(Wieder-)Gründung kollektiver Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen 1945

KLAUS-DIETERMULLEY (WIEN)

Als am 25.8.1945 die konstituierende Vollversammlung der wiedergegründeten Arbeiterkammer (AK) Wien im kleinen Konzerthaussaal abgehalten wurde, ließ der Staatssekretär für soziale Verwaltung und Vorsitzende des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) Johann Böhm in seiner Eröffnungsansprache die vorangegangenen Jahre der Unterdrückung und Verfolgung kurz Revue passieren: „Die österreichischen Arbeiter[kammern] könnten heuer ihr 25-jähriges Jubiläum feiern. Sie wurden jedoch am 1. Jänner 1934 ihrer gewählten Vertretung und damit ihres Charakters als freie Interessenvertretung beraubt und im Juli 1938 gänzlich aufgelöst. Es ist also eine lange Zeit her, seitdem die letzte Arbeiterkammer-Vollversammlung getagt hat. Jeder von uns fragt sich, was haben wir in dieser Zeit erlebt? Zuerst wurden die Institute der Arbeiter und Angestellten, Arbeiterkammern und Gewerkschaften zerschlagen, später, als der Heimwehrfaschismus von dem totalitären nationalsozialistischen Faschismus abgelöst wurde, wurden nicht nur die Kammern, sondern alle sozialen Einrichtungen, soweit sie selbstgewählten Charakter trugen, systematisch zerschlagen. Unser Land wurde langsam in eine Kaserne und im Laufe der Zeit in ein Zuchthaus verwandelt“.* Im Folgenden werden ausgehend von einigen Anmerkungen zur Gründung des ÖGB, die Wiedergründung der Arbeiterkammern als gesetzliche Interessenvertretung, die letztlich auch zur Errichtung der Landarbeiterkammern führte, behandelt. Nachdem – wie zu zeigen sein wird – es den Agrariern in den Bundesländern gelang, den mit der Wiedererrichtung der AK geschlossenen politischen Konsens durch Entscheide des VfGH weitgehend auszuhebeln, sind auch diese aus historisch-politischer Perspektive zu kommentieren.

1.
Die Gründung des ÖGB*

Am 7.4.1945 drangen die sowjetischen Truppen von Süden und Westen in das Stadtgebiet von Wien vor. Wie der Baugewerkschafter Josef Battisti in einer Gedächtnisschrift berichtete,* dauerten die Kämpfe bis in den Morgen des 10.4.. Dennoch war es ihm möglich, sich mit seinen Kollegen von den ehemaligen Freien Gewerkschaften zu verständigen, sodass man sich in den Vormittagsstunden des 11.4. in seiner Wohnung in der Kenyongasse 3 treffen konnte. Die Baugewerkschafter Johann Böhm, Anton Vitzthum und der Holzarbeitergewerkschafter Franz Pfeffer sondierten mit Battisti die sich aus dem Vormarsch der sowjetischen Truppen ergebende Lage. Die Befreiung Wiens schien unmittelbar bevorzustehen. Nun galt es, die im kleinen Kreis immer wieder ventilierten Pläne für eine Rekonstruktion der Gewerkschaftsbewegung in Angriff zu nehmen. Sicherlich dachte man vorerst an eine Wiedergründung der Freien Gewerkschaften. Nach weiteren Zusammenkünften in den folgenden zwei Tagen nahm Johann Böhm am 13.4. das wohl unangemeldete Erscheinen des kommunistischen Lederarbeiters Gottlieb Fiala und des früheren Obmannes der christlichen Eisenbahner Franz Haider zum Anlass, die bereits in den vorangegangenen Gesprächen besprochene Gründung eines unabhängigen überparteilichen Gewerkschaftsbundes vorzuschlagen, was denn auch einstimmig beschlossen wurde. Ein am folgenden Tag erarbeitetes Statut eines „Österreichischen Gewerkschaftsbundes“ wurde am 15.4. einer Plenarversammlung von 33 Gewerkschaftern, wovon abgesehen von den Vertretern der ehemaligen (sozialdemokratischen) „Freien Gewerkschaften“ sechs der ÖVP und fünf der KPÖ zuzuordnen waren, vorgelegt und beschlossen. Johann Böhm wurde einstimmig als Vorsitzender des ÖGB bestimmt. Zeitgleich mit der im Direktionsgebäude des Westbahnhofs offiziell vollzogenen Gründung des ÖGB konstituierten sich auch SPÖ* und ÖVP* aus den beiden großen politischen Lagern der Ersten Republik, der Führung der KPÖ wurde die Anreise aus Moskau erlaubt* und Karl Renner wurde von den Sowjets zur Bildung einer Konzentrationsregierung bestehend aus SPÖ, ÖVP, KPÖ und Parteiunabhängigen herangezogen.* Am 27.4.1945 erfolgte die Proklamation über die Selbständigkeit Österreichs und die von Renner unterzeichnete Kundmachung über die Einsetzung206einer – allerdings in den folgenden Monaten nur von den Sowjets anerkannten – provisorischen Staatsregierung.* Als Staatssekretär für das Staatsamt für Soziale Verwaltung (StAfSV) wurde Johann Böhm bestimmt, Unterstaatssekretäre waren Alois Weinberger (ÖVP) und Dr. Franz David (KPÖ).* Am selben Tag suchte der ÖGB bei dem russischen Stadtkommandanten um die Genehmigung seiner Gründung an, die am 30.4. erteilt wurde. Im Rahmen seiner Überlegungen zum verfassungsrechtlichen Wiederaufbau der Republik und ihrer Institutionen dachte Renner, der bereits die Republikgründung 1918 administriert hatte, auch an die Wiedererrichtung der gesetzlichen Interessenvertretungen, deren Abgrenzung im Wirkungskreis er durch ein „Kammerrahmengesetz“ regeln wollte, wozu es aber in der Folge nicht kommen sollte. Am 1.5.1945 setzte die provisorische Staatsregierung die Bundesverfassung 1929 in Wirksamkeit, wobei sie bis zum Zusammentreten einer frei gewählten Volksvertretung die nach dem B-VG 1929 zustehende Gesetzgebung für Bund und Länder für sich in Anspruch nahm.*

2.
Die Wirtschaft prescht vor

Bereits am 15.5.1945 legten die Staatssekretäre Julius Raab und Eduard Heinl dem Kabinettsrat einen Bericht über die Überführung der nationalsozialistischen Gauwirtschaftskammern* in „wieder nach dem alten österreichischen System“ zu errichtende Handelskammern vor.* Man habe vor – so Raab – nach Möglichkeit für jeweils zwei Bundesländer eine Handelskammer zu errichten; die Funktionäre der Kammern würden vom Staatsamt für öffentliche Bauten und vom Staatsamt für Handel und Verkehr gemeinsam ernannt werden. Renner, darüber nicht gerade erfreut, zumal er – wie erwähnt – an ein „Kammerrahmengesetz“ dachte, wies darauf hin, dass die Abgrenzung im Wirkungskreis der Kammern wohl noch mit Fachleuten zu beraten sei. Staatssekretär Johann Böhm deponierte denn auch den Wunsch, mit der Errichtung der Handelskammern zuzuwarten, zumal „im Staatsamt für soziale Verwaltung ein Gesetzentwurf über die Errichtung von Arbeiterkammern ausgearbeitet werde, der in absehbarer Zeit fertiggestellt sein dürfte“. Die beiden kommunistischen Staatssekretäre wandten sich gegen das „Entstehen eines großen bürokratischen Apparats“. Staatssekretär Johann Koplenig erklärte etwa, „dass es unbeschadet der überwiegenden Bedeutung der Planwirtschaft derzeit zum Zwecke der Ankurbelung der Wirtschaft in erster Linie notwendig sei, die Privatinitiative der Kleingewerbetreibenden, der Kaufleute und der kleinen Unternehmer weitgehend zu fördern“. Man einigte sich dann, dass die Staatsämter für öffentliche Bauten und Handel und Verkehr einen Beschlussvorschlag unterbreiten sollten, durch den „eine vorläufige Verfügung ... ohne der endgültigen Organisation vorzugreifen“ getroffen werden sollte, zumal es notwendig war, im Personalbereich Maßnahmen zu setzen. Mit dem am 25.5.1945 beschlossenen „Handelskammer- Überleitungsgesetz“ wurden dann die Gauwirtschaftskammern in Kammern für Handel, Gewerbe, Industrie, Geld- und Kreditwesen überführt.*

3.
Der erste AKG 1945-Entwurf

In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass nach den Aufzeichnungen von Franz Rauscher, dem gewerkschaftlichen Verbindungsmann zwischen den Bundesländern und Wien, in Salzburg bereits kurz nach der Befreiung durch amerikanische Truppen – völlig unabhängig von den Ereignissen in Wien – dem Sozialreferenten der US-Administration von GewerkschafterInnen ein Memorandum überreicht wurde, in dem um Erlaubnis für die Wiedergründung der Salzburger AK ersucht wurde.* Bereits Ende Mai 1945 wurde dem von den Gewerkschaften auserkorenen ersten Präsidenten der Salzburger AK die Erlaubnis erteilt und feierlich ein entsprechendes Dekret übergeben.

Währenddessen wurde im StAfSV im Auftrag von Staatssekretär Johann Böhm ein erster Entwurf über eine Wiedererrichtung der Arbeiterkammern erstellt.* In den Erläuterungen wurde festgestellt, dass die Wiedererrichtung „ein Gebot der Stunde“ sei, denn „dadurch soll der Arbeiterschaft Gelegenheit geboten werden, an dem künftigen Gesetzgebungswerk der Republik Österreich auf sozialpolitischem Gebiet sowie auf dem Gebiet der Wirtschaftsverwaltung mitzuwirken“. Dieser erste Entwurf orientierte sich am AKG 1920 mit der 1934 erfolgten Einbeziehung der Arbeiter und Angestellten der Freien Berufe, enthielt jedoch gegenüber dem AKG 1920 in seiner ersten Fassung drei bedeutende Änderungen: Zum einen wurde nur eine AK mit Dependancen in den Bundesländern für das gesamte Bundesgebiet vorgeschlagen, zum zweiten wurden die Land- und Forstarbeiter sowie die HausgehilfInnen und hauptberuflichen HausbesorgerInnen in den Wirkungsbereich der AK miteinbezogen, zum dritten wurde der Aufgabenbereich durch die Überwachung von Arbeitsschutzvorschriften erweitert. Der Kammer sollte die Befugnis erteilt werden, Lehrlings- und Jugend-207schutzstellen zu errichten und die Arbeitszeiten in den Betrieben zu überwachen. Bei Übertretung der Arbeitszeitvorschriften wurde der AK das Recht zugesprochen, Ordnungsstrafen gegen AN und AG zu verhängen.

Der Entwurf wurde am 16.6.1945 einer interministeriellen Abklärung unterzogen, an der unter der Vorsitzführung von Johann Böhm Vertreter der Staatsämter für Finanzen, Land- und Forstwirtschaft, Industrie, Gewerbe, Handel und Verkehr und Justiz sowie ein Vertreter der Staatskanzlei teilnahmen.* Bereits nach den einleitenden Worten von Ministerialrat Dr. Hammerl vom StAfSV sprach sich Sektionsrat Hartig vom Staatsamt für Land- und Forstwirtschaft (StAfLuFW) vehement „gegen eine Einbeziehung auch nur einer Gruppe von landwirtschaftlichen Arbeitnehmern aus“, zumal geplant sei, in den Landwirtschaftskammern eine Sektion für DN zu errichten: „Es sei für die Landwirtschaft nicht tragbar, einen Teil der Arbeitnehmer aus dieser Sektion auszuscheiden.“ Die politisch – wie in der Ersten Republik – christlichsozial, bzw nun überwiegend vom ÖVP-Bauernbund dominierte Land- und Forstwirtschaft versuchte somit de facto eine Weiterführung des 1934 geschaffenen „ständestaatlichen“ Berufsstandes „Land- und Fortwirtschaft“. Böhm konterte, „dass eine Berufsvertretung in der Landwirtschaftskammer keine richtige, zweckentsprechende, in sich abgeschlossene und von der Arbeiterschaft bestimmte Berufsvertretung sein könnte“. Den anders als in Industrie und Gewerbe gearteten Verhältnissen wurde in dem Entwurf jedoch insofern Rechnung getragen, als DN von kleinbäuerlichen Betrieben sowie Familienangehörige nicht in den Wirkungskreis des AKG miteinbezogen wurden. Nachdem sich Sektionsrat Hartig auch gegen die Einbeziehung von DN von öffentlich-rechtlichen Körperschaften mit Hinweis auf deren hoheitsrechtlichen Aufgaben ausgesprochen hatte – wogegen sich übrigens Dr. Bruno Pittermann, damals Sekretär von Johann Böhm, heftig wehrte –, deponierte er erneut die Ablehnung des AKG-Entwurfs durch das StAfLuFW. Während der Vertreter der gewerblichen Wirtschaft nur Bedenken gegen die Einbeziehung der hauptberuflichen HausbesorgerInnen äußerte, jedoch die Erklärung Böhms, dass diese bislang keine Interessenvertretung gehabt haben, akzeptierte und in der Folge nur den Wunsch deponierte, dass „sämtliche Kammergesetze zu gleichen Zeit erscheinen“ sollen, wurde der – bereits genannte – der AK hoheitsrechtliche Aufgaben zusprechende Absatz ohne längere Diskussion gestrichen: Im Entwurf war – wie bereits erwähnt – vorgesehen, dass die AK berufen sei, „die Überwachung der Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen über Arbeitszeit, Arbeitsruhe, Sonn- und Feiertagsarbeit, Nachtarbeit, Frauen- und Kinderarbeit durch Organe an den Arbeitsstätten selbst durchzuführen und bei Feststellung von Übertretungen dieser Vorschriften gegen die schuldigen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Ordnungsstrafen zu verhängen“. Sprach sich Böhm – nach Rücksprache mit „seinen“ GewerkschafterInnen – gegen einen Strafvollzug an AN aus, so dürften doch auch die prinzipiellen Bedenken aller Vertreter der Staatsämter gegen die Bestimmung überwogen haben.

4.
Die Debatte um das AKG im Kabinettsrat

Offenbar in Hinblick auf die keineswegs noch feststehende Organisation der Handelskammern sowie unter teilweiser Einbeziehung der Einwände der anderen Staatsämter wurde ein zweiter Entwurf eines AKG erstellt, den Johann Böhm am 3.7.1945 dem Ministerrat vorlegte.* Auch in diesem Entwurf wurde – im weitgehenden Einvernehmen mit der Gewerkschaft der Land- und Forstarbeiter* – von einer umfassenden Einbeziehung der Land- und Forstarbeiter in das AKG ausgegangen. Ausgenommen von der Kammerzugehörigkeit sollten nur die „mittätigen Familienangehörigen sowie überhaupt Dienstnehmer in Kleinbetrieben des Ackerbaues, der Wiesen- und Weidewirtschaft und des Weinbaues, somit die Dienstnehmer bäuerlicher Kleinbetriebe“ sein. Ein „bäuerlicher Kleinbetrieb“ lag nach Ansicht des StAfSV dann vor, wenn „dauernd nicht mehr als 5 familienfremde Arbeitskräfte beschäftigt werden“. Böhm betonte: „Die Arbeiter und Angestellten warten mit Sehnsucht darauf, dass ihnen die Interessenvertretung gegeben wird, auf die sie Anspruch erheben können. Der heutige Zustand, dass alle Interessenten über ihre Vertretungen verfügen mit Ausnahme der Arbeiter und Angestellten, ist auf die Dauer unerträglich und muss so rasch als möglich behoben werden.“ Staatssekretär für Land- und Forstwirtschaft Rudolf Buchinger sah damit jedoch die AN einer Reihe von land- und forstwirtschaftlichen Betrieben, wie etwa im Bereich der Gärtnereien, der Harzgewinnung oder der Holzschlägerung, dem Einflussbereich der Land- und Forstwirtschaft entzogen und verlangte eine Vertagung der Causa, welcher Böhmnur schwersten Herzens“ zustimmte, „weil ich mir dessen bewusst bin, dass morgen der gesamte Gewerkschaftsbund mich fragen wird, was mit dem Kammergesetz ist“.*

Während in der folgenden Ministerratssitzung am 10.7.1945 ohne längere Diskussion „die früheren österreichischen Rechtsvorschriften über die landwirtschaftlichen Berufsvertretungen (Landwirtschaftskammern, Landeskulturräte) nach dem Geltungsbereich und Stand der Gesetzgebung vom 5. März 1933“ durch Kundmachung* wieder in Wirksamkeit gesetzt wurden, musste der Staatskanzler mitteilen, dass eine Beschlussfassung über das AKG zurückgestellt werden musste, da es zwischen Johann Böhm und dem Staatssekretär208für Land und Forstwirtschaft Rudolf Buchinger noch zu keiner Einigung kam. Der Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes gab zu Protokoll: „Ich muss hier aber doch mit allem Nachdruck, der mir zur Verfügung steht, erklären, dass wir dieses Gesetz dringendst brauchen. Im Gewerkschaftsbund macht sich eine zunehmende Mißstimmung darüber geltend, dass wir praktisch keine Möglichkeit besitzen, zu so vielen wichtigen Gesetzen Stellung zu nehmen. Wir haben im Gewerkschaftsbund nicht den entsprechenden Apparat hierfür. Es könnte sein, dass der Gewerkschaftsbund verlangt, dass vor der Beschlussfassung über Gesetze von großer wirtschaftlicher Bedeutung seine Stimme gehört wird. Das würde zu einer Verzögerung in der Gesetzgebungsmaschine führen. Für mich als Minister für soziale Verwaltung ist es unerträglich, zusehen zu müssen, wie Gesetze beschlossen werden, zu denen die Arbeiter überhaupt nicht Stellung nehmen können, im Gegensatz zu den übrigen Schichten der Bevölkerung, die bereits ihren Apparat haben, um entsprechend Einfluss nehmen zu können. Ich bitte deshalb mit allem Nachdruck [...], dafür zu sorgen, dass am nächsten Dienstag das Kammergesetz beschlossen werden kann.*

5.
Das AKG führt zur (kurzfristigen) Kabinettskrise

In der Folge scheiterten weiterhin alle Gespräche an der starren Haltung der Agrarier, die AN der Land- und Forstwirtschaft in den Wirkungsbereich der AK einzubeziehen. Der Staatskanzler selbst sprach am 17.7.1945 von einem „unerträglichen Zustand“, zumal für die Wirtschaftsplanung sowie für Handelsvereinbarungen die Mitsprache und Expertise der Kammern von Bedeutung sei.* Als im Ministerrat am 20.7.1945 Staatssekretär Leopold Figl wiederum die Vertagung der Beschlussfassung über das AKG forderte, platzte Johann Böhm der wohl nicht zu Unrecht eine „systematische Verschleppung“ der Angelegenheit vermutete, der Kragen: „Ich gehe da nicht mehr mit. Entweder wird das Kammergesetz verabschiedet oder ich lege meine Stelle als Staatssekretär für soziale Verwaltung zurück.*Böhm, der sich nicht weiterhin „dauernd am Bande hinhalten ... lassen“ wollte, forderte „heute eine klare Entscheidung“. Während Rudolf Buchinger dem Gewerkschaftsvorsitzenden und Sozialstaatssekretär die Schuld der Verzögerung gab, da er „vieles von dem für sich in Anspruch nehmen (will, Anm des Verf), was der Landwirtschaft zugehörig ist“, Unterstaatssekretär Karl Waldbrunneres für unmöglich (hielt, Anm des Verf), Gesetze, die von einer größeren Bedeutung für den Staat sind, zu beraten, solange nicht endlich die Frage der Arbeiterkammern gesetzlich gelöst ist“ und eine weitere Mitarbeit der Sozialisten im Kabinettsrat von der Regelung der Arbeiterkammerfrage abhängig machte, Renner erneut die Notwendigkeit betonte, „die Arbeiterkammer zu schaffen“, sah Figl weiterhin die Schwierigkeit in der Umschreibung „bäuerlicher Betrieb“, was in der Folge zu einem ungewohnt scharfen Wortwechsel zwischen Figl und Böhm führte:

Figl: ... Wir wissen ja ganz klar, was Sie wollen. Nur dürfen Sie nicht glauben, dass wir uns einfach erpressen lassen. (Staatssekretär Böhm: Wir wollen nicht erpressen, aber nehmen Sie zur Kenntnis, dass wir uns von Ihnen nicht zum Besten halten lassen!) In der Form dürfen Sie nicht losgehen. (Staatssekretär Böhm: Dann reden Sie nicht von Erpressung!) Ich habe nicht gesagt, dass Sie uns erpressen, sondern dass Sie uns in einigen Stunden zwingen wollen und das ist eine Erpressung. (Staatssekretär Böhm: Das sind jetzt 2 Monate!) Wir haben in den Verhandlungen immer unseren Standpunkt genau präzisiert und Sie haben die Errichtung einer selbständigen Arbeiterkammer für die Arbeiterschaft der Landwirtschaft zuerst zugestimmt. (Staatssekretär Böhm: Aber nie!) Ja, in den ersten Verhandlungen war der Gedanke der eigenen Landarbeiterkammer Ihren Kreisen akzeptabel, am nächsten Tag aber haben Sie ihn hundertprozentig abgelehnt. Sie berufen sich darauf, dass die Arbeiterschaft keine Vertretung hat, während die anderen Kammern schon bestehen. Sie hätten sie schon vor 4 und 6 Wochen haben können, wenn Sie es so gemacht hätten wie die übrigen Gruppen, wenn Sie einfach den alten Rechtszustand hergestellt hätten.*

Nachdem es Oskar Helmer gelang, die Situation etwas zu beruhigen, schlug Renner zur Bereinigung der veritablen Kabinettskrise eine Sitzungsunterbrechung vor, in welcher sich „die streitenden Brüder des Kabinetts“ (Renner) eine neue Formulierung zur Definition des Großbetriebes überlegen sollten. In der Tat gelang dies mit einer dann von Böhm in der Nachmittagssitzung des Kabinettsrates vorgetragenen Formulierung. Das AKG 1945 wurde mit nachfolgender, AN der Land- und Forstwirtschaft betreffenden Bestimmungen beschlossen und verlautbart: „§ 1 (2) Der Wirkungsbereich der Arbeiterkammern erstreckt sich auf Dienstnehmer, die beschäftigt sind: (...) b) in Großbetrieben der Land- und Forstwirtschaft einschließlich ihrer Neben- und Hilfsbetriebe, wobei als Großbetrieb ein Betrieb anzusehen ist, dessen ordnungsgemäße Führung die dauernde Verwendung mindestens einer Arbeitskraft mit abgeschlossener landwirtschaftlicher Mittelschulbildung erfordert; c) in land-(forst-) wirtschaftlichen Genossenschaften und deren Verbänden, die dauernd mehr als 10 Arbeitskräfte beschäftigen ....*

In der Folge wurden vom StAfSV im Einvernehmen mit dem ÖGB nach Parteienvereinbarung die FunktionärInnen („Mitglieder“) der Arbeiterkammern ernannt. Sie sollten ihre Funktion bis zu den ersten AK-Wahlen, die 1949 stattfanden, ausüben. Im Zusammenhang mit Beschlussfassung des AKG 1945 wurde der Antrag Julius Raabs angenommen, den Verfassungsdienst den Auftrag zu erteilen, ein209Supplementgesetz“ zu konzipieren, durch das die „Gebührenbemessung bei allen Körperschaften, die vom Staat die Bewilligung erhalten haben, einen Zwangsbeitrag einzuheben“, geregelt werden sollte. Nach mehreren erfolglosen Besprechungen in der Staatskanzlei wurde der Plan jedoch fallengelassen, nicht zuletzt, da – wie im StAfSV notiert wurde – durch die am 25.8.1945 erfolgte Konstituierung der Wiener AK, in der damals noch Niederösterreich und das Burgenland einbezogen waren, bei der Deckung der Kosten nach § 20 AKG (Umlageneinhebung) vorzugehen war.*

6.
Der AKG-Novellierungsantrag der 2. Länderkonferenz

Bekanntlich war im Sommer 1945 die Staatsregierung in Wien weiterhin nur von den Sowjets anerkannt, Renner bemühte sich jedoch die bis dahin infolge der Zonengrenzen schwierigen Verbindungen zu den Bundesländern herzustellen, was offiziell erst nach der Konstituierung des Alliierten Rates, der in seiner zweiten ordentlichen Sitzung die Abhaltung einer Länderkonferenz in Wien gestattete, ermöglicht wurde. Im vorliegenden Zusammenhang zu erwähnen ist, dass in der 2. Länderkonferenz vom 9. bis 11.10.1945 die Landeshauptmannschaft Oberösterreich einen Antrag auf Novellierung des AKG vorlegte: Das passive Wahlrecht zur Arbeiterkammer sollte von der Mitgliedschaft zum ÖGB abhängig gemacht werden.* Nachdem der Antrag in der juridischen Kommission der Länderkonferenz Zustimmung fand, sandte das StAfSV einen entsprechenden Entwurf zur Begutachtung aus.* Die Novellierung fand mit einer Ausnahme die Zustimmung der Staatsämter, der Staatskanzlei und der Kammern, wobei die Stellungnahme der Wiener AK einer ungewollten Komik nicht entbehrte. Denn diese meinte in ihrer Zustimmungserklärung, „dass nach der bisherigen Fassung die Aufnahme von Nicht- Mitgliedern in die Arbeiterkammer schon dadurch ausgeschlossen war, dass ihr der Österreichische Gewerkschaftsbund solche nicht nominiert hätte“. Mit Recht wurde im StAfSV dazu angemerkt, dass dies derzeit jedoch nicht für die in Aussicht gestellten AK-Wahlen gelte. Wiewohl der Verfassungsdienst der Staatskanzlei keine verfassungsrechtlichen Bedenken geltend machte, sprach sich das StAfLuFW gegen den Entwurf aus, da es „das Prinzip der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz berührt“ sah und einen Gesetzesbeschluss „der Entscheidung einer gewählten Volksvertretung“ überlassen wollte. Nachdem Staatssekretär Josef Kraus auf der Ablehnung beharrte, musste Böhm den im Kabinettsrat eingebrachten Beschlussvorschlag zurückziehen.*

7.
Einbeziehung der Landarbeiter in die Vorarlberger Bauernkammer

Mit der am 20.10.1945 erfolgten Anerkennung der provisorischen Regierung Renner durch den Alliierten Rat erfolgte die Verlautbarung des Verfassungsgesetzes vom 12.10.1945, welches für den Wirksamkeitsbereich des AKG zum Teil fatale Folgen haben sollte. Das genannte Verfassungsgesetz setzte nämlich die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern in Gesetzgebung und Vollziehung der B-VG 1929 wieder in Kraft, allenfalls „im zwingenden Bedarfsfall“ durfte die provisorische Staatsregierung „Angelegenheiten, die nach den Bestimmungen des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 in die Zuständigkeit der Landesregierungen fallen, der einheitlichen Regelung durch die staatliche Gesetzgebung zuführen“.* Gestärkt durch die am 20.12.1945 wieder erlangte Gesetzgebungskompetenz beschloss der Vorarlberger Landtag am 21.3.1946 keck die Wiedererrichtung der Bauernkammer für Vorarlberg mit der bereits im Jahre 1925 enthaltenen Bestimmung, dass die Bauernkammer auch „zur Wahrnehmung und Vertretung der berufsständischen Interessen der landwirtschaftlichen Arbeiterschaft“ berufen sei.* Die Bestimmung widersprach klar dem obzitierten § 1 Abs 2 lit b und c AKG 1945, auf dem sich ÖGB und Agrarier mühsam geeinigt hatten. Nachdem das Land einer Empfehlung der Bundesregierung, das Gesetz kompetenzrechtlich durch den VfGH prüfen zu lassen, nicht nachkam und das Landesgesetz verlautbarte, stellte die Bundesregierung im Jänner 1947 an den VfGH den Antrag, den Wortlaut der genannten Bestimmung im § 1 Vorarlberger Bauernkammergesetz als verfassungswidrig aufzuheben. Während die Bundesregierung die Ansicht vertrat, dass es nach dem B-VG 1929* eine dem Bund zukommende Kompetenz sei, eine berufliche Vertretung für alle AN einzurichten, konnte der VfGH durchaus schlüssig und historisch der damaligen politischen Realität entsprechend210nachweisen, dass der Bundesverfassungsgeber die Einrichtung einer beruflicher Vertretung „auf land- und forstwirtschaftlichem Gebiet“ ausdrücklich als nicht in die Bundeskompetenz fallend normierte.* Die Bestimmung über die Einbeziehung der „landwirtschaftlichen Arbeiterschaft“ in den Wirkungskreis der Vorarlberger Bauernkammer musste somit als verfassungsmäßig erkannt und der Antrag der Bundesregierung auf Verfassungswidrigkeit abgewiesen werden. Die Gewerkschaft der Land- und Forstarbeiter war über das Urteil empört, da die Verfassungsrichter nicht nur gegen die Interessen der LandarbeiterInnen entschieden hatten, sondern vielmehr „auch die Errichtung einer berufsständischen öffentlich-rechtlichen Vertretung der Landarbeiterschaft als verfassungsmäßig anerkannt“ haben.* Wenn auch Julius Uhlirs, immerhin aus den Reihen der Gewerkschaft der Land- und Forstarbeiter einer der Mitbegründer des ÖGB und Obmann der Landarbeitersektion in der Wiener AK, den Entscheid der „hohen Berufsrichter und Juristen“ als „rein formaljuristisch“ und „nicht dem lebendigen Rechtsempfinden“ entsprechend scharf kritisierte, so muss aus zeithistorischer Kenntnis festgestellt werden, dass die Agrarier in der Ersten Republik, vertreten durch den christlich-sozialen Bauernbund und den nationalen Landbund, einer Bundeskompetenz zur Errichtung etwa von Landarbeiterkammern oder einer Eingliederung der Land- und Forstarbeiter in die AK nie zugestimmt hätten. Insofern war für die Gewerkschaft der Land- und Forstarbeiter die Einbeziehung zumindest eines großen Teiles der Land- und Forstarbeiter in den Wirkungskreis der AK 1945 ein gewaltiger sozialpolitischer Fortschritt, den die Vorarlberger nun allerdings zunichtemachten. Die Gewerkschaft der Land- und Forstarbeiter lehnte in der Folge weiterhin die Schaffung von neun Landarbeiterkammern durch Landesgesetze ab und forderte mit Recht eine Änderung der Bundesverfassung, „da nur ein einheitliches, für das ganze Bundesgebiet geltendes Recht den sozialen Schutz gewähren kann“.* Auch der Arbeiterkammertag schloss sich in einer Resolution dieser Ansicht an und forderte „die schleunigste Verabschiedung eines Bundesfassungsgesetzes, das den Land- und Forstarbeitern ebenso wie den landwirtschaftlichen Güterbeamten eine unabhängige und echte Interessenvertretung sichert“.*

8.
Verfassungsmäßigkeit des AKG 1945

Die Vorarlberger Landesregierung hatte in ihrer Gegenäußerung zum besprochenen Antrag der Bundesregierung an den VfGH auf Aufhebung des Vorarlberger Bauernkammergesetzes das verfassungsmäßige Zustandekommen des AKG angezweifelt. Der VfGH behandelte diese Frage nicht, sondern stellte den Vorarlbergern anheim, dies in einem gesonderten Antrag einzubringen. Im August 1947 beantragte denn auch die Vorarlberger Landesregierung, gestützt auf den Entscheid des VfGH vom 20.3.1947 § 1 Abs 1 und Abs 2 des AKG 1945 für verfassungswidrig zu erklären, da sie dem B-VG 1929 durch Einbeziehung des land- und forstwirtschaftlichen Gebietes widersprechen.* Die Vorarlberger waren der Ansicht, dass durch das Inkrafttreten des Verfassungsgesetzes 1945/196 mit 21.10.1945, welches die Länderkompetenz für die Einrichtung gesetzlicher Interessenvertretung auf land- und forstwirtschaftlichen Gebiet normierte, die genannten Bestimmungen des AKG verfassungswidrig seien. Eine Weitergeltung dieser Bestimmungen als Landesgesetze sei kaum vorstellbar, vielmehr seien sie für Vorarlberg „nach dem Grundsatz lex posterior derogat priori mit Inkrafttreten des Gesetzes über die Wiedererrichtung der Bauernkammer, also mit 15. September 1946, derogiert, da eine Doppelvertretung land- und forstwirtschaftlicher Dienstnehmer verfassungsrechtlich nicht möglich sei“. Die Bundesregierung ging in ihrer Gegenschrift auf die Frage ein, was unter „auf land- und forstwirtschaftlichen Gebiet“ zu verstehen sei und vertrat die Ansicht, dass die Auslegung durchaus der einfachen Gesetzgebung überlassen bleibt (was der VfGH übrigens bestritt), womit sie keine Verletzung der Verfassung sah. Der VfGH befasste sich jedoch nur mit dem verfassungsmäßigen Zustandekommen der angefochtenen Bestimmungen des AKG und wollte eine Entscheidung über eine spätere Derogation dieser Normen nur an Hand einer konkreten Rechtssache fällen. Nachdem die Provisorische Regierung Renner – wie bereits ausgeführt – ihre Gesetzgebungs- und Vollziehungskompetenz für Bund und Länder am 1.5.1945 beschlossen hatte,* wofür es im Übrigen im Rahmen des noch nicht beendigten Krieges und der fehlenden Verbindungen zu den Bundesländern auch keine Alternative gab, war das Gesetz über die Wiedererrichtung der Arbeiterkammern,* welches am 3.8.1945 verlautbart wurde, im Rahmen der damaligen Verfassung zu Stande gekommen, zumal erst mit dem Verfassungsgesetz vom 12.10.1945* die Entflechtung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern nach dem B-VG 1929 wirksam wurde. In diesem Sinne musste der VfGH den Antrag der Vorarlberger Landesregierung ablehnen.

Im Frühjahr 1947 machte – gestützt auf das erste Urteil des VfGH – eine breite Front von Agrariern gegen die Einbeziehung der LandarbeiterInnen in das AKG mobil: So etwa wurde – wie der Tiroler AK-Präsident Wilberger berichtete – auch in Tirol ein Landwirtschaftskammergesetz vorbereitet, welches die Land- und ForstarbeiterInnen miteinbezog und der Arbeitnehmerschaft von 40 Kammermitgliedern nur acht Mandate zugestehen wollte. Die sozialistische Minderheitsfraktion im Tiroler Landtag versuchte gegen das Gesetz anzukämpfen.* Für die Fraktion des ÖAAB erklärte211Karl Untermüller, dass seine Fraktion für eine eigene öffentlich-rechtliche Vertretung der Land- und ForstarbeiterInnen eintrete und gegen einen Einbau in die Landwirtschaftskammern sei, da die LandarbeiterInnen dort nur ein „bedeutungsloses Anhängsel“ wären.*

9.
Dritter VfGH-Entscheid und Verfassungsbestimmung

Der Anregung des VfGH folgend beantragte die Vorarlberger Landesregierung nun um die Prüfung eines weiteren Gesetzesentwurfes, in dem die Bestimmungen des § 1 Abs 1 und 2 lit b und c des AKG 1945 insoweit außer Kraft gesetzt wurden, als sie das land- und forstwirtschaftliche Gebiet miteinbeziehen.* In einer vom VfGH durchgeführten Befragung äußerten sich fünf Bundesländer positiv zum Vorarlberger Antrag, somit zur Außerkraftsetzung der genannten Bestimmungen des AKGfür das land- und forstwirtschaftliche Gebiet“. Wien sah mit Hinweis auf den ersten VfGH-Entscheid vom 20.3.1947 die Angelegenheit weitgehend als erledigt an, das Burgenland gab keine Stellungnahme ab, nur Kärnten wies den Vorarlberger Landesgesetzentwurf strikt ablehnend – durchaus diskurswürdig – auf das AKG als „Bedarfsgesetz“ hin: § 18 Abs 2 des Verfassungsgesetz vom 12.10.1945 erlaubte der Provisorischen Staatsregierung „im zwingenden Bedarfsfall“ landesgesetzliche Kompetenzen an sich zu ziehen. Die Kärntner Landesregierung sah diesen Bedarfsfall beim AKG insofern gegeben, als in Nachkriegsösterreich die Mitbestimmung auch der land- und forstwirtschaftlichen AN „zwingend“ notwendig gewesen sei. Wenn sich auch der VfGH dieser Argumentation nicht zuletzt in Hinblick auf seine bisherige Rsp nicht anschloss, so erlaubt sie – ohne sich auf verfassungsrechtliches Terrain zu begeben – dem Historiker den Hinweis, dass – politischer Willen vorausgesetzt – mit dieser Begründung eine Ablehnung des Vorarlberger Antrags zumindest theoretisch möglich gewesen wäre. Doch auch die Bundesregierung folgte in ihrer Stellungnahme „der Rechtsauffassung der Vorarlberger Landesregierung vorbehaltlos“ allerdings mit der Einschränkung „soweit sie sich auf die Dienstnehmer in Großbetrieben der Land- und Forstwirtschaft einschließlich ihrer Neben- und Hilfsbetriebe beziehe“. Damit wurde die Frage aufgeworfen, „ob auch die land- und forstwirtschaftlichen Genossenschaften noch den Betrieben auf land- und forstwirtschaftlichem Gebiet zuzuzählen seien“, was letztlich mit Hinweis auf die in den einschlägigen Bestimmungen des Kundmachungspatentes zur Gewerbeordnung iFd Jahre 1933 und 1934 sich widerspiegelnden „tatsächlichen Verhältnisse“ durch den VfGH bejaht wurde.

Hatte der VfGH somit zu Gunsten der Vorarlberger Landesregierung entschieden und den Agrariern in den Ländern grünes Licht für die Einbeziehung der Land- und Forstarbeiterschaft in die Landwirtschaftskammern gegeben, so rief dies denn auch die heftigen Proteste der Gewerkschaft der Land- und Forstarbeiter hervor, die darin den Versuch sah „das der provisorischen Staatsregierung gegebene Recht nachträglich zu beschränken“ und feststellen musste: „Die politische Macht der Besitzenden hat über das Recht, das die provisorische Staatsregierung den besitzlosen Landarbeitern in der Land- und Forstwirtschaft gegeben hatte, gesiegt.* Noch während der Abfassung des zitierten VfGH-Entscheides wurde im Nationalrat das Landarbeitergesetz beraten und am 2.6.1948 beschlossen.* Nachdem es auch in dieser Materie um die Abgrenzung zwischen Landwirtschaft und gewerblicher Wirtschaft ging, die Agrarier eine entsprechende Modifikation des Kundmachungspatents zur Gewerbeordnung jedoch ablehnten, einigte man sich schließlich großkoalitionär auf eine verfassungsrechtliche Sonderregelung, mit der „die Gesetzgebung und die Vollziehung in Angelegenheiten des Arbeiterrechtes, des Arbeiter- und Angestelltenschutzes und der beruflichen Vertretung für Dienstnehmer in Sägen, Harzverarbeitungsstätten, Mühlen und Molkereien, die von land- und forstwirtschaftlichen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften betrieben werden, sofern in diesen eine bestimmte Anzahl von Dienstnehmern dauernd beschäftigt ist“ der Bundesgesetzgebung unterworfen wurde.* Fand mit dieser Verfassungsbestimmung, die bundesweit zumindest einen Teil der von den Agrariern beanspruchten Land- und ForstarbeiterInnen eine Vertretung durch die AK sicherte, und mit den nun folgenden Gründungen* von Landarbeiterkammern als Sektionen der Bauernkammer oder als eigenständische Inte ressenvertretung der land- und forstwirtschaftlichen AN „der Kampf um das AKG 1945“ seinen Abschluss, so wurde in der Wiener AK und am Kammertag 1948 bereits eine Novellierung diskutiert, die allerdings erst 1956 vom Nationalrat beschlossen wurde.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Wiedererrichtung der AK 1945 dem einhelligen Wunsch des im April 1945 gegründeten ÖGB entsprach. Die von Johann Böhm vehement geforderte und durchgesetzte Einbeziehung eines großen Teils der land- und forstwirtschaftlichen AN in das AKG führte an den Rand einer Kabinettskrise. In der Folge gelang es jedoch den Agrariern in den Ländern – angeführt von der Vorarlberger Landesregierung – durch Entscheide des VfGH einen Teil der Land- und ForstarbeiterInnen de facto wieder in ihren Wirkungsbereich zu ziehen. Der Gewerkschaft der Land- und Forstarbeiter unterstützt durch die sozialistischen Landtagsfraktionen gelang es jedoch nach oft schwierigen Verhandlungen in den Bundesländern Oberösterreich, Niederösterreich, Salzburg, Kärnten, Steiermark und Tirol, weitgehend selbständige Landarbeiterkammern zu errich-212ten, während für Wien und Niederösterreich die Bestimmungen des AKG 1945 aufrecht blieben.

Der Widerstand der Agrarier gegen eine weitgehende Einbeziehung der Land- und ForstarbeiterInnen in den Wirkungsbereich der AK war aus ihrer Sicht machtpolitisch durchaus verständlich, da sie über Jahrzehnte hinweg von dem schlechten Arbeits- und Sozialrecht ihrer AN profitiert hatten. Allerdings unterlagen die bäuerlichen Interessenvertreter – wie die AK in einem Bericht süffisant feststellte – einem folgenschweren, für sie selbst nachteiligen ökonomischen Denkfehler:* Während die Landwirte und Forstbesitzer einerseits eine Angleichung der Land- und ForstarbeiterInnen an das Arbeits- und Sozialrecht der gewerblichen und industriellen Arbeiterschaft, mit Hinweis auf die spezifischen Strukturen der österreichischen Land- und ForstarbeiterInnen, torpedierten, beklagten sie andererseits die grassierende Landflucht. Die Abwanderung von land- und forstwirtschaftlichen Arbeitskräften in den gewerblichen und industriellen Bereich wäre wohl durch eine Einbeziehung der Land- und ForstarbeiterInnen in den Wirkungskreis der AK verbunden mit einer (vom ÖGB und der Gewerkschaft gewünschten) völligen Angleichung des – zumindest bis 1948 bedeutend schlechteren – Arbeits- und Sozialrechts der landund forstwirtschaftlichen AN an jenes der übrigen AN zumindest eingeschränkt worden.213