Jaspers/Pennings/Peters (eds)European Labour Law

Intersentia Ltd, Cambridge 2019, 610 Seiten, broschiert, € 95,–

WALTERGAGAWCZUK (WIEN)

Vorweg: Ein großer Mehrwert des Buches ist, dass es nicht bloß einen Überblick über die verschiedenen Rechtsbereiche des Europäischen Arbeitsrechts bietet, sondern darüber hinaus einen kurzen Einblick, wie die Umsetzung in den Mitgliedstaaten erfolgte.

Das Buch enthält neun Kapitel, wobei der Inhalt des Europäischen Arbeitsrechts grundsätzlich in klassischer Form gegliedert wird. So etwa beschäftigt sich Kapitel 3 mit dem Thema Gleichbehandlung, Kapitel 4 mit atypischen Formen der Beschäftigung und Kapitel 8 mit Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz sowie Arbeitszeit. Kapitel 6 mit der Überschrift „Restructuring of Companies“ hat die MassenentlassungsRL, die BetriebsübergangsRL und die InsolvenzentgeltsicherungsRL zum Gegenstand. Das kollektive Arbeitsrecht findet man in Kapitel 5 („Collective Bargaining in EU-Law“) und Kapitel 6 („Workers‘ Partizipation in Business Matters“). Kapitel 2 behandelt nicht nur die europäischen Rechtsgrundlagen grenzüberschreitender Beschäftigung, wie insb AN-Freizügigkeit und Entsen90derecht aus arbeitsrechtlicher Perspektive, sondern auch das einschlägige Europäische Sozialrecht. Dabei ist es natürlich nur ansatzweise möglich, auf Detailfragen einzugehen. Auf 16 Seiten wird jedoch ein sehr informativer Überblick über die Verordnungen und Richtlinien sowie die wichtigsten Entscheidungen des EuGHs zur europäischen Koordinierung des Sozialrechts gegeben.

Relativ ausführlich wird die europäische Rechtslage zu befristeten Beschäftigungsverhältnissen behandelt. Sophie Robin-Oliver und Antonio Lo Faro gelingt es dabei sehr gut, die Rechtslage aus verschiedenen Blickwinkeln darzustellen und die zum Teil ambivalente, zum Teil inkonsequente Judikatur des EuGH aufzuzeigen, die den Mitgliedstaaten und den nationalen Gerichten einen breiten Spielraum überlässt. Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass das Ziel der Richtlinie, nämlich Missbrauch durch den Gebrauch von Befristungen hintanzuhalten, bislang nicht verwirklicht werden konnte. Vielmehr muss leider festgestellt werden, dass seit Jahren der Anteil der Personen mit unbefristetem Arbeitsvertrag in der EU leicht zurückging, während der Anteil der Erwerbstätigen in befristeten Beschäftigungsverhältnissen anstieg.

Auch bei der Richtlinie über Leiharbeit aus 2008 gelingt es den AutorInnen gut, den Grundsatz der Gleichbehandlung und dessen Schwächen in der konkreten Ausformung zu erörtern. Keine Ausführungen finden sich leider zum Thema Langzeitüberlassungen. In diesem Zusammenhang wurden ja in Literatur und Judikatur zwei spannende Fragen aufgeworfen, nämlich einerseits, ob ein Verbot dauerhafter Überlassungen mit Art 4 der Richtlinie vereinbar wäre, und andererseits, ob „nicht bloß vorübergehende Überlassungen“ vor dem Hintergrund der Richtlinie überhaupt zulässig sind. Nicht behandelt werden leider auch Art 6 Abs 1 bis 3 und 5 sowie Art 7. Obwohl die dort geregelten Themen (Unterrichtung über offene Stellen, Klauseln bzw Entgelt iZm Übernahme durch den Beschäftiger, Zugang zu Fort- und Weiterbildungsangeboten, Vertretung der Leih-AN) nicht die gleiche praktische Bedeutung haben wie Entgelt, Arbeitszeit oder Zugang zu Gemeinschaftseinrichtungen, sollten sie dennoch nicht gänzlich unter den Tisch fallen.

„Abgerundet“ wird der Inhalt des Buches durch Kapitel 1 „An Introduction to European Labour Law“ und Kapitel 9 „European Labour Law as the Result of Conflicting Norms and Interests“. Besonders interessant ist dabei der Teil in Kapitel 1, der sich mit der Umsetzung und „Realisierung“ des Europäischen Arbeitsrechts auseinandersetzt. Das Recht hat ja bekanntlich sehr oft einen langen Weg, bis es bei den Betroffenen ankommt. Dies gilt noch mehr für das Europäische Arbeitsrecht, welches verkörpert in Richtlinien nicht unmittelbar gilt, sondern zuerst in nationales Recht gegossen werden muss. Eine Schwäche aus der Sicht des Individuums ist dabei, dass ein Vorabentscheidungsverfahren nur durch die Gerichte eingeleitet werden kann. Ist das höchste nationale Gericht demnach der Auffassung, dass keine Vorlage an den EuGH erforderlich ist, bleibt den Parteien allenfalls die Möglichkeit, bei der Europäischen Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren anzuregen. Darüber hinaus wird aber noch auf eine weniger bekannte alternative Möglichkeit hingewiesen, die sich aus der Entscheidung Dhahbi des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus 2014 eröffnet. Demnach muss das Gericht, welches das Verlangen nach Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens zurückweist, dies vor dem Hintergrund der einschlägigen Judikatur des EuGH schlüssig begründen. Sollte keine derartige Begründung vorliegen, dann liegt ein Verstoß gegen Art 6 Abs 1 EMRK vor.

Kapitel 9 ist eine Erörterung des europäischen Arbeitsrechts aus einer rechtspolitischen Perspektive. Schwerpunkte sind die Spannungsverhältnisse von ANFreizügigkeit und „Sozialtourismus“, Dienstleistungsfreiheit und unfairer Wettbewerb bzw Sozialdumping, Streikrecht und Dienstleistungsfreiheit sowie das Verhältnis zwischen Kollektivverträgen und Wettbewerbsrecht.

Neben einem Index und einem Literaturverzeichnis bietet das Buch eine Liste der einschlägigen Judikatur des EuGH und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in alphabetischer und in chronologischer Anordnung sowie eine Liste der Richtlinien, Verordnungen und sonstiger Dokumente zum Europäischen Arbeits- und Sozialrecht.

Bei den AutorInnen handelt es sich fast durchwegs um UniversitätsprofessorInnen aus den alten Mitgliedstaaten mit einem Schwerpunkt in den Niederlanden. Die meisten Kapitel sind – offenbar nicht zufällig, sondern geplant – von zwei AutorInnen aus zwei verschiedenen Mitgliedstaaten geschrieben.

Besonders hervorzuheben sind die Hinweise über die Umsetzung der Richtlinien in einzelnen Mitgliedstaaten. Dieser Einblick ist zwar nur sehr oberflächlich und überaus bruchstückhaft, aber trotzdem sehr wertvoll, um zu begreifen, dass es nicht bloß ein Europäisches Arbeitsrecht gibt.

Da das Buch nicht bloß die Rechtslage wiedergibt, sondern diese auch in gut lesbarer und interessanter Form reflektiert, kann es nicht nur RechtsanwenderInnen, sondern jedem oder jeder empfohlen werden, der oder die am Europäischen Arbeitsrecht interessiert ist.91