Westerveld/Olivier (Hrsg)Social Security Outside the Realm of the Employment Contract – Informal Work and Employee-like Workers

Edward Elgar Publishing, Cheltenham 2019, 296 Seiten, € 72,86

MIRIAMKULLMANN (WIEN)

Zu arbeiten, ohne einen Arbeitsvertrag zu haben, stellt eine globale Herausforderung dar. Insb was die Frage der SV oder sozialen Absicherung iwS dieser Gruppe der Arbeitenden betrifft. Im „Globalen Norden“ haben Arbeitende oftmals kein Nomalarbeitsverhältnis, weshalb sie nicht sozialversichert sind. Im „Globalen Süden“ hingegen steckt die Herausforderung darin, dass Arbeit hauptsächlich in der informellen Wirtschaft nachgegangen wird, weshalb Arbeitende keinen Zutritt in die SV haben. Dass diese Thematik alles andere als nur wissenschaftlich von Interesse sein kann, ist wohl bekannt. Deshalb befassen sich insb auch die International Labour Organization (ILO) (zB Extending social security to workers in the informal economy: Lessons from international experience [2019]), die Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) (zB The Future of Social Protection: What Works for Non-standard Workers? [2018]) und die EU (zB Empfehlung zum Zugang zum Sozialschutz für Arbeitnehmer und Selbstständige [2019]) seit geraumer Zeit mit der Frage des Zugangs und des Umfangs der SV für Arbeit außerhalb eines Arbeitsvertrages.

Der Sammelband ist unterteilt in vier Teile, nämlich Allgemein, Thematisch, Regional und National und in jedem dieser Teile sind Kapitel zum Globalen Norden (die EU, Kanada, die Niederlande, Schweden, Ungarn und UK) und Globalen Süden (China, Lateinamerika, Ostafrika und Südafrika) enthalten. Ziel des Buches ist es, eine Brücke zu schlagen zwischen WissenschaftlerInnen und politischen EntscheidungsträgerInnen (policy makers), weshalb die verschiedenen Beiträge, je nach Thema, teils eher deskriptiv und teils eher analytisch sind. Damit bekommt der Leser einen wertvollen Überblick der rechtlichen und gesellschaftspolitischen Herausforderungen in den einzelnen Ländern.

Zunächst stellen die Herausgeber einige Begriffe klar. So wird der Begriff soziale Sicherheit (social security) durchaus unterschiedlich konnotiert, weshalb ein globaler Konsens nur schwer getroffen werden kann. Aus menschenrechtlicher Perspektive geht es aber hauptsächlich darum, ein wirtschaftlich unabhängiges Leben führen zu können, weshalb eine soziale Absicherung in irgendeiner Form notwendig ist (S xi). Ebenso schwierig scheint aber der Begriff „informelle Wirtschaft“ (informal economy) zu sein, da er oftmals nur wenig spezifisch bzw konkret genug ist und zudem die doch sehr unterschiedlichen Wirtschaftszweige nicht ausreichend unterscheidet.

Schaut man sich die Lage im Globalen Süden, also der Entwicklungsländer, genauer an – eine Perspektive, die in den Industrieländern durchaus nur wenig Beachtung findet –, dann sollte klargestellt werden, dass das Arbeiten in der Schattenwirtschaft als die normale Art und Weise betrachtet wird, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen; es ist also keineswegs illegal (Marius Olivier, S 2). Dennoch sind Arbeitende, die einer informellen Tätigkeit nachgehen, meistens nicht sozialversichert, weshalb Fourie vorschlägt, den Begriff SV durch den Begriff sozialen Schutz (social protection) auszutauschen, um so den Anwendungsbereich zu erweitern (S 65). Ebenso diskutiert wird, ob, im Einklang mit der südafrikanischen Verfassung, der AN-Begriff nicht erweitert werden sollte (Govindjee, S 136-137). Die darauffolgende Kritik, diese Arbeitenden würden keine sozialrechtlichen Abgaben tätigen, könnte man parieren, indem man eine andere Form der sozialen Solidarität bzw Besteuerung einführt. Diese Ansätze würden aber teils dazu führen, die Arbeitenden in die formelle Wirtschaft zu überführen, was mitunter zur Folge haben kann, dass mehr Arbeitende von der SV profitieren würden, andere aber hingegen, die bereits Teil des Systems sind, eine Reduktion ihrer Ansprüche, also eine Angleichung nach unten, erfahren könnten. Die Problematik, die durchaus prekäre Folgen haben kann, sollte insb für Lateinamerika nicht völlig vernachlässigt werden, meint Arellano Ortiz (S 144- 146). Initiativen in Ostafrika haben dazu geführt, dass der sozialversicherungsrechtliche Anwendungsbereich erweitert wurde. Grund dafür ist, so Masabo, die Anerkennung eines Nexus zwischen SV und Entwicklung (development) (S 188-189). In diesem Zusammenhang ist es deshalb erstaunlich, dass der Anspruch auf SV als Menschenrecht anerkannt wird und dementsprechend eine universelle Deckung (universal coverage) bedeutet. Trotz Initiativen, Arbeitende in der informellen Wirtschaft sozialrechtlich abzusichern, sind immer noch ca 80 % der wirtschaftlich Aktiven nicht sozialversichert (S 195). Zum einen, weil AG nicht bereit sind, für sie in die SV einzuzahlen, und zum anderen, weil es gerade in unregelmäßigen und saisonbedingten Jobs schwierig ist, Sozialabgaben einzufordern. Hinzu kommt eine Diskrepanz zwischen den tatsächlichen Bedürfnissen der informell Arbeitenden und den Sozialleistungen (S 196). Deshalb müssten die Systeme entsprechend angepasst werden.79

Im Globalen Norden, den Industrieländern, gibt es andere Herausforderungen. Aufgrund vielschichtiger Flexibilisierungstendenzen, mit als Konsequenz die Aushöhlung des Normalarbeitsverhältnisses, schließt viele Arbeitende, die selbstständig sind oder einer „atypischen“ Beschäftigung nachgehen, von (bestimmten) Sozialleistungen aus, schreiben Wynn und Paz-Fuchs (S 33). Die Folgen dieser „Exklusion“ sind aber niemals ernsthaft diskutiert worden. In diesem Kontext hat sich auch das Gleichgewicht verschoben, und zwar von Solidarität zu Freiheit (freedom), wobei fraglich ist, ob diese Freiheit von den Betroffenen tatsächlich auch bewusst gewählt wurde. Aber wie kann das System der SV neu „kalibriert“ werden? Dafür scheint wichtig zu sein, sich den Werten oder der Ideologie der Umverteilung bewusst zu werden. Dabei sollte der Nexus zwischen Arbeits- und Sozialrecht aber keinesfalls vernachlässigt werden. Ausgehend von dem Prinzip der Reziprozität sollten die Voraussetzungen für den Sozialschutz neu formuliert werden. Dabei stellen wirtschaftliche Risiken einen wichtigen Anhaltspunkt dar (S 41), wobei ein Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit entscheidend ist (S 53). Problematisch ist und bleibt die Lage der „echten“ Selbstständigen, im Gegensatz zu denen, die arbeitnehmerähnliche Züge aufweisen. Blackham und Barnard, die sich insb den Anwendungsbereich der RL 2010/41 ansehen (S 90-92), schlagen deshalb vor, den Begriff der Erwerbstätigen sehr weit zu fassen, so dass alle möglichen Formen der Erwerbstätigkeit erfasst werden können. Das Beispiel Ungarn zeigt, dass hohe Sozialabgaben für Selbstständige diese in die Schwarzarbeit drängen. Obwohl gesetzliche Änderungen zu einer Senkung der Abgaben geführt haben, so gibt es auch hier wenig Anreize, Sozialabgaben zu tätigen, da die Leistungen entsprechend reduziert wurden (Gyulavári, S 170). Diese Art von „Tradeoff“ hat aber fatale Folgen: Wer weniger einzahlt, bekommt am Ende eine nicht allzu hohe Pension (S 174). Der Versuch, Selbstständige in die SV aufzunehmen, kann aber auch Komplexität mit sich bringen, insb wenn es für unterschiedliche Unternehmensformen unterschiedliche Berechnungsgrundlagen gibt, so Westregård (S 206-212). Obwohl in Schweden versucht wurde, das System zu vereinfachen, gibt es bislang keine eindeutigen Regeln (S 213). Im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik in den Niederlanden sind ca 16 % der Erwerbstätigen Soloselbstständige. Grund dafür sind die steuerlichen Vorteile für diese Gruppe, dessen Ziel es eigentlich war, mehr Jobs zu schaffen, indem Soloselbstständige Personal einstellen würden und sich somit in kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) umwandeln würden. Dieses Ziel wurde aber, so Westerveld, bislang nicht erreicht (S 229). Diese Art der Steuervorteile führt zur Aushöhlung der SV, dessen einziger Ausweg zu sein scheint, einem Gericht die Frage vorzulegen, ob ein Soloselbstständiger als AN(ähnlich) zu qualifizieren und deshalb sozialversicherungspflichtig ist (S 222).

Grundsätzlich ist dieser Sammelband äußerst lesenswert und informativ, da er viele Einblicke in die Probleme derer verschafft, die von der SV nicht erfasst sind. Zudem erlaubt er, einen Einblick in, grob gesagt, zwei verschiedenartige Herausforderungen zu bekommen, nämlich jene im Globalen Norden als auch im Globalen Süden. Während in beiden „Systemen“ viele Arbeitende von der SV nicht erfasst sind und es viele Lösungsansätze gibt, so wird doch deutlich, dass es keine universalgültige Lösung für das Problem gibt, da die Ursachen landes- oder regionalspezifisch sind (S 262).

Das Ziel, welches sich die Herausgeber gestellt haben, nämlich die Wissenschaft und die Politik näher aneinander zu bringen, wird größtenteils erreicht. Ideen wie und Ansätze warum die SV für Nicht-AN ausgestaltet werden kann, gibt es zu Genüge. Ob es jedoch einen politischen Willen gibt, sich dieser Thematik anzunehmen, wird sich zeigen. Wie so oft gilt aber, dass man systemisch an die Sache herangehen muss, da sich sonst viele unerwartete, unvorhergesehene und mitunter langfristige und schwerwiegende Folgen auftun können (hierzu Sterman, Business Dynamics: Systems Thinking and Modeling for a Complex World [2000]).