HutterDie unternehmerische Entscheidungsfreiheit bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen

Manz Verlag, Wien 2014, XXX, 202 Seiten, broschiert, € 48,–

BARBARATROST (LINZ)

Das vorliegende Buch beruht auf der im Juni 2012 eingereichten Dissertation der Autorin, mit der Maßgabe, dass für die Buchfassung der Literatur- und Rechtsprechungsstatus mit Juli 2013 angegeben wird (S VIII; Achtung: Die nachträglich erschienenen Werke wurden zwar in das Verzeichnis aufgenommen, nicht aber umfassend eingearbeitet!). Die Approbation, viele lobende Worte von namhaften WissenschafterInnen (siehe insb auch die Würdigung von Mazal und Wolf im Geleitwort, S V) sowie der Umstand, dass es sich um eine mehrfach preisgekrönte Arbeit handelt, würden selbstredend jeden Zweifel an der wissenschaftlichen Exzellenz als vermessen erscheinen lassen. Daher also auch dieses allgemeine Urteil zu Beginn: Hier liegt eine überaus gründliche und umfassende wissenschaftliche Arbeit in Buchform vor, die man von der ersten bis zur letzten Zeile lesen sollte! Weil sich aber eine Buchbesprechung erübrigen würde, wenn man sie um diesen schlichten Befund ergänzt auf die Wiederholung der bereits vorhandenen wissenschaftlichen Würdigungen reduzieren würde, soll im Folgenden auf das Buch eingegangen werden, und bei diesem wiederum auf die Frage, welchen Vorteil die/der LeserIn daraus schöpft, welche neuen Erkenntnisse daraus gewonnen werden können, und ob diese geeignet erscheinen, neue sozial-, gesellschafts- oder wirtschaftspolitische Horizonte zu eröffnen.

Die genannten Fragestellungen drängen sich insofern auf, als bereits im Vorspann (sowohl S V und VI als auch S VII und VIII) auf die politische Dimension der Thematik nachdrücklich hingewiesen wird. Es beginnt sodann auch die Untersuchung nicht mit der Interpretation des § 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG, wie vielleicht der Titel vermuten ließe, sondern (dankenswerterweise) mit Themen jenseits des Kerns der Regelung: einem Vergleich mit der deutschen Rechtslage bei betriebsbedingten Kündigungen (S 4 ff), referierten Ergebnissen ökonomischer Untersuchungen (S 7 ff) sowie einer sehr gründlichen Darstellung der historischen Entwicklung (S 20 ff). Fast könnte man dabei Gefahr laufen, den Untersuchungsgegenstand aus den Augen zu verlieren (dieser setzt im Kern auf S 65 ein). Zur Klarstellung – und für LeserInnen zur Erinnerung – sei er hier noch einmal zusammengefasst: Ausgehend von der Prämisse, dass Kündigungsschutz an sich „politisch“ ist und sozialpolitisch notgedrungen bipolar betrachtet wird, soll untersucht werden, ob bzw inwieweit vor allem die Interpretation auslegungsbedürftiger Begriffe im Kündigungsschutz durch die höchstgerichtliche Rsp die unternehmerische Entscheidungsfreiheit beschneidet. Ergänzend sei erwähnt, dass216es hierbei nicht um die Entscheidung für oder gegen eine Kündigung geht, sondern vielmehr – wie die Autorin vor allem in der beeindruckend umfassenden Analyse der Rsp von VwGH (bis 1986) und OGH (ab 1986) zeigt (S 38 ff, S 44 ff) – um die unternehmerische Entscheidung, als deren Folge die/der AG die Notwendigkeit einer Kündigung behauptet.

Bei diesem stringenten Kern des Untersuchungsgegenstandes überrascht es ein wenig, welche inhaltlichen Dimensionen der Vorspann annimmt, geht es dort doch über weite Strecken um nichts Geringeres als die Frage, ob ein effizienter Kündigungsschutz überhaupt wirtschaftlich tragbar ist. In diesem Kontext begeistert der Exkurs unter 1.4. (S 7 ff). Ausführlich werden hier die Ergebnisse jener Studien referiert, die sich im weitesten Sinn mit ökonomischen Auswirkungen des Kündigungsschutzes befassen. Interessant ist hier vor allem die vielfach belegte Kritik an der „Vergleichbarkeit“ und „Messbarkeit“ von Kündigungsschutzauswirkungen anhand international einheitlicher Indikatoren. Die Autorin verschweigt nicht (S 8, FN 19), dass Österreich – würde man einer derartigen Studie der OECD dennoch vertrauen –, was die Intensität des Kündigungsschutzes betrifft, im europäischen Mittelfeld läge. Handfester als ein solcher Indikatorenvergleich erscheinen jene Studien, die sich mit AG-Reaktionen auf Änderungen im Kündigungsschutz befasst haben. Die Kapitelüberschrift „Negative Auswirkungen auf das Einstellungsverhalten“ hält hier nicht ganz, was sie verspricht. Schon der zweite Satz lautet nämlich: „Zuverlässige Aussagen über die Auswirkungen des Kündigungsschutzes auf das tatsächliche Einstellungsverhalten lassen sich daraus noch nicht ableiten.“ Es bezieht sich dieser Befund auf AG-Befragungen, insb eine solche, die vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln durchgeführt wurde. Unter den angeführten wissenschaftlichen Studien sind besonders jene hervorzuheben, die sich mit den Veränderungen des Schwellenwertes (Mindest-AN-Zahl) für den Kündigungsschutz (in Deutschland zwischen 1997 und 2001) und deren Auswirkungen auf das AG-Verhalten beschäftigt haben. Entgegen ursprünglich anderer Hypothesen konnten Bender/Bonin keinen Einfluss der Adaptierung des Schwellenwertes auf die Belegschaftsfluktuation feststellen; ebenso die sogenannte REGAM-Studie; und auch in der Untersuchung von Verick ließ sich der festgestellte Effekt letztendlich nicht eindeutig zuordnen (S 14, 15). Soweit nur einige der zitierten Studien (die übrigens auch im Original lesenswert sind). Weniger griffig sind die Ausführungen in Kapitel 1.4.5, werden doch hier wieder Untersuchungen zitiert, in denen nach „strengem“ und „weniger strengem“ Kündigungsschutz als Basis unterschieden wird, während oben ja bereits auch von der Autorin (mwN) festgehalten wurde, dass eben genau ein solcher wertender Vergleich – schon aufgrund der sehr unterschiedlichen Ausgestaltungen durch die Rsp – wissenschaftlich problematisch erscheint. Vor diesem Hintergrund beginnen die zusammenfassenden Schlussfolgerungen der Autorin (1.4.6., S 17 ff) schlüssig: „Gesicherte Aussagen darüber, wie sich das Bestehen strenger Kündigungsschutzregelungen auf den Arbeitsmarkt niederschlägt und welche Effekte dessen allfällige Lockerung auf die Situation der Beschäftigten und die Beschäftigungssituation im Allgemeinen mit sich bringen würde, können auch ökonomische Auseinandersetzungen nicht zuverlässig treffen.“ (S 17 f). Warum im nächsten Satz die Rede davon ist, das ökonomische Schrifttum tendiere insgesamt „en gros aber doch dazu, einen eher nachteiligen Effekt eines strengen Bestandschutzes auf den Arbeitsmarkt zu bejahen“, erschließt sich aus dem Inhalt dieses Kapitels nicht, sondern allenfalls aus dem daran anschließenden Satz, der zum Ausdruck bringt, dass man die vorliegende Untersuchung gerne auf ein „aus ökonomischer Sicht ... berechtigtes Interesse“ an der Wahrung der unternehmerischen Freiheit des/der AG beim Schutz vor sozialwidrigen Kündigungen stützen möchte.

Zu den tragenden Säulen der Untersuchung gehören die rechtvergleichenden Passagen. In diesem Kontext bewegt sich auch die umfassende Darstellung der historischen Entwicklung des Kündigungsschutzes (S 20 ff) von den österreichisch-deutschen gemeinsamen Wurzeln bis zur Entwicklung in unterschiedliche Richtungen, was die wesentlichsten Eckpunkte betrifft (vgl übrigens dazu schon ausführlich Trost in

Strasser/Jabornegg/ Resch
, Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz [2012] § 105 Rz 6-14). Julia Hutter bringt gleich zu Beginn in einem Satzeinschub das Wesentlichste auf den Punkt und versieht diesen Satzteil sogar mit insgesamt sechs (!) Ausrufungszeichen: „... im Gegensatz zu [...] § 105 ArbVG ist nach dem KSchG eine Kündigung unabhängig (!!!) vom Vorliegen einer wesentlichen Interessenbeeinträchtigung immer sozialwidrig und damit rechtsunwirksam (!!!), wenn sie nicht durch betriebliche Erfordernisse oder personen – oder verhaltensbedingte Umstände auf Seiten des Arbeitnehmers gerechtfertigt ist [...]“ (S 5 f). Womit auch tatsächlich alles gesagt wäre, wollte doch der österreichische Gesetzgeber bewusst nicht jede Kündigung dem Schutz unterstellen, was von Anfang an naturgemäß auch den gesetzlichen Rechtfertigungsgründen einen völlig anderen Stellenwert verleiht. Es ist Hutter zu danken, dass sie diesen elementaren Unterschied so deutlich herausstreicht, denn auf diese Weise wird besonders klar, warum sich in Österreich – anders als in Deutschland – die Notwendigkeit einer Interessenabwägung bereits aus der gesetzlichen Konzeption ergibt. Bei dieser völlig konträren Grundkonzeption müsste man zu dem Schluss kommen, eine Gleichsetzung der ähnlich formulierten Einwendungen in den beiden Ländern erinnere an den sprichwörtlichen Vergleich zweier unterschiedlicher Kernobstsorten. Denn wenn in der einen Rechtsordnung die prinzipielle Unwirksamkeit jeder Kündigung und in der anderen die Anfechtbarkeit (nur) gewisser Kündigungen bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen die Grundregel ist, verbietet es die Logik, die in beiden Rechtsordnungen etwa gleichlautenden Rechtfertigungsformeln gleichzusetzen oder gleich zu interpretieren. Treffend schließt Hutter auch aus der historischen Entwicklung, dass „...die Überlegungen des deutschen Arbeitsrechtsdiskurses damit nicht undifferenziert auf den heimischen Kündigungsschutz übertragbar ...“ sind (S 37) – eine Vorgabe, der sie dann leider selbst über weite Strecken nicht Folge leistet (vgl nur zB S 60 ff; S 71 ff; S 80 ff).

Zusammenfassend ist also das Folgende festzuhalten: Zunächst sollten sich LeserInnen nicht vom Zitiervorschlag irreführen lassen. Der empfohlene Kurztitel „Beendigung von Arbeitsverhältnissen“ ist nicht nur viel zu weit gegriffen, sondern geht auch an den inhaltlichen Schwerpunkten vorbei, bildet doch die „unternehmerische Entscheidungsfreiheit“ den maßgeblichen Kern des Werks. Davon abgesehen bleiben als nützliche Quelle der Erkenntnis vor allem jene Passagen, in welchen die Ergebnisse der Recherche als harte Fakten präsentiert werden. Dies gilt für die erwähnten ökonomischen Studien ebenso wie für die Daten zur historischen Entwicklung, und darüber hinaus auch für die rechtstheoretischen Teile der Rechtsprechungskritik – kurz: für all jene Inhalte, die, der wissenschaftlichen Objektivität verpflichtet, gerade nicht der in Geleit- und Vorwort vorangestellten „politischen Dimension“ folgen. In Summe erschließt sich daher der verwertbare Inhalt dieses Buches in der Tat nur – wie eingangs bemerkt – bei gründlicher Lektüre vom Anfang bis zum Ende. Andernfalls liefe man Gefahr, vielleicht genau jene Stellen mitzunehmen, die ein wenig die Konkordanz von Prämisse und Conclusio vermissen lassen. Freilich sind manchmal auch derartige Brüche in der Logik verzeihlich, wenn der gute Zweck die Mittel heiligt. Der Zweck, die Tradition inhaltlich fortzusetzen und in den unverkennbaren wissenschaftlichen Handschriften von Mayer-Maly und Tomandl weiter zu argumentieren, wurde hier – untermauert durch zahlreiche einschlägige Zitate – exemplarisch erfüllt. Trotz manch kritischer Anmerkungen ist also letztendlich der Autorin kein Vorwurf zu machen.