Schmidt (Hrsg)COVID-19 – Rechtsfragen zur Corona-Krise

2. Auflage, C.H. Beck Verlag, München 2020, 754 Seiten, kartoniert, € 44,90

CHRISTOPHWOLF (WIEN)

Seit über einem Jahr steht die gesamte Welt im Bann der COVID-19-Pandemie. Durch das Bestreben der nationalen Gesetzgeber, die Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 durch staatliche Maßnahmen einzudämmen, wurden weltweit zahlreiche Maßnahmen kurzfristig umgesetzt: Einreiseverbote, Ausgangssperren, Betretungsverbote, Betriebs(teil)schließungen, Quarantäneanordnungen, Veranstaltungsverbote etc. Sie beschränken bis an die Grenzen des Rechtsstaats nahezu das gesamte gesellschaftliche, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leben mit dem Ziel, die Bevölkerung zu schützen. Die Staaten versuchen aber auch, die ärgsten negativen wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Maßnahmen abzufedern. Die Rechtslage wurde zu diesen Zwecken so umfassend und in derart kurzen Zeitabständen geändert und angepasst, dass es nicht leicht ist, den Überblick zu behalten und im Detail informiert zu bleiben. Diese Probleme stellen sich nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland, wo etwa das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht, das Sozialschutz-Paket, das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage beschlossen wurden. Diese Gesetzesflut wurde im Sammelband „COVID-19 – Rechtsfragen zur Corona-Krise“ wissenschaftlich mit erheblichem Praxisbezug aufgearbeitet.

21 AutorInnen aus Wissenschaft, Gerichtsbarkeit und Rechtsanwaltschaft haben sich unter der Herausgeberschaft von Prof. Hubert Schmidt der herausfordernden Aufgabe gestellt, aus dem Blickwinkel von Wissenschaft und Praxis die pandemiebedingten Änderungen der Rechtslage in einem übersichtlichen Sammelband für eine Reihe von Rechtsbereichen – Arbeitsrecht soll einem eigenen Band vorbehalten sein – aufzuarbeiten, Fragen zu beantworten und Lösungsansätze zu entwickeln. Dies ist bestens gelungen. Der Sammelband gliedert sich in 20 Themengebiete und umfasst folgende Kapitel: § 1 Allgemeines Leistungsstörungsrecht und Veranstaltungsrecht (Lorenz), § 2 Kreditrecht (Knops), § 3 Mietrecht (Artz/Streyl), § 4 Wohnungseigentumsrecht (Zschieschack), § 5 Heimrecht (Dickmann), § 6 Bauvertrag (Brübach), § 7 Reiserecht (Staudinger/Achilles-Pujol), § 8 Vereins- und Genossenschaftsrecht (Schmidt), § 9 Gesellschaftsrecht (Noack), § 10 Sport (Orth), § 11 Privatversicherungsrechtliche Probleme der Corona-Krise (Rixecker), § 12 Transportrecht (Thume), § 13 Vertriebsrecht (Thume), § 14 Zivilverfahren in Zeiten des Coronavirus (Zschieschack), § 15 Sanierung und Insolvenz (Löser), § 16 Vergabe- und EU-Beihilfenrecht (Schumm/Klumb), § 17 Öffentliches Recht (Lindner), § 18 Entschädigungsansprüche (Winter/Thürk), § 19 Straf- und Strafprozessrecht (Rau) und § 20 Datenschutz (Haschert).

Ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit erscheint mir unter dem österreichischen Blickwinkel die Darlegung und Diskussion der Rechtslage im Zusammenhang mit Entschädigungsansprüchen gegenüber dem Staat zum Ausgleich seiner Maßnahmen besonders interessant zu sein. Jenseits der gewährten speziellen Staatshilfen und den Entschädigungen zB nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) wird von Winter/Thürk untersucht, ob Entschädigungsansprüche nach allgemeinen Staatshaftungstatbeständen gegenüber dem Staat bestehen. Ihre Überlegungen gehen davon aus, dass Verursacher der nach Abzug der Finanzhilfen und der Entschädigungen nach dem IfSG verbleibenden Verluste der Staat selbst sei und dass das Staatshaftungsrecht allgemeine Entschädigungsansprüche auch bei rechtmäßigem Staatshandeln kennt. Gedacht wird an Entschädigungsansprüche wegen enteignender und enteignungsgleicher Eingriffe, weil diese bei den staatlichen Maßnahmen zur Infektionsverhütung nicht abschließend geregelt sind.

In Österreich hat der VfGH im Juli 2020 die aus den pandemiebedingten staatlichen Maßnahmen resultierenden Eigentumsbeschränkungen für Unternehmen zwar als gravierend erachtet, einen aus dem Blickwinkel des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes gebotenen Entschädigungsanspruch aber mangels materieller Enteignung verneint. Dabei hat der VfGH auch die aufgrund von COVID-19 durch die öffentliche Hand bereitgestellten Wirtschaftshilfen berücksichtigt. Ein Entschädigungsanspruch nach dem österreichischen Amtshaftungsrecht ist zudem bei rechtmäßigem Staatshandeln ausgeschlossen. Offen bleibt aber, ob die mittlerweile mehr als ein Jahr bestehenden pandemiebedingten Maßnahmen jedenfalls in bestimmten Fällen wegen ausbleibender oder ungenügender finanzieller Hilfen des Staates zu materiellen Enteignungen geführt haben, die auch nach der österreichischen Rechtsordnung nicht entschädigungslos hinzunehmen sind.

Auch die Auseinandersetzung mit der Pflicht des Vermieters zur Herstellung der „Internetfähigkeit“ der Wohnung ist gerade im Zusammenhang der verstärkten Nutzung von Homeoffice interessant: Es wird im Kapitel § 3 (Mietrecht) ua der Frage nachgegangen, ob aus der allgemeinen Regelung des § 535 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), dass der Vermieter die Mietsache dem Mieter in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu überlassen hat, die Verpflichtung des Vermieters folgt, die Nutzbarkeit der Festnetzleistung für das Surfen im Internet durch den Telefonanbieter auf seine Kosten zu veranlassen. Dies wird im Ergebnis verneint, jedoch als Rechtsfolge fehlender angemessener Internetverbindungsgeschwindigkeit eine Minderung der Miete wegen nicht bestehender Ausübungsmöglichkeit von Homeoffice infolge nicht ausreichend schneller Internetverbindung bejaht, wenn der Vermieter die vertraglich geschuldeten technischen Voraussetzungen für die Einrichtung einer Internetverbindung durch den Mieter nicht geschaffen hat.

Für die Praxis relevant ist ebenso die Untersuchung der vom Robert-Koch-Institut für die deutsche Bundesregierung herausgegebenen „Corona-Warn-App“ von Haschert. Er gelangt zum Ergebnis, dass sie unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten zwar bedenkenlos installiert werden, jedoch ihre verpflichtende Nutzung im Arbeitsverhältnis mangels Erforderlichkeit nicht aufgetragen werden kann, da der AN seinen arbeitsvertraglichen Pflichten auch ohne die Nutzung der Corona-Warn-App nachkommen kann und es in der Verantwortung des AG liegt, Hygienemaßnahmen einzurichten und aufrechtzuerhalten. 457

Hervorzuheben ist, dass zahlreiche Kapitel eingangs auch eine (kurze) Einführung in das jeweilige Thema bieten, welches insb jenen LeserInnen hilft, die mit der jeweiligen Materie nicht so vertraut sind. Insgesamt ist festzuhalten, dass das Werk nicht nur eine wichtige Ergänzung zur bereits zahlreich erschienenen juristischen Literatur darstellt, sondern vor allem einen sehr guten Überblick über die einzelnen Maßnahmen des Gesetzgebers bietet. Dabei verlieren die AutorInnen nicht den Blick dafür, auch Lösungsansätze für die Praxis herauszuarbeiten.