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Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren des alten Inhabers als Ausübung des Wahlrechts bei Kündigung wegen Betriebsübergang?

 GERT-PETERREISSNER (INNSBRUCK)
  1. Der Eintritt als AG mit allen Rechten und Pflichten in die im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse tritt gem § 3 Abs 1 AVRAG grundsätzlich unabhängig vom Willen der betroffenen AN und AG ein. Es kommt dabei zu keiner Beendigung des Arbeitsverhältnisses, weshalb auch keine Beendigungsansprüche gebühren.

  2. Allerdings steht einem AN, der entgegen dem aus § 3 AVRAG hervorgehenden Kündigungsverbot im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang gekündigt wurde, ein Wahlrecht dahin zu, dass er, statt auf der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Übernehmer des Betriebs zu bestehen, die Beendigung akzeptiert und Ansprüche aus der Auflösung des Arbeitsverhältnisses geltend macht. Dass der AN tatsächlich beim Erwerber weiter arbeitete, hindert die Geltendmachung der aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Veräußerer abgeleiteten Ansprüche nicht, wenn ihm die Kündigung samt Eingehen eines neuen Arbeitsverhältnisses beim Erwerber günstiger erschien als eine gesetzliche Arbeitsvertragsübernahme.

  3. Ob ein bestimmtes Verhalten oder eine bestimmte Erklärung als Ausübung des Wahlrechts anzusehen ist, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Im vorliegenden Fall wurde die Kl vom alten Inhaber im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang gekündigt. Im nachfolgenden Konkurs des alten Inhabers hat sie neben Abfertigungsansprüchen auch eine Kündigungsentschädigung samt darauf entfallenden Sonderzahlungen geltend gemacht und auf diese Forderungen auch die Auszahlung einer entsprechenden Konkursquote erhalten. Die Kl brachte damit, auch wenn sie in weiterer Folge beim neuen Inhaber weiter arbeitete, zum Ausdruck, die ansonsten unwirksame Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen sich gelten zu lassen.

Die Revision ist entgegen dem den OGH nicht bindenden Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung kann sich auf die Anführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):481

1. Voranzustellen ist, dass nach § 483 Abs 4 ZPO eine Änderung der dem angefochtenen Urteil zugrundeliegenden Klage selbst mit Einwilligung des Gegners im Berufungsverfahren nicht zulässig ist. Entgegen dieser Bestimmung hat das Berufungsgericht implizit die Klagsänderung bewilligt, indem es von dem im Berufungsverfahren geänderten Klagebegehren ausgegangen ist. Da es sich dabei um keine Nichtigkeit, sondern um einen – hier ungerügt gebliebenen – Verfahrensmangel handelt, kann dieser vom OGH nicht aufgegriffen werden. Das geänderte Klagebegehren ist daher auch der E des OGH zugrunde zu legen (3 Ob 195/07h; RIS-Justiz RS0039377).

2. § 3 Abs 1 AVRAG bestimmt für den Fall, dass ein Unternehmen, Betrieb oder Betriebsteil auf einen neuen Inhaber übergeht, dass dieser als AG mit allen Rechten und Pflichten in die im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse eintritt. Diese Rechtsfolge tritt grundsätzlich unabhängig vom Willen der betroffenen AN und AG ein. Es kommt dabei zu keiner Beendigung des Arbeitsverhältnisses, weshalb auch keine Beendigungsansprüche gebühren. Beim bisherigen AG zurückgelegte Dienstzeiten sind beim neuen AG anzurechnen (RIS-Justiz RS0121661).

3. Allerdings steht einem AN, der entgegen dem aus § 3 AVRAG hervorgehenden Kündigungsverbot im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang gekündigt wurde, ein Wahlrecht dahin zu, dass er, statt auf der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Übernehmer des Betriebs zu bestehen, die Beendigung akzeptiert und im Falle der frist- oder terminwidrigen Kündigung die Kündigungsentschädigung begehrt (RIS-Justiz RS0122357). Dem AN steht frei, auf den durch die Eintrittsautomatik bzw das Verbot einer nicht richtlinienkonformen Kündigung gewährleisteten Schutz zu verzichten und anstelle der Rechtsunwirksamkeit der Kündigung Ansprüche aus der ungerechtfertigten Auflösung des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen (RIS-Justiz RS0111017).

Dass der AN tatsächlich beim Erwerber weiter arbeitete, hindert die Geltendmachung der aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Veräußerer abgeleiteten Ansprüche nicht, wenn ihm die Kündigung samt Eingehen eines neuen Arbeitsverhältnisses beim Erwerber günstiger erschien als eine gesetzliche Arbeitsvertragsübernahme (9 ObA 240/98d; vgl auch 9 ObA 1/10b).

4. Ob ein bestimmtes Verhalten oder eine bestimmte Erklärung als Ausübung des Wahlrechts anzusehen ist, ist nur nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zu beurteilen und stellt daher im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage dar. Dies trifft auch auf die Frage zu, ob im Einzelfall eine Erklärungsabsicht vorliegt (RIS-Justiz RS0044298).

Im vorliegenden Fall wurde die Kl (wie in der Revision nicht bestritten wird) von einer der Vorpächterinnen, bei der sie beschäftigt war, der L*, im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang auf die Nachpächterin gekündigt. Im nachfolgenden Konkurs der L* hat sie neben Abfertigungsansprüchen auch eine Kündigungsentschädigung samt darauf entfallenden Sonderzahlungen (anwaltlich vertreten) geltend gemacht und auf diese Forderungen auch die Auszahlung einer entsprechenden Konkursquote erhalten.

Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass die Kl damit zum Ausdruck brachte, die ansonsten unwirksame Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen sich gelten zu lassen, ist – auch wenn sie in weiterer Folge bei der Nachpächterin weiter arbeitete – vor dem Hintergrund der zitierten Judikatur nicht korrekturbedürftig.

5. Soweit die Kl sich in der Revision darauf beruft, dass [es] für AN im Allgemeinen schwer sei, festzustellen, ob und wann ein Betriebsübergang stattgefunden hat und ob dies vor dem Konkurs des Vorbetreibers war, ist darauf zu verweisen, dass in erster Instanz kein Vorbringen dazu erstattet wurde, aus welchen Gründen für die Kl im konkreten Fall eine derartige Unklarheit bestanden haben sollte. Dass es im Einzelfall vorweg nicht leicht zu beurteilen ist, welche von mehreren Varianten für einen betroffenen AN günstiger ist, führt nicht dazu, dass, wenn er eine entsprechende Entscheidung getroffen hat, diese keine rechtliche Wirkung entfaltet.

6. Nach ständiger Judikatur besteht, wenn ein Arbeitsverhältnis gem § 3 Abs 1 AVRAG auf den Übernehmer des Unternehmens übergeht und dieser gem § 6 Abs 1 AVRAG mit dem Übergeber solidarisch für den rückständigen Lohn haftet, kein Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld aus einer Insolvenz des Übergebers des Unternehmens (RIS-Justiz RS0108284). Wenn der AN im Rahmen eines Betriebsübergangs sein – zuvor dargestelltes – Wahlrecht ausübt und eine ungerechtfertigte Auflösung des Arbeitsverhältnisses akzeptiert, trägt er das Risiko der Insolvenz des Übergebers und stehen ihm Ansprüche nach dem IESG nicht zu (vgl 8 ObS 126/00p). Einer weiteren Klarstellung dazu bedarf es nicht.

7. Soweit die Kl in der Revision darauf verweist, dass, selbst wenn sie Abfertigungsansprüche nur gegen die L* habe, aufgrund des zweimaligen Betriebsübergangs eine Haftung der Bekl für die nicht im Insolvenzverfahren abgedeckte Forderung besteht, so hat sie sich in erster Instanz weder auf derartige Abfertigungsansprüche gegen die L* noch auf eine solidarische Haftung der Bekl mit dieser gestützt. Die entsprechenden Ausführungen in der Revision stellen daher eine unzulässige Neuerung dar. [...]

ANMERKUNG
1.
Problemstellung

Wird der AN wegen Verstoß gegen das sogenannte Kündigungsverbot bei Betriebsübergang rechtsunwirksam gekündigt, so hat er nach allgemeinen Grundsätzen das „Wahlrecht“ bei besonderem Bestandschutz (allg dazu zB Löschnigg, Arbeitsrecht12 [2015] Rz 8/209 f): Zum einen kann sich der AN – dies ist vom Gesetz bzw der Betriebsübergangs-RL vorgezeichnet – auf die Rechtsunwirksamkeit der vom AG getätigten Lösungserklärung482berufen und das Arbeitsverhältnis fortsetzen. Zum anderen kann er aber auch – weil er nicht gezwungen werden soll, das idR durch den Lösungsversuch belastete Arbeitsverhältnis weiterzuführen – die rechtswidrige Kündigung gegen sich gelten lassen und Ansprüche aus der Beendigung verlangen.

Beim Zusammenfallen von Betriebsübergang und Insolvenz ergibt sich dabei für die AN-Seite häufig eine „Zwickmühle“: Ein Unternehmen ist offensichtlich im wirtschaftlichen Niedergang begriffen, der AG bleibt dem AN Entgelte schuldig, er kündigt den AN, in weiterer Folge wird ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des AG eröffnet. Irgendwann tritt doch jemand auf den Plan, der das Unternehmen weiterzuführen scheint und den AN auch beschäftigt. Der hier geschilderte, im Verhältnis zur Komplexität typischer Praxisfälle vereinfachte Ablauf stellt sich dabei typischerweise erst im Nachhinein so klar dar. Zunächst bestehen Unsicherheiten insb über das Ob und Wann eines Betriebsübergangs. Damit ist auch unsicher, ob die Kündigung an sich gültig oder wegen Verstoß gegen das Kündigungsverbot nichtig ist.

In einer derartigen Situation wird die Vertretung des AN zweierlei zu machen haben: Einerseits werden die offenen Forderungen gegenüber dem bisherigen AG im Insolvenzverfahren anzumelden sein, damit in Verbindung ist ein Antrag auf Insolvenz-Entgelt zu stellen. Andererseits wird man sich – sobald diesbezügliche Anhaltspunkte zutage treten – auf einen Betriebsübergang berufen und den neuen Inhaber als uU nach § 6 Abs 1 iVm § 3 Abs 1 AVRAG für „Altschulden“ Haftenden (allg dazu zB Holzer/Reissner, Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz2 [2006] § 6 Rz 17) in Anspruch nehmen müssen. Die jeweilige Vorgangsweise wird dabei allenfalls im Zeitablauf zu adaptieren sein. Abhängig ist dies zB vom Zeitpunkt des Betriebsübergangs, der – wie gesagt – häufig erst im Nachhinein ermittelbar ist: Liegt dieser vor Insolvenzverfahrenseröffnung, besteht volle Haftung des neuen Inhabers, liegt er hingegen nach diesem Zeitpunkt, gilt die sogenannte Konkursausnahme nach § 3 Abs 2 AVRAG (allg zB Binder/Mair in

Binder/Burger/Mair
, Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz3 [2016] § 3 Rz 67 ff). Im ersteren Fall ist die Haftung des neuen Inhabers in Anspruch zu nehmen, Insolvenz-Entgelt gebührt nicht; im zweiten Fall gibt es keine Haftung, sondern Insolvenz-Entgelt.

Der OGH hat nun in einem Szenario wie dem geschilderten die vorliegende, bedauerliche Fehlentscheidung getroffen: Wie im Nachhinein klar geworden war, ist ein Betriebsübergang vor Insolvenzverfahrenseröffnung eingetreten, sodass die Konkursausnahme des § 3 Abs 2 AVRAG nicht anzuwenden war (stRsp; zB OGH9 ObA 41/03zinfas 2004 A 2). Da folglich das Arbeitsverhältnis gem § 3 Abs 1 AVRAG auf den neuen Inhaber übergegangen sein musste, kam für die IEF-Service GmbH iS wiederum stRsp (zB OGH 8 ObS 2164/96k DRdA 1998/24, 245 [Wachter] = ZIK 1997, 231; OGH 24.10.2012, 8 ObS 2/12w; dazu Reissner in

Reissner
[Hrsg], Arbeitsverhältnis und Insolvenz5 [2017] § 1 IESG Rz 427 mwN) eine Insolvenz-Entgeltsicherung nicht in Frage. Laut vorliegender E habe allerdings die AN durch die Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren konkludent das Wahlrecht ausgeübt und auf die Eintrittsautomatik iSd § 3 Abs 1 AVRAG verzichtet sowie durch die Weiterarbeit ein neues Arbeitsverhältnis mit dem Betriebsnachfolger begründet, aus dem die begehrte (Pensions-)Abfertigung alt iSd § 23a Abs 1 AngG nicht gebühre.

Im Kern ist dies ein eindeutig verfehltes Verständnis von konkludentem Handeln. Bevor auf diese zentrale Facette der E eingegangen wird (siehe 3.), soll jedoch der zu Grunde liegende Sachverhalt genauer vor Augen geführt werden (siehe 2.).

2.
Sachverhalt

Dieser ist in einer Wiedergabe der E des Berufungsgerichts OLG Wien 8 Ra 63/15s zB in ARD 6483/11/2016 sowie insb bei Mader (Betriebsübergang und Insolvenz: Forderungsanmeldung als Akzeptanz der Kündigung? in FS 20 Jahre Insolvenzschutzverband der Arbeitnehmer/innen [2017]) instruktiv aufbereitet.

Demnach war die Kl seit 1.4.1993 im Café M beschäftigt. Ihre AG waren dabei von 1.4.1993 bis 30.9.2006 K P, von 1.10.2006 bis 30.9.2009 die N KG, von 1.10.2009 bis 28.2.2011 die L R KG, von 1.3.2011 bis 2.12.2011 die CRMK KG und von 3.12.2011 bis 31.10.2013 die Bekl. Am 1.10.2006, am 1.10.2009, am 1.3.2011 und am 3.12.2011 fanden jeweils Betriebsübergänge von einem Betreiber des Lokals auf den nächsten statt. Hier von Relevanz ist der Betriebsübergang um den 1.3.2011 von der L R KG auf die CRMK KG.

Am 28.2.2011 wurde die Kl von der L R KG (fristwidrig) gekündigt, obwohl der Betrieb mit 1.3.2011 auf die CRMK KG überging und die AN ab diesem Zeitpunkt bei der neuen Inhaberin weiterarbeitete. Am 2.5.2011 wurde das Konkursverfahren über das Vermögen der L R KG eröffnet. Die Vertretung der AN nahm die unter 1. skizzierten Schritte vor: Die AN meldete in einer ersten Schiene sämtliche Ansprüche – auch aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – im Konkursverfahren an und beantragte Insolvenz-Entgelt bei der IEF-Service GmbH. Parallel dazu brachte sie eine Klage auf das rückständige laufende Entgelt – und zwar ausschließlich für die Zeit vor Betriebsübergang – gegen die CRMK KG ein. Im Verfahren gegen die CRMK KG wurden die Ansprüche mittels rechtskräftigem Zahlungsbefehl festgestellt.

Die im Konkurs der L R KG angemeldeten Forderungen der Kl wurden nicht bestritten und damit insolvenzrechtlich festgestellt. Die Kl hat – was hier vor allem interessiert, auch ungewöhnlich, aber letztlich in der zentralen Rechtsfrage unerheblich ist (dazu 3.) – die Anmeldung der Abfertigungsansprüche im Insolvenzverfahren nicht zurückgezogen. Ihre angemeldeten Ansprüche, also auch die Abfertigung, wurden in diesem Verfahren quotenmäßig befriedigt (Konkursquote: ca 8 %). Auf Grund der Insolvenz der L R KG erhielt die Kl wegen des Betriebsübergangs von der IEF-Service GmbH kein Insolvenz-Entgelt für den Abfertigungsanspruch.483

Das Arbeitsverhältnis zur CRMK KG wurde am 30.11.2011 durch einvernehmliche Lösung beendet. Im Rahmen eines weiteren Betriebsübergangs ging das Unternehmen mit 3.12.2011 auf die Bekl über. Die AN arbeitete ab 3.12.2011 bei der Bekl weiter. Mit Beschluss vom 23.3.2012 wurde der Antrag auf Konkurseröffnung über das Vermögen der CRMK KG mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen. Die AN brachte auch in diesem Verfahren einen Antrag auf Insolvenz-Entgelt ein.

Das Arbeitsverhältnis zur Bekl wurde am 31.10.2013 durch Kündigung der AN wegen Pensionsantritt beendet. Die AN begehrte daraufhin – auf Basis eines von 1993 bis 2013 durchgehenden Arbeitsverhältnisses – von B die Auszahlung einer Abfertigung im Ausmaß von neun Monatsentgelten für über 20 Dienstjahre. Im Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht brachte die Bekl vor, das Arbeitsverhältnis sei von der LRMK KG zum 28.2.2011 beendet worden. Die AN habe im darauffolgenden Insolvenzverfahren derselben ihre Ansprüche aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – nämlich Abfertigung und Kündigungsentschädigung – angemeldet und damit zum Ausdruck gebracht, die Kündigung gegen sich wirken zu lassen. Das Arbeitsverhältnis sei daher trotz Betriebsübergang nicht auf die CRMK KG übergegangen, womit in weiterer Folge auch die Bekl die eingeklagte Abfertigung nicht schulde. Das OLG Wien (8 Ra 63/15s ARD 6483/11/2016) und – in Zurückweisung der Revision der Kl das zweitinstanzliche Urteil bestätigend – der OGH teilen diese Sichtweise der Bekl.

3.
Anforderungen an die Ausübung des sogenannten Wahlrechts

Die Vertreter der AN haben also iS „anwaltlicher Vorsicht“ umsichtig gehandelt und entsprechende prozessuale Schritte gesetzt. Aus dieser Vorgangsweise erschließen die Gerichte nun – wie zu zeigen sein wird zu Unrecht – eine zivilrechtliche Handlung, die konkludente Ausübung des unter 1. beschriebenen Wahlrechts.

Zum entscheidenden Aspekt, nämlich der These, dass im gegebenen Zusammenhang ein Wahlrecht in Richtung Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Anspruch genommen worden ist, stellt sich zuerst die Frage, wem gegenüber ein derartiges Wahlrecht zu tätigen wäre. Allgemein wird davon auszugehen sein, dass die Ausübung des Wahlrechts eine Erklärung ist, mit der Rechtsfolgen herbeigeführt werden bzw die Rechtslage gestaltet wird. Es handelt sich also um eine Willenserklärung, und zwar um eine einseitige und empfangsbedürftige Willenserklärung. Eine solche kann gem § 863 Abs 1 ABGB ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Gegenüber einem (unmittelbaren) Vertragspartner, der eine rechtsunwirksame Lösungserklärung getätigt hat, werden in Bezug auf das Vorliegen einer entsprechenden Willenserklärung keine hohen Anforderungen zu stellen sein, er hat eine derartige Erklärung durch sein Vorverhalten zu erwarten. Bei Betriebsübergang kommt es jedoch zu einem gesetzlich angeordneten Wechsel des Vertragspartners, wobei im Allgemeinen klar ist, dass dieser die Rechtshandlungen seines Vorgängers und allfällige rechtlich vorgesehene Reaktionen darauf grundsätzlich gegen sich gelten lassen muss. Die rechtsunwirksame Kündigung des alten Inhabers und eine Erklärung des Wahlrechts diesem gegenüber wirken somit auch für den neuen Inhaber. Was nun die Ausübung des Wahlrechts direkt dem neuen Inhaber gegenüber anlangt, so ist es – ähnlich wie in Bezug auf die Passivlegitimation bei der Bekämpfung der nichtigen Kündigung (vgl zB OGH8 ObA 91/97hDRdA 1998/33, 284 [Wagnest] = ZAS 1998/12, 143 [Winkler]sowie auch Reissner, DRdA 1998, 351 f) – einleuchtend, dass Derartiges rechtlich möglich sein muss, zumal durch den Zeitablauf häufig der Betriebsübergang und der Ex-lege-Vertragspartnerwechsel bereits vorbei sind. Freilich werden an eine Erklärung nach Betriebsübergang höhere Anforderungen an die Deutlichkeit zu stellen sein (dazu gleich). Die Erklärung muss also zumindest gegenüber einem der beiden AG erfolgen, sie bindet aber beide.

Sucht man nun nach dem Zeitpunkt einer allfälligen Erklärung im zu Grunde liegenden Fall, so müsste diese gegenüber dem neuen Inhaber, also der CRMK KG, erfolgt sein. Die (rechtswidrige) Kündigung ereignete sich ganz knapp vor dem Betriebsübergang Anfang März 2011, ein bisschen Zeit vergeht, der neue Inhaber wird tätig, die AN arbeitet bei ihm. Es ist also die konkludente Willenserklärung gegenüber der CRMK KG zu suchen.

Konkludente Willenserklärungen sind anzunehmen, wenn die in § 863 Abs 1 ABGB zum Ausdruck gebrachten Prinzipien erfüllt sind, wenn also der Erklärungsempfänger keinen vernünftigen Grund daran zu zweifeln hat, dass die Gegenseite ihm gegenüber eine Willenserklärung in eine gewisse Richtung abgibt. Laut Sachverhalt ist die CRMK KG nach Betriebsübergang mit einer Mahnklage der AN konfrontiert, mit welcher sie ausschließlich offen gebliebene Entgelte aus der Zeit der Vorgängerin, der L R KG, also sogenannte Altschulden, unter Berufung auf den Betriebsübergang einfordert. Jedenfalls damit ist ein allfälliges Vertrauen der CRMK KG auf die Ausübung des Wahlrechts zerstört. Aber selbst dann, wenn diese Einforderung diesbezüglich zu spät gekommen sein sollte, kann der nunmehrige AG aus den davor getätigten Rechtshandlungen der AN kein vertragsrechtlich relevantes Vertrauen entwickelt haben. Nachdem die Kl – die langjährige Mitarbeiterin des Café M – bei ihm ab März 2011 laufend in Erfüllung ihres Arbeitsvertrags tätig geworden ist, wird im Mai 2011 ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Vorgängerunternehmens, also eines Dritten, eröffnet. Aus dem Umstand, dass die AN Rechtsschritte in diesem Insolvenzverfahren setzt, kann der nunmehrige AG schon deshalb kein rechtlich geschütztes Vertrauen entwickeln, weil auch für ihn „in der Luft hängen“ muss, dass die AN arbeitsrechtlich nicht korrekt behandelt wurde und sie auf ihr Geld wartet. Das entscheidende Argument liegt aber noch tiefer: Wie F. Bydlinski (Willens- und Wissenserklärungen im Arbeitsrecht, ZAS 1976, 83 [94]) überzeugend dargelegt hat,484stellt eine bloße Prozesshandlung (iwS), mit der zB aus „anwaltlicher Vorsicht“ ein potenzieller Rechtsanspruch gewahrt werden soll, weniger eine Willenserklärung als vielmehr eine (konkludente) Wissenserklärung dar. Man nimmt an zu wissen (oder schließt es nicht aus), dass die Kündigung gültig war und sucht nun eine diesbezügliche Klarstellung im Prozess. Eine Wissenserklärung ist aber nicht geeignet, den Anforderungen des § 863 Abs 1 ABGB zu entsprechen; dieser setzt voraus, dass man auch dem konkludent Handelnden eine Willenserklärung zuordnen kann.

4.
Resümee

Es wäre also Betriebsübergangsrecht anzuwenden und die Abfertigung auf Basis der Gesamtdienstzeit zuzusprechen gewesen. Es ist dringend zu wünschen, dass dies in nachfolgender Judikatur ausdrücklich klargestellt wird.

Vorerst werden die Vertreter von AN ihre „anwaltliche Vorsicht“ erweitern und auch noch allen möglichen Beteiligten, insb auch einem potenziellen Betriebsübernehmer, gegenüber erklären müssen, dass Prozesshandlungen wie im zu Grunde liegenden Fall keine (konkludente) Ausübung eines Wahlrechts darstellen sollen. In der Klage auf Abfertigung gegen den nach Betriebsübergängen letzten AG wird man in eventu einzuflechten haben, dass auch bei allfälligem Leerlaufen des Betriebsübergangsrechts wegen Ausübung des gegenständlichen Wahlrechts eine Haftung des AG gem § 6 Abs 1 iVm § 1409 ABGB eine Haftungsgrundlage für Altschulden gegenüber AN besteht (zu alldem Tinhof, DRdA-infas 2017/56, 82 f).

Die in Pension gegangene langjährige Mitarbeiterin des Café M hat jedenfalls im Endeffekt nicht einmal 10 % ihrer Abfertigung gesehen. Dies ist nicht zuletzt auch angesichts der unionsrechtlichen Wertungen bedauerlich, zumal die Insolvenz-RL 2008/94/EG in ihrem Art 3 Abs 1 die Sicherstellung einer innerstaatlich vorgesehenen „Abfindung bei Beendigung des Dienstverhältnisses“ vorschreibt (dazu Mader in FS 20 Jahre Insolvenzschutzverband).