179

Kollektivvertragliche Neuregelungen des Entlohnungssystems mittels Stichtagsregelung sind grundsätzlich zulässig

CHRISTOSKARIOTIS

Die Kl war aufgrund der „Dienstvereinbarung“ vom 30.5.2017 bei der Rechtsvorgängerin der Bekl von 1.6.2017 bis 28.2.2018 als Turnusärztin in der Basisausbildung beschäftigt. Mit „Dienstvereinbarung/Verwendungsänderung“ vom 25.1.2018 wurde dieses Dienstverhältnis zur Verwendung der Kl als Turnusärztin für Allgemeinmedizin von 1.3.2018 bis 31.5.2020 verlängert.

Das Dienstverhältnis der Kl unterliegt den Bestimmungen der Dienstordnung B für die Ärztinnen und Ärzte bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (DO.B), die in der damals anzuwendenden Fassung folgende Regelungen enthielt:

„§ 38 (…) (5) In Gehaltsgruppe B IV sind Ärzte, die nach den Bestimmungen der Ärzteausbildungsordnung in Ausbildung zum Facharzt stehen,376einzureihen, sofern nicht Abs 6a anzuwenden ist.

In Gehaltsgruppe B V sind Ärzte, die nach den Bestimmungen der Ärzteausbildungsordnung in Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin stehen, einzureihen, sofern nicht Abs 6a anzuwenden ist.

In Gehaltsgruppe B IVa sind Ärzte, die im Gesundheitsverbund der Wiener Gebietskrankenkasse nach den Bestimmungen der Ärzteausbildungsordnung in Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin oder in Ausbildung zum Facharzt stehen, einzureihen.

§ 238 Auf Ärzte, die zuletzt vor dem 1. März 2018 in den Dienst der Wiener Gebietskrankenkasse eingetreten sind, ist § 38 Abs 6a nicht anzuwenden. Auf diese Ärzte sind auch nach dem 28. Februar 2018 § 38 Abs 5 bzw 6 anzuwenden.“

Die Kl begehrte Entgelt- bzw Gehaltsdifferenzen, weil sie seit 1.3.2018 in die Gehaltsgruppe IVa einzustufen gewesen wäre. Die Kl wendete ein, dass § 238 DO.B mangels sachlicher Rechtfertigung verfassungsrechtlich gewährleistete Rechte verletze und zu einer sittenwidrigen Benachteiligung von Ärzten, die vor dem 1.3.2018 eingestellt wurden, führe.

Die Bekl wendete ein, dass die Kl am 1.3.2018 bereits in einem aufrechten Dienstverhältnis zur Rechtsvorgängerin der Bekl gestanden habe und der Gleichheitssatz nicht verletzt wäre.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab.

Der OGH gab der Revision der Kl nicht Folge und begründete wie folgt:

Die DO.B ist ein KollV, dessen normativer Teil gem §§ 6 und 7 ABGB nach seinem objektiven Inhalt auszulegen ist.

Nach § 238 DO.B ist § 38 Abs 6a DO.B nicht auf Ärzte anzuwenden, die zuletzt vor dem 1.3.2018 in den Dienst der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) „eingetreten“ sind. Dass das seit 1.6.2017 bestehende befristete Dienstverhältnis der Kl zur Rechtsvorgängerin für die Zeit von 1.3.2018 bis 31.5.2020 verlängert wurde, bedeutet nach herkömmlichem Begriffsverständnis keinen neuerlichen Diensteintritt. Dass § 238 DO.B darauf abstellt, wann der Arzt „zuletzt“ in den Dienst der WGKK eingetreten ist, nimmt auf Fälle Bezug, in denen ein Dienstverhältnis unterbrochen wurde, was aber im Fall der Kl nicht zutrifft. Die Einstufung der Kl in die Gehaltsgruppe V entspricht damit den Vorgaben der DO.B.

Die Kollektivvertragsparteien sind bei der Gestaltung des KollV an den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz gebunden. Es handelt sich dabei um eine mittelbare Drittwirkung der Grundrechte, die sich in der Konkretisierung der Generalklauseln des Zivilrechts manifestiert. Der normative Teil eines KollV ist deshalb am verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz und an der Sittenklausel des § 879 ABGB zu messen.

Bei der Prüfung, ob eine Kollektivvertragsbestimmung gegen den Gleichheitssatz verstößt, ist zu berücksichtigen, dass den Kollektivvertragsparteien ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum sowohl hinsichtlich der angestrebten Ziele als auch der zur Zielerreichung eingesetzten Mittel zusteht. Nicht jede subjektiv als ungerecht empfundene Regelung verletzt den Gleichheitssatz. Ob eine Regelung in Einzelfällen zu Härten führen kann, ist bei Prüfung der Gleichheitswidrigkeit ohne Belang.

Der Gleichheitsgrundsatz verbietet den Kollektivvertragsparteien nur, Differenzierungen zu schaffen, die sachlich nicht begründet sind, nicht aber, von einem einmalig gewählten Ordnungsprinzip abzugehen und Sachverhalte ab einem bestimmten Zeitpunkt nach anderen Grundsätzen zu behandeln, wenn innerhalb der Fallgruppen vor bzw nach der Änderung das Gebot der Sachlichkeit verletzende Unterschiede nicht bestehen. Eine zeitliche Differenzierung durch eine Stichtagsregelung verstößt daher grundsätzlich nicht gegen das Gleichheitsgebot. Es liegt nämlich im Wesen einer Änderung materiell-rechtlicher Bestimmungen, dass Rechtsfälle je nach dem für maßgeblich erklärten zeitlichen Sachverhaltselement unterschiedlich nach der alten oder neuen Rechtslage behandelt werden. Der OGH hat bereits darauf hingewiesen, dass dies auch dann gilt, wenn mit einem neuen Entlohnungsschema Vergünstigungen eingeführt werden, die nur den später eingetretenen DN zugutekommen (OGH 17.12.2020, 9 ObA 103/20t).

Die Parteien des KollV durften deshalb aufgrund des ihnen zur Verfügung stehenden Gestaltungsspielraums bei der Neuregelung des Entlohnungssystems der DO.B die Begünstigungen der Gehaltsgruppe IVa jenen Turnusärzten vorbehalten, die nach dem 28.2.2018 in den Dienst der WGKK eingetreten sind, weshalb die Kl keinen Anspruch hat, so gestellt zu werden wie jene Ärzte, die erst später in den Dienst der Bekl eingetreten sind. 377