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Schwerarbeitszeiten: Pro Arbeitstag verbrauchte Arbeitskilokalorien in allen versicherungspflichtigen Tätigkeiten zu addieren

ALEXANDERPASZ
§ 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsVO

Der 1969 geborene Kl war von 3.12.2001 bis 31.10.2004 als Mitarbeiter im Straßenerhaltungsdienst und von 1.11.2004 bis 1.9.2020 mit dem Dienstposten eines „motorisierten Streckenwartes“ und als Mitarbeiter im Straßenerhaltungsdienst betraut. Als Streckenwart ergibt sich ein Kalorienverbrauch von weit unter 2.000 Arbeitskilokalorien, dies im Monatsschnitt an rund 10 Arbeitstagen. Bei der Tätigkeit als Straßenerhaltungsfachmann werden nach Abzug von Unproduktivzeiten/Leerzeiten bei 8 h 40 Min Tagesarbeitsstunden 2.011 Arbeitskilokalorien verbraucht. Im Monatsschnitt verbrauchte der Kl an rund 7 Tagen mehr als 2.000 Arbeitskilokalorien.

Darüber hinaus ist der Kl als Betriebsführer einer Landwirtschaft mit einer Fläche von 5 ha tätig. Nach einer Auskunft der Sozialversicherungsanstalt der Bauern (nunmehr: Sozialversicherung der Selbständigen [SVS]) erwarb der Kl in diesem Versicherungszweig keine Zeiten der Schwerarbeit nach dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz (BSVG), sondern 58verbrauchte bei Verrichtung dieser Tätigkeiten im Zeitraum von 1.7.2009 bis 31.3.2019 (ungeprüft) täglich 1.043,51 Arbeitskilokalorien.

Mit Bescheid lehnte die bekl Pensionsversicherungsanstalt die Anerkennung von Schwerarbeitszeiten im Zeitraum von 1.8.2009 bis 31.8.2020 ab. Der Kl begehrte die Feststellung von Schwerarbeitszeiten im Zeitraum von 1.8.2009 bis 31.8.2020. An Tagen, an denen der Kl im Streckendienst und danach als Landwirt tätig sei, verbrauche er mehr als 2.000 Arbeitskilokalorien. Die Bekl wandte mit Verweis auf die Rsp ein, dass eine Zusammenrechnung von Arbeitskilokalorien aus nebeneinander ausgeübten selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeiten nicht vorzunehmen sei.

Die Vorinstanzen lehnten das Begehren des Kl ab. Der OGH sah die außerordentliche Revision des Kl als zulässig und berechtigt an.

Der OGH verweist dazu auf seine E 10 ObS 64/22t vom 28.7.2022, in der er seine bisherige Rsp zur Zusammenrechnung von aus mehreren Tätigkeiten verbrauchten Arbeitskilokalorien für die Beurteilung des Vorliegens von Schwerarbeitszeiten präzisiert hat. Nach § 4 SchwerarbeitsVO ist ein Schwerarbeitsmonat jeder Kalendermonat, in dem eine oder mehrere Tätigkeiten nach § 1 Abs 1 SchwerarbeitsVO in dem für das Vorliegen eines Versicherungsmonats erforderlichen Ausmaß von 15 Versicherungstagen ausgeübt wurden, wobei Arbeitsunterbrechungen außer Betracht bleiben, solange die Pflichtversicherung in der PV weiter besteht. Dabei ist die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit ausschlaggebend, unabhängig davon, ob die jeweilige Tätigkeit als selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt wird. Es gilt eine tageweise Betrachtung, sodass jeder Arbeitstag, an dem eine Tätigkeit nach § 1 Abs 1 SchwerarbeitsVO verrichtet wurde, als Tag iSd § 4 SchwerarbeitsVO zählt. Die tageweise Betrachtung führt zu einer Zusammenrechnung von Schwerarbeitstagen, auch wenn einzelne Tage in unterschiedlichen Versicherungsverhältnissen zurückgelegt oder an einzelnen Tagen jeweils verschiedene Tatbestände nach § 1 Abs 1 SchwerarbeitsVO erfüllt wurden.

Aus der Formulierung „eine oder mehrere Tätigkeiten nach § 1 Abs 1“ in § 4 SchwerarbeitsVO folgt, dass bei überschneidender Ausübung mehrerer selbständiger oder unselbständiger Tätigkeiten für den Erwerb eines Schwerarbeitsmonats iSd § 4 SchwerarbeitsVO nur jene Tätigkeiten zu berücksichtigen sind, die (für sich) besonders belastende Tätigkeiten gem § 1 Abs 1 SchwerarbeitsVO sind. Die Wendung bezieht sich auf unterschiedliche Ziffern (Tatbestände) des § 1 Abs 1 SchwerarbeitsVO und nicht auf Berufe oder Dienstverhältnisse des Versicherten. Damit wird eine Kumulierung von Tätigkeiten innerhalb der einzelnen Tatbestände – wie im gegenständlichen Fall der schweren körperlichen Arbeit gem § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsVO – nicht ausgeschlossen. Eine „tatbestandsübergreifende“ Kombination ist jedoch ausgeschlossen.

Das weite Verständnis des Begriffs der Tätigkeit führt – in Abkehr von der in den OGH-Entscheidungen 10ObS89/18p&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 89/18p vom 19.12.2018 und 10ObS84/20f&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 84/20f vom 1.9.2020 vertretenen Ansicht – dazu, dass alle (versicherungspflichtigen) Verrichtungen (an einem Arbeitstag) der Prüfung zugrunde gelegt werden müssen, ob dadurch einer der Tatbestände des § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV (an diesem Tag) erfüllt ist. Die Wendung „eine oder mehrere“ ist dementsprechend auf „Tätigkeiten nach § 1 Abs 1“, also auf unterschiedliche Ziffern (Tatbestände) des § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV zu beziehen (und nicht auf – in diesem Zusammenhang nicht zu unterscheidende – Berufe oder Dienstverhältnisse des Versicherten), wobei ein und dieselbe Zeit freilich immer nur einmal zu zählen ist, auch wenn an einem Tag gleichzeitig unterschiedliche Tatbestände des § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV erfüllt sein sollten.

In diesem Verfahren vertrat die Bekl auch die Rechtsansicht, dass eine körperliche Schwerarbeit gem § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsVO nicht nur aus dem Arbeitsenergieumsatz, sondern auch aus der Arbeitszeit von 8 Stunden bestehe und es sich dabei um einen Grenzwert handle. Die vom Gesetzgeber geforderte besondere Belastung könne gleichheitskonform nur dann beurteilt werden, wenn die erbrachte Arbeit in Relation zu einer Zeiteinheit gebracht werde. Dem hat der OGH bereits in der E 10 ObS 64/22t vom 28.7.2022 entgegengehalten, dass vielmehr der in § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsVO genannte tatsächliche Gesamtenergieverbrauch, dem gegebenenfalls auch mehr als 8 Arbeitsstunden zugrunde zu legen sind, ausschlaggebend ist.

Nachdem das Verfahren ergänzungsbedürftig ist, verwies der OGH die Sozialrechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht zur Berechnung der pro Arbeitstag verbrauchten Arbeitskilokalorien alle versicherungspflichtigen Tätigkeiten (gegebenenfalls unter Addition der unselbständigen mit der selbständigen Tätigkeit) des Kl zu berücksichtigen und in weiterer Folge zu ermitteln haben, ob die erforderliche energetische Belastung von 2.000 Arbeitskilokalorien im verfahrensgegenständlichen Zeitraum an zumindest 15 Tagen im Monat erreicht wurde. 59