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Export von Rehabilitationsgeld nach Bosnien und Herzegowina

PIA ANDREAZHANG

Die Verpflichtung zum Export des Rehabilitationsgeldes ergibt sich aus dem Abkommen. Das Rehabilitationsgeld ist eine Geldleistung iSd Art 1 Abs 1 Z 9 bzw Art 5 AbkSozSi-Bosnien (Sozialversicherungsabkommen bzw auch Abkommen über Soziale Sicherheit mit Bosnien) und es besteht daher eine Exportpflicht.

Dem steht weder Art 13 AbkSozSi-Bosnien noch die Rsp des EuGH entgegen.

SACHVERHALT

Die 1966 geborene Kl wohnt in Bosnien und Herzegowina. In den letzten 15 Jahren vor ihrem Pensionsstichtag am 1.12.2019 hat sie als Gärtnerarbeiterin in Österreich gearbeitet und insgesamt 119 Beitragsmonate erworben. Von 1.12.2019 bis 30.4.2021 war sie arbeitsunfähig.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Der Antrag der Kl auf Zuerkennung einer Invaliditätspension wurde mangels Vorliegens dauerhafter Invalidität abgelehnt. Es wurde aber festgestellt, dass vorübergehende Invalidität im Ausmaß von zumindest sechs Monaten vorliegt und als medizinische Maßnahme der Rehabilitation der weitere Krankheitsverlauf abzuwarten sei. Es bestehe kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld, da die Kl nicht in Österreich wohnt und ein Export nicht vorgesehen sei.

Dagegen erhob die Kl Klage. Das Erstgericht stellte fest, dass von 1.12.2019 bis 30.4.2021 vorübergehende Invalidität vorliege und die Kl für diese Dauer Anspruch auf Rehabilitationsgeld im gesetzlichen Ausmaß habe, auch wenn die Kl nicht in Österreich, sondern Bosnien wohnen. Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Revision der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) nicht Folge und sprach aus, dass das Rehabilitationsgeld aufgrund der Bestimmungen des AbkSozSi-Bosnien zu exportieren sei. Daran ändere auch die Rsp des EuGH nichts, da die VO 883/2004 hier nicht anwendbar sei.

Über die Revision der PVA sprach der OGH aus, dass sie zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber inhaltlich nicht berechtigt ist.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„[…]

1.2 Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 10 ObS 122/16p SSV-NF 31/1 mit ausführlicher Begründung bejaht, dass das Rehabilitationsgeld im Anwendungsbereich des AbkSozSi-Bosnien zu exportieren ist. Das Rehabilitationsgeld nach § 143a ASVG ist eine Geldleistung im Sinn des Art 1 Abs 1 Z 9 bzw Art 5 AbkSozSi-Bosnien (vgl auch 10 ObS 134/20h [Rz 26 f] zum AbkSozSi-Türkei). Art 13 AbkSozSi-Bosnien steht der sich aus Art 5 ergebenden Exportverpflichtung nicht entgegen (RS0131281). Diese Rechtsprechung ist in der Lehre nicht auf Kritik getroffen. Die Beklagte zeigt – bei unveränderter Rechtslage – keine Argumente auf, von ihr abzugehen.

2.1 Die beklagte Pensionsversicherungsanstalt argumentiert erstmals in der Revision, dass sie nicht „zuständiger Träger“ im Sinn des Art 1 Abs 1 Z 4 AbkSozSi-Bosnien sei. Denn das Rehabilitationsgeld sei eine Leistung der Krankenversicherung und die Pensionsversicherungsanstalt sei zur Gewährung von Geldleistungen aus der Krankenversicherung nicht zuständig. […]

2.4 „Träger“ im Sinn des Abkommens sind alle Einrichtungen, die mit der konkreten Anwendung in den jeweiligen konkreten Einzelfällen betraut sind. „Zuständiger Träger“ ist jene Einrichtung, die für leistungsrechtliche Ansprüche in Frage kommt (Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [60. Lfg], Abk Allg Teil Rz 5). Der Pensionsversicherungsträger hat über das Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Rehabilitationsgeld aufgrund eines Antrags auf Zuerkennung einer Invaliditätspension (Berufsunfähigkeitspension) nach § 361 Abs 1 letzter Satz ASVG mit gesondertem Feststellungsbescheid zu entscheiden. Er entscheidet nicht nur über die Zuerkennung, sondern auch über die Entziehung des Rehabilitationsgeldes; lediglich über dessen Höhe hat der Krankenversicherungsträger zu entscheiden (Födermayr in SV-Komm [249. Lfg] § 143a ASVG Rz 5 mwH). Schon nach dem Wortlaut des Art 1 Abs 1 Z 4 AbkSozSi-Bosnien ist die beklagte Pensionsversicherungsanstalt daher der „zuständige Träger“, gegen den die Klägerin „einen Anspruch auf Leistungen hat oder noch hätte“, wenn sie sich noch in Österreich aufhielte. […]

3.1 Die Beklagte argumentiert – ebenfalls erstmals in der Revision –, dass Art 5 AbkSozSi-Bosnien nicht anwendbar sei, weil dieser von der Spezialnorm des Art 12 AbkSozSi-Bosnien verdrängt werde. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH, wonach das Rehabilitationsgeld nicht mehr zu exportieren sei. In diesem Zusammenhang sei die Parallelität des AbkSozSi-Bosnien zum Unionsrecht zu beachten. Das Unionsrecht biete vor dem Hintergrund der im 47AEUV verbrieften Freizügigkeit ein Höchstmaß an Rechten. Wenn der Anspruch auf Rehabilitationsgeld daher sogar nach dem Unionsrecht nicht exportiert werden müsse, könne dies umso weniger im Anwendungsbereich des AbkSozSi-Bosnien gelten, das nicht auf dem AEUV basiere. […]

3.4 Die Anwendung der Regel, dass die speziellere Norm die generellere verdrängt, setzt voraus, dass sich die speziellere Norm grundsätzlich auf dieselben Sachverhalte bezieht wie die allgemeinere Bestimmung, aber noch zumindest ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal aufweist (Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 [Stand 1.3.2017, rdb.at] § 6 Rz 12, mH auf 4 Ob 301/73 SZ 46/11). Während Art 5 AbkSozSi-Bosnien ganz allgemein auf Geldleistungen mit Ausnahme von Leistungen bei Arbeitslosigkeit anwendbar ist, ist Art 12 (nur) in den Fällen des Art 11 AbkSozSi-Bosnien anwendbar. Art 11 AbkSozSi-Bosnien regelt, unter welchen Voraussetzungen eine Person Anspruch auf Sachleistungen gegenüber dem Träger des Wohn- oder Aufenthaltsorts zu Lasten des zuständigen Trägers hat. Art 12 AbkSozSi-Bosnien regelt daher – anders als Art 5 – nicht die Exportverpflichtung einer Geldleistung, sondern lediglich Geldleistungen (deren Höhe), die der zuständige Träger zu gewähren hat, wenn die anspruchsberechtigte Person im anderen Vertragsstaat eine Sachleistung vom Träger des Wohn- oder Aufenthaltsorts zu Lasten des zuständigen Trägers in Anspruch nimmt. Bereits nach dem maßgeblichen Wortlaut des Abkommens ist Art 12 AbkSozSi-Bosnien daher nicht als Spezialnorm im Verhältnis zu Art 5 AbkSozSi-Bosnien anzusehen. Eines weiteren Eingehens auf die von der Beklagten behauptete „Parallelität“ des Unionsrechts zum AbkSozSi-Bosnien bedarf es aus diesen Gründen nicht.

4.1 Ebenfalls erstmals in der Revision macht die Beklagte geltend, dass die Rehabilitation im Staat des Wohnsitzes nicht administrierbar sei, weil dort keine Leistungen von medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation erfolgen könnten. Unter Berufung auf Spiegel (Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [60. Lfg], Abk Allg Teil Rz 69) führt die Beklagte aus, dass die nationalen Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt seien, wenn die Möglichkeit, Rehabilitationsleistungen zu erbringen bzw das Case Management zu administrieren, nicht bestehe. Dies trifft nicht zu: […]

4.3 Die Anspruchsvoraussetzungen für das Rehabilitationsgeld regelt § 255b ASVG (bzw §§ 273b, 280b ASVG), § 143a Abs 1 ASVG verweist – auch im Zusammenhang mit der Entziehung von Rehabilitationsgeld – auf diese Bestimmungen. Weder die Möglichkeit, Rehabilitationsleistungen zu erbringen, noch jene, das Case Management zu administrieren, sind gesetzliche Voraussetzungen des Anspruchs auf Rehabilitationsgeld. […]

Der Revision war daher nicht Folge zu geben. […]“

ERLÄUTERUNG

Der OGH hat sich in der vorliegenden E abermals mit der Exportpflicht des Rehabilitationsgeldes beschäftigt und diese im vorliegenden Fall positiv entschieden. Er stützt sich dabei auf die Bestimmungen des zwischenstaatlichen Abkommens zur Sozialen Sicherheit mit Bosnien und verweist auf seine Rsp zu OGH vom 24.1.2017, 10 ObS 122/16p.

In seinen Entscheidungen im Jahr 2016 und 2017 hatte der OGH durchwegs eine Exportpflicht des Rehabilitationsgeldes festgestellt, um das Primärrecht bzw den darin verankerten Grundsatz der Freizügigkeit nicht zu verletzen. Er hat zwar festgestellt, dass es sich um eine Leistung bei Krankheit handelt und daher in der Regel keine Zuständigkeit Österreichs gegeben war. Aufgrund des Sondercharakters der Leistung zwischen KV und PV wurde dennoch eine Exportpflicht bejaht.

Mit seiner E vom 5.3.2020, C-135/19, Pensionsversicherungsanstalt, hat der EuGH jedoch ausgesprochen, dass eine Person, die ihren Wohnsitz ins EU-Ausland verlegt hat und daher nicht mehr der österreichischen SV unterliegt, keinen Anspruch auf Rehabilitationsgeld hat, selbst wenn sie während ihrer Erwerbstätigkeit in Österreich Pensionsversicherungszeiten erworben hat, da nicht Österreich, sondern der Wohnsitzstaat für die Gewährung von Leistungen bei Krankheit zuständig ist. In dem zu entscheidenden Fall bestand aufgrund der fehlenden Nahebeziehung auch kein primärrechtlicher Anspruch auf Export. Darauffolgend hat auch der OGH seine Judikatur geändert und in seiner – zumindest kritisch einzuordnenden – E vom 30.3.2021, 10 ObS 46/21v (DRdA-infas 2021, 159) festgestellt, dass seit der klaren Einordnung des österreichischen Rehabilitationsgeldes als Leistung bei Krankheit iSd Art 3 Abs 1 lit a VO 883/2004 durch den EuGH, die in der früheren Rsp des OGH vertretene Ansicht, dem Rehabilitationsgeld komme aufgrund seiner Berührungspunkte mit Leistungen bei Invalidität ein Sondercharakter zu, nicht mehr aufrecht zu erhalten sei. Rehabilitationsgeld sei daher nicht ins EU-Ausland zu exportieren.

Im vorliegenden Fall ging es aber um eine Person, die ihren Wohnsitz nicht in einen anderen Mitgliedstaat der EU, sondern nach Bosnien und Herzegowina verlegt hat. Das hat zur Folge, dass nicht die Regeln des Unionsrechts, sondern ein spezielles Abkommen über Leistungen der Sozialen Sicherheit gilt, das zwischen Österreich und Bosnien und Herzegowina abgeschlossen wurde. Dieses Abkommen sieht für Fälle, wie den vorliegenden vor, dass die Zuständigkeit für Leistungen bei Krankheit bei Österreich bleibt. Aus diesem Grund verweist der OGH in der vorliegenden E nun wieder auf seine ursprüngliche Rsp, in welcher er die Ansicht vertreten hatte, das Rehabilitationsgeld sei zu exportieren. Zwar führt er in der OGH-E vom 24.1.2017, 10 ObS 122/16p, an, dass bilateral nicht der umfassende Freizügigkeitsgrundsatz des EU-Primärrechts gilt, diese Überlegungen aber dennoch auch auf das Abkommen zu übertragen seien.48

Inhaltlich ist die vorliegende E schlüssig und steht auch im Einklang mit der Rsp des EuGH, da aufgrund der hohen Anzahl an Versicherungsmonaten in Österreich in diesem Fall eine Nahebeziehung zum österreichischen System der sozialen Sicherheit besteht. Der OGH begründet die Exportpflicht mit dem Wortlaut des Abkommens und geht gar nicht auf das Unionsrecht bzw die EuGH-Rsp ein. Er stellt fest, dass die PVA der „zuständige Träger“ nach Art 1 Abs 1 Z 4 des Abkommens ist und das Rehabilitationsgeld nach Art 5 zu exportieren ist. Zum Argument der PVA, eine solche Exportpflicht bestehe deshalb nicht, da das Rehabilitationsgeld im Ausland nicht administrierbar sei (insb Case Management, Rehabilitationsleistungen), führt er aus, dass dies keine Voraussetzung des Anspruchs ist, sondern über die Normen zur Mitwirkungspflicht geregelt wird.

Mit dieser aktuellen Judikatur könnte der OGH dennoch auf die Kritik der Lehre (vgl Minderock, DRdA 2021, 53) an seiner zuletzt sehr engen Auslegung des EuGH-Urteils reagieren und somit zumindest in Drittstaatsfällen mit besonderer Nahebeziehung seine auf die primärrechtlichen Freizügigkeitsrechte abstellende Vorjudikatur wieder anwenden.