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Behandlung von androgenetischem Haarausfall ist keine Krankenbehandlung

ELISABETHHANSEMANN

Bei dem 1992 geborenen Kl wurde androgenetischer Haarausfall diagnostiziert. Er begehrte daher die Übernahme der Kosten für bestimmte Präparate und Maßnahmen der Behandlung. Die Bekl lehnte dies mit der Begründung ab, dass keine behandlungsbedürftige Krankheit vorliege.

Sowohl das Erstgericht als auch das Berufungsgericht wiesen die Klage auf Kostenübernahme ab. Die dagegen gerichtete außerordentliche Revision hielt der OGH mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO für nicht zulässig und wies sie daher zurück.

Bei androgenetischem Haarausfall kann es sich zwar durchaus um einen regelwidrigen Körperzustand handeln, der den sozialversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriff erfüllt. Doch selbst wenn man das Vorliegen eines regelwidrigen Körperzustandes bejaht, folgt daraus nicht die Berechtigung des vom Kl begehrten Anspruchs auf Kostenübernahme.395

Das Fehlen der Kopfbehaarung des Mannes ist in erster Linie ein störender optischer Zustand, der vom Betroffenen zwar subjektiv als störend empfunden werden kann, aber im Allgemeinen nicht als entstellend beurteilt wird. Ein Krankheitszustand wegen entstelltem Aussehen liegt daher nicht vor und wird in der Revision auch nicht behauptet.

Der in der Revision behauptete fehlende Schutz des Kopfes vor Sonneneinstrahlung und Kälte mag eine durch Haarausfall verursachte Beeinträchtigung sein. Diese Beeinträchtigung bedarf aber keiner ärztlichen Hilfe. Die in § 120 Z 1 ASVG normierte Voraussetzung der Behandlungsbedürftigkeit einer Krankheit ist dann erfüllt, wenn der regelwidrige Zustand ohne ärztliche Hilfe nicht mit Aussicht auf Erfolg behoben, zumindest aber gebessert oder vor einer Verschlimmerung bewahrt werden kann oder wenn die ärztliche Behandlung erforderlich ist, um Schmerzen oder sonstige Beschwerden zu lindern. Notwendig ist in diesem Sinne jede Maßnahme, die zur Erreichung des Zwecks unentbehrlich oder unvermeidlich ist. Nach den Feststellungen kann ein hinreichender Schutz des Kopfes vor Sonneneinstrahlung oder Kälte auch durch einfache Maßnahmen, wie das Tragen einer geeigneten Kopfbedeckung, erreicht werden.

Auch bei der Frage, ob bei bloßem Krankheitsverdacht eine Kostenübernahme zu erfolgen hat, wenn sich nachträglich herausstellt, dass eine Krankheit nicht vorliegt, muss sich der Verdacht auf eine Krankheit beziehen, die (unter der Annahme der Richtigkeit des Verdachts) alle sonstigen Voraussetzungen für eine Krankenbehandlung erfüllt. Auch die Kosten der Behandlung einer in dem Sinn (nur) vertretbar vermuteten Krankheit sind nicht von der Versichertengemeinschaft zu tragen, wenn die Maßnahme zur Erreichung des Zwecks nicht unentbehrlich oder unvermeidlich ist.

Richtig ist, dass eine psychische Folgeerkrankung eine Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn darstellen und eine Kostenübernahme für ihre notwendige Behandlung rechtfertigen kann. Die bloße Möglichkeit des Umschlags einer psychischen Belastung in eine psychische Störung mit Krankheitswert ist aber keine Krankheit iSd § 120 Z 1 ASVG und daher kein entsprechender Versicherungsfall. Die Rsp verlangt vielmehr eine hohe Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer psychischen Krankheit und der Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall allerdings nicht erfüllt.