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Aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge für Kurzzeit-Beschäftigte eines Kulturbetriebs nur zulässig, wenn konkrete Rechtfertigungsgründe bestehen

DORISLUTZ
RL 1999/70/EG
EuGH 26.2.2015, C-238/14, Europäische Kommission/Großherzogtum Luxemburg

Die Verlängerung aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge mit Kurzzeit-Beschäftigten des Kulturbetriebs im luxemburgischen Recht ist nicht durch einen „sachlichen Grund“ gerechtfertigt.

SACHVERHALT

Nach luxemburgischem Recht darf die Laufzeit befristeter Arbeitsverträge für ein und denselben AN einschließlich Verlängerungen 24 Monate nicht überschreiten. Eine andere Bestimmung des luxemburgischen Rechts sieht jedoch eine Ausnahme für Kurzzeit-Beschäftigte von Kulturbetrieben vor. In diesem Fall dürfen befristete Arbeitsverträge mehr als zweimal und für eine Gesamtdauer von mehr als 24 Monaten verlängert werden, ohne dass sie als unbefristete Arbeitsverträge gelten. Luxemburg rechtfertigt dies damit, dass die Kurzzeit-Beschäftigten von Kulturbetrieben an einzelnen zeitlich begrenzten Projekten beteiligt seien, so dass der vorübergehende Bedarf der AG an Arbeitskräften einen „sachlichen Grund“ darstelle, der die Verlängerung der befristeten Arbeitsverträge rechtfertige.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Im März 2009 forderte die Kommission das Großherzogtum auf, bestimmte Aspekte des luxemburgischen Rechts in Hinblick auf die Rahmenvereinbarung zur RL 1999/70/EG über befristete Arbeitsverträge klarzustellen. Diese Aspekte betrafen ua das Bestehen von Ausnahmen von den Maßnahmen zur Vermeidung von Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge, insb für das Lehr- und Forschungspersonal der Universität Luxemburg und die Kurzzeit-Beschäftigten des Kulturbetriebs. Luxemburg schaffte bis zur Klagseinbringung durch die Kommission keine Abhilfe hinsichtlich der Kurzzeit-Beschäftigten des Kulturbetriebs, weshalb der EuGH in seinem Erk feststellte, dass Luxemburg seine Pflicht verletzt hat, gegenüber144diesen Beschäftigten Missbrauch durch befristete Arbeitsverträge zu verhindern.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„Es ist darauf hinzuweisen, dass Paragraf 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung zur Umsetzung eines der mit ihr verfolgten Ziele dient, nämlich den wiederholten Rückgriff auf befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse, die als Quelle potenziellen Missbrauchs zulasten der Arbeitnehmer angesehen werden, einzugrenzen, indem eine Reihe von Mindestschutzbestimmungen vorgesehen wird, die die Prekarisierung der Lage der Beschäftigten verhindern sollen. […]

Daher verpflichtet Paragraf 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Vermeidung des missbräuchlichen Einsatzes aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge oder -verhältnisse dazu, effektiv und mit verbindlicher Wirkung mindestens eine der dort aufgeführten Maßnahmen zu ergreifen, wenn ihr innerstaatliches Recht keine gleichwertigen gesetzlichen Maßnahmen enthält. Die hierfür in Paragraf 5 Nr. 1 Buchst. a bis c aufgeführten drei Maßnahmen betreffen sachliche, die Verlängerung solcher Arbeitsverträge oder -verhältnisse rechtfertigende Gründe, die insgesamt maximal zulässige Dauer dieser aufeinanderfolgenden Arbeitsverträge oder -verhältnisse und die zulässige Zahl ihrer Verlängerungen. […]

Die Mitgliedstaaten verfügen insoweit über ein Ermessen, da sie die Wahl haben, auf eine oder mehrere der in Paragraf 5 Nr. 1 Buchst. a bis c der Rahmenvereinbarung genannten Maßnahmen oder aber auf bestehende gleichwertige gesetzliche Maßnahmen zurückzugreifen, und zwar unter Berücksichtigung der Anforderungen bestimmter Branchen und/ oder Arbeitnehmerkategorien.

Der Begriff ‚sachliche Gründe‘ ist, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, dahin zu verstehen, dass er genau bezeichnete, konkrete Umstände meint, die eine bestimmte Tätigkeit kennzeichnen und daher in diesem speziellen Zusammenhang den Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge rechtfertigen können. […]

[Liegen solche nicht hinreichend konkret vor,] ist ein Mitgliedstaat zwar berechtigt, bei der Umsetzung von Paragraf 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung die besonderen Anforderungen einer speziellen Branche zu berücksichtigen, doch kann dieses Recht nicht dahin verstanden werden, dass es ihm erlaubt, hinsichtlich dieser Branche seiner Pflicht nicht nachzukommen, eine Maßnahme zu ergreifen, die geeignet ist, Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge zu verhindern und gegebenenfalls zu ahnden. Könnte sich ein Mitgliedstaat auf ein Ziel wie die Flexibilität, die der Einsatz befristeter Arbeitsverträge bietet, berufen, um dieser Pflicht nicht nachkommen zu müssen, liefe dies nämlich einem der […] Ziele der Rahmenvereinbarung zuwider, und zwar dem der Schaffung fester Beschäftigungsverhältnisse, die einen wichtigen Aspekt des Arbeitnehmerschutzes darstellen.“

ERLÄUTERUNG

Durch sein Erk macht der EuGH deutlich, dass die Verlängerung aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge mit Kurzzeit-Beschäftigten des Kulturbetriebs im luxemburgischen Recht nicht durch einen „sachlichen Grund“ gerechtfertigt ist. Luxemburg hat nämlich nicht erläutert, inwiefern die nationale Regelung es verlangt, dass die Kurzzeit-Beschäftigten des Kulturbetriebs vorübergehende Tätigkeiten ausüben. Somit können AG aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge mit Kurzzeit-Beschäftigten des Kulturbetriebs nicht nur abschließen, um einen vorübergehenden Personalbedarf zu decken, sondern auch, um einen ständigen und dauerhaften Bedarf zu decken. Letzterem Zweck dienen unbefristete Arbeitsverträge. Selbst wenn man unterstellt, dass im luxemburgischen Recht das von Luxemburg angeführte Ziel (den Kurzzeit-Beschäftigten des Kulturbetriebs eine gewisse Flexibilität und soziale Vergünstigungen zu verschaffen, indem es ihren AG ermöglicht wird, sie mittels befristeter Arbeitsverträge wiederholt einzustellen) verfolgt wird, kann daraus nicht geschlossen werden, dass genau bezeichnete, konkrete Umstände vorliegen, die die Tätigkeit der Kurzzeit-Beschäftigten des Kulturbetriebs kennzeichnen und daher in diesem speziellen Zusammenhang den Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge rechtfertigen.

Diese E könnte auch für das österreichische Recht von Relevanz sein. Denn nach österreichischem Recht ist in Theaterbetrieben eine Aneinanderreihung befristeter Verträge ebenfalls zulässig, ohne dass es nach dem TAG eines konkreten sachlichen Grundes dafür bedarf.