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Keine Erweiterung des IESG-Sicherungszeitraumes für nicht ausgeglichene Zeitguthaben bei Inanspruchnahme eines Karenzurlaubes

GERHARDHÖBART (WIEN)
  1. Nicht ausgeglichene Zeitguthaben sind nach § 3a Abs 1 Satz 3 IESG nur dann gesichert, wenn die zugrunde liegenden Arbeitsstunden im Sicherungszeitraum geleistet wurden und wenn das Zeitguthaben im Sicherungszeitraum in eine fällige Geldforderung (rück-)umgewandelt wurde.

  2. Außerhalb der sechsmonatigen Sicherungsfrist erworbene Zeitguthaben sind nicht gesichert, auch wenn sich die AN vor Insolvenzeröffnung zunächst im Mutterschutz und dann im Karenzurlaub befunden hat.

  3. Nicht verbrauchtes Zeitguthaben aus Überstunden, das nicht in einen fälligen Geldanspruch umgewandelt wurde, ist nicht „Arbeitsentgelt“ iSd Insolvenz-RL 2008/94/EG.

Die Kl war vom 2.1.2008 bis 13.7.2012 bei der späteren Schuldnerin beschäftigt. Auf sie kam der KollV für Angestellte im Metallgewerbe zur Anwendung. Zwischen den Vertragsparteien war vereinbart, dass Überstunden bis zur 100. Überstunde als Zeitausgleich zu verbrauchen sind; bei Überschreitung dieses Limits wurde Überstundenentgelt bezahlt.

Vom 31.5.2011 bis 18.10.2011 befand sich die Kl im Mutterschutz und im Anschluss daran zwei Jahre lang (bis 20.7.2013) im Karenzurlaub.

Mit Beschluss des LGZ Graz vom 2.7.2012 wurde [...] über das Vermögen der Schuldnerin das Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung eröffnet. Das Unternehmen wurde mit Beschluss vom 12.7.2012 geschlossen. Am 13.7.2012 trat die Kl gem § 25 IO aus dem Dienstverhältnis vorzeitig aus.

Mit Bescheid vom 22.4.2013 lehnte die Bekl (ua) das von der Kl für Zeitausgleichsstunden beantragte Insolvenzentgelt ab. Im gerichtlichen Verfahren machte die Kl letztlich noch 1.736,46 € für 21,99 Zeitausgleichsstunden im Jänner und Februar 2011 geltend. Das Zeitausgleichskonto der Kl für Jänner174und Februar 2011 wies diese Anzahl an Überstunden auf. Die von der Kl geltend gemachten Zeitausgleichsstunden sind außerhalb des Sicherungszeitraums (sechs Monate vor dem Stichtag) angefallen. Soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, begehrte die Kl Insolvenzentgelt für 21,99 Zeitausgleichsstunden. Bei dem von ihr geltend gemachten Anspruch handle es sich nicht um einen Geld-, sondern um einen Naturalanspruch. Der Verbrauch von Zeitausgleich sei während der absoluten Schutzfrist und auch während des Karenzurlaubs ausgeschlossen gewesen. Aus diesem Grund sei für die Berechnung des Sicherungszeitraums nicht der Stichtag nach § 3 Abs 1 IESG (2.7.2012), sondern die Ruhendstellung des Arbeitsverhältnisses (31.5.2011) maßgebend.

Die Bekl entgegnete, dass sich der Anspruch auf Insolvenzentgelt für nicht konsumierten Zeitausgleich nach § 3a Abs 1 IESG richte. Danach müssten die abzugeltenden Arbeitsstunden im Sicherungszeitraum geleistet worden sein. Das MSchG enthalte keine Bestimmung, nach der sich während des Mutterschutzes oder bei Inanspruchnahme eines Karenzurlaubs der Sicherungszeitraum verlängere. Der von der Kl ins Treffen geführte Naturalanspruch unterliege auch nicht dem Begriff des Arbeitsentgelts iSd Insolvenz-RL.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Überstunden [...] seien außerhalb der Schutzfrist des § 3a Abs 1 IESG geleistet worden. Daraus folge, dass die Ansprüche nicht gesichert seien. Außerdem hätte das Zeitguthaben im Sicherungszeitraum in eine fällige Geldforderung umgewandelt werden müssen. Auch dies sei nicht geschehen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese E. Ansprüche aus nicht ausgeglichenen Zeitguthaben für Arbeitsstunden, die der AN in den letzten sechs Monaten vor Insolvenzeröffnung geleistet habe, seien nur dann iSd § 3a Abs 1 IESG gesichert, wenn sich das Zeitguthaben im Sicherungszeitraum in eine Geldforderung umgewandelt habe. Im Anlassfall sei das Zeitguthaben außerhalb des Sicherungszeitraums entstanden. Auf die Fristenhemmung des § 6 APSG könne sich die Kl nicht berufen. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil eine E des OGH zu den Aussagen des EuGH in der Rs C-160/2001, Mau, nach Neufassung des § 19f AZG nicht vorliege.

Gegen diese E richtet sich die Revision der Kl, die auf eine Stattgebung des Klagebegehrens abzielt. Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Bekl, dem Rechtsmittel der Kl den Erfolg zu versagen.

Die Revision ist zulässig, weil eine Klarstellung der Rechtslage durch den OGH geboten erscheint. Die Revision ist aber nicht berechtigt.

1.1 Im Anlassfall ist zu klären, ob Ansprüche aus einem nicht ausgeglichenen Zeitguthaben [...], das außerhalb der sechsmonatigen Sicherungsfrist erworben wurde, nach § 3a Abs 1 IESG gesichert ist, wenn sich die AN vor der Insolvenzeröffnung zunächst im Mutterschutz und dann im Karenzurlaub befunden hat.

Die Kl beruft sich ausdrücklich nur auf § 3a Abs 1 IESG. Unstrittig ist, dass die Kl sämtliche [...] Überstunden außerhalb des Sicherungszeitraums geleistet hat.

1.2 Gem § 3a Abs 1 IESG gebührt Insolvenz-Entgelt für das dem AN gebührende Entgelt einschließlich der gebührenden Sonderzahlungen, das in den letzten sechs Monaten vor dem Stichtag (§ 3 Abs 1) oder, wenn das Arbeitsverhältnis vor dem Stichtag geendet hat, in den letzten sechs Monaten vor dessen arbeitsrechtlichem Ende fällig geworden ist. Die Frist von sechs Monaten gilt nicht, soweit Ansprüche auf Entgelt binnen sechs Monaten nach ihrem Entstehen gerichtlich oder im Rahmen eines in Normen der kollektiven Rechtsgestaltung vorgesehenen Schlichtungsverfahrens oder eines Verfahrens vor der Gleichbehandlungskommission zulässigerweise geltend gemacht wurden und das diesbezügliche Verfahren gehörig fortgesetzt wird und soweit eine Differenz zwischen unterkollektivvertraglicher und kollektivvertraglicher Entlohnung beantragt wird. Insolvenz-Entgelt für Ansprüche aus nicht ausgeglichenen Zeitguthaben gebührt nur dann, wenn die abzugeltenden Arbeitsstunden in den im ersten Satz genannten Zeiträumen geleistet wurden, es sei denn, dass im Rahmen von Altersteilzeitregelungen oder aufgrund einer gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Regelung oder einer BV längere Durchrechnungszeiträume vorgesehen sind.

1.3 Das Arbeitsverhältnis der Kl endete nach dem Stichtag. Ein Fall, in dem sich nach § 3a Abs 1 zweiter Satz IESG der Sicherungszeitraum verlängert [...], liegt hier nicht vor.

2.1 § 3a Abs 1 Satz 3 IESG [...] enthält eine spezielle Regelung für nicht ausgeglichene Zeitguthaben.

Diese Bestimmung setzt zunächst voraus, dass die nicht ausgeglichenen Arbeitsstunden bzw Überstunden im Sicherungszeitraum geleistet wurden.

Diese Anforderung ist im Anlassfall unstrittig nicht erfüllt. Auf eine Ausnahme nach Abs 1 Satz 3 zweiter Halbsatz leg cit hat sich die Kl nicht berufen.

2.2 Zudem sind nur Entgeltansprüche gesichert, die in den letzten sechs Monaten vor dem Stichtag fällig wurden.

§ 3a Abs 1 IESG betrifft sicherungsfähige Ansprüche aus der Zeit „vor der Insolvenz“. Einen solchen Anspruch hat der AN nur dann, wenn er bereits vor der Insolvenz eine fällige Geldforderung (und nicht nur ein Zeitguthaben) hatte. Dementsprechend hat der OGH in der E 8 ObS 7/07y ausgesprochen, dass auch die Abgeltung von Zeitguthaben für Arbeitsstunden bzw Überstunden, die innerhalb des Sicherungszeitraums des § 3a Abs 1 IESG geleistet wurden, nur dann iSd § 3a Abs 1 IESG gesichert sein kann, wenn das Zeitguthaben im Sicherungszeitraum in eine fällige Geldforderung (rück)umgewandelt wurde.

Auch diese Voraussetzung ist im Anlassfall nicht gegeben. Nach dem unabdingbaren § 19f Abs 2 AZG (idF BGBl I 2007/61) gilt für ein Zeitausgleichsguthaben für Überstundenarbeit grundsätzlich [...] Folgendes: Wurde der Zeitpunkt des Zeitausgleichs nicht im Vorhinein vereinbart, und kommt es nicht innerhalb der Frist nach Abs 2 (grundsätzlich sechs Monate nach Ende des Anfallsmonats) zu einem Verbrauch, so kann der AN nach weiteren vier Wochen den Verbrauch des Guthabens einseitig bestimmen oder die Abgeltung in Geld verlangen.175

Stellt der AN dieses Verlangen, so kommt es zu einer Rückumwandlung des Zeitausgleichs in Geld. Verlangt er weder das eine noch das andere, [...] so kommt es jedenfalls nicht zur automatischen Umwandlung des Zeitausgleichs in Geld (141 RV BlgNR 23. GP 7). Das Zeitguthaben bleibt demnach als solches grundsätzlich unverändert bestehen, und zwar bis zum Zeitpunkt, in dem feststeht, dass die von den Parteien in Aussicht genommene Konsumation nicht mehr möglich ist, im Regelfall bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses (Felten in

Grillberger
, AZG3 § 19 f Rz 13; Heilegger/Schwarz in
Heilegger/Klein/Schwarz
, AZG3 498).

2.3 Im Anlassfall kommt hinzu, dass sich die Kl auf eine Umwandlung des Zeitguthabens in eine fällige Geldforderung explizit nicht beruft. Vielmehr steht sie auf dem Standpunkt, dass ihr (außerhalb des Sicherungszeitraums erworbenes) Zeitguthaben deshalb gesichert sein müsse, weil es sich um einen Naturalanspruch handle. Dies ist auch der Grund dafür, dass sich die Kl ausschließlich auf § 3a Abs 1 IESG und nicht auch auf allenfalls andere denkbare Anspruchsgrundlagen (etwa § 3a Abs 2 Z 4, Abs 3 und 4 IESG; vgl dazu Felten in

Grillberger
, AZG3 § 19 f Rz 12 unter Hinweis auf 8 ObS 7/07y zur Rechtslage BGBl I 2000/142) beruft, obwohl sie die Frage der Umwandlung des Zeitausgleichs in einen Geldanspruch in ihre Überlegungen im Vorbringen miteinbezogen hat [...].

3.1 Die Kl stützt sich zunächst auf das Erfordernis der richtlinienkonformen Interpretation. Bei entsprechender Interpretation auf Basis der Insolvenz- RL und der E des EuGH in der Rs Mau könne die Sicherungsfrist des § 3a Abs 1 IESG nicht ab dem Stichtag, sondern nur ab der Ruhendstellung des Arbeitsverhältnisses (aufgrund des Mutterschutzes) zurück berechnet werden.

3.2 Dieser Ansatz scheitert schon an der eindeutigen Bestimmung in § 3a Abs 1 Satz 3 IESG, aus der der Wille des Gesetzgebers klar hervorgeht.

Zum Erfordernis der richtlinienkonformen Interpretation verweist der EuGH auf den Methodenkatalog des nationalen Rechts (C-397/01, Pfeiffer; C-212/04, Adeneler). Die Pflicht zur richtlinienkonformen Interpretation reicht somit grundsätzlich bis zur Grenze der äußersten Wortlautschranke, erstreckt sich aber zudem auf die nach dem innerstaatlichen interpretativen Methodenkatalog zulässige Rechtsfortbildung durch Analogie oder teleologische Reduktion im Fall einer planwidrigen Umsetzungslücke (8 ObS 19/11v mwN).

3.3 Auch sonst kann sich die Kl weder auf die Insolvenz-RL (RL 80/987/EWG idF der RL 2002/74/ EG; spätere Neukodifikation durch RL 2008/94/ EG) noch auf die E des EuGH in der Rs C-160/01, Mau, stützen.

Nach Art 4 Abs 2 der Insolvenz-RL ist als Mindestschutz das Arbeitsentgelt für die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses (nach Wahl des Mitgliedstaats vor oder nach einem Stichtag) gesichert. Nach Art 3 der Insolvenz-RL können die Mitgliedstaaten einen Stichtag sowie einen Sicherungszeitraum festlegen. In dieser Hinsicht darf sich nach der E des EuGH in der Rs C-160/01, Mau, der Mindestzeitraum iSd RL nicht auf Zeiten beziehen, in denen das Arbeitsverhältnis ruht und kein Arbeitsentgelt geschuldet wird (Rn 41 bis 44; siehe auch C-309/12, Novo, Rn 22 und 27). Nach diesen unionsrechtlichen Grundsätzen muss der AN somit zumindest die Möglichkeit haben, das Arbeitsentgelt für drei Monate (nach Wahl des Mitgliedstaats vor oder nach dem Stichtag) geltend zu machen, in denen ein Entgeltanspruch tatsächlich bestanden hat.

Dazu hat der OGH in der E 8 ObS 13/06d(auch 8 ObS 5/07d) ausgesprochen, dass die Regelungen des IESG mit der E des EuGH in der Rs Mau nicht in Widerspruch stehen, weil eine Fristverlängerung schon durch die bloße gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche eintrete (§ 3a Abs 1 Satz 2 IESG).

3.4 Im Anlassfall ist aber entscheidend, dass die Insolvenz-RL nach Art 2 Abs 2 die Begriffsbestimmung ua des Arbeitsentgelts nach dem innerstaatlichen Recht unberührt lässt.

Nicht verbrauchtes Zeitguthaben aus Überstunden, das im Sicherungszeitraum nicht in einen fälligen Geldanspruch umgewandelt wurde, ist aber nicht „Arbeitsentgelt“ (RIS Justiz RS0051784). Nicht verbrauchtes Zeitguthaben aus Überstunden, die eineinhalb Jahre vor Insolvenzeröffnung und auch noch mehrere Monate vor Beginn des Mutterschutzes geleistet wurden, ist auch nicht Arbeitsentgelt für die letzten bzw gesicherten drei Monate des Arbeitsverhältnisses (vgl dazu auch C-309/12, Novo, Rn 34).

4. Weiters stützt sich die Kl auf die Fristenhemmung des § 6 APSG. Es sei nicht einsichtig, warum Mutterschutz und Karenzurlaub einschränkend behandelt würden.

Die Kl bezieht sich offenbar auf die E 8 ObS 7/10b, die das Verhältnis von § 6 Abs 1 Z 1 APSG (Fortlaufshemmung von Fristen für die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis) zu § 3a Abs 1 Satz 2 IESG (gerichtliche Geltendmachung) betrifft. § 3a Abs 1 Satz 2 IESG ordnet ausdrücklich an, dass die in § 3a Abs 1 Satz 1 IESG normierte Frist von sechs Monaten nicht gilt, soweit Ansprüche auf Entgelt binnen sechs Monaten nach ihrem Entstehen gerichtlich geltend gemacht werden. Gerade eine gesetzliche Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsvertrag ist aber durch § 6 Abs 1 Z 1 APSG in ihrem Fortlauf gehemmt.

Abgesehen davon, dass sich die Kl auf eine für sie geltende, gesetzlich normierte Fortlaufshemmung für die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis nicht berufen kann, würde ihr eine solche Bestimmung, etwa im MSchG, nichts nützen, weil sie die in Rede stehenden Ansprüche nicht gerichtlich geltend gemacht hat.

5. Die Kl stützt sich zudem auf die Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub (im Anhang zur RL 2010/18/EU). Nach § 5 Nr 2 der Rahmenvereinbarung sollten die Rechte, die der AN zu Beginn des Elternurlaubs erworben habe, bis zum Ende des Elternurlaubs bestehen und im Anschluss an den Elternurlaub ausübbar bleiben. Aus der E des EuGH in der Rs C-486/08, ZBR der Landeskrankenhäuser Tirols, ergebe sich, dass von der Rahmenvereinbarung alle unmittelbar oder mittelbar aus dem Arbeitsverhältnis abgeleiteten Rechte und Vorteile in Form von Bar- oder Sachleistungen erfasst seien.176

Die in Rede stehenden Regelungen der Rahmenvereinbarung betreffen die arbeitsrechtlichen Ansprüche der AN gegenüber dem AG. Für die spezielle Fragestellung, ob die aus arbeitsrechtlicher Sicht bestehenden Ansprüche der AN im Insolvenzfall auch gesichert sind, lässt sich der Rahmenvereinbarung jedoch nichts entnehmen.

6.1 Schließlich verweist die Kl auf die E des VfGH vom 10.12.2013, G 74-75/2013. In dieser E habe der VfGH in der unterschiedlichen Berücksichtigung von Präsenzdienstzeiten einerseits und von Zeiten des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld andererseits bei der Ermittlung der Anspruchsdauer für Arbeitslosengeld eine mittelbare Diskriminierung von Frauen erblickt. Gleichermaßen wäre es diskriminierend, Zeiten der absoluten Schutzfrist und des Karenzgeldbezugs bei der Berechnung des Stichtags iSd § 3a Abs 1 IESG zu berücksichtigen.

6.2 Damit kann eine Diskriminierung schon im Ansatz nicht nachgewiesen werden. Auch die Ansprüche männlicher AN aus Überstundenleistungen, die diese außerhalb des Sicherungszeitraums erbracht haben, sind nicht gesichert. Die Kl erblickt eine mittelbare Ungleichbehandlung offenbar darin, dass sie aufgrund des Beginns des Mutterschutzes und des Karenzurlaubs den Zeitausgleich nicht mehr vor Insolvenzeröffnung konsumieren konnte. Diesen Überlegungen kommt schon deshalb keine Berechtigung zu, weil die Kl die Möglichkeit gehabt hätte, von der Vereinbarung über den Verbrauch der zugrunde liegenden Zeitausgleichsstunden erst nach dem Karenzurlaub abzusehen. Jedenfalls ab September 2011 wäre es der Kl offengestanden, das Zeitausgleichsguthaben in einen Geldanspruch umzuwandeln (§ 19 f Abs 3 AZG) und den Geldanspruch noch vor der Insolvenz geltend zu machen.

6.3 Schließlich hat sich die Kl, wie schon dargelegt wurde, auf die allenfalls mögliche Sicherung ihrer Ansprüche als umgewandelte Geldansprüche nach anderen denkbaren Anspruchsgrundlagen (vor allem § 3a Abs 2 Z 4, Abs 3 und 4 IESG) bewusst nicht gestützt.

7.1 Zusammenfassend ergibt sich:

Nicht ausgeglichene Zeitguthaben sind nach § 3a Abs 1 Satz 3 IESG nur dann gesichert, wenn die zugrunde liegenden Arbeitsstunden im Sicherungszeitraum geleistet wurden und wenn das Zeitguthaben im Sicherungszeitraum in eine fällige Geldforderung (rück-)umgewandelt wurde. Nach der Insolvenz-RL (RL 2008/94/EG) ist als Mindestschutz nur das Arbeitsentgelt für drei Monate (nach Wahl des Mitgliedstaats vor oder nach einem Stichtag) gesichert. Der Begriff des Arbeitsentgelts bestimmt sich nach dem Recht des Mitgliedstaats. [...]

ANMERKUNG
1.
Sicherung nach § 3a Abs 1 IESG

Die vorliegende E beschäftigt sich mit der Frage, welcher Zeitpunkt für die Bemessung des sechsmonatigen Sicherungszeitraumes gem § 3a Abs 1 IESG heranzuziehen ist, wenn sich die AN vor dem Stichtag der Insolvenzeröffnung (§ 3 Abs 1 IESG) zunächst im Mutterschutz und anschließend in Karenzurlaub gem MSchG befunden hat. Im konkreten Fall geht es um nicht ausgeglichene Zeitguthaben aus geleisteten Überstunden, die länger als sechs Monate vor dem Stichtag (§ 3 Abs 1 IESG) geleistet worden sind.

Nicht ausgeglichene Zeitguthaben sind nur dann durch den Insolvenz-Entgeltsicherungsfonds gesichert, wenn die abzugeltenden Arbeitsstunden innerhalb des sechsmonatigen Sicherungszeitraumes geleistet und in eine fällige Geldforderung umgewandelt worden sind (OGH8 ObS 7/07yARD 5832/3/2008).

Beide Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.

2.
Richtlinienkonforme Interpretation

Es stellt sich die Frage, ob § 3a Abs 1 IESG mit den Art 3 und 4 der Insolvenz-RL 2008/94/EG im Einklang steht. Nach Art 4 Abs 2 der RL ist als Mindestschutz das Arbeitsentgelt der letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses (vor oder nach einem Stichtag) zu sichern. Nach Art 3 der RL können Stichtag und Sicherungszeitraum von den Mitgliedstaaten festgelegt werden. Der EuGH hat in der Rs Mau (EuGH 15.5.2003, C-160/01) dazu ausgesprochen, dass sich der Mindestsicherungszeitraum nicht auf Zeiten beziehen darf, in denen das Arbeitsverhältnis ruht und kein Arbeitsentgelt geschuldet wird. Der AN muss demnach die Möglichkeit haben, das Arbeitsentgelt für zumindest drei Monate geltend zu machen, in denen ein Entgeltanspruch tatsächlich bestanden hat.

Mit dieser Frage hat sich der OGH bereits beschäftigt (OGH8 ObS 13/06dZIK 2007/240, 142 sowie OGH8 ObS 5/07dDRdA 2007, 402).

In beiden Fällen hat der OGH die Richtlinienkonformität des § 3a Abs 1 IESG bejaht, da die Sicherungsfrist von sechs Monaten nicht gilt, wenn die offenen Entgeltansprüche innerhalb von sechs Monaten eingeklagt werden. Bei rechtzeitiger gerichtlicher Geltendmachung können somit auch Ansprüche, die vor dem sechsmonatigen Sicherungszeitraum fällig geworden sind, einer Sicherung zugeführt werden. Im Gegensatz dazu sieht die der EuGH-E in der Rs Mau zugrunde liegende Bestimmung der deutschen Rechtsordnung (§ 183 SGB III aF – nun § 165 SGB III) keine dem österreichischen Recht vergleichbare Möglichkeit vor, durch gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis auch Entgeltansprüche zu sichern, die länger als drei Monate vor dem Stichtag fällig geworden sind.

Im Unterschied zum vorliegenden Fall verfügten die Kl in den beiden oben zitierten OGH-Entscheidungen über bereits fällige Geldforderungen. Dadurch unterscheidet sich der nun aktuell entschiedene Fall von den beiden Vorentscheidungen.

Die Kl beruft sich nämlich ausdrücklich nicht auf eine Umwandlung in eine fällige Geldforderung, sondern vertritt die Auffassung, es handle sich um einen Naturalanspruch. Die Kl konnte den Anspruch weder in Geld einklagen, noch während des durch Beschäftigungsverbot und Karenzurlaub177ruhend gestellten Arbeitsverhältnisses verbrauchen. Auf Grund dieser Umstände müsste daher der sechsmonatige Sicherungszeitraum unter Beachtung der vom EuGH in der Rs Mau aufgestellten Grundsätze ab Beginn des Beschäftigungsverbotes nach § 3 MSchG (Ruhendstellung des Arbeitsverhältnisses) berechnet werden.

Entscheidend für diese Überlegung ist allerdings, ob im vorliegenden Fall das nicht verbrauchte Zeitguthaben überhaupt Arbeitsentgelt iSd Insolvenz- RL darstellt. Nach Art 2 Abs 2 der RL 2008/94/EG richtet sich der Begriff des Arbeitsentgeltes nach innerstaatlichem Recht. Zur Frage, ob nicht verbrauchtes Zeitguthaben, das nicht in einen fälligen Geldanspruch umgewandelt worden ist, Arbeitsentgelt darstellt, hat der OGH bereits festgestellt, dass der Anspruch aus einer Vereinbarung über Zeitausgleich keinen Entgeltcharakter hat, sondern nur auf einer anderen Verteilung der Arbeitszeit beruht (RIS-Justiz RS0051784). Somit liegt kein Arbeitsentgelt iSd RL vor.

3.
Fristenhemmung analog zu § 6 APSG – mittelbare Diskriminierung?

§ 6 Abs 1 Z 1 APSG sieht für die Dauer eines zu leis tenden Präsenz-, Ausbildungs- oder Zivildienstes eine Fortlaufhemmung von gesetzlichen, kollektivvertraglichen und einzelvertraglichen Fristen für die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis vor. Diese Fristenhemmung gilt auch im Anwendungsbereich des § 3a Abs 1 Satz 2 IESG, wonach die sechsmonatige Frist gem § 3a Abs 1 Satz 1 IESG nicht gilt, wenn die Ansprüche binnen sechs Monaten nach ihrem Entstehen gerichtlich geltend gemacht werden (OGH 26.4.2011, 8 ObS 7/10b).

Die Kl verweist diesbezüglich auch auf die E des VfGH vom 10.12.2013, G 74/2013, wo in der unterschiedlichen Berücksichtigung von Präsenzdienstzeiten einerseits und Bezugszeiten von Kinderbetreuungsgeld andererseits bei Festsetzung des Arbeitslosengeldes eine mittelbare Diskriminierung von Frauen erachtet worden ist.

Weiters stützt sich die Kl auf die Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub (im Anhang zur RL 2010/18/EU), wonach zu Beginn des Elternurlaubes erworbene Rechte der AN bis zum Ende des Elternurlaubes bestehen und ausübbar bleiben, und verweist auf die E des EuGH vom 22.4.2010 in der Rs C-486/08 (Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols).

Der Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub (im Anhang zur RL 2010/18/EU) lasse sich laut OGH für die konkrete Fragestellung, ob bestehende arbeitsrechtliche Ansprüche der AN auch im Insolvenzfall gesichert sind, nichts entnehmen.

Der OGH sieht im vorliegenden Fall keine Ungleichbehandlung von Frauen, da auch die Ansprüche männlicher AN nicht gesichert sind, wenn die Überstunden außerhalb des Sicherungszeitraumes geleistet und nicht rechtzeitig gerichtlich geltend gemacht worden sind.

Die Kl hätte das offene Zeitguthaben gem § 19f Abs 3 AZG während des Karenzurlaubes in eine Geldforderung umwandeln und den Anspruch vor Insolvenzeröffnung gerichtlich geltend machen können. Der OGH geht in seinen Ausführungen davon aus, dass die Kl ihre im Jänner und Februar 2011 geleisteten Zeitausgleichsstunden nach Ablauf der sechsmonatigen Frist des § 19f Abs 2 AZG spätestens im September 2011 gem § 19f Abs 3 AZG in eine fällige Geldforderung umwandeln und innerhalb der von § 3a Abs 1 IESG geforderten sechsmonatigen Frist gerichtlich geltend machen hätte können.

Nun genügt es für die Sicherung von Zeitguthaben aber nicht, dass die Forderung innerhalb des gesicherten Zeitraumes fällig geworden ist. Vielmehr müssen die der Geldforderung zu Grunde liegenden Arbeitsstunden auch im Sicherungszeitraum geleistet worden sein (§ 3a Abs 1 letzter Satz IESG). Hier sieht der Gesetzgeber nur Ausnahmen für Altersteilzeitregelungen und längere gesetzliche bzw kollektivvertragliche Durchrechnungszeiträume vor. Beides ist im gegenständlichen Fall nicht gegeben.

Ebenso wenig würde der Kl die (analoge) Anwendung des § 6 Abs 1 APSG nützen. Dadurch würde lediglich die Klagsfrist des § 3a Abs 1 Satz 2 IESG gehemmt, jedoch nicht die Voraussetzung des § 3a Abs 1 letzter Satz IESG beseitigt werden, wonach die Zeitausgleichsstunden auch innerhalb des Sicherungszeitraumes zu leisten sind.

4.
Umwandlung in eine fällige Masseforderung – Sicherung nach § 3a Abs 2 IESG?

Abschließend stellt sich die Frage, ob die nicht konsumierten Zeitausgleichsstunden möglicherweise auf Grund anderer Anspruchsgrundlagen (etwa § 3a Abs 2 IESG – auf die sich die Kl ausdrücklich nicht berufen hat) gesichert wären. Geht man davon aus, dass die nicht verbrauchten Zeitausgleichsstunden bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mangels anderer Vereinbarung bzw Erklärung der AN (§ 19f AZG) als Naturalanspruch bestehen bleiben und sich erst im Zeitpunkt der Beendigung, wenn der Verbrauch in natura unmöglich wird, in eine fällige Geldforderung umwandeln, könnte diese Forderung insolvenzrechtlich eine Masseforderung darstellen, sofern die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt (OGH 22.10.2012, 9 ObA 50/12m).

Als Masseforderung könnte der nun in eine fällige Geldforderung umgewandelte Anspruch nach den Bestimmungen des § 3a Abs 2 ff IESG gesichert sein. Zu dieser Frage hat sich der OGH mangels Vorbringens jedoch nicht geäußert.

5.
Zusammenfassung

Der OGH verneint eine Erweiterung des Sicherungszeitraumes für nicht ausgeglichene Zeitguthaben bei Inanspruchnahme eines Karenzurlaubes und sieht hier keine mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts. Die Bestimmung des § 3a Abs 1 IESG steht nicht im Widerspruch zu Art 3 und 4 der Insolvenz-RL.178