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Schwerarbeit wegen schwerer körperlicher Arbeit: Kalorienverbrauch aus allen versicherungspflichtigen Tätigkeiten zu berücksichtigen

ALEXANDERDE BRITO
§ 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV

Bei überschneidender Ausübung mehrerer selbständiger oder unselbständiger Tätigkeiten sind für den Erwerb eines Schwerarbeitsmonats iSd § 4 SchwerarbeitsV nur jene Tätigkeiten zu berücksichtigen, die (für sich) besonders belastende Tätigkeiten gemäß § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV sind. Die jeweiligen Tatbestandselemente müssen somit je für sich genommen erfüllt sein und können nicht durch Vorliegen von Elementen anderer Tatbestände ausgeglichen werden.

Dies ist aber nur für eine „tatbestandsübergreifende“ Kombination zwingend; die Kumulierung innerhalb einzelner Ziffern wird dadurch nicht ausgeschlossen. Es müssen alle (versicherungspflichtigen) Verrichtungen (an einem Arbeitstag) der Prüfung zugrunde gelegt werden, ob dadurch einer der Tatbestände des § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV (an diesem Tag) erfüllt ist.

SACHVERHALT

Der 1967 geborene Kl arbeitete im relevanten Zeitraum als Lagerist. Basierend auf den dargelegten Aufgabenstellungen als Lagerist und nach Abzug von Leerzeiten/Unproduktivzeiten werden bei einem 8-Stunden-Arbeitstag durchschnittlich 1.821 kcal verbraucht. Der Kl verbraucht daher bei einer Nettoarbeitszeit von 9,75 Stunden 2.219 kcal, bei 8,75 Stunden 1.992 kcal und bei 8,5 Stunden 1.935 kcal. Der Break-Even-Point der maßgeblichen 2.000 kcal liegt bei 8,8 Nettoarbeitsstunden. Der Kl arbeitete nur in den Monaten Dezember 2008 und Jänner 2017 an 15 Arbeitstagen 8,8 Nettostunden. Zusätzlich zur Tätigkeit als Lagerist war der Kl jedoch seit 15.12.1995 als Landwirt (und Betriebsführer) tätig, und zwar im Jahresdurchschnitt mit ca drei Stunden täglich für Feldarbeit, Viehbetreuung und Obstbau, welche ebenso eine schwere körperliche Belastung darstellten.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Mit Bescheid vom 15.3.2021 lehnte die bekl Pensionsversicherungsanstalt die Anerkennung von 413Schwerarbeitszeiten im Zeitraum von 1.8.2007 bis 30.6.2020 ab.

Das Erstgericht stellte die Monate Dezember 2008 und Jänner 2017 als Schwerarbeitszeiten iSd § 1 Schwerarbeitsverordnung (SchwerarbeitsV) fest und wies das Klagebegehren im Übrigen ab. Ausgehend vom eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt folgerte es in rechtlicher Hinsicht, dass der Kl von Dezember 2007 bis Juni 2020 lediglich in zwei Monaten an 15 Tagen Schwerarbeit geleistet habe. Die vom Kl weiter behauptete Tätigkeit als nach dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz (BSVG) versicherter Landwirt sei nicht zu berücksichtigen, weil bei Ausübung mehrerer Tätigkeiten neben- oder nacheinander jede dieser Tätigkeiten für sich die Kriterien des § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV erfüllen müsse. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl nicht Folge und ließ die Revision nicht zu. Es schloss sich der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts unter Berufung auf die höchstgerichtliche Rsp an.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Kl, in der er die Abänderung der Urteile der Vorinstanzen iS einer gänzlichen Stattgebung der Klage, hilfsweise deren Aufhebung, beantragt.

Der Revision wurde Folge gegeben. Der OGH hob die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

[12] 2.1. Bei der „Schwerarbeitspension“ handelt es sich um eine Form der Alterspension, bei der Zeiten unter körperlich oder psychisch besonders belastenden Bedingungen besonders berücksichtigt werden sollen […]. Motiv war dabei die Schaffung eines Ausgleichs der durch belastende Tätigkeiten verursachten verminderten Lebenserwartung durch Ermöglichung eines privilegierten Pensionsantritts […]. Bei Vorliegen solcher „Schwerarbeitszeiten“ (in bestimmtem Ausmaß) soll die Alterspension bereits vor Erreichen des Regelpensionsalters beansprucht werden können, wenn bestimmte weitere Voraussetzungen […] erfüllt sind. […]

[13] 2.2. Schwerarbeitszeiten nach den zitierten gesetzlichen Bestimmungen sind Beitrags- bzw Versicherungsmonate aufgrund von Tätigkeiten, die unter körperlich oder psychisch besonders belastenden Bedingungen erbracht wurden. […] Die Feststellung, welche Tätigkeiten bzw (nach § 4 Abs 4 APG) Arbeitsbedingungen als in diesem Sinn besonders belastend gelten, überließ der Gesetzgeber jeweils einer Festlegung durch Verordnung.

[14] 2.3.1. § 1 Abs 1 der aufgrund der […] erlassenen Verordnung der Bundesministerin für Soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz über besonders belastende Berufstätigkeiten […] definiert als „besonders belastende Berufstätigkeiten“ alle Tätigkeiten, die geleistet werden. […]

4. als schwere körperliche Arbeit, die dann vorliegt, wenn bei einer achtstündigen Arbeitszeit von Männern mindestens 8.374 Arbeitskilojoule (2.000 Arbeitskilokalorien) und von Frauen mindestens 5.862 Arbeitskilojoule (1.400 Arbeitskilokalorien) verbraucht werden. […]

[15] 2.3.2. Auch die weiteren Bestimmungen der Schwerarbeitsverordnung stellen zentral auf den Begriff der „Tätigkeit“ ab, etwa im Zusammenhang mit den Fragen, ob eine bestimmte Tätigkeit als schwere körperliche Arbeit iSd § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV gilt (§ 3 SchwerarbeitsV) oder in welchem Ausmaß eine oder mehrere Tätigkeiten iSd § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV ausgeübt werden muss bzw müssen, um einen Schwerarbeitsmonat zu begründen (§ 4 SchwerarbeitsV).

[16] 2.4.1. Fraglich ist jedoch, was unter dem Begriff der Tätigkeit zu verstehen ist. Er wird weder vom Gesetz noch in der Schwerarbeitsverordnung definiert.

[17] 2.4.2 Im allgemeinen Sprachgebrauch kommen zwei Deutungen in Betracht, nämlich einerseits im (weiteren) Sinn von Tätigsein, Sichbeschäftigen mit etwas […] bzw Handeln, Wirken, Schaffen, Wirksamkeit […] oder andererseits im (engeren) Sinn von Arbeit […] bzw Gesamtheit derjenigen Verrichtungen, mit denen jemand in Ausübung seines Berufs zu tun hat […].

[18] 2.4.3. Speziell im Bereich des Pensionsversicherungsrechts könnte sich zwar eine an § 255 ASVG orientierte Auslegung (im Sinne eines engeren Verständnisses) anbieten, da § 255 ASVG diesen Begriff ebenfalls kennt. Den Fällen der Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit liegen jedoch andere Regelungsmotive zugrunde […] als der Schwerarbeitspension. Insbesondere waren im Rahmen der Schwerarbeitspension nicht Berufsbilder oder Berufsgruppen als solche als Anknüpfungspunkt gedacht und es sollte weniger entscheidend sein, welchen Beruf die Versicherten ausgeübt haben, sondern es sollte vielmehr auf die besondere Belastung ankommen […]. […] Für dieses weitere, von einer Zuordnung zu bestimmten Tätigkeitsbildern losgelöste Verständnis spricht auch § 4 Abs 4 APG, nach dem (nicht Tätigkeiten, sondern) Arbeitsbedingungen einer Festlegung als Schwerarbeit durch die Schwerarbeitsverordnung unterliegen […].

[19] 2.4.4. Dem grundsätzlichen Zweck der Schwerarbeitspension, eine durch besondere Belastung verursachte verminderte Lebenserwartung auszugleichen, entspricht das weitere Begriffsverständnis, das nicht nur Verrichtungen eines bestimmten Berufs, sondern sämtliche vom Versicherten in einem bestimmten Zeitraum tatsächlich (versicherungspflichtig) ausgeübten Verrichtungen umfasst. Die durch die Schwerarbeit verursachte verminderte Lebenserwartung hängt immerhin nicht davon ab, ob die belastenden Verrichtungen einem oder mehreren Berufsbildern (etwa Bäcker, Einzelunternehmer im Lebensmittelhandel oder Taxifahrer bzw Landwirt oder Gemeindewaldaufseher) oder einem oder mehreren Dienstverhältnissen (Versicherungszweigen) zugeordnet werden könnten. […]

[21] 2.5.1. Nach § 4 SchwerarbeitsV ist ein Schwerarbeitsmonat jeder Kalendermonat, in dem eine oder mehrere Tätigkeiten nach § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV 414in dem für das Vorliegen eines Versicherungsmonats erforderlichen Ausmaß (also 15 Versicherungstage) ausgeübt wurden, wobei Arbeitsunterbrechungen außer Betracht bleiben, solange die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung weiter besteht. Dabei ist nach der Rechtsprechung die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit ausschlaggebend […], dies unabhängig davon, ob die jeweilige Tätigkeit als selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt. [...] Es gilt eine tageweise Betrachtung […], sodass jeder Arbeitstag, an dem eine Tätigkeit nach § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV verrichtet wurde […] als Tag iSd § 4 SchwerarbeitsV zählt […]. […]

[22] 2.5.2. Die tageweise Betrachtung führt zu einer Zusammenrechnung von Schwerarbeitstagen, auch wenn einzelne Tage in unterschiedlichen Versicherungsverhältnissen zurückgelegt oder an einzelnen Tagen jeweils verschiedene Tatbestände nach § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV erfüllt wurden […].

[23] 2.5.3. In den eingangs […] genannten Entscheidungen folgerte der Oberste Gerichtshof aus der Formulierung „eine oder mehrere Tätigkeiten nach § 1 Abs 1“ in § 4 SchwerarbeitsV, dass bei überschneidender Ausübung mehrerer selbständiger oder unselbständiger Tätigkeiten für den Erwerb eines Schwerarbeitsmonats iSd § 4 SchwerarbeitsV nur jene Tätigkeiten zu berücksichtigen seien, die (für sich) besonders belastende Tätigkeiten gemäß § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV sind […]. Daran ist im Grundsatz weiterhin festzuhalten, weil die Tatbestandsvoraussetzungen der jeweiligen Ziffern des § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV alternativ („oder“) aufgezählt sind. Die jeweiligen Tatbestandselemente müssen somit je für sich genommen erfüllt sein und können nicht durch Vorliegen von Elementen anderer Tatbestände ausgeglichen werden […].

[24] 2.5.4. Dies ist aber nur für eine „tatbestandsübergreifende“ Kombination zwingend; die Kumulierung innerhalb einzelner Ziffern wird dadurch nicht ausgeschlossen. Das […] weite Verständnis des Begriffs der Tätigkeit führt – in Abkehr von der in den Entscheidungen 10 ObS 89/18p […] und 10 ObS 84/20f vertretenen Ansicht – dazu, dass alle (versicherungspflichtigen) Verrichtungen (an einem Arbeitstag) der Prüfung zugrunde gelegt werden müssen, ob dadurch einer der Tatbestände des § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV (an diesem Tag) erfüllt ist. […] Die Wendung „eine oder mehrere“ ist dementsprechend auf „Tätigkeiten nach § 1 Abs 1“, also auf unterschiedliche Ziffern (Tatbestände) des § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV zu beziehen. […]

[25] 2.5.5. Damit wird das – in der Literatur kritisierte […] Ergebnis vermieden, dass je nach Ausübung einer schweren körperlichen Arbeit im Rahmen desselben oder unterschiedlicher versicherungspflichtiger Verhältnisse einmal Schwerarbeit vorliegt und einmal nicht, obwohl die […] Auswirkung auf den Körper des Versicherten völlig gleichartig ist. Die Frage, ob ein solcherart differenzierendes Ergebnis verfassungskonform wäre, stellt sich daher nicht mehr. […]

[28] 3. Ausgehend davon ist für die Frage, ob beim Kläger eine Tätigkeit iSd § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV vorliegt, nicht nur seine Tätigkeit als Lagerist, sondern auch die weitere von ihm behauptete Tätigkeit als (nach dem BSVG pflichtversicherter) Landwirt zu berücksichtigen.

[29] Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind daher aufzuheben und die Sozialrechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen. Dieses wird der Berechnung der pro Arbeitstag verbrauchten Arbeitskalorien die gesamte versicherungspflichtige Tätigkeit des Klägers (alle von ihm im Rahmen einer Versicherungspflicht ausgeübten Verrichtungen) zugrunde zu legen und sodann zu ermitteln haben, ob die erforderliche energetische Belastung im klagsgegenständlichen Zeitraum an zumindest 15 Tagen im Monat erreicht oder überschritten wurde.

ERLÄUTERUNG

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens war die Feststellung von Schwerarbeitszeiten. Gem § 1 Abs 1 Z 4 der SchwerarbeitsV gilt eine Tätigkeit als Schwerarbeit, wenn bei einer achtstündigen Arbeitszeit von Männern mindestens 2.000 Arbeitskilokalorien und von Frauen mindestens 1.400 Arbeitskilokalorien verbraucht werden. Ist dies in einem Monat mindestens an 15 Arbeitstagen der Fall, gilt dieser Monat als Schwerarbeitsmonat. Im Verfahren müssen dabei Feststellungen getroffen werden, unter welchen Umständen und wie oft im Monat Schwerarbeit geleistet wurde.

Für die Vorinstanzen waren die getroffenen Feststellungen zum Dienstverhältnis als Lagerist ausreichend, weil der OGH bisher geurteilt hatte, dass nur jene Tätigkeiten zu berücksichtigen, die jede für sich besonders belastende Tätigkeiten gem § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV sind. Diese Judikatur wurde in der Literatur kritisiert; die vorliegende E stellt eine erfreuliche Judikaturwende dar.

Bei der Schwerarbeitsregelung geht es um einen Zugang zu einer vorzeitigen Pension, die die Verkürzung der Lebenszeit wegen der Ausübung von Schwerarbeit ausgleichen soll. Diese Verkürzung der Lebenszeit wird bei einer Tätigkeit, die mit einem entsprechenden Kalorienverbrauch verbunden ist, angenommen. Dabei ist es egal, ob der Kalorienverbrauch durch eine oder mehrere Tätigkeiten entsteht, die für sich alleine aber noch keine Schwerarbeit darstellen. Ebenso ist es nicht ausschlaggebend, in welchen Versicherungszweigen (ASVG, GSVG, BSVG) die Tätigkeiten erbracht werden. Es wird also der Kalorienverbrauch in allen sozialversicherungspflichtigen Tätigkeiten zusammengezählt. Wenn der notwendige Kalorienverbrauch nicht für das Vorliegen von Schwerarbeit ausreicht, kann dies aber nicht durch andere in den anderen Ziffern der Verordnung genannten Belastungen (etwa psychische Belastung) ausgeglichen werden. Offen bleibt, wie die E des OGH ausfallen würde, wenn durch Ausübung mehrerer Tätigkeiten Schicht- und Wechseldienst entsteht.415