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Soziale Gestaltungspflicht im Konzern nur bei konzernbezogenen Arbeitsverhältnissen

KLAUSBACHHOFER

Die Bekl musste ihren Betriebsstandort im März 2021 aus betriebswirtschaftlichen Gründen (erheblicher Produktionsentfall wegen Wegfall des Hauptkunden) schließen. Wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten der Bekl war der Kl bereits seit 1.1.2019 nicht mehr im Betrieb der Bekl mit dem Vertrieb ihres gesamten Portfolios, sondern bei einem Schwesterunternehmen mit dem Verkauf von Fußbodenklebstoffen betraut. Nachdem das Schwesterunternehmen 2019 entschied, den Klebstoffbereich nicht weiter zu entwickeln und vom Vertrieb auch nicht weiter betreuen zu lassen und zudem konzernintern die Entscheidung getroffen wurde, das Unternehmen der Bekl zu schließen, wurde der Kl am 16.12.2019 gekündigt. Seine Arbeitsplätze bei der Bekl und deren Schwesterunternehmen wurden nicht nachbesetzt. Eine Weiterbeschäftigung des Kl wurde gruppen- und konzernintern geprüft, war aber aufgrund der konzerninternen Vorgaben (Personalreduktion), der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung, aber auch deshalb nicht möglich, weil er bei vergleichsweiser Betrachtung aufgrund sozialer Kriterien (Alter, Betriebszugehörigkeit) und aufgrund seiner eingeschränkten Sprachkompetenz (kein Türkisch, kein Ukrainisch, kein Russisch) nachgeordnet wurde. Auch seitens der Konzernmutter wurden Überlegungen angestellt, den Kl bei einem zugekauften Technologieunternehmen einzusetzen. Dies war aber nicht möglich, weil dem Kl dafür die Qualifikation fehlte. Schließlich kam seine Verwendung bei einem Konzerntochterunternehmen im nicht deutschsprachigen Ausland aufgrund sprachlicher Barrieren bzw mangelnder Kenntnis der jeweiligen Landessprache nicht in Betracht.

Der Kl focht die Kündigung wegen Sozialwidrigkeit iSd § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG an und begehrte deren Rechtsunwirksamerklärung.

Die gegen die klagsabweisende Entscheidung des Berufungsgerichts erhobene außerordentliche Revision des Kl wurde vom OGH zurückgewiesen.

Der OGH bezog sich zunächst auf seine stRsp und die dazu ergangenen Rechtssätze, wonach eine Kündigung dann iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG durch betriebliche Erfordernisse begründet ist, wenn sie im Interesse des Betriebs notwendig ist. Im Fall einer betrieblichen Rationalisierung ist die Beurteilung der Zweckmäßigkeit und Richtigkeit der Maßnahme grundsätzlich dem wirtschaftlichen Ermessen des Betriebsinhabers vorbehalten. Die wirtschaftliche Bedingtheit der Kündigung muss vom AG in rational nachvollziehbarer Weise im Kündigungsverfahren dargetan werden. Die Kündigung muss eine normale und für jedermann nachvollziehbare betriebswirtschaftliche Konsequenz einer unternehmerischen Disposition sein, wobei die Kündigung, nicht jedoch die sie auslösende Unternehmerdisposition der Rechtfertigung bedarf. Die konkrete Kündigung eines AN muss aber zur Verwirklichung des beabsichtigten Erfolgs geeignet sein.

Bei Vorliegen objektiver Rechtfertigungsgründe ist zu fragen, ob der AG seiner sozialen Gestaltungspflicht nachgekommen ist; die objektiv betriebsbedingte Kündigung ist nur dann gerechtfertigt, wenn sie als letztes Mittel eingesetzt wird. Der AG ist im Rahmen dieser sozialen Gestaltungspflicht verbunden, trotz Einschränkung des Betriebs oder trotz Rationalisierungsmaßnahmen alle Möglichkeiten auszuschöpfen, seine bisherigen AN weiter zu beschäftigen. Insb darf der AG nicht ohne triftigen Anlass AN kündigen und dafür neue einstellen.

Die Kündigung ist nur dann in den Betriebsverhältnissen gerechtfertigt, wenn im gesamten Betrieb gerade für den betroffenen AN kein Bedarf mehr gegeben ist und schließlich dem AG auch durch keine andere soziale Maßnahme die Erhaltung des Arbeitsplatzes zuzumuten ist. Bei Prüfung dieser Frage ist ein strenger Maßstab anzulegen, ganz besonders bei älteren AN. Sind für den AN mangels persönlicher Eignung keine anderen vom AG im Rahmen seiner sozialen Gestaltungspflicht anzubietenden Arbeitsplätze vorhanden, so ist die Kündigung als betriebsbedingt iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG anzusehen.

Nach der OGH-E vom 29.6.2009, 9 ObA 34/08b, kommt die generelle Annahme einer „konzernweiten sozialen Gestaltungspflicht“ des AG iSd Verpflichtung, die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung eines AN, dessen Arbeitsplatz wegfällt, konzernweit zu prüfen bzw für die Weiterbeschäftigung des betroffenen AN in einem anderen Konzernbetrieb „zu sorgen“, nicht in Betracht. Ausnahmsweise kann die Annahme einer konzernweiten sozialen Gestaltungspflicht nur im Falle eines „konzernbezogenen Arbeitsverhältnisses“ erwogen werden.

Schließlich erwog der OGH, dass selbst wenn man im vorliegenden Fall von dieser Pflicht ausgeht (der Kl war nur bei der Bekl und mangels weiterer Beschäftigungsmöglichkeit dann bei deren Schwesterunternehmen tätig), ist die Bekl ihrer sozialen Gestaltungspflicht nachgekommen. Freie Stellen im Konzern, für die der Kl qualifiziert gewesen wäre, konnten dem Kl unter Berücksichtigung der geplanten Umstrukturierungsmaßnahmen zum Kündigungszeitpunkt nicht angeboten werden.374