GSVG.

51 Aus all dem hat der VwGH – wenn auch vor dem Hintergrund eines Sachverhalts, in dem keinesfalls von einer schon „bestehenden“ Pflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG ausgegangen werden konnte (vgl zu diesem Begriff auch VwGH 14.1.2013, 2012/08/0303) – bereits abgeleitet, dass die Heranziehung des § 410 Abs 1 Z 8 ASVG und damit auch des § 10 Abs 1a ASVG voraussetze, dass (im Rahmen eines Verfahrens nach § 194a GSVG) bei Säumigkeit der GKK zunächst eine Vorfragenbeurteilung durch die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVS) erfolgt sei, auf Grund deren eine Versicherungspflicht nach § 4 Abs 4 ASVG verneint und eine solche nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG bejaht worden sei (vgl VwGH 25.4.2007, 2005/08/0082). Auch wenn diese enge Auslegung173 sich nicht zwingend aus dem Gesetzeswortlaut der §§ 10 Abs 1a und 410 Abs 1 Z 8 ASVG ergibt (vgl etwa Auer-Mayer in Neumann, GSVG für Steuerberater2 [2018] § 1 Rz 31, mwN), hat sie neben dem in den Gesetzesmaterialien hervorgehobenen engen Zusammenhang der genannten Bestimmungen mit dem zugleich geschaffenen besonderen Feststellungsverfahren nach § 194a GSVG auch für sich, dass im „Verschweigen“ des in dieses Verfahren einbezogenen Krankenversicherungsträgers nach dem ASVG eine Rechtfertigung dafür liegt, ausnahmsweise eine dem Gesetz entsprechende Korrektur der Versicherungszugehörigkeit nicht auch rückwirkend zuzulassen. Zudem bekommt der Ausdruck „bestehende Pflichtversicherung“ in § 410 Abs 1 Z 8 ASVG auf diese Weise einen klar umrissenen Inhalt: Es muss sich um eine Pflichtversicherung handeln, die nicht nur faktisch durchgeführt wurde, sondern deren Tatbestandsvoraussetzungen in einem nach § 194a GSVG erlassenen Bescheid bejaht wurden. Nur in diesen Fällen ist für die nachträgliche abweichende Beurteilung durch den Krankenversicherungsträger nach dem ASVG – auch ohne entsprechenden Antrag – die Erlassung eines Feststellungsbescheides nach § 410 Abs 1 Z 8 ASVG geboten, der wiederum gem § 10 Abs 1a ASVG bloß ex nunc Wirksamkeit entfaltet.

52 Ein solches besonderes Feststellungsverfahren gem § 194a GSVG unter Einbeziehung des Krankenversicherungsträgers nach dem ASVG hat im vorliegenden Fall nicht stattgefunden. Damit war nach dem zuvor Gesagten kein Bescheid nach § 410 Abs 1 Z 8 ASVG zu erlassen (der auch weder von der Wiener GKK noch vom BVwG als Rechtsgrundlage herangezogen wurde) und § 10 Abs 1a ASVG stand der rückwirkenden Feststellung der Pflichtversicherung nach § 4 Abs 4 ASVG nicht entgegen.

53 Das angefochtene Erkenntnis war daher gem § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

54 Der Antrag der ÖGK auf Kostenersatz war abzuweisen [...].

ANMERKUNG
1.
Einleitung

In der E geht es um die Folgen einer Fehlzuordnung: Der dienstnehmerähnliche freie DN nach § 4 Abs 4 ASVG wurde fälschlich zunächst als „neuer Selbstständiger“ nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG behandelt.

Die falsche Zuordnung des Trainers und Sportkoordinators eines Sportvereins als „neuer Selbstständiger“ (§ 2 Abs 1 Z 4 GSVG) ging auf eine Meldung gegenüber dem Sozialversicherungsträger zurück; also nicht auf ein Feststellungsverfahren nach § 194a GSVG. Nach einer GPLA (nunmehr: Gemeinsame Prüfung von Lohnabgaben und Beiträgen [GPLB]) wurde der Trainer mit Bescheid der Wiener GKK (nunmehr: ÖGK) zunächst als (echter) DN nach § 4 Abs 2 ASVG qualifiziert. Nach dem BVwG handelte es sich dagegen um ein dienstnehmerähnliches freies Dienstverhältnis (§ 4 Abs 4 ASVG), was auch vom VwGH als vertretbare Rechtsauffassung bestätigt wurde (Näheres zur Abgrenzung Rath, ZAS 2024 [in Druck]).

Zu klären war in weiterer Folge, ob die Pflichtversicherung nach § 4 Abs 4 ASVG gegenüber einer als „neuer Selbstständiger“ (§ 2 Abs 1 Z 4 GSVG) zurückwirkt oder es nach §§ 10 Abs 1a und 410 Abs 1 Z 8 ASVG lediglich zu einer Ex-nunc- Wirkung der Neuzuordnung kommt. Das BVwG ging von einer Ex-nunc-Wirkung aus. Der VwGH sprach sich dagegen für eine Rückwirkung aus: Die Pflichtversicherung nach § 4 Abs 4 ASVG tritt damit bereits ab Beginn der Tätigkeit an die Stelle der Pflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG.

2.
Meldeunabhängigkeit der Pflichtversicherung

Versicherte sind bei einer sozialversicherungsrechtlichen Fehlzuordnung prinzipiell neuzuzuordnen. Die Pflichtversicherung tritt schließlich ex lege ein und ist meldeunabhängig. Sie beginnt also, sobald alle objektiven Kriterien vorliegen; auf einen Willensakt der Versicherten oder ihrer DG oder die Kenntnis des Sozialversicherungsträgers kommt es hingegen nicht an. Dies gilt nicht nur für das „Ob“, sondern auch für die Art der Pflichtversicherung. Wird ein Versicherungsverhältnis aufgrund einer Falschmeldung faktisch durchgeführt, bedarf es einer Neuzuordnung.

Die korrekte Zuordnung wird damit prinzipiell ex tunc vorgenommen (§ 10 Abs 1 ASVG). Im Falle einer Neuzuordnung sind die gegenüber dem unzuständigen Träger ungebührlich entrichteten Beiträge mit dem (eigentlich) zuständigen Träger zu verrechnen (etwa § 69 Abs 3 ASVG; § 41 Abs 3 GSVG). Diese Verrechnung gilt zeitlich unbegrenzt (zu den Problemen, die sich daraus ergeben können Kietaibl in FS Marhold [2020] 315 [320 ff]).

3.
Ex-nunc-Neuzuordnung nach §§ 10 Abs 1a und 410 Abs 1 Z 8 ASVG

Abweichendes kann aber bei einer Neuzuordnung gelten, wenn dienstnehmerähnliche freie DN (§ 4 Abs 4 ASVG) zunächst fälschlich als „neue Selbstständige“ (§ 2 Abs 1 Z 4 GSVG) behandelt wurden. Nach § 10 Abs 1a ASVG wirkt die Neuzuordnung bloß ex nunc, wenn die Pflichtversicherung entgegen der bisher bestehenden Pflichtversicherung mit Bescheid nach § 410 Abs 1 Z 8 ASVG festgestellt wurde. Nach der nun vorliegenden E gelte dies aber ausschließlich für den Fall, dass sich die Falschzuordnung aus einem Feststellungsverfahren nach § 194a GSVG ergibt, nicht dagegen, wenn sie etwa die Folge einer Falschmeldung des Versicherten selbst ist. Damit schließt der VwGH konsequent an seine Vorjudikatur an (insb VwGH2005/08/0082 VwSlg 17.184 A).

§ 194a GSVG stellt ein besonderes Feststellungsverfahren zur Verfügung, in dem die SVS klärt, ob die Voraussetzungen des § 2 Abs 1 Z 4 GSVG vorliegen. Das Feststellungsverfahren ist auf Antrag174 der Auftragnehmer:innen oder DN einzuleiten, die womöglich nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG versichert sind. In einem nächsten Schritt hat die SVS das Verfahren zu unterbrechen und die ÖGK, als ASVG-Krankenversicherungsträger, klärt, ob eine Pflichtversicherung nach § 4 Abs 4 ASVG vorliegt. Die ÖGK informiert die SVS über ihr Prüfungsergebnis. Die SVS kann ihre Prüfung nur fortsetzen, wenn die ÖGK eine Pflichtversicherung nach § 4 Abs 4 ASVG verneint. Nimmt die ÖGK hingegen eine Pflichtversicherung an, erlässt die SVS einen negativen Feststellungsbescheid.

Insgesamt überzeugt das Ergebnis des VwGH, wonach also die Ex-nunc-Wirkung (§ 10 Abs 1a iVm § 410 Abs 1 Z 8 ASVG) von der Durchführung des Feststellungsverfahrens nach § 194a GSVG abhängt. Abseits dieser Bestimmungen gelten hingegen die allgemeinen Regeln der Meldeunabhängigkeit. Eindeutig ist dies auf den ersten Blick aber nicht. Die hL geht entgegen dem VwGH von einem weiten Anwendungsbereich der Ex-nunc-Wirkung aus (Auer-Mayer in Neumann [Hrsg], GSVG für Steuerberater3 § 1 Rz 31 [Stand 1.5.2023, rdb.at]; dies, ZAS 2016, 126 [133]; Schörghofer in Rebhahn [Hrsg], Probleme des Beitragsrechts [2015] 36; Julcher in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 10 ASVG Rz 18 [Stand 1.7.2022, rdb.at]; Kietaibl in FS Marhold 315 [317, FN 3]).

Der Wortlaut der Bestimmungen spricht nicht unbedingt für das Ergebnis des VwGH und lässt auch eine weitere Anwendung zu. Dies gesteht auch der VwGH selbst ein. Zwar nehmen §§ 10 Abs 1a und 410 Abs 1 Z 8 ASVG aufeinander Bezug, der Wortlaut enthält aber keinen Hinweis, dass die Bestimmungen zwingend vom Feststellungsverfahren nach § 194a GSVG abhängen sollen. Umgekehrt erwähnt aber § 194a Satz 4 GSVG ausdrücklich § 10 Abs 1a ASVG. Dies lässt sich zunächst aber auch nur so verstehen, dass in diesem Fall jedenfalls von einer Ex-nunc-Wirkung auszugehen ist. Das allein rechtfertigt noch nicht den Umkehrschluss, dass es in anderen Fällen jedenfalls zur Rückwirkung kommen muss.

Zumindest historisch sind die Bestimmungen eng miteinander verbunden, wurden sie doch gemeinsam im Zuge der 23. Novelle zum GSVG eingefügt (BGBl I 1998/139). Die Materialien verweisen auf das Abgrenzungsproblem zwischen § 4 Abs 4 ASVG und § 2 Abs 1 Z 4 GSVG. Dieses sollte durch § 194a GSVG entschärft werden. §§ 10 Abs 1a und 410 Abs 1 Z 8 ASVG werden explizit als „begleitende Maßnahme“ bezeichnet (ErläutRV 1234 BlgNR 20. GP 28). Dies lässt sich jedenfalls so deuten, dass §§ 10 Abs 1a und 410 Abs 1 Z 8 ASVG zwingend von § 194a GSVG abhängen (so auch Lidauer, JAS 2020, 37 [40]). Schörghofer (in Rebhahn [Hrsg], Probleme des Beitragsrechts 36 [39]) wendet hingegen ein, dass es auch abseits des § 194a GSVG einer Entschärfung bedarf. Selbst wenn man Schörghofer zustimmt, kann eine solche teleologische Interpretation nur dann überzeugen, wenn man dem Gesetzgeber gleichzeitig unterstellt, den Umfang des Problems nicht ausreichend erkannt zu haben. Die Materialien lassen mE aber darauf schließen, dass ihm das Abgrenzungsproblem durchaus umfassend bewusst war, er aber nur für besonders gelagerte Fälle von der Meldeunabhängigkeit abweichen wollte.

An anderer Stelle wird dieser Zusammenhang noch klarer: Dort beschreiben die Materialien die Wirkung des Feststellungsbescheides nach § 194a GSVG. Dieser diene der Rechtssicherheit. Dieser Zweck solle zusätzlich dadurch abgesichert werden, dass dann eine spätere Wiederaufnahme und Aufrollung des Versicherungsverhältnisses ausgeschlossen wird. Die Materialien ordnen diese Ex-nunc-Wirkung ausschließlich für den Fall „der Erlassung eines Feststellungsbescheides“ an (ErläutRV 1235 BlgNR 20. GP 26). Aus dem Kontext des Absatzes geht deutlich hervor, dass dabei auf den Feststellungsbescheid nach § 194a GSVG abgestellt wird (und nicht etwa jenen nach § 410 Abs 1 Z 8 ASVG). Hier moniert Schörghofer wiederum, dass ein Bedürfnis nach Rechtssicherheit unabhängig vom Verfahrens nach § 194a GSVG bestehe (in Rebhahn [Hrsg], Probleme des Beitragsrechts 36 [39]; vgl auch Lidauer, JAS 2020, 37 [40]).

Aus den Materialien erschließt sich jedoch, dass die Rechtssicherheit nicht durch zwei getrennte Instrumente, nämlich das Feststellungsverfahren nach § 194a GSVG einerseits und die Ex-nunc-Wirkung andererseits, gewährleistet werden sollte, sondern dass es sich um ein Gesamtkonzept des Gesetzgebers handelt (aA Julcher in Der SV-Komm § 10 ASVG Rz 18). Wer auf das Feststellungsverfahren nach § 194a GSVG verzichtet, soll dies tun, kommt dann aber nicht in den Genuss der gesetzlichen Begünstigung. Zurecht kann dieses extrem starre Verfahren rechtspolitisch kritisiert werden, eine ausdehnende Auslegung von §§ 10 Abs 1a und 410 Abs 1 Z 8 ASVG rechtfertigt dies indes mE nicht.

Offenbar wollte der Gesetzgeber bewusst keine großflächige Entschärfung. Er trifft dabei eine Abwägungsentscheidung zwischen der Rechtssicherheit des Einzelnen einerseits und der Meldeunabhängigkeit andererseits. Zunächst stellt sich dabei die Frage, wie weit die Rechtssicherheit gehen soll. Diese beschreibt – im hier relevanten Zusammenhang – eigentlich den Schutz des Vertrauens auf den Bestand von Rechten oder Rechtsverhältnissen, soweit sie sich etwa aus bescheidmäßig getroffenen Entscheidungen einer Behörde ergeben. Dass auch das Vertrauen der Versicherten auf die Fehlzuordnung schützenswert sein soll, die sich aus der eigenen falschen Meldung ergibt, überzeugt nicht ohne Weiteres. Der Gesetzgeber zieht damit die Grenze der Ex-nunc-Wirkung nicht zufällig. Schließlich tragen den Schaden an der Fehlzuordnung weniger die einzelnen Versicherten als vielmehr die richtige Versichertengemeinschaft, der dadurch Beiträge vorenthalten werden. Da es um die Zusammenfassung von Gefährdeten in eine gemeinsame Risikogemeinschaft geht, wird dies auch nicht durch die entfallenden Leistungsrechte (vollständig) kompensiert. Insofern dient die Meldeunabhängigkeit der kollektiven Äquivalenz, die für die SV wesensbildend ist. Auch deswegen erscheint es nicht überzeugend, warum Erwerbstätige jedenfalls schützenswert sein sollen, die sich175 vom ASVG ins „billigere“ GSVG „verirren“. Lidauer weist zutreffend darauf hin, dass eine weiter verstandene Ex-nunc-Wirkung zudem erhebliches Missbrauchspotential hätte, wenn bewusst zunächst § 2 Abs 1 Z 4 GSVG gewählt wird ( JAS 2020, 37 [41]). Schlimmeres, als dass für die Zukunft Beiträge nach ASVG zu entrichten sind, könnte dann nicht passieren. Für die Vergangenheit käme es jedenfalls zu einer Ersparnis.

Letztlich hängt die Lösung des Problems aber nicht allein an der Verbindung zwischen der Ex-nunc-Wirkung und dem Feststellungsverfahren nach § 194a GSVG. Auch eine isolierte Betrachtung von § 410 Abs 1 Z 8 ASVG untermauert dies. Denn schon aus § 409 ASVG erschließt sich die Zuständigkeit in Verwaltungssachen (iSd § 355 ASVG) und konkret des Krankenversicherungsträgers zur Behandlung der Versicherungspflicht. § 410 Abs 1 Z 8 ASVG hätte es dafür nicht zwangsläufig bedurft (Kneihs in Der SV-Komm § 410 ASVG Rz 23 [Stand 1.10.2019, rdb.at]). Dies spricht mE dafür, dass der Gesetzgeber keinen breit angelegten Tatbestand schaffen wollte, den es mit § 409 ASVG oder auch § 410 Abs 1 Z 2 ASVG ohnedies schon gibt, sondern er für einen konkreten Sonderfall eine spezielle Rechtsgrundlage schaffen wollte.

4.
Schlussbemerkung

Das Ergebnis des VwGH ist überzeugend und unbefriedigend zugleich. Das widerspricht sich nicht. Dass der Regelungskomplex der §§ 10 Abs 1a und 410 Abs 1 Z 8 ASVG und § 194a GSVG nicht alle Problemlagen zwischen § 4 Abs 4 ASVG und § 2 Abs 1 Z 4 GSVG auflöst, stimmt. Ob die Bestimmungen tatsächlich einer – im Schrifttum geforderten – teleologischen Auslegung zugänglich sind, die diese Widersprüche auflöst, ist mE sehr zweifelhaft. Durchaus kann die teleologische Auslegung zu Ergebnissen führen, die der Gesetzgeber nicht bedacht hat. Die Kasuistik der Regelung schließt aber mE aus, dass hier Probleme einfach übersehen wurden. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber bewusst für Bestimmungen entschieden, deren Anwendungsbereich sehr eingeschränkt ist. Die Versicherten stehen dann auch nicht im luftleeren Raum, sondern es kommt schlicht die allgemeine Meldeunabhängigkeit zur Anwendung. Das mag für die einzelnen Betroffenen unbefriedigend sein, die Rückwirkung der Neuzuordnung stärkt aber die Versichertengemeinschaft. Spricht sich der VwGH schon innerhalb der Grenzfälle zwischen § 4 Abs 4 ASVG und § 2 Abs 1 Z 4 GSVG für eine zurückhaltende Auslegung aus, erübrigen sich damit auch Fragen nach einer analogen Anwendung für den Fall, dass echte DN (§ 4 Abs 2 ASVG) fälschlich als „neue Selbstständige“ (§ 2 Abs 1 Z 4 GSVG) behandelt wurden (dazu etwa Kietaibl, ZAS 2006, 169 [170]; schon bisher ablehnend Auer-Mayer in Neumann [Hrsg], GSVG für Steuerberater3 § 1 Rz 31 [Stand 1.5.2023, rdb.at]). Hier scheint schon allein die Ermittlung einer Lücke schwierig: Es gilt dann eben die Meldeunabhängigkeit. Jedenfalls auszuschließen ist aber eine Planwidrigkeit, weil § 410 Abs 1 Z 8 ASVG doch explizit nur auf eine Fehlzuordnung dienstnehmerähnlicher freier DN als „neue Selbstständige“ Bezug nimmt.

Als „Trostpflaster“ bleibt die schwindende Bedeutung des § 194a GSVG: Das Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetz (SV-ZG, BGBl I 2017/125) hat ein neues Verfahren der Versicherungszuordnung geschaffen. Dieses ist auch bei Anmeldung zur Pflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG einzuleiten (§§ 412a Z 2 lit b iVm 412d ASVG). Das Antragsrecht nach § 194a GSVG wird damit auf Personen im Vorfeld einer Erwerbstätigkeit zurückgedrängt (Taudes in Neumann [Hrsg], GSVG für Steuerberater3 § 194a Rz 3 [Stand 1.5.2023, rdb.at]). Nach Kneihs (in Der SV-Komm § 412a ASVG Rz 10/2 und § 412c ASVG Rz 20 [Stand 1.12.2020, rdb.at]; aA Julcher in Der SV-Komm § 10 ASVG Rz 18/1) könne in diesem Bereich auch ein Bescheid nach § 410 Abs 1 Z 8 ASVG nicht mehr erlassen werden, weil hier die §§ 412c f ASVG vorgehen. Damit stellt sich aber auch die Frage der Ex-nunc-Wirkung im Falle einer Neuzuordnung nicht mehr.176