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Vorrang der Anfechtungsklage wegen verpönten Motivs gegenüber Feststellungsklage bei sittenwidriger Kündigung

KLAUSBACHHOFER

Der bekl AG kündigte die Kl, weil sie in einem Arbeitsrechtsverfahren einer Kollegin entgegen seiner Aufforderung keine Falschaussage machen wollte. Die Kl focht die ihr deswegen ausgesprochene Kündigung nur in eventu wegen des Vorliegens eines verpönten Motivs iSd § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG an, im Hauptbegehren begehrte sie die Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses wegen Sittenwidrigkeit der Kündigung.

Das Berufungsgericht hat das Vorliegen eines Anfechtungstatbestands nach § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG bejaht. Dementsprechend hat es das Hauptbegehren, das auf Feststellung des Fortbestehens des Dienstverhältnisses über den Kündigungstermin hinaus gerichtet war, abgewiesen, dem auf Rechtsunwirksamerklärung der Kündigung gerichteten Eventualbegehren dagegen Folge gegeben.

Die Kl bestreitet in ihrer gegen die Abweisung des Hauptbegehrens gerichteten Revision nicht, dass der Tatbestand des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG erfüllt ist. Das Verhalten des AG, der die Kl kündigte, sei jedoch so krass sittenwidrig, dass die Rechtsgestaltungsklage einen unangemessenen Rechtsbehelf darstelle.

Die außerordentliche Revision der Kl wurde jedoch vom OGH zurückgewiesen.

Die Kl übersehe nämlich, dass auch die Anfechtung der Kündigung wegen eines verpönten Motivs nach § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG die Sittenwidrigkeit des Verhaltens des AG voraussetzt. Das Berufungsgericht hat daher nicht die Sittenwidrigkeit des Verhaltens des Bekl verneint, sondern nicht § 879 ABGB, sondern die Rechtsfolgen der spezielleren Norm des § 105 Abs 3 ArbVG, der „nur“ eine Anfechtbarkeit der Kündigung vorsieht, angewendet.

Die in § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG aufgezählten verpönten Motive, die zur Anfechtung der Kündigung berechtigten, würden ohne ausdrückliche Erwähnung grundsätzlich zur Sittenwidrigkeit und damit zur Rechtsunwirksamkeit der Kündigung führen. Lehre und Rsp leiten daraus ab, dass im Anwendungsbereich der speziellen Kündigungsbestimmungen des § 105 ArbVG die Geltendmachung der Rechtsunwirksamkeit der Kündigung nach § 879 ABGB ausgeschlossen ist.

Die „bloße“ Anfechtung einer nach § 105 ArbVG verpönten Kündigung stellt gegenüber der Nichtigkeit einer sittenwidrigen Kündigung keine Schlechterstellung dar, sondern eine wohlbegründete Spezialität. Sie besteht einerseits darin, dass der AN aufgrund der primären Anfechtungslegitimation des BR den Schutz des Kollektivs genießt und andererseits in der Beweiserleichterung nach § 105 Abs 5 ArbVG, sodass die Rechtsstellung des AN dadurch erheblich verbessert wird.