BährFremdpersonaleinsatz im Rahmen agiler Projektarbeit

Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2022 468 Seiten, gebunden, € 119,90

CONRADGREINER (WIEN)

Die zu besprechende Dissertation von Yannick Bähr befasst sich mit den Erscheinungsformen des Fremdpersonaleinsatzes bei agiler Projektarbeit und deren rechtliche Qualifikation. Ausgangspunkt der Arbeit ist der Befund, dass in einem globalisierten und arbeitsteiligen Wirtschaftsleben traditionelle (zumeist starre) Projektmethoden zunehmend von flexibleren, agilen Formen des Projektmanagements („agile Projektarbeit“) abgelöst werden (S 17-32).

Im ersten Kapitel der Arbeit (S 33-63) werden die verbreitetsten Erscheinungsformen der agilen Projektarbeit (Scrum, Extreme Programming und Kanban) dargestellt sowie deren Gemeinsamkeiten herausgearbeitet. Bähr stellt dabei fest, dass sich alle drei Erscheinungsformen vor allem durch eine weitreichende Weisungsfreiheit der Leistungserbringer und eine Entgrenzung der Arbeit auszeichnen. Dieses Verständnis und diese Charakteristika der agilen Projektarbeit werden der Untersuchung im weiteren Verlauf zugrunde gelegt.

Hingegen wird in der Arbeit nicht definiert, was mit dem Begriff „Fremdpersonaleinsatz“ gemeint ist. Bähr scheint darunter jeglichen Personaleinsatz zu verstehen, bei dem auf andere Personen als die bisherigen Stamm-AN zurückgegriffen wird (vgl zB S 27 ff, 64 f). Nach diesem Verständnis liegt also – anders als der Rezensent zunächst bei unbefangenem Lesen des Titels vermutet hat – ein Fremdpersonaleinsatz nicht nur beim Einsatz von Personal eines fremden AG vor (zB im Rahmen einer Werkvertragsentsendung oder einer AN-251Überlassung), sondern auch dann, wenn ein Beschäftigungsbedarf durch freie DN oder Werkunternehmer gedeckt wird, zu denen bisher keine vertragliche Beziehung bestand; sogar die Neuaufnahme von AN ist nach diesem Verständnis ein „Fremdpersonaleinsatz“ (vgl S 94 f). Bei einem derart weiten Verständnis überrascht es nicht, dass Bähr nicht sämtliche Rechtsfragen behandelt, die bei einem solchen „Fremdpersonaleinsatz“ im Rahmen agiler Projektarbeit auftreten, sondern sich auf die rechtliche Qualifikation der häufigsten Erscheinungsformen beschränkt.

Beim Rückgriff auf Fremdpersonal im Rahmen agiler Projektarbeit hat Bähr vor allem zwei Herausforderungen vor Augen: Im zweigliedrigen Rechtsverhältnis (direkte vertragliche Beziehung zwischen Leistungserbringer und -empfänger) bestehe die Gefahr der Scheinselbständigkeit; im dreigliedrigen Rechtsverhältnis (keine direkte vertragliche Beziehung des Leistungsempfängers zum Leistungserbringer, sondern zu einem Intermediär) drohe eine illegale AN-Überlassung. Dementsprechend befasst sich das zweite Kapitel der Arbeit (S 64-311) mit der rechtlichen Qualifikation des Fremdpersonaleinsatzes im zweigliedrigen Verhältnis; das dritte Kapitel (S 312-416) widmet sich dem dreigliedrigen Verhältnis. Beide Kapitel bilden den Kern der Arbeit.

Bei der rechtlichen Qualifikation des Fremdpersonaleinsatzes im zweigliedrigen Verhältnis prüft Bähr insb die Einstufung des Rechtsverhältnisses als Arbeitsvertrag. Zu diesem Zweck erfolgt eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem AN-Begriff des § 611a dBGB; auch auf den unionsrechtlichen AN-Begriff wird eingegangen (S 113-217). Bähr identifiziert dabei die persönliche Abhängigkeit als maßgebliches Kriterium des Arbeitsverhältnisses, das durch die Weisungsgebundenheit des AN konkretisiert wird. Bei diesen allgemeinen Ausführungen wird kaum auf die Besonderheiten der agilen Projektarbeit eingegangen. Dies geschieht vielmehr in einem eigenen Abschnitt (S 217-235). Bähr kommt dort zu dem Ergebnis, dass beim Fremdpersonaleinsatz im zweigliedrigen Verhältnis wegen der weitreichenden Weisungsfreiheit der Leistungserbringer bei agiler Projektarbeit in der Regel kein Arbeitsverhältnis vorliegt (S 234 f). Die Vertragsbeziehung sei vielmehr als freier Dienstvertrag zu qualifizieren (S 262 f), wobei die Möglichkeit bestehe, von AN-Ähnlichkeit und Heimarbeit auszugehen (S 293 f, 311).

Auch wenn sich die Ausführungen Bährs auf die deutsche Rechtslage beziehen, würde man wohl in Österreich zu einem ähnlichen Ergebnis kommen: Der Arbeitsvertrag (§ 1151 ABGB) ist ebenfalls durch die persönliche Abhängigkeit gekennzeichnet, die in der Weisungsgebundenheit des AN hinsichtlich Arbeitsort, -zeit und -verhalten zum Ausdruck kommt (vgl zB RS0021332). Geht man mit Bähr davon aus, dass sich die agile Projektarbeit vor allem durch eine weitreichende Weisungsfreiheit und eine Entgrenzung der Arbeit auszeichnet, so wären die Leistungserbringer bei agiler Projektarbeit wohl auch nach österreichischem Recht in der Regel nicht als AN, sondern als (allenfalls arbeitnehmerähnliche) freie DN zu qualifizieren.

Im Kapitel zur rechtlichen Qualifikation des Fremdpersonaleinsatzes im dreigliedrigen Verhältnis (Kapitel 3; S 312-416) befasst sich Bähr mit dem Tatbestand der AN-Überlassung und den Rechtsfolgen, die eintreten, wenn eine solche entgegen der Absicht der Parteien vorliegt (illegale oder verdeckte AN-Überlassung). Angesprochen sind dabei die in § 9 dAÜG aufgezählten Unwirksamkeitsgründe, welche die in § 10 Abs 1 leg cit geregelte Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem illegal überlassenen AN und dem Beschäftiger vorbereiten. Wie schon im Kapitel zur rechtlichen Qualifikation des Fremdpersonaleinsatzes im zweigliedrigen Verhältnis wird zunächst allgemein auf den Tatbestand der AN-Überlassung eingegangen (S 321-373), bevor im Speziellen die Anwendung auf die agile Projektarbeit behandelt wird (S 387-392). Als entscheidendes Merkmal der AN-Überlassung identifiziert Bähr die Überlassung eines AN an einen Beschäftiger, der über diesen AN wie über seine eigenen verfügen kann. Daher liege bei agiler Projektarbeit wegen der weitreichenden Weisungsfreiheit der überlassenen Arbeitskräfte gegenüber dem Beschäftiger in der Regel keine AN-Überlassung vor (S 390 f), sondern eine nicht dem dAÜG unterliegende Überlassung aufgrund eines Dienstverschaffungsvertrags (S 400).

Bei einer Beurteilung nach österreichischem Recht würde man wohl zu einem anderen Ergebnis kommen: Da das öAÜG auch auf die Überlassung von AN-ähnlichen Personen anwendbar ist (vgl § 3 Abs 4 leg cit), würde der Fremdpersonaleinsatz bei agiler Projektarbeit im dreigliedrigen Verhältnis wohl diesem Gesetz unterliegen.

Insgesamt behandelt die Arbeit von Bähr das gewählte Thema umfassend und ausführlich. Allerdings wirken die eigentlich interessanten Überlegungen zur rechtlichen Qualifizierung der Erscheinungsformen des Fremdpersonaleinsatzes bei agiler Projektarbeit im Vergleich zu den allgemeinen Ausführungen verhältnismäßig kurz.252