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Kategorie 11 der Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien (Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch) nicht gesetzwidrig

STEPHANIEPRINZINGER

Bei der Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien gem § 351c Abs 2 ASVG handelt es sich um eine VO iSd Art 139 B-VG.

Die vom BVwG erhobenen Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnungsbestimmung Arzneimittelkategorie 11 (Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch) in der Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien treffen nicht zu, da Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch jedenfalls „im Allgemeinen“ nicht zur Krankenbehandlung iSd § 133 Abs 2 ASVG geeignet sind. Die Zugehörigkeit eines Arzneimittels zu einer nicht erstattungsfähigen Arzneimittelkategorie steht der Abgabe eines in eine solche Kategorie fallenden Arzneimittels in jenen Fällen nicht entgegen, in denen (ausnahmsweise) die Voraussetzungen der §§ 120 und 133 ASVG vorliegen.

SACHVERHALT

Mit Bescheid des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger (kurz: Hauptverband) wurde der Antrag der vor dem BVwG beschwerdeführenden Partei auf Aufnahme der Arzneispezialität „Champix FTBL, 0,5mg“ in den Erstattungskodex (EKO) gem § 20 Abs 3 VO-EKO abgewiesen. Als Begründung wurde angeführt, dass das zugelassene Anwendungsgebiet dieser Arzneispezialität in die Kategorie 11 („Arzneimittel zur Entwöhnung von Nikotingebrauch“) der Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien gem § 351c Abs 2 falle. Die Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien stehe im Verordnungsrang und sei der Entscheidung zugrunde zu legen. Gegen diesen Bescheid wurde Beschwerde an das BVwG erhoben.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Mit dem gegenständlichen Antrag begehrt das BVwG, die Verordnungsbestimmung Arzneimittelkategorie 11 (Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch) in der Anlage gem § 1 Abs 2 der Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien gem § 351c Abs 2 ASVG als gesetzwidrig aufzuheben. Das BVwG stützt seine Bedenken zum einen darauf, dass der kategorische Ausschluss von Arzneimitteln zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch ohne Differenzierung zwischen dem noch nicht per se krankheitsschädigenden Tabakkonsum einerseits und der nikotinassoziierten Tabakabhängigkeit andererseits mit den Anforderungen des § 351c Abs 2 ASVG an eine solche Liste nicht vereinbar sei. Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch sind nach Ansicht des BVwG bei Vorliegen eines schweren Grades von Tabakabhängigkeit nämlich sehr wohl zur Behandlung dieser Krankheit geeignet. Zum anderen stützt das BVwG seine Bedenken auf die Transparenz-RL. Um Art 7 Z 1 der RL Genüge zu tun, wonach der Ausschluss einer Arzneimittelkategorie vom staatlichen Krankenversicherungssystem eine auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhende Begründung enthalten muss, müsse aus der Begründung zur Arzneimittelkategorie 11 der Anlage gem § 1 Abs 2 der Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien gem § 351c Abs 2 ASVG plausibel und nachvollziehbar hervorgehen, warum die nikotinassoziierte Tabakabhängigkeit keine Krankheit iSd § 120 Z 1 ASVG darstellt.

Der VfGH sah die vom BVwG erhobenen Bedenken als nicht zutreffend an und wies den Antrag daher ab.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„1.2. Die in Prüfung gezogenen Vorschriften haben entgegen dem Vorbringen des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger die Qualität einer Verordnung im Sinne des Art 139 B-VG: […]

2.2.1. Soweit das antragstellende Gericht beantragt, die Arzneimittelkategorie 11 (Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch) der Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittelkategorien gemäß § 351c Abs 2 ASVG aufzuheben, weil der ‚kategorische Ausschluss‘ von Arzneimitteln zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch, ohne eine Differenzierung zwischen dem noch nicht schädigenden Tabakkonsum einerseits und der nikotinassoziierten Tabakabhängigkeit andererseits vorzunehmen, mit den Anforderungen des § 351c Abs 2 ASVG an eine solche Liste nicht vereinbar sei, so werden Bedenken gegen die Übereinstimmung der Verordnung mit ihrer gesetzlichen Grundlage erhoben. Diese Bedenken treffen aber nicht zu, denn Arzneimittel zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch sind jedenfalls ‚im Allgemeinen‘ nicht zur Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs 2 ASVG geeignet:

2.2.1.1. Nach dem sozialversicherungsrechtlichen Verständnis ist Krankheit ein ‚regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der die Krankenbehand-32lung notwendig macht‘ (§ 120 Abs 1 Z 1 ASVG). Daraus ergibt sich, dass ein nur nach medizinischen Kriterien als Krankheit verstandener Körper- oder Geisteszustand nicht ausreicht, um einen Krankenbehandlungsanspruch nach § 133 Abs 2 ASVG auszulösen; es muss auch eine Notwendigkeit gegeben sein, diese Krankheit zu behandeln (Felten/Mosler in

Mosler/Müller/Pfeil
[Hrsg], Der SV-Komm § 133 ASVG Rz 2). Die Krankenbehandlung muss nach § 133 Abs 2 ASVG nämlich nicht nur ausreichend und zweckmäßig sein, sie darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.

2.2.1.2. Damit ist der sozialversicherungsrechtliche Krankheitsbegriff auch enger als der Krankheitsbegriff der WHO (vgl zB OGH 24.11.1998, 10 ObS 193/98z). Eine Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn liegt dann vor, wenn das Krankenversicherungsrecht eine entsprechende Leistung zur Behebung dieses Zustandes vorsieht und der Zustand unter Bedachtnahme auf die Ziele der Krankenbehandlung und im Hinblick auf ihre Notwendigkeit nach einem sozialen Konsens auch behandelt werden soll. Nach den in der Lehre und Rechtsprechung herausgearbeiteten Kriterien […] beeinflusst daher auch das gesellschaftliche Grundverständnis das krankenversicherungsrechtliche Leistungsrecht.

2.2.1.3. Maßnahmen wie die Regulierung des Körpergewichts, die Verbesserung des Haarwuchses aber auch die Raucherentwöhnung […] werden dem Bereich der Eigenverantwortung der sozialversicherten Personen und nicht der Verantwortung der Versichertengemeinschaft zugerechnet […].

2.2.2. Schließlich ist das antragstellende Gericht aber auch darauf hinzuweisen, dass die Zugehörigkeit eines Arzneimittels zu einer nicht erstattungsfähigen Arzneimittelkategorie der Abgabe eines in eine solche Kategorie fallenden Arzneimittels auf Kosten des Krankenversicherungsträgers in jenen Fällen nicht entgegensteht, in denen (ausnahmsweise) die Voraussetzungen der §§ 120 und 133 ASVG vorliegen. Denn diese Liste von Kategorien hat keine weiterreichende Wirkung als der Erstattungskodex (bzw die Nichtaufnahme in diesen) selbst: Sie enthält bloß die Vermutung, dass die darin genannten Kategorien von Arzneimitteln zur Krankenbehandlung nicht geeignet sind; diese Vermutung ist im Einzelfall widerlegbar, worüber im Streitfall die ordentlichen Gerichte als Arbeits- und Sozialgerichte im krankenversicherungsrechtlichen Leistungsstreitverfahren zu entscheiden haben. Erreicht also die Nikotingewöhnung in einem Einzelfall einen solchen Schweregrad, dass das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen Erkrankung im Sinne der §§ 120 iVm 133 Abs 2 ASVG erwiesen ist, so kann das Arzneimittel (gegebenenfalls mit chef- bzw kontrollärztlicher Bewilligung, vgl § 31 Abs 3 Z 12 ASVG) auf Kosten des Krankenversicherungsträgers abgegeben werden […].

2.2.3. Die Bedenken des vorlegenden Gerichts hinsichtlich der Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnungsbestimmungen treffen daher nicht zu.“

ERLÄUTERUNG

Das vorliegende Erk des VfGH enthält zwei wichtige Klarstellungen zu der gem § 351c Abs 2 ASVG vom Hauptverband zu erstellenden Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittel:

Der VfGH kommt im gegenständlichen Erk einerseits zum Schluss, dass die in Prüfung gezogenen Vorschriften entgegen dem Vorbringen des Hauptverbandes die Qualität einer VO iSd Art 139 B-VG haben. Nach der stRsp des VfGH ist eine VO eine generelle Rechtsvorschrift, die von einer Verwaltungsbehörde erlassen wurde und sich nach ihrem Inhalt an die Rechtsunterworfenen richtet. Als Verwaltungsbehörden kommen auch Organe von Nicht-Gebietskörperschaften (beruflichen Selbstverwaltungskörpern oder Anstalten) in Betracht. Für die Qualifikation als VO kommt es nach der Rsp des VfGH auf den normativen Gehalt des Verwaltungsaktes an, der insb dann anzunehmen ist, wenn er das Gesetz bindend auslegt. Die Liste jener Arzneimittelkategorien, die im Allgemeinen nicht zur Krankenbehandlung iSd § 133 Abs 2 ASVG geeignet sind, ist vom Hauptverband – demnach von einem Verwaltungsorgan – erlassen worden und wurde auch amtlich verlautbart. Des Weiteren werden auch normative Festlegungen getroffen: Der Entscheidungsspielraum des Hauptverbandes bei einer Beurteilung eines Antrages auf Aufnahme einer Arzneispezialität in den EKO wird erheblich eingeschränkt, da Arzneimittel, die unter die Kategorie 11 der Liste fallen, nicht in den EKO aufgenommen werden dürfen. Damit ist auch der Verordnungscharakter der Liste gem § 351c ASVG zu bejahen.

Zum anderen sieht der VfGH die Bedenken des BVwG gegen den seines Erachtens „kategorischen“ Ausschluss von Arzneimitteln zur Entwöhnung vom Nikotingebrauch von der Krankenbehandlung im Wege der Aufnahme dieser Kategorie in die Liste nicht erstattungsfähiger Arzneimittel als nicht zutreffend an. Der VfGH schließt sich der Ansicht des Hauptverbandes, dass Arzneimittel zur Behandlung vom Nikotingebrauch jedenfalls im Allgemeinen nicht zur Krankenbehandlung iSd § 133 Abs 2 ASVG geeignet sind, an. Der VfGH stützt seine Begründung nachvollziehbarerweise auch darauf, dass die Zugehörigkeit eines Arzneimittels zu einer nicht erstattungsfähigen Arzneimittelkategorie der Abgabe dieses Arzneimittels auf Kosten des Krankenversicherungsträgers in jenen Fällen nicht entgegensteht, in denen ausnahmsweise die Voraussetzungen der §§ 120 iVm 133 ASVG vorliegen, die Nikotinsucht also im Einzelfall den Schweregrad einer iSd ASVG behandlungsbedürftigen Erkrankung erreicht. Die gegenständliche Liste hat nämlich keine weiter-33reichende Wirkung als der EKO selbst. Sie enthält nur die Vermutung, dass die darin genannten Kategorien von Arzneimitteln zur Krankenbehandlung nicht geeignet sind. Für Arzneimittel, die nicht in den EKO aufgenommen werden, wird in § 31 Abs 3 Z 12 ASVG explizit ausgeführt, dass in begründeten Einzelfällen die Erstattungsfähigkeit auch dann gegeben ist, wenn die Arzneispezialität nicht im EKO angeführt, aber die Behandlung aus zwingenden therapeutischen Gründen notwendig ist und damit die Verschreibung in diesen Einzelfällen nicht mit Arzneispezialitäten aus dem EKO durchgeführt werden kann. Dieser Anspruch im Einzelfall kann auf sozialgerichtlichem Weg überprüft werden. Mit den vom BVwG zusätzlich erhobenen unionsrechtlichen Bedenken hatte sich der VfGH inhaltlich nicht auseinanderzusetzen. Beim geltend gemachten Verstoß gegen Art 7 der Transparenz-RL handelt es sich um keine Rechtsverletzung verfassungsrechtlicher Natur. Ob die angefochtenen Bestimmungen gegen das Unionsrecht verstoßen, hat deshalb das vorlegende Gericht – gegebenenfalls unter Vorlage der Frage an den EuGH – selbst zu beurteilen.