Die Organisationsreform der gesetzlichen Krankenversicherung – eine verfassungsrechtliche Nachbetrachtung

RUDOLFMÜLLER (WIEN/SALZBURG)
Wer sollte da nicht abergläubisch sein? Freitag, der 13.12.2019, war kein Glückstag. An diesem Tag beendete der VfGH vier Gesetzesprüfungsverfahren betreffend Bestimmungen des Sozialversicherungs-Organisationsgesetzes (SV-OG). Sie endeten desaströs: teils aus dem Blickwinkel der Bundesregierung,weil der Großteil der Reform dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit verfiel, teils aus jenem der Interessenvertetungen der DN, denn zwei politisch sehr hoch bewertete Säulen der Reform blieben vom VfGH unangetastet, die Fusion der Gebietskrankenkassen zur Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) und die erstmals in der Geschichte eingeführte Parität der Vertreter der DN und der DG in den wichtigen Selbstverwaltungsorganen der ÖGK. Insoweit war es aber auch für den VfGH kein glücklicher Tag – denn hohe juristische Kunst wurde da nicht geboten. Ein kritischer Rückblick auf die Pläne der Reform und ihre Behandlung durch den VfGH. Und ein Blick auf die Behandlung eines Erkenntnisses des VfGH durch die Politik.
  1. Ausgangspunkt

  2. Das verfassungsrechtliche Effizienzprinzip

  3. Beschränkung der Entsendebefugnis durch Eignungstests

  4. Die Parität zwischen DG und DN in den Organen der Gesundheitskasse und PVA

  5. Keine Entsendung durch die Aufsichtsbehörde in die Selbstverwaltung der BVAEB

  6. Schlussbemerkung

1.
Ausgangspunkt

Nach dem türkis-blauen Regierungsprogramm sollte eine „Reform der Sozialversicherungen“ die Verwaltungskosten senken, die Effizienz erhöhen und die Leistungen für die Versicherten harmonisieren. Es bestand die Absicht, die Sozialversicherungsträger auf „vier bis fünf“ zu reduzieren und es sollten dabei die „Prinzipien einer partizipativen Selbstverwaltung, die Wahrung der länderspezifischen Versorgungsinteressen sowie der speziellen Anforderungen der unterschiedlichen Berufsgruppen in den einzelnen Versicherungssparten berücksichtigt werden“; soweit das Regierungsprogramm 2017-2022, 114.

Dem Sturm, der sich gegen diese Reform erhob, als ihre ersten Details bekannt wurden, wurde dann seitens der damaligen Sozialministerin, Frau Hartinger- Klein, das Wort von der Patientenmilliarde, die man dabei lukrieren wolle, entgegengedonnert. Mittlerweile ist diese Behauptung als Unwahrheit entlarvt: Die Reform kostete bisher – so wie auch schon frühere Zusammenlegungen von Versicherungsträgern – hunderte Millionen Euro und von Effizienzsteigerung hat man ebensowenig gehört, wie davon, dass Leistungen harmonisiert worden wären.* Im Gegenteil: Es gibt nach wie vor keinen bundeseinheitlichen Ärztegesamtvertrag mit einheitlichen Leistungen und in der Sozialversicherung der Selbständigen (SVS) leben die Bauern und Gewerbetreibenden in gemeinsamer Selbstverwaltung mit gänzlich verschiedenem Beitragsrecht und unterschiedlichem Leistungsrecht fröhlich (oder auch nicht) unter einem Dach zusammen. Ganz so als hätte es die Eckpunkte der Rsp des VfGH über die Grenzziehung bei der Bildung von Risikogemeinschaften und vom Gebot eines grundsätzlich einheitlichen Beitrags- und Leistungsrechts innerhalb einer selbstverwalteten Körperschaft* nie gegeben, denen diese Fusion in fast allen Punkten widerspricht. Man muss freilich dazusagen, dass die Fusion der SVA der Bauern und der SVA der gewerblichen Wirtschaft zur SVS von den betroffenen Institutionen bisher sicherheitshalber nicht auf den verfassungsgerichtlichen Prüfstand gestellt wurde.

Die Fachwelt hat sich zunächst verblüfft gefragt, was unter „partizipativer Selbstverwaltung“ zu verstehen sei. Es stellte sich heraus, dass man darunter 151 eine verstärkte Mitwirkung der Bundesminister für Soziales und für Finanzen an der Selbstverwaltung zu verstehen hatte, eine gemessen an allen Grundsätzen der Selbstverwaltung geradezu abwegige Idee, die denn auch vor dem VfGH keinen Bestand haben konnte.*

An abwegigen Ideen hat es den Gesetzesverfassern nicht gemangelt, aber nicht alle wurden vom VfGH verworfen. Die politischen Absichten, die als ihr eigentliches Anliegen mit der Reform verwirklicht werden sollten, sind nämlich erreicht worden: Die DN haben in keinem Sozialversicherungsträger mehr das Sagen, die Wirtschaftskammer und die ÖVP dominieren das System bis hinauf zum Dachverband.

Ein erster Versuch, das politische Ziel der Erlangung der maßgeblichen Kontrolle über die SV der unselbständig Erwerbstätigen über den Hauptverband zu erreichen, war mit der Hauptverbandsreform der Regierung Schüssel I gescheitert.* Der zweite Versuch bedurfte daher erstens der Zerschlagung des bestehenden Systems durch die Zusammenlegung der neun Gebietskrankenkassen zu einer ÖGK. Bei der sodann bundesweit agierenden Gesundheitskasse bedurfte es nur mehr entsprechender Besetzungsvorschriften für die Gremien der Selbstverwaltung, um dort eine geänderte politische Mehrheit sicherzustellen. Dies konnte allerdings nur durch Einführung der Parität der DG- mit den DN-Vertretern geschehen. Dies erfolgte in der – wie sich zeigte – nicht unbegründeten Erwartung, dass sich die politisch unterschiedliche Zuordnung der DN-Vertreter für bestimmte Anliegen der DG-Vertreter günstig auswirken würde. Daher sind über die de iure-Parität hinaus de facto die DG die Herren über die gesetzliche KV und PV der DN. Darüber hinaus wollte man durch entsprechende Entsendungsgestaltung in der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau (BVAEB) sicherstellen, dass auch das neue Organ „Konferenz“ im Dachverband über eine dauerhafte Mehrheit der ÖVP verfügte. Diese politische Absicht hinter dem SV-OG ist offenkundig und soweit überblickbar nicht weiter strittig.

Zugleich versuchte man, zentrale Kompetenzen aus den Gremien der Selbstverwaltung in die Kompetenz des „Büros“ zu verlegen (§ 456a Abs 3 ASVG). Die Selbstverwaltung sollte also nicht nur durch Eingriffsmöglichkeiten der Aufsichtsbehörde, sondern auch zugunsten des Büros geschwächt werden. Da der vom Gesetz nahegelegte (vom VfGH als fakultativ gedeutete) Kompetenztransfer von den entsprechend besetzten „Überleitungsgremien“ bereits vollzogen wurde (und vor einer Rückabwicklung durch die aktuelle politische Mehrheit in den Selbstverwaltungsgremien „geschützt“ ist), ist zumindest die Machtverschiebung von der Selbstverwaltung zum Büro im Ergebnis gelungen. Der VfGH hat – wie wir wissen – der Regierung die beiden politisch wichtigsten Eckpfeiler gerettet, nämlich die Zusammenlegungen und die Parität in der fusionierten Gesundheitskasse. Kurzen Prozess hat der VfGH hingegen aus den Versuchen der Bundesregierung gemacht, zahlreiche Aufsichtsrechte des Bundes in Mitwirkungsrechte umzuwandeln bzw solche neu zu begründen und der Selbstverwaltung der Gesundheitskasse die Beitragseinhebung zu entziehen.*

Ich werde im Folgenden nur vier Fragenkreise behandeln, mit denen sich der VfGH mit unterschiedlichem Ergebnis beschäftigt hat, die aber in der Öffentlichkeit heftig diskutiert wurden:

  • das verfassungsrechtliche Effizienzprinzip und die Fusion;

  • Eingriffe in das demokratische Prinzip durch Behinderung der Entsendung von Versicherungsvertretern (Einführung von Eignungstests);

  • die Parität der DG in den Organen der Selbstverwaltung in der KV und PV der DN;

  • die Entsendung von Versicherungsvertretern durch die Aufsichtsbehörde in der BVAEB.

2.
Das verfassungsrechtliche Effizienzprinzip

Der VfGH hat in seiner jüngeren Rsp im Zusammenhang mit Ausgliederungen aus der Verwaltung aus dem B-VG das Gebot zu sparsamer, wirtschaftlicher und zweckmäßiger Haushaltsführung abgeleitet und ihm ausdrücklich die Bedeutung eines allgemeinen, auch die Gesetzgebung bindenden Effizienzprinzips beigemessen.* Nach diesem mutatis mutandis auch für Selbstverwaltungskörper geltenden Prinzip haben diese die ihnen zugewiesenen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung grundsätzlich sparsam, wirtschaftlich und zweckmäßig zu besorgen. Soweit das Effizienzgebot nach bisheriger Auffassung des VfGH als eine besondere Ausprägung des Sachlichkeitsgebotes auch den Gesetzgeber bindet, obliegt es diesem, Selbstverwaltungskörper gemessen an den ihnen übertragenen Aufgaben zweckmäßig, dh so zu gestalten, dass eine den genannten Grundsätzen entsprechende Verwaltungsführung gewährleistet ist.* Das Effizienzprinzip wurde zwar als Maßstab für die Gesetzesprüfung eingeführt, führte aber bisher in keinem dieser Fälle zu juristischen Konsequenzen. Es blieb stets beim erhobenen Zeigefinger.

Der Versuch der antragstellenden Parteien, das Effizienzprinzip gegen die Sozialversicherungsreform in Stellung zu bringen, scheiterte daran, dass 152 der VfGH den bisher erhobenen Zeigefinger ungeachtet der doch sehr präzisen Beschwerdevorbringen* deutlich gesenkt hat. Dabei bemühten sich die Antragsteller redlich und auf vielen Seiten mit überzeugender Begründung, die auch sachverständig untermauert worden war:

  • Die behaupteten Einsparungen von 1 Mrd in drei oder vier Jahren seien wegen der extrem geringen Verwaltungskosten der Gebietskrankenkasse schon rein rechnerisch nicht möglich.

  • Es finde keine Leistungsverbesserung oder Leistungsharmonisierung statt.

  • Mehreinnahmen durch günstige Entwicklung der Beitragseinnahmen seien fusionsunabhängig.

  • Es entstünden hingegen Mehrkosten durch die Fusion.

  • Durch gesetzgeberische Begleitmaßmahmen, wie etwa die Abschaffung des besonderen Pauschbetrages, den die AUVA den Gebietskrankenkassen zu leisten hatte, würden der KV Kosten bzw Ausfälle von 14,7 Mio jährlich entstehen.

Die Bundesregierung schien sich ihrer Sache alles andere als sicher zu sein, denn sie verwendete auf die Darlegungen zum Effizienzprinzip, wie man im diesbezüglichen Erkenntnis nachlesen kann,* beträchtlichen Aufwand.

Der Aufwand der antragstellenden Parteien lohnte sich hingegen insgesamt nicht: Die Entscheidung des VfGH vom 13.12.2019, G 67-71, beschäftigt sich auf 219 von 237 Seiten mit Gesetzestext, Vorbringen und Zulässigkeitsfragen. Die Entscheidung in der Sache umfasst gerade einmal 16 Seiten, einschließlich einer Wiederholung der wichtigsten Argumente des Vorbringens der Parteien.

Soweit das Effizienzprinzip gegen die Zulässigkeit der Fusion ins Treffen geführt wurde, beantwortet der VfGH das Vorbringen kurz und bündig wie folgt:

„Entgegen der Auffassung der antragstellenden Gebietskrankenkassen liegt es prinzipiell im Rahmen des rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes des einfachen Gesetzgebers, eine ihm als rechtspolitisch zweckmäßig erscheinende Reform vorzunehmen und eine wenn auch bewährte Rechtslage durch eine ihm günstiger erscheinende zu ersetzen, ohne sich hiefür im Einzelnen rechtfertigen zu müssen. In diesem Zusammenhang würden auch unvollständige, in sich widersprüchliche oder nicht nachvollziehbare Gesetzesmaterialien oder solche Angaben in der bloß einfachgesetzlich vorgesehenen (§ 17 Bundeshaushaltsgesetz) ‚wirkungsorientierten Folgenabschätzung‘ keine Verfassungswidrigkeit des Gesetzes, auf das sie Bezug haben, zur Folge haben. Der Verfassungsgerichtshof vermag auch nicht zu finden, dass der Gesetzgeber mit der Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen zur Österreichischen Gesundheitskasse und mit den damit verknüpften Erwartungen wie Einsparungen und Effizienzsteigerungen die ihm zustehende rechtspolitische Einschätzungsprärogative überschritten hätte.“

Hatte der VfGH 2003 in seinem Erkenntnis VfSlg 17.023 noch ausgeführt, dass es dem Gesetzgeber infolge des Effizienzprinzips als einer besonderen Ausprägung des Sachlichkeitsgebotes obliege, Selbstverwaltungskörper gemessen an den ihnen übertragenen Aufgaben zweckmäßig, dh so zu gestalten, dass „eine diesen Grundsätzen entsprechende Verwaltungsführung gewährleistet ist“, so schwächte er dieses damals als positive Verpflichtung formulierte Erfordernis beim SV-OG entscheidend ab: „Der Verfassungsgerichtshof vermag nicht zu finden, dass die Zusammenführung von neun länderweise eingerichteten Gebietskrankenkassen zu einer bundesweiten Gesundheitskasse zwangsläufig zur Folge hätte, dass eine zweckmäßige und effiziente Verwaltungsführung nicht mehr gewährleistet wäre.“

Die wirtschaftlichen Zusammenhänge, die in den Anträgen zwischen der Fusion und den dadurch entstehenden Mehraufwendungen hergestellt worden waren, mussten vom VfGH im Hinblick darauf nicht näher untersucht werden, weil die Anforderung des Elements der Zwangsläufigkeit (wann immer die auch vorliegen mag) das Argument der Gebietskrankenkassen gleichsam an der Wurzel traf. Allerdings begründete der VfGH auch nicht näher, wieso trotz der gut belegten negativen Folgeabschätzungen in den Gesetzesprüfungsanträgen eine solche Zwangsläufigkeit nicht vorlag. Immerhin hat der Rechnungshof mittlerweile die durch Expertengutachten gut belegten Prognosen ex post vollinhaltlich bestätigt.

Wenn es aber richtig ist, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen überhaupt nichts begründen muss, dann ist es auch nicht schädlich, wenn er erkennbar unzutreffende wirtschaftliche Begründungen liefert. Denn – so der VfGH: In sich widersprüchliche oder nicht nachvollziehbare Gesetzesmaterialien oder solche Angaben in der bloß einfachgesetzlich vorgesehenen (§ 17 Bundeshaushaltsgesetz) „wirkungsorientierten Folgenabschätzung“ begründen keine Verfassungswidrigkeit des Gesetzes, auf das sie Bezug haben.

Letzteres ist schon richtig. Aber man wird die Sachlichkeit der Vorgangsweise kaum bejahen können, wenn ein bestehendes, nach weitgehend übereinstimmender Meinung gut funktionierendes Krankenversicherungssystem, wie es die neun Gebietskrankenkassen dargestellt haben, ungeachtet der bedeutenden Mehrkosten und ohne erkennbare Vorteile (außer parteipolitische) zerschlagen werden soll und wenn sich die hehren Motive des Gesetzgebers, wie sie in den Materialien vorgeschoben wurden, bei näherer Betrachtung in Luft auflösen.

Zusammengefasst lässt sich nach dem Erkenntnis des VfGH also sagen: Es ist nicht länger eine Obliegenheit des Gesetzgebers, eine effiziente Verwaltungsführung zu gewährleisten, die gesetzgeberische Maßnahme darf nur nicht geradezu zwangsläufig zum Gegenteil führen. Unter solchen 153 Voraussetzungen genügt freilich das allgemeine Sachlichkeitsgebot, um die Maßnahme verfassungsrechtlich zu Fall zu bringen; es bedarf keines Effizienzprinzips, wenn dieses bloß als allgemeines Schädigungsverbot verstanden wird.*

3.
Beschränkung der Entsendebefugnis durch Eignungstests

Wie schon der Ministerialentwurf sah auch das SV-OG in der letztlich beschlossenen Fassung in § 420 Abs 6 Z 5 ASVG zusätzliche fachliche Eignungsvoraussetzungen für VersicherungsvertreterInnen vor. Danach sollten von der Entsendung in das Amt eines Versicherungsvertreters/einer Versicherungsvertreterin ausgeschlossen sein:

„5. Personen, deren fachliche Eignung nicht durch den Besuch einer regelmäßig vom Dachverband durchzuführenden Informationsveranstaltung für angehende Versicherungsvertreter/innen samt erfolgreich absolviertem Eignungstest nachgewiesen ist.“

Die organisationsrechtliche Übergangsbestimmung des § 420 Abs 7 ASVG sah eine Prüfungskommission vor, die beim Hauptverband angesiedelt gewesen wäre und deren Mitglieder von der Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen für die Dauer von fünf Jahren hätten bestellt werden sollen. § 420 Abs 8 ASVG idF des SV-OG sah ua jene Prüfungsgegenstände vor, die wohl der Dienstprüfung der Sozialversicherungsangestellten nachempfunden gewesen sein dürften.* PrüferInnen sollten Bedienstete der beiden genannten Ministerien sein. Näheres über die Organisation der dreiköpfigen Prüfungskommission sowie über die Gestaltung des Lehrplanes und die Anrechenbarkeit gleichwertiger Ausbildungsteile oder beruflich erworbener Qualifikationen sollten durch Verordnung der Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen festgesetzt werden. Den Inhalt dieser Verordnung konnte man sich allerdings insofern schon vorstellen, als noch im Ministerialentwurf diese Anrechenbarkeit im Gesetz selbst geregelt war: Danach hätten Geschäftsführer juristischer Personen nach mindestens fünfjähriger Tätigkeit automatisch die Voraussetzung der Eignung erfüllt. Dies hätte – mangels Einschränkung auf wirtschaftlich tätige Gesellschaften – also auch für den Obmann eines Briefmarkensammlervereins nach fünfjähriger Obmannschaft gegolten, nicht aber zB für ein langjähriges Mitglied des Zentralbetriebsrats eines Großunternehmens, der zwar Kammerrat in der Arbeiterkammer, aber ohne Ablegung der vorgesehenen „Staatsprüfung“ nicht Versicherungsvertreter hätte sein können.

Diese Bestimmungen richteten sich inhaltlich an die überwiegend nicht juristisch gebildeten, gewerkschaftlichen VertreterInnen in den Organen des Selbstverwaltung. Das Niveau ihrer erforderlichen Kenntnisse hätte auf ein Ausmaß geschraubt werden sollen, das selbst von JuristInnen nicht leicht zu erklimmen ist. Man hätte sie aus dem Kreis der Vertreter der DN mühelos hinausprüfen können, wohingegen die Wirtschaftskammer kaum Probleme gehabt hätte, GeschäftsführerInnen juristischer Personen ohne eine solche Prüfung in erforderlicher Zahl in die Organe zu entsenden.*

Das grundlegende Prinzip der demokratischen Legitimation besteht dementgegen darin, den Kreis der Verwalteten und den der potentiellen Verwalter (zur Wahrung der verfassungsrechtlichen Voraussetzung „aus dem Kreis der Mitglieder“ in Art 120c Abs 1 B-VG) möglichst weitgehend ident zu halten. Dies schließt zwar nicht aus, mit Blick auf die Aufgabenstellung der Selbstverwaltung bestimmte, in der Person gelegene Eigenschaften, wie zB die Unbescholtenheit und die Eigenberechtigung eines Versicherungsvertreters, vorauszusetzen. Auch wird ein Mindestalter oder eine bestimmte Mindestdauer des Bestandes einer einschlägigen Pflichtversicherung sachlich sein. Der in Frage kommende Personenkreis „aus dem Kreis der Versicherten“ darf aber nicht so weit eingeschränkt werden, dass nur mehr eine kleine Minderheit der zu Repräsentierenden die Voraussetzungen erfüllt und die überwältigende Mehrheit der Versicherten vom Recht, entsendet zu werden, ohne Ablegung der Prüfung ausgeschlossen bleibt. Schließlich war die Regelung, was die fachlichen Anforderungen betrifft, auch inhaltlich völlig überzogen.

Der VfGH ist in seinem Erkenntnis vom 13.12.2019, G 78/2019 ua, diesen Argumenten der antragstellenden Parteien im Wesentlichen gefolgt und hat die Regelungen über die Anforderungen an VersicherungsvertreterInnen nebst „Staatsprüfung“ wegen Verstoßes gegen das verfassungsrechtliche Gebot des Art 120c Abs 1 B-VG als verfassungswidrig aufgehoben:

Eine Prüfung mit von außerhalb des Selbstverwaltungskörpers festgelegten (überzogenen, wohl weit über das Notwendige hinausgehenden) Inhalten durch eine außerhalb des Selbstverwaltungskörpers einzurichtende Prüfungskommission gehe weit über die bis zum Inkrafttreten des SV-OG 154 bestehende, verfassungsrechtlich unbedenkliche Voraussetzung der „fachlichen Eignung“ hinaus.

Der VfGH pflegt hier also eine versteinerungstheoretische Betrachtungsweise des Art 120c B-VG: Im Wesentlichen sollen jene demokratischen Grundsätze in der Selbstverwaltung so weiterhin gelten, wie sie im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Art 120c B-VG einfachgesetzlich geregelt waren. Insoweit hat der VfGH den Versuchen, dieses Maß an demokratischer Legitimation wesentlich einzuschränken, einen deutlichen Riegel vorgeschoben. Er hat diese Betrachtungsweise – wie man gleich sehen wird – aber nicht konsequent durchgehalten.

4.
Die Parität zwischen DG und DN in den Organen der Gesundheitskasse und PVA

Die Neuregelung der Zusammensetzung der Selbstverwaltungskörper in der KV und in der PV der DN hat im Vorfeld der Novelle wahrscheinlich am meisten Staub aufgewirbelt. Die überwiegende Lehre hat die Regelung als verfassungswidrig beurteilt;* andere AutorInnen haben sie – zum Teil mit dem Argument, auch DG hätten ein den DN gleichgewichtiges Interesse an der Gesundheit ihrer DN – verteidigt.*

Die Empörung war auch deshalb so groß, weil seit Begründung der gesetzlichen SV im Jahre 1888 in der KV der DN immer die DN die Mehrheit in ihrer Selbstverwaltung hatten, und zwar bis 1927 im Verhältnis 2:1 (wie bis zuletzt auch in der PV) und ab 1927 – 1934, sowie erneut ab 1945, im Verhältnis 4:1. Dabei sah die bisherige Konstruktion als weiteres Organ eine Kontrollversammlung vor, in der die Mehrheitsverhältnisse umgekehrt lauteten. Die Kontrollversammlung konnte aber dank der gegen aufhebende Beschlüsse eingeräumten rechtlichen Kontrolle durch die Aufsichtsbehörde – der Kontrollfunktion entsprechend – nur rechtswidrige, nicht aber rechtmäßige Beschlüsse der Selbstverwaltungsorgane verhindern. Durch die Parität können die DG nunmehr jeglichen Beschluss eines Organs der Selbstverwaltung, unabhängig von seiner Zweckmäßigkeit und Rechtmäßigkeit, verhindern. Gegen den Willen der DG-VertreterInnen geht in der KV der DN nichts mehr.*

Der VfGH hielt das Ganze dann auch noch für verfassungskonform – man kam aus dem Augenreiben nicht heraus. Selbst wenn man die sicherlich zulässige Denkvariante weglässt, nach welcher die DG in der Selbstverwaltung der KV und der PV der DN (wie schon der Gegenstand nahelegt) eigentlich überhaupt nichts verloren haben, und man also die „Mitgliedschaft“ der DG in der Selbstverwaltung der DN im Hinblick auf den tatsächlichen Bestand einer solchen Vertretung seit 1888 nicht weiter hinterfragt, dann hatte man eigentlich nur zwei Ansatzpunkte, nach denen sich eine Verteilung der Mandate auf DG und DN sachlich rechtfertigen lässt und die auch dem demokratischen Prinzip und dem der Verhältnismäßigkeit entsprechen konnten: die Aufteilung im Verhältnis der Köpfe oder im Verhältnis der finanziellen Beiträge. Im erstgenannten Fall hätten die DG angesichts der geringen Zahl der Mandate keinen einzigen Vertreter, weshalb auch das eine Mandat bei 4:1 gesetzlich garantiert werden musste, wie der Entstehungsgeschichte des AngestelltenversicherungsG 1927 zu entnehmen ist.* Denn 1927 hatte man das neu eingeführte Verhältniswahlrecht auf die Selbstverwaltung der SV übertragen.* Im zweitgenannten Fall hätten die DN aufgrund ihrer finanziellen Eigenleistungen neben den Sozialversicherungsbeiträgen eine Mehrheit von 2:1. Es gab eigentlich nichts, das einen sachlichen Grund für eine Parität abgeben konnte, die es nicht einmal im Ständestaat gab.* Wie begründet aber der VfGH die Verfassungsmäßigkeit der Parität?

Zunächst entgegnet er den Zweifeln an der Berechtigung, die DG überhaupt in die Selbstverwaltung der KV der DN einzubeziehen, mit einem versteinerungstheoretischen Argument: Diese Ausgestaltung der (gebietsbezogenen) sozialen KV nach dem ASVG habe der Verfassungsgesetzgeber der B-VG-Novelle 2008 vorgefunden. Es sei nicht anzunehmen, dass der Verfassungsgesetzgeber diese vorgefundene traditionelle Form der sozialen Selbstverwaltung als gemeinsame Selbstverwaltung von DN und DG grundsätzlich habe in Frage stellen wollen.

Sodann verlässt der VfGH jedoch die versteinerungstheoretische Begründungslinie, die ja schnurstracks zur Verfassungswidrigkeit der Parität hätte führen müssen, denn auch die Mehrheit der DN in den Organen der eigenen Selbstverwaltung hat der Verfassungsgesetzgeber nicht nur 2008, sondern 155 schon 1925 vorgefunden und es gibt ebensowenig einen Hinweis darauf, dass an dem Grundsatz, dass die Versicherten in der Selbstverwaltung ihrer eigenen KV (und PV) die Mehrheit haben müssen, mit den Art 120a ff B-VG irgend etwas hätte geändert werden sollen. Der VfGH wechselt aber an diesem Punkt die Argumentationslinie: Denn angeblich räumt „Art 120c Abs 1 B-VG dem Gesetzgeber bei der konkreten Ausgestaltung der demokratischen Repräsentation in den Organen des Versicherungsträgers einen erheblichen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum ein. Diesen hat der Gesetzgeber mit der Anordnung der Parität von Dienstgebern und Dienstnehmern in § 426 ASVG idF des SV-OG nicht überschritten“. Es ist zunächst wenig überraschend, dass Verfassungsbestimmungen dem einfachen Gesetzgeber einen in der Regel weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum einräumen. Anders als gerade zuvor wird hier aber argumentiert, wenn man meint, dass dieser Spielraum durch versteinerungstheoretische Überlegungen nicht eingeschränkt wird. In erster Linie liegt doch aber die Frage auf dem Tisch, nach welchem Maßstab Mandate „demokratisch“ verteilt werden sollen, wenn man schon zwei Personengruppen unterschiedlicher Interessen, vor allem aber deutlich unterschiedlicher Größe in eine Selbstverwaltung zusammenfassen will. Und hier geht es nicht einmal um eine Zusammenfassung vergleichbar der neuen SVS, denn hier sind nur die einen versichert, während die anderen nur ein „gewisses Interesse“ haben und über den fremden Zaun blicken. Aber diese Frage bleibt unbeantwortet. Nähere Erläuterungen gibt der VfGH nicht. Er beschreibt in der Folge lediglich die Aufgabe der KV:

Diese liege darin, „für die Krankenbehandlung der Versicherten und ihrer Familienangehörigen ausreichend Vorsorge zu treffen“ (§ 23 Abs 2 ASVG). Für die Beurteilung der die „Intensität der Mitwirkung“ bestimmenden „potentiellen Auswirkungen“ dieser Tätigkeit auf die Rechtssphäre der DN einer- und der DG andererseits sei sowohl die Beitrags- als auch die Leistungsseite der Tätigkeit des Versicherungsträgers in den Blick zu nehmen. Soweit, so gut: Die Beitragsseite sieht überwiegende Leistungen der DN, die Leistungsseite Leistungen nur an DN vor. Wenn man also beide Seiten „in den Blick nimmt“, dann kann vieles herauskommen, nur keine Parität.

Da taucht aber plötzlich eine Rechtssphäre der DG als Konsequenz faktischer Auswirkungen (welcher Art auch immer) auf. Denn es heißt: Zwar betrifft nur die DN als „Versicherte“ der KV die Leistungsseite „elementar im Hinblick auf ihre Interessen an der Vorsorge für ihre Krankenbehandlung“, doch kommt auch hier den DG „ein gewisses Kontroll- und Effizienzsicherungsinteresse“ zu. Deutlicher ging es wohl nicht. Das elementare Interesse der DN wird durch ein nicht näher quantifiziertes „gewisses“ Interesse der DG an der Effizienz offenbar aufgewogen. Das ist schon sprachlich eine Fehlgewichtung. Auf der Beitragsseite seien „demgegenüber“ (dh im Gegensatz zu dem Vorgesagten, in dem ein elementares einem bloß gewissen Interesse gegenübersteht) sowohl DG als auch DN durch ihre Beitragsleistung betroffen. Hier würden die DG ebenso wie die DN einen Beitrag aus dem gemeinsamen Interesse an der Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung für die nach dem ASVG Versicherten leisten.

Der Interessengegensatz von DG und DN prägt – ungeachtet der Einrichtung der Sozialpartnerschaft – das gesamte Individualarbeitsrecht und das Arbeitsverfassungsrecht. Das schließt nicht aus, dass sich da und dort Interessen überschneiden oder gar parallel laufen mögen. Aus einem „gemeinsamen Interesse“ an der Gesundheitsversorgung der DN aber die Begründung für die Entmachtung der DN in ihrer eigenen KV und PV abzuleiten, ist schon starker Tobak. Derart weitreichende gemeinsame Interessen von DG und DN, die eine Parität in den Organen der Selbstverwaltung rechtfertigen könnten, entsprechen nicht der Realität des Arbeitslebens.

Zur Wiederholung resümiert der VfGH: Angesichts der Beitragsleistung* und der besonderen Aufgabenkonstellation der Allgemeinen SV habe der Gesetzgeber den ihm eingeräumten Gestaltungsspielraum nicht überschritten, wenn er angesichts der spezifisch sozialpartnerschaftlichen Anknüpfung bei der abgeleiteten Repräsentation in den Organen des Versicherungsträgers ÖGK eine Parität von DG und DN vorsehe.

Es bleibt also zur Rechtfertigung argumentativ nicht mehr übrig, als das „gewisse Interesse“ der DG an der Effizienz und die Beitragsleistung von einem Drittel der Aufwendungen. Was „die besondere Aufgabenkonstellation der Allgemeinen Sozialversicherung“ argumentativ beiträgt, weiß ich nicht; erwähnt hat der VfGH nur § 23 ASVG, wonach die ÖGK für die Krankenbehandlung der Versicherten und ihrer Familienangehörigen ausreichend Vorsorge zu treffen hat. Von den DG ist dort jedenfalls nicht die Rede.

Der VfGH weicht aber auch von den Grundsätzen der Selbstverwaltung ab, die er selbst entwickelt hat. Im Erkenntnis zum Präsidenten der Bundesarbeitskammer heißt es zur als verfassungswidrig aufgehobenen Regelung der automatischen Besetzung mit dem Wiener Präsidenten: „Die Basis der demokratischen Legitimation dieses Präsidenten ist somit (bezogen auf die rechtstechnische Struktur des Arbeiterkammertages als Zusammensetzung aller Arbeiterkammern) auf die kammerangehörigen Dienstnehmer eines einzigen der insgesamt neun Bundesländer und (bezogen auf die vom Arbeiterkammertag vertretenen Dienstnehmer des ganzen Bundesgebietes) auf eine Minderheit von weniger als einem Drittel eingeschränkt. Da der Präsident des Arbeiterkammertages als ein mit den dargelegten entscheidungswichtigen Aufgaben und Befugnissen ausgestattetes Organ dieser Körperschaft die Interessen der Dienstnehmer des ganzen Bundesgebietes (also auch der nun 72,16 % der Wahlberechtigten der anderen acht Bundesländer) zu vertreten hat, entbehrt diese Einschränkung der sachlichen Rechtfertigung.“156

Selbst wenn man also die DG neben den DN als „Mitglieder“ der ÖGK betrachtet und überdies die fehlende Betroffenheit von der KV ausblendet, haben weniger als 10 % der „Mitglieder“ in den entscheidungswesentlichen Organen eine Vertretung von 50 %. Anders gewendet: Der von der KV gar nicht betroffene Minderheitsanteil der Mitglieder herrscht gleichberechtigt mit 90 % der von der KV tatsächlich betroffenen Mitgliedern.

Der VfGH vermittelt durch die Ablehnung der nächstliegenden und wohl auch einzigen Maßstäbe für die Zusammensetzung der Selbstverwaltungsorgane (Zahl der Personen oder Beiträge zur Finanzierung) und durch die Verschweigung irgend eines anderen greifbaren Maßstabes für die Parität* insgesamt den Eindruck, der Gesetzgeber (arg: weiter Spielraum) könnte die Beteiligung der DG und der DN an der Selbstverwaltung der SV an wichtigen Organen (immerhin ein demokratiepolitisches Essentiale der Selbstverwaltung) ganz nach seinem Belieben regeln. Diese Begründung des VfGH stünde angesichts von deren völliger Maßstabslosigkeit auch einer Mehrheit der DG nicht entgegen. Die Beteiligung der DG ist dann aber konsequenterweise wohl auch nicht geboten. Und: Wieso gelten im ASVG andere Maßstäbe als im B-KUVG? Da kann man nicht mit dem Gegenargument kommen, es handle sich um verschiedene Gruppen von Versicherten, weil es um ein und dieselbe demokratiepolitische Sachfrage geht, für die daher auch vor dem Hintergrund der Art 120a-120c B-VG ein und derselbe Maßstab zu gelten hat.

Meine Erwartungshaltung wäre, dass hier nicht wirklich Weichen auf Dauer gestellt werden konnten. Durch die mit der Parität erfolgte Neutralisierung der Mehrheitsverhältnisse in den gesetzlichen beruflichen Vertretungen der AN durch die Minderheit der DG steht die Regelung im klaren Widerspruch zu den Grundsätzen abgeleiteter Selbstverwaltung: Eine weitgehend begründungsarme Fehlentscheidung des VfGH in diesem Punkt.

5.
Keine Entsendung durch die Aufsichtsbehörde in die Selbstverwaltung der BVAEB

Die VA der öffentlichen Bediensteteten vollzog das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz (B-KUVG) seit dem Stammgesetz, BGBl 1967/200. Auch deren Verwaltungskörper (gem § 130 B-KUVG Hauptvorstand, Überwachungsausschuss, Landesvorstände und Rentenausschuss) bestanden gem § 132 B-KUVG aus VertreterInnen der DN und der DG (Versicherungsvertreter). Durch das SV-OG wurde die BVA mit der VA für Eisenbahn und Bergbau zur BVAEB fusioniert, die Organe wurden auf ein Verhältnis DN zu DG von 3:1 auf 7:3 im Verwaltungsrat bzw auf 14:6 in der Generalversammlung aufgestockt.*

Eisenbahner und Bergbaubeschäftigte kamen also in die neue BVAEB als Versicherte hinzu. Was die Interessenvertretung betrifft, gehören beide Berufsgruppen zur Arbeiterkammer. Zur Arbeiterkammer gehören nur jene öffentlich Bediensteten nicht, die einer Dienststelle angehören, die in Vollziehung der Gesetze tätig ist, oder die in Unterrichts- und Erziehungsanstalten, Archiven, Bibliotheken, Museen oder wissenschaftlichen Anstalten beschäftigt sind.*

Dessen ungeachtet hat der Gesetzgeber an der Entsendemodalität in § 133 Abs 1 B-KUVG festgehalten. Die VersicherungsvertreterInnen aus der Gruppe der DN waren von der Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz zu entsenden, und zwar auf Vorschlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes im Einvernehmen mit der in Betracht kommenden Gewerkschaft. Die Gewerkschaften hatten ihre Vorschläge nach dem Mandatsergebnis der Wahl zu ihrem jeweiligen satzungsgebenden Organ (zB Vollversammlung, Hauptversammlung) auf Vorschlag der jeweils wahlwerbenden Gruppe nach dem System d‘Hondt unter sinngemäßer Anwendung von § 133 Abs 2 Z 1 und 2 zu erstellen.

Der VfGH hatte 2003 bereits in seinem Erkenntnis VfSlg 17.023 mit näherer Begründung ausgeführt, die Organe der Selbstverwaltungskörper iSd Art 120c Abs 1 B-VG in der sozialen Selbstverwaltung seien indirekt oder „abgeleitet“ in dem Sinne zu bestellen, als Versicherungsvertreter aus dem Kreis gewählter Funktionsträger der zuständigen öffentlich-rechtlichen Interessenvertretungen der DN und DG zu entsenden sind.*

Darauf stützte sich die Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte in ihrem Gesetzesprüfungsantrag zu VfGHG 211/2019 ua. Sie erachtete sich in ihrem ihr im AKG gesetzlich eingeräumten Entsenderecht verkürzt. Die DN hätten im neuen Versicherungsträger im Verwaltungsrat sieben von zehn Stimmen. Laut Jahresbericht der österreichischen SV 2019 (S 24) gebe es rund 164.000 VAEB Beitragsleistende und rund 579.000 BVA Beitragsleistende. Daher seien rund 22 % des beitragsleistenden Anteils der neuen BVAEB aus der VAEB zugewandert, was im Verwaltungsrat 1,54 DN-Mandaten entspräche. Rechnet man dann noch die arbeiterkammerzugehörigen BVA-Versicherten dazu, kann gerundet von mindestens zwei DN-Mandaten ausgegangen werden.

Diesen Ausführungen schloss sich der VfGH an: Die Regelung des § 133 B-KUVG widerspreche dem verfassungsrechtlichen Gebot gem Art 120c Abs 1 B-VG. Nach § 133 Abs 1 B-KUVG erfolge nämlich die Entsendung der VersicherungsvertreterInnen aus der Gruppe der DN nicht durch aus dem Kreis der DN gewählte Funktionsträger der (zuständigen) öffentlich-rechtlichen Interessenvertretung, sondern durch die Bundesministerin für 157 Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz, also durch ein Organ, das keine demokratische Legitimation besitze, die Interessen der DN zu vertreten. Aus diesem Grund erweise sich § 133 Abs 1 B-KUVG als verfassungswidrig.*

Die Aufhebung des § 133 B-KUVG wurde nach dem Spruch des VfGH mit Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt wirksam, dies war also der Ablauf des 2.1.2020 (BGBl I 2020/4). Seither klafft im B-KUVG an der Stelle des § 133 eine Lücke.

Bundesregierung und Nationalrat sind mit der Schließung dieser Lücke seit mittlerweile vier Jahren im Verzug. Das hängt wohl damit zusammen, dass eine verfassungskonforme Regelung möglicherweise zu einer Änderung der politischen Mehrheiten in der BVAEB und damit im Zusammenhang auch in der Konferenz des Dachverbandes führen würde. Diesen verfassungrechtlich gebotenen politischen Rückzieher wollte die seinerzeitige Regierung nicht machen. Aber auch die neue, seit 2019 im Amt befindliche Bundesregierung hat bisher nichts unternommen, um diese Lücke zu füllen. Dabei droht der BVAEB durch diese Lücke Ungemach: Der VfGH hat sich in seinem Erkenntnis vom 17.12.1979, B 444/78 (VfSlg 8716), bereits einmal zu der Frage geäußert, welche Konsequenz ein Erkenntnis hat, das Besetzungsvorschriften eines Kollegialorgans als verfassungswidrig aufhebt (Anlassfall damals: Disziplinarrat einer Rechtsanwaltskammer). Der VfGH hat damals ausgesprochen, dass ab der Wirksamkeit der Aufhebung (und daher auch im damaligen Anlassfall) das Organ als nicht mehr gesetzmäßig besetzt gilt und zwar (ausdrücklich) ungeachtet der Bestimmungen über seine Beschlussfähigkeit.* Als Begründung kann man dort lesen, dass das Organ in der vom VfGH als verfassungskonform vorgesehenen Weise nie eingerichtet und daher rechtlich nicht existent geworden ist.

Gemessen daran sind alle seit dem 3.1.2020 gefassten Beschlüsse der fehlerhaft zusammengesetzten Organe des BVAEB rechtsunwirksam. Welche Auswirkungen das auf einen allenfalls mittlerweile abgeschlossenen Gesamtvertrag haben könnte, muss ich hier nicht erwähnen. Es wäre also nicht nur demokratiepolitisch allerhöchste Zeit, das Verharren in der Verweigerung der verfassungsrechtlichen Realität aufzugeben,* die erforderlichen gesetzgeberischen Maßnahmen zu treffen und die Organe der VAEB verfassungskonform neu zu bestellen. Dabei wäre es wohl zweckmäßig, die bisher von einem verfassungswidrig zusammengesetzten Organ gefassten Beschlüsse per Gesetz rückwirkend für wirksam zu erklären und damit böse Überraschungen für Dienstleister und Versicherte zu vermeiden. Fehlt die demokratische Legitimation, kann man sie auch nicht durch zweifelhafte gesetzgeberische Tricks erzwingen. Selbst wenn diese in einem schlichten Unterlassen bestehen, und daraus entstehende Probleme tendenziell auf dem Rücken der Versicherten ausgetragen werden.

6.
Schlussbemerkung

Es zeugt von demokratischer Reife, mit welcher Ruhe und Gelassenheit die Vertreter der DN die von der Parlamentsmehrheit mit dem SV-OG unternommenen Versuche, an zahlreichen Punkten Grenzen der Verfassung auszuhebeln, über sich haben ergehen lassen. Von alldem sind vor dem VfGH im Wesentlichen nur die Fusion der Gebietskrankenkassen und die Parität übrig geblieben. Schlimm genug. Aber es wäre nicht die österreichische Sozialpartnerschaft, wenn sie in der Praxis der Selbstverwaltung der SV nicht unverdrossen weiter funktionieren würde. 158