Zur Beweislastverteilung betreffend das (Nicht-)Vorliegen einer Saisonbranche bei der Durchsetzung von Individualansprüchen

Autorin: BETTINA NUNNER-KRAUTGASSER
aus: DRdA-infas 1/2023

Die mit dem Arbeitnehmer-Angleichungspaket in § 1159 Abs 2 Satz 2 und Abs 4 Satz 2 ABGB eingeführten Kollektivvertragsermächtigungen sorgen in der Praxis für Probleme. Dieser Beitrag beschäftigt sich damit, wen im Rahmen eines individualarbeitsrechtlichen Prozesses die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen bzw Nichtvorliegen einer (für die Inanspruchnahme der kurzen kollektivvertraglichen Kündigungsfrist erforderlichen) Saisonbranche trifft.

1.
Ausgangssituation und gesetzliche Regelung

Die Verlängerung der Kündigungsfristen im Bereich der Arbeiterinnen und Arbeiter war ein zentrales Anliegen des „Arbeitnehmer-Angleichungspakets“ 2017.* Zuvor betrugen die Kündigungsfristen im Bereich der Arbeiterinnen und Arbeiter idR 14 Tage und konnten noch weiter verkürzt werden; dabei waren auch keine Kündigungstermine einzuhalten.*

Zum Zweck der Angleichung der Rechtsstellung der Arbeiterinnen und Arbeiter an diejenige der Angestellten wurde der Wortlaut des § 1159 ABGB an denjenigen des § 20 AngG angelehnt; zudem wurden §§ 1159a-1159c ABGB und § 77 GewO 1859 aufgehoben (§ 1503 Abs 10 ABGB).

§ 1159 ABGB gilt für alle Arbeiterdienstverhältnisse; es handelt sich um eine zugunsten des betroffenen Arbeiters unabdingbare Norm (§ 1164 Abs 1 ABGB).*

Für Kündigungen von Dienstverhältnissen der Arbeiterinnen und Arbeiter gilt demnach grundsätzlich Folgendes:

Der DG kann mangels einer für den DN günstigeren Vereinbarung das Dienstverhältnis mit Ablauf eines jeden Kalendervierteljahres durch vorgängige Kündigung lösen; die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen und erhöht sich nach dem vollendeten zweiten Dienstjahr auf zwei Monate, nach dem vollendeten fünften Dienstjahr auf drei, nach dem vollendeten fünfzehnten Dienstjahr auf vier und nach dem vollendeten fünfundzwanzigsten Dienstjahr auf fünf Monate (§ 1159 Abs 2 Satz 1 und 2 ABGB).

Die Kündigungsfrist kann durch Vereinbarung nicht unter die in § 1159 Abs 2 ABGB bestimmte Dauer herabgesetzt werden; jedoch kann vereinbart werden, dass die Kündigungsfrist am Fünfzehnten oder am Letzten des Kalendermonats endigt (§ 1159 Abs 3 ABGB).

Der DN kann mangels einer für ihn günstigeren Vereinbarung das Dienstverhältnis mit dem letzten Tag eines Kalendermonats unter Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist lösen; diese Kündigungsfrist kann durch Vereinbarung bis zu einem halben Jahr ausgedehnt werden; doch darf die vom DG einzuhaltende Frist nicht kürzer sein als die mit dem DN vereinbarte Kündigungsfrist (§ 1159 Abs 4 Satz 1 und 2 ABGB).

Als „Entschärfung“ dieser Regelungen* wurde § 1159 ABGB (aufgrund eines Abänderungsantrags* zum ursprünglichen Initiativantrag*) um zwei Kollektivvertragsermächtigungen erweitert: Gem § 1159 Abs 2 letzter Satz und § 1159 Abs 4 letzter Satz ABGB können durch KollV für Branchen, in denen Saisonbetriebe iSd § 53 Abs 6 des ArbVG, BGBl 1974/22, überwiegen, abweichende Regelungen festgelegt werden; dies betrifft mithin sowohl die Länge der Kündigungsfrist als auch die Kündigungstermine. Hinsichtlich des Begriffs „Saisonbetrieb“ wurde nach den Materialien insb an Tourismusbetriebe und Betriebe des Baugewerbes gedacht.*

Mit der Neufassung des § 1159 ABGB hat der Gesetzgeber den Kollektivvertragsparteien im Rahmen der Ermächtigung eine – sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht beschränkte – Rechtssetzungsbefugnis eingeräumt: In Branchen, in denen Saisonbetriebe überwiegen („Saisonbranchen“), sind demnach die in § 1159 ABGB festgelegten Kündigungsfristen und -termine kollektivvertragsdispositiv und können – abweichend vom relativ zwingenden Gesetzesrecht – auch zulasten der AN durch einen KollV festgelegt werden.* Dahinter steht das Ziel, in Saisonbranchen durch die kürzeren kollektivvertraglichen Kündigungsfristen eine relativ kurzfristige Anpassung des Personalstands zu ermöglichen, zumal branchenspezifisch keine exakt voraussehbare Personalplanung erfolgen kann und auch Befristungsvereinbarungen nicht stets ausreichen.*

Die Neufassung des § 1159 ABGB sollte an sich zunächst mit 1.1.2018 in Kraft treten; aufgrund des erwähnten Abänderungsantrags wurde das Inkrafttreten zunächst auf 1.1.2021 verschoben, um Saisonbranchen zu ermöglichen, sich auf die verlängerten Kündigungsfristen einzustellen.* Wegen der COVID-19-Krisensituation und der dazu getroffenen gesetzlichen Maßnahmen wurde die Legisvakanz sodann erneut verlängert.* § 1159 ABGB trat schließlich zum 1.10.2021 in Kraft und ist auf Beendigungen anzuwenden, die nach dem 30.9.2021 ausgesprochen wurden bzw werden (§ 1503 Abs 19 ABGB idF BGBl I 2021/121). Entscheidend ist dabei der Ausspruch und nicht der Zugang der Kündigung.*

2.
Unklarheiten der Neuregelung und bisherige Judikatur zu § 1159 ABGB nF

Die Neuregelung des § 1159 ABGB warf bereits von Anfang an Probleme auf; dies gilt gerade für die Anwendbarkeit und Tragweite der in § 1159 Abs 2 letzter Satz und § 1159 Abs 4 letzter Satz ABGB enthaltenen Kollektivvertragsermächtigungen.

Zum einen stellte sich insoweit die Frage, ob bereits vor dem Inkrafttreten der Neuregelung bestehende kollektivvertragliche Regelungen unberührt bleiben oder ob sie durch die Neufassung des § 1159 ABGB überholt wurden (und daher neu abgeschlossen werden müssten).

Zum anderen war unklar, was unter den Begriff „Branche“ sowie „Saisonbetrieb“ zu verstehen ist und wann vom Überwiegen von Saisonbetrieben auszugehen ist.

Diese Fragen wurden unlängst in zwei Entscheidungen des 9. Senats des OGH* thematisiert. Beiden Verfahren lagen Feststellungsanträge gem § 54 Abs 2 ASGG zugrunde:*

Im Verfahren zu AZ 9 ObA 116/21f begehrten der Fachverband Hotellerie und der Fachverband Gastronomie der Wirtschaftskammer Österreich gegenüber dem Österreichischen Gewerkschaftsbund die Feststellung, dass die im KollV für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe enthaltene Kündigungsregel (§ 21a), wonach (nach Ablauf der Probezeit) das unbefristete Arbeitsverhältnis nur nach vorheriger 14-tägiger Kündigung gelöst werden kann, über den 30.9.2021 hinaus wirksam ist. Zum Vorliegen einer Saisonbranche legten die Antragsteller umfassendes Datenmaterial vor, aus dem sich ergeben sollte, dass es sich sowohl bei den Beherbergungsbetrieben als auch bei der Gastronomie um Branchen handelt, in denen der Beschäftigungsstand innerhalb eines Jahres typischerweise erheblich schwankt.*

Im Verfahren zu AZ 9 ObA 137/21vbegehrte der Österreichische Gewerkschaftsbund (im Wesentlichen inhaltlich gegenteilig zum Antrag im Verfahren zu AZ 9 ObA 116/21f) die Feststellung, dass bei jenen Arbeitsverhältnissen, auf die der KollV für ArbeiterInnen im Hotel- und Gastgewerbe zur Anwendung gelangt und deren Arbeitsverhältnis nicht nur für die Zeit eines vorübergehenden Bedarfs vereinbart wurde, die Aufkündigung der Arbeitsverhältnisse durch die AG mangels abweichender, für die ArbeiterInnen günstigerer vertraglicher Vereinbarung zumindest unter Einhaltung der in § 1159 Abs 2 Satz 2 ABGB angeführten Fristen, das sind sechs Wochen, nach dem vollendeten zweiten Dienstjahr zwei Monate, nach dem vollendeten fünften Dienstjahr drei, nach dem vollendeten fünfzehnten Dienstjahr vier und nach dem vollendeten fünfundzwanzigsten Dienstjahr fünf Monate, und – ausgenommen den Fall, dass eine Regelung iSd § 1159 Abs 3 ABGB getroffen wurde – zum Quartal zu erfolgen hat. Auch in diesem Verfahren wurde zur Frage des Vorliegens einer Saisonbranche Datenmaterial vorgelegt, wonach weder das Ausmaß der Schwankung des Gesamtbeschäftigtenstands noch das Ausmaß der Schwankung des Beschäftigtenstands in der Mehrheit der Betriebe über einem Drittel vom Durchschnittswert liege; daher liege im Fall des Anwendungsbereichs des KollV für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe keine Saisonbranche vor.

Der 9. Senat setzte sich in beiden Verfahren sowohl mit der Frage einer Weitergeltung bestehender kollektivvertraglicher Regelungen (und damit der 14-tägigen Kündigungsfrist) nach dem Inkrafttreten des § 1159 ABGB nF als auch mit den Begriffen „Branche“ und „Saisonbetrieb“ sowie mit den Erfordernissen für das Überwiegen von Saisonbetrieben eingehend auseinander.

Hinsichtlich der ersten Frage der Weitergeltung bestehender kollektivvertraglicher Regelungen gelangte der OGH dabei – im Einklang mit der überwiegenden Lehre* – zur Ansicht, es sei kein hinlänglicher Grund dafür erkennbar, weshalb eine bereits vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes geschaffene kollektivvertragliche Regelung nach dem Inkrafttreten des Gesetzes nicht weiter Bestand haben sollte, sofern und soweit mit ihr die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt werden. Insb erlaube der Umstand, dass in anderen Fällen ausdrücklich gesetzliche Regelungen über die Weitergeltung bestehender Kollektivvertragsnormen getroffen worden seien, noch keinen Umkehrschluss auf einen davon abweichenden gesetzgeberischen Willen.* Im Ergebnis erachtet der OGH daher auch zum Zeitpunkt des Inkrafttretens bereits bestehende Kollektivverträge als von der Neufassung des § 1159 ABGB erfasst, sofern sich der Geltungsbereich des betreffenden KollV auf eine Saisonbranche erstreckt; ein Neuabschluss bzw eine den Status Quo bekräftigende Einigung der Kollektivvertragsparteien ist insoweit nicht erforderlich.*

Damit hatte er sich mit der zweiten Rechtsfrage zu beschäftigen, nämlich der Frage, was unter den Begriffen „Branche“ sowie „Saisonbetrieb“ zu verstehen ist und wann eine Branche vorliegt, in der Saisonbetriebe überwiegen: Denn die in § 1159 Abs 2 letzter Satz und § 1159 Abs 4 letzter Satz ABGB enthaltenen Kollektivvertragsermächtigungen decken nur abweichende Regelungen betreffend Kündigungsfristen und -termine* für Branchen, in denen Saisonbetriebe überwiegen; nur insoweit entfalten die dementsprechenden kollektivvertraglichen Regelungen Normwirkung iSd § 11 Abs 1 ArbVG.* Haben die Kollektivvertragsparteien hingegen derartige abweichende Regelungen für eine Branche festgelegt, die keine Saisonbranche ist, so ist die betreffende Bestimmung des KollV gem § 879 Abs 1 ABGB wegen Gesetzwidrigkeit nichtig;* sie entfaltet dann keine Normwirkung iSd § 11 Abs 1 ArbVG.* Diesfalls wird die nichtige Bestimmung durch die zugunsten des AN einseitig zwingende Norm (§ 1164 Abs 1 ABGB) ersetzt, sodass der AG im Ergebnis die gesetzlichen Kündigungsfristen und -termine des § 1159 Abs 2 ABGB einzuhalten hat.*

Zum Begriff „Branche“ hält der OGH fest, dieser sei grundsätzlich am fachlichen Geltungsbereich von Kollektivverträgen zu orientieren, wenngleich eine bedingungslose Gleichsetzung der Branche mit dem kollektivvertraglichen Geltungsbereich nicht möglich sei. Liegen aber keine Gründe vor, die insoweit offenkundig für eine sachwidrige Abgrenzung sprechen, so könne die Ermächtigung der Kollektivvertragspartner zu einer von § 1159 ABGB abweichenden Regelung für eine Branche, in der Saisonbetriebe überwiegen, grundsätzlich nach dem fachlichen Geltungsbereich eines KollV bestimmt werden.*

Zum „Überwiegen von Saisonbetrieben“ meint der OGH im Wesentlichen, dass dieser Umstand durch die Kollektivvertragsparteien zwar deklarativ festgehalten, jedoch nicht normativ festgelegt werden könne, weil es sich dabei um eine tatbestandliche Voraussetzung für ihre Regelungsbefugnis handelt. Mangels einschlägiger gesetzlicher Vorgaben bzw anderer Anhaltspunkte sei nach der allgemeinen Bedeutung des Wortes „Überwiegen“ auf ein quantitatives (und nicht auf ein qualitatives) Überwiegen abzustellen. Im Ergebnis komme es hier auf die Anzahl der Saisonbetriebe in Relation zur Gesamtanzahl der Betriebe einer Branche an.*

Unter „Saisonbetrieben“ iSd § 53 Abs 6 ArbVG seien schließlich einerseits solche Betriebe zu verstehen, die – vor allem witterungsbedingt – in Abhängigkeit von den Jahreszeiten nicht ganzjährig arbeiten, andererseits aber auch solche, die regelmäßig zu gewissen Zeiten des Jahres erheblich verstärkt arbeiten, daher auch ganzjährig geöffnete Betriebe, sofern sie diese Voraussetzungen erfüllen. Das Kriterium „regelmäßig zu gewissen Zeiten“ könne als „periodisch wiederkehrend“, und zwar ungefähr zu denselben, wenngleich nicht notwendigerweise datumsmäßig exakt übereinstimmenden Zeiträumen des Jahres wiederkehrend verstanden werden. Das Kriterium, dass Betriebe regelmäßig zu gewissen Zeiten „erheblich verstärkt“ arbeiten, bringe eine Relation zum Ausdruck: Insoweit bedürfe es einer entsprechenden Steigerung der Arbeit im Verhältnis zur Arbeit zu anderen Zeiten mit einem normalen (geringeren) Arbeitsaufkommen. Werde bei einer ganzjährig gleichbleibend starken Auslastung eines Betriebes die Arbeit nur für kurze Zeiten erheblich reduziert, so wäre das Kriterium nicht erfüllt. Abzustellen sei nicht auf Umsatzsteigerungen, Überstundenleistungen oÄ, sondern auf einen für gewisse Zeit erforderlichen erhöhten Personalstand, weil nur dieser sowohl § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB (erhöhte Flexibilität bei Kündigung eines Arbeitsverhältnisses) als auch § 53 Abs 6 ArbVG (Verzicht auf sechsmonatige Beschäftigung für passives Betriebsratswahlrecht) erklärlich mache. Hinsichtlich der „Erheblichkeit“ sprächen gute Gründe dafür, in diesem Zusammenhang schon aus Gründen der Rechtssicherheit und Praktikabilität nicht starr und punktuell auf bestimmte Prozentsätze zu den Beschäftigungsschwankungen abzustellen.

Im Ergebnis traf der OGH in beiden Feststellungsverfahren gem § 54 Abs 2 ASGG abweisende Entscheidungen: Im Verfahren zu AZ 9 ObA 116/21f sei nämlich anhand des dargelegten Datenmaterials für die Branche Hotellerie und Gastgewerbe insgesamt kein Überwiegen von Saisonbetrieben iSd § 1159 ABGB erwiesen: „Da der von den Antragstellern dargelegte Sachverhalt sohin zusammenfassend noch nicht den Schluss zulässt, dass in der vom bundesweiten Geltungsbereich des vorliegenden Kollektivvertrags erfassten Branche des Hotel- und Gastgewerbes iSd § 1159 ABGB Saisonbetriebe überwiegen und somit die tatbestandlichen Voraussetzungen für die kollektivvertragliche Ermächtigung erfüllt wären, ist ihr Antrag abzuweisen.“ Abgewiesen wurde aber auch der spiegelbildliche Feststellungsantrag im Verfahren zu AZ 9 ObA 137/21v: „Da der von der Antragstellerin dargelegte Sachverhalt sohin zusammenfassend noch nicht den Schluss zulässt, dass in der vom Geltungsbereich des vorliegenden Kollektivvertrags erfassten Branche des Hotel- und Gastgewerbes iSd § 1159 ABGB Saisonbetriebe nicht überwiegen und somit die tatbestandlichen Voraussetzungen für die kollektivvertragliche Ermächtigung nicht erfüllt wären, ist ihr Antrag abzuweisen.“

Diese beiden abweisenden Entscheidungen wurden in der Literatur mit dem – dem Beweisrecht entstammenden – Begriff non liquet charakterisiert, zumal der OGH in beiden Verfahren keine antragsgemäßen Feststellungen zu treffen vermochte und insoweit eine Pattstellung konstatiert wurde.*

Daran anknüpfend wurde die Frage aufgeworfen,* ob die grundrechtlich geschützten Kollektivverträge uU Branchenbesonderheiten und typische arbeitsverhältnisbezogene Fakten (§ 2 Abs 2 Z 2 ArbVG) als „gegeben“ voraussetzen bzw festlegen und daraus abgeleitete Rechtsfolgen normieren können, sodass die kürzere Arbeiter-Kündigungsfrist – weil einvernehmlich von Saisonbranchen-Kollektivverträgen ausgegangen werde – als formal aufrechter Bestandteil der Rechtsordnung dennoch zu vollziehen wäre. In Zusammenhang damit wurde erwogen (aber ebenfalls – soweit ersichtlich – bislang nicht vertiefend untersucht), ob die stRsp zur Richtigkeitsvermutung des KollV*(abgeleitet von dessen Ausgleichs-, Friedens- und Kartellfunktion) uU eine Rechtslage schaffen könne, nach der (ähnlich der „Gesetzesreparatur“ in Normenprüfverfahren nach Art 139 f B-VG) die Norm – von krassen Ausnahmen abgesehen – anwendbar bliebe, solange sie nicht förmlich aufgehoben ist.* Festzuhalten ist insoweit allerdings, dass es für kollektivvertragliche Regelungen gerade keine Normenkontrolle nach Art der Verfassungs- oder Gesetzmäßigkeitsprüfung von Gesetzen oder Verordnungen durch den VfGH gibt; vielmehr hat durchwegs das mit einem einschlägigen Rechtsstreit befasste Gericht (fallbezogen) rechtlich zu beurteilen, ob eine kollektivvertragliche Norm anwendbar oder aber nichtig ist; die allfällige Nichtigkeit einer kollektivvertraglichen Bestimmung wird daher nur mit Rechtswirkung zwischen den jeweiligen Prozessparteien geklärt.*

3.
Bindungswirkung von Entscheidungen in Verfahren gem § 54 Abs 2 ASGG

In prozessualer Hinsicht ist zunächst die Tragweite der E OGH9 ObA 116/21f und 9 ObA 137/21v für zukünftige Individualprozesse bzw Leistungsverfahren klarzustellen. Dies betrifft insb Prozesse zwischen AG und AN über Kündigungsentschädigungen in dem Fall, dass AG bei der Kündigung von AN nicht die (längeren) gesetzlichen Kündigungsfristen und -termine des § 1159 Abs 2 ABGB einhalten oder AN zu Unrecht entlassen; es ist aber auch dann relevant, wenn AG unter Berufung auf die längere gesetzliche Kündigungsfrist einen unberechtigten vorzeitigen Austritt des AN behaupten.*

Hier gilt Folgendes: Die Bindungswirkung der materiellen Rechtskraft von Entscheidungen, die in einem Feststellungsverfahren gem § 54 Abs 2 ASGG ergehen, erstreckt sich schon grundsätzlich ausschließlich auf die Verfahrensparteien und ihre Rechtsnachfolger, nicht jedoch auf das Rechtsverhältnis zwischen einem einzelnen AG und einem AN.* Dies korrespondiert damit, dass über den Feststellungsantrag allein auf der Grundlage des darin angegebenen, typisierten Sachverhalts zu entscheiden ist; dieser darf nicht auf seine Richtigkeit überprüft werden (§ 54 Abs 4 Satz 1 ASGG).* Insoweit ist im Feststellungsverfahren gem § 54 Abs 2 ASGG auch grundsätzlich kein Beweisverfahren durchzuführen, zumal der OGH hier anhand eines ihm vorgegebenen Sachverhalts, der auch strittig sein kann, zu entscheiden hat.*

Dem entspricht es überdies, dass das besondere Feststellungsverfahren (auch) nach § 54 Abs 2 ASGG gegenüber einer (bereits möglichen) individuellen Leistungsklage – abweichend von den allgemeinen Grundsätzen – explizit als nicht subsidiär normiert wurde (§ 54 Abs 5 Satz 1 ASGG).* Dass § 54 Abs 5 ASGG eine Hemmung der Fristen zur Geltendmachung des Individualanspruchs für die Dauer des Verfahrens über einen Feststellungsantrag normiert, steht dem Fehlen einer erweiterten Rechtskraft nicht entgegen, zumal die Fristenhemmung nach hA nur der faktischen Vermeidung überflüssiger Individualstreitigkeiten dient.*

Dazu kommt, dass schon nach allgemeinen Grundsätzen der Ausspruch des Gerichts (nur) insoweit in Rechtskraft erwächst, als er die spruchmäßig festgestellte Rechtsfolge aus dem zur rechtlichen Ableitung erforderlichen und vom Gericht herangezogenen Sachverhalt ableitet.* Daher erwachsen die Tatsachen für sich allein oder die zur Anwendung gelangenden Rechtssätze ebenso wenig in Rechtskraft wie die in einer Entscheidung enthaltene Beurteilung von bedingenden Rechtsverhältnissen (Vorfragen). ) Bei abweisenden Entscheidungen wird grundsätzlich nur der vom Gericht zur Abweisung herangezogene Grund der Rechtskraft teilhaft.*

Damit ist festzuhalten, dass die in den Verfahren zu AZ 9 ObA 116/21f und 9 ObA 137/21v ergangenen Entscheidungen, mit denen die gegenseitigen Feststellungsanträge iSd § 54 Abs 2 ASGG jeweils abgewiesen wurden, wohl faktische Wirkungen zu zeitigen vermögen,* sodass die in den beiden Entscheidungen getroffenen, umfassenden Aussagen zur Auslegung des § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB (dh zur Weitergeltung bestehender Kollektivverträge sowie zur Definition einer „Saisonbranche“) de facto wohl auch in Individualprozessen beachtet werden.* In diese Richtung gehen auch diverse Äußerungen in Besprechungen der erwähnten Entscheidungen, wonach sich „Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber im Hotel- und Gastgewerbe auf die Anwendung der langen gesetzlichen Kündigungsfristen“ werden einstellen müssen* bzw AG zu empfehlen sei, unter Einhaltung der gesetzlichen längeren Kündigungsfristen zu kündigen.*

Hingegen entfalten die in den Feststellungsverfahren gem § 54 Abs 2 ASGG ergangenen Entscheidungen keine rechtliche Bindungswirkung für Individualprozesse. Im Ergebnis ist daher die Frage, ob in individuellen Leistungsstreitigkeiten die 14-tägige kollektivvertragliche Frist oder die längeren gesetzlichen Kündigungsfristen maßgeblich sind, weiterhin völlig offen.*

4.
Behauptungs- und Beweislast
4.1.
Problemstellung

Damit stellt sich die Frage, welche Partei in Individualprozessen (namentlich betreffend Kündigungsentschädigungen) die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen einer (für die Inanspruchnahme der kurzen Kündigungsfrist erforderlichen) Saisonbranche bzw für deren Nichtvorliegen trägt und wem es prozessual zum Nachteil gereicht, wenn das (Nicht-)Vorliegen einer Saisonbranche nicht bewiesen werden kann, also insofern ein non liquet vorliegt.*

MaW: Muss der auf Kündigungsentschädigung klagende AN behaupten bzw beweisen, dass die in einem KollV enthaltenen kürzeren Kündigungsfristen und -termine nichtig sind, weil keine Saisonbranche vorliegt, oder muss vielmehr der beklagte AG behaupten bzw beweisen, dass die kollektivvertraglichen, abweichenden Kündigungsfristen und -termine rechtsverbindlich sind, weil es sich um eine Saisonbranche handelt? Die entsprechende Frage stellt sich auch in der umgekehrten prozessualen Situation, nämlich dann, wenn der klagende AG unter Berufung auf die längere Kündigungsfrist des § 1159 ABGB einen unberechtigten vorzeitigen Austritt des AN behauptet: Auch hier ist fraglich, ob den klagenden AG oder den beklagten AN die Beweislast für das (Nicht-)Vorliegen einer Saisonbranche und damit die (Nicht-)Anwendbarkeit der kürzeren kollektivvertraglichen Kündigungsfristen trifft.

4.2.
Bisheriger Meinungsstand

Zu Fragen der Beweislastverteilung iZm § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB existieren bislang nur vereinzelte literarische Stellungnahmen:

Zum einen finden sich (eher kursorische) Äußerungen, denen die grundsätzliche Annahme einer Beweislast des (sich auf die kürzere kollektivvertragliche Kündigungsfrist berufenden) AG betreffend die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB zu entnehmen ist.*

Zum anderen vertritt insb Noga*in einer ausführlicheren Darlegung die konträre Rechtsansicht: Er setzt dabei zentral an der Richtigkeitsvermutung kollektivvertraglicher Regelungen* an und verknüpft diese mit weitreichenden Folgen (auch) für die Beweislastverteilung. Insoweit geht er davon aus, dass in einschlägigen Individualprozessen die Nichtigkeit der kollektivvertraglichen Regelung zu behaupten und die insoweit erforderlichen Tatsachen zu beweisen seien. Die Beweislast dafür, dass eine Vereinbarung nichtig ist, treffe grundsätzlich denjenigen, der die Nichtigkeit einer Vereinbarung behauptet; das ergebe sich bereits aus den allgemeinen Beweislastregeln, wonach jede Partei die Beweislast für das Vorliegen aller tatsächlichen Voraussetzungen der für sie günstigen Rechtsnorm trägt. Dies gelte grundsätzlich auch für kollektivvertragliche Normen. Bereits hieraus folge, dass für die rechtliche Beurteilung einer allfälligen Nichtigkeit einer kollektivvertraglichen Norm die Feststellung der nichtigkeitsbegründenden Tatsachen erforderlich sei und nicht jener, aus denen sich die Rechtsgültigkeit einer kollektivvertraglichen Norm ergibt. Behaupte daher ein AN in einem Verfahren, dass eine kollektivvertragliche Norm über abweichende Kündigungsfristen und -termine nichtig sei und der AG die längeren Fristen des § 1159 Abs 2 ABGB hätte einhalten müssen, so sei anhand der getroffenen Feststellung zu beurteilen, ob diese kollektivvertragliche Norm nichtig ist und nicht, ob sie also rechtsgültig ist oder nicht. Den behauptenden AN treffe insoweit die objektive Beweislast und daher auch das Prozessrisiko für den Fall, dass die Tatsachen, aus denen sich die Nichtigkeit ergeben soll, nicht festgestellt werden können.*

Dahinter stehe, dass das Rechtssystem „einen feststellbaren Status quo nur verändern möchte, wenn die Voraussetzungen dafür eindeutig vorliegen, und nicht schon bei zweifelhafter Tatsachengrundlage“. Ein „festgestellter bestehender Zustand“ (also eine zwischen den Kollektivvertragsparteien abgeschlossene kollektivvertragliche Norm über abweichende Kündigungsfristen und -termine) genieße daher einen gewissen rechtlichen Schutz. In einer Zweifelslage trete daher eine fragliche Rechtsfolge, die regelmäßig eine Veränderung gegenüber dem Status Quo (also die Nichtigkeit einer kollektivvertraglichen Norm) bewirke, nicht ein. Sofern daher die nichtigkeitsbegründenden Tatsachen nicht bewiesen werden können oder zweifelhaft bleiben, sei diese Zweifelslage dem Nichtvorliegen der (nichtigkeitsbegründenden) relevanten Tatsache gleichzuhalten.*

Schließlich sei aus dem Ausnahmecharakter des § 879 Abs 1 ABGB ableitbar, dass die von einer Nichtigkeit erfassten Sachverhalte nicht die Regel darstellen und daher bei Zweifeln über die nichtigkeitsbegründenden Tatsachen jenes Ergebnis anzunehmen sei, das dem Regelfall entspricht. Dabei sei auf die bestehenden Erfahrungssätze Bedacht zu nehmen, wonach nur ein verschwindend geringer Teil kollektivvertraglicher Normen tatsächlich nichtig ist. Können daher für eine kollektivvertragliche Norm die nichtigkeitsbegründenden Tatsachen nicht festgestellt werden oder sind diese zweifelhaft, so sei im Zweifel von deren Rechtsgültigkeit auszugehen, denn bei Zweifeln sei so zu entscheiden, wie es den nach der Lebenserfahrung üblichen Verhältnissen eher entspricht, und nicht, wie es die Ausnahme ist.*

Damit gelangt Noga zu folgendem Ergebnis:* Enthalte ein KollV Normen über abweichende Kündigungsfristen und -termine gem § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB, so sei die Gesetzmäßigkeit dieser kollektivvertraglichen Normen grundsätzlich zu vermuten. Behaupte ein AN im Rahmen eines Verfahrens die Nichtigkeit kollektivvertraglicher Normen über abweichende Kündigungsfristen und -termine, so müsse das Gericht die nichtigkeitsbegründenden Tatsachen feststellen. Könne das erkennende Gericht nicht feststellen, ob es sich bei einer Branche um eine Saisonbranche handelt oder nicht, so treffe denjenigen das Beweislastrisiko, der die Nichtigkeit behauptet, idR also den AN.* Eine Beweislastumkehr auf den Bekl (idR den AG) komme nicht in Betracht, zumal auch keine besondere „Nähe zum Beweis“ des AG bestehe.

4.3.
Grundlegendes zur Behauptungs- und Beweislast

Nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen ist zunächst zwischen der Kategorie der Behauptungslast und derjenigen der Beweislast zu unterscheiden:

Mit dem Begriff Behauptungslast*ist das Erfordernis umschrieben, die für die Anwendung einer bestimmten Rechtsnorm erforderlichen Tatsachen durch Parteienbehauptung in den Prozess einzuführen.* Dies ist nur in Verfahren entscheidend, in denen kein reiner Untersuchungsgrundsatz herrscht,* daher insb auch in arbeitsrechtlichen Individualprozessen über Kündigungsentschädigungen.

Die objektive Behauptungslast umschreibt dabei das Erfordernis, die zur Anwendung einer Norm erforderlichen Tatsachenbehauptungen aufzustellen. In Verfahren, die hinsichtlich der Stoffsammlung vom Grundsatz der Kooperationsmaxime geprägt sind, obliegt dies grundsätzlich den Parteien; allerdings muss das Gericht im Rahmen der materiellen Prozessleitung (zur erweiterten richterlichen Anleitungs- und Belehrungspflicht im Verfahren nach dem ASGG vgl § 39 Abs 2 Z 1 ASGG iVm § 432 und § 435 ZPO) gegebenenfalls auf Unvollständigkeiten der Tatsachengrundlage hinweisen.*

Die subjektive Behauptungslast verteilt die Verpflichtung zur Behauptung der rechtserheblichen Tatsachen zwischen den Parteien und legt die Rechtsfolgen mangelnder entsprechender Behauptungen fest. Insoweit hat sich (nach Maßgabe der Bestimmungen der ZPO über den notwendigen Inhalt von Klage und Klagebeantwortung) die Formel etabliert, dass der Kl alle rechtserzeugenden Tatsachen, auf die sich der Anspruch gründet, und der Bekl diejenigen Tatsachen vorzutragen hat, durch die der Anspruch gehemmt oder vernichtet wird.* Sofern die für die Anwendung einer Norm erforderlichen Tatsachenbehauptungen nicht aufgestellt werden, liegt eine Behauptungslücke vor; eine solche geht zu Lasten der Partei, die insoweit die Behauptungslast trägt.* Daher führt eine Verletzung der subjektiven Behauptungslast des Kl zur Abweisung der Klage; eine Verletzung der subjektiven Behauptungslast des Bekl zur Stattgebung (nach Schlüssigkeitsprüfung).*

Die Behauptungslast deckt sich prinzipiell nach Gegenstand und Umfang mit der Beweislast.* Diese wiederum regelt, welche Folgen die Nichterbringung eines Beweises für die Entscheidung hat: Denn im Hinblick auf den Justizgewährungsanspruch muss das Gericht auch dann eine (Sach-)Entscheidung fällen, wenn eine tatbestandsrelevante Tatsache weder bewiesen noch widerlegt werden kann, wenn mithin das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Tatsache nicht feststellbar ist. In einer solchen prozessualen Situation des non liquetbestimmen die Beweislastregeln, zu wessen Gunsten bzw Ungunsten sich die Beweislosigkeit auswirkt.*

Auch insoweit wird in dogmatischer Hinsicht eine objektive und eine subjektive Beweislast unterschieden,* wobei die jeweiligen Definitionen in der Literatur allerdings zT erheblich voneinander abweichen.* Die subjektive Beweislast (Beweisführungslast, formelle Beweislast) stellt Regeln dafür auf, welche Partei (bei sonstigem Prozessverlust) Beweisanträge zu stellen hat. Sie hat allerdings (ebenso wie die subjektive Behauptungslast) in der Praxis des österreichischen Zivilprozesses wegen der bereits angesprochenen Kooperationsmaxime und der damit verbundenen materiellen richterlichen Prozessleitungspflichten nur geringe Bedeutung; in Verfahren mit reinem Untersuchungsgrundsatz gibt es überhaupt keine subjektive Beweislast.*

Praktisch überaus bedeutsam ist hingegen die objektive Beweislast (Feststellungslast, materielle Beweislast): Sie regelt, wem eine fehlgeschlagene Beweisaufnahme iS eines non liquet zum Nachteil gereicht. Denn unabhängig von den anzuwendenden Grundsätzen für die Stoffsammlung hat das Gericht in jedem Prozess (also selbst in Verfahren mit reinem Untersuchungsgrundsatz) zu prüfen, welche Tatsachen zur Erfüllung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale der anzuwendenden Rechtsnorm festgestellt werden müssen.* Die Partei, der insofern die Beweislast aufgebürdet ist, trägt daher das Risiko des Prozessverlusts im Fall der Nichtfeststellbarkeit der erheblichen Tatsachen.* Dies gilt auch in arbeitsrechtlichen Individualstreitigkeiten.

Allerdings enthält die ZPO ebenso wenig wie das ASGG Regelungen über die Beweislastverteilung; im materiellen Recht finden sich nur vereinzelt ausdrückliche Beweislastregeln, dies zumeist in Form einer (ausnahmsweisen) Beweislastumkehr.*

Damit ist die allgemeine Beweislastgrundregel zu thematisieren: Nach der von Rosenberg geprägten Formel hat jede Partei die Voraussetzungen der ihr günstigen Norm (also derjenigen Norm, deren Rechtswirkung ihr zugutekommt) zu behaupten und zu beweisen.* Demnach trägt der Anspruchswerber die Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, der Anspruchsgegner hingegen die Beweislast für die anspruchshindernden, anspruchshemmenden oder anspruchsvernichtenden Tatsachen.* Die Rosenberg‘sche Herleitung dieser Grundregel mit formallogischem Schluss aus der jeweiligen Normformulierung („Normentheorie“) wird heute allerdings nicht mehr als überzeugend erachtet:* Vielmehr ergebe sich durch Gesamtanalogie aus den ausdrücklichen Beweislastvorschriften sowie aus Formulierungen des materiellen Rechts, die durch bestimmte Wendungen die Beweislast „mitregeln“, dass idR der ein Recht Behauptende die rechtsbegründenden und der ein Recht Leugnende die rechtshindernden oder rechtsvernichtenden bzw rechtshemmenden Tatsachen zu beweisen hat.* Entscheidend ist nach hA dabei nicht eine grundsätzliche Ausrichtung nach „Günstigkeitsgesichtspunkten“ oder die Heranziehung von auf Beweisnähe oder Gefahrenbereiche abstellenden „Hilfsregeln“; ausschlaggebend sind vielmehr die – nach Maßgabe der allgemeinen Auslegungskriterien zu ermittelnden – Wertungen der gesetzlichen Tatbestände.*

Vor diesem Hintergrund ist die Beweislastgrundregel folgendermaßen zu definieren: Wenn eine tatbestandsrelevante Tatsache unklar bleibt, ist so zu entscheiden, als wäre festgestellt worden, dass diese Tatsache nicht eingetreten ist.*

Auf die konkrete arbeitsrechtliche Fragestellung bezogen bedeutet dies: Bleibt unklar, ob eine für die Anwendbarkeit der kürzeren kollektivvertraglichen Kündigungsfrist vorausgesetzte Saisonbranche vorliegt, dann ist so zu entscheiden, als wäre festgestellt worden, dass eine Saisonbranche nicht vorliegt.

4.4.
Beweislastverteilung in arbeitsrechtlichen Individualprozessen

Ausgehend von der allgemeinen Beweislastgrundregel ist nunmehr zu analysieren, wem die Unklarheit über das Vorliegen einer für die Anwendbarkeit der kürzeren kollektivvertraglichen Kündigungsfrist vorausgesetzten Saisonbranche prozessual zum Nachteil gereicht und wem damit die Beweislast auferlegt ist: Hat der AN, der sich auf die gesetzliche Kündigungsfrist des § 1159 ABGB berufen will, die Nichtigkeit einer eine kürzere Kündigungsfrist normierenden kollektivvertraglichen Bestimmung zu behaupten und die insoweit relevanten Tatsachen zu beweisen, oder trägt vielmehr der sich auf die kürzere kollektivvertragliche Kündigungsfrist berufende AG die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass die betreffende kollektivvertragliche Norm (und daher nicht die gesetzliche Bestimmung des § 1159 ABGB) im konkreten Fall wegen des Vorliegens einer Saisonbranche anwendbar ist? Dahinter steht, dass die von § 1159 ABGB abweichenden kollektivvertraglichen Regelungen – wie erwähnt – nur dann rechtswirksam sein können, wenn die in § 1159 Abs 2 letzter Satz ABGB genannten Voraussetzungen hinsichtlich des Vorliegens einer Saisonbranche gegeben sind.*

Vorauszuschicken ist zunächst, dass die Bestimmung des § 43 Abs 2 ASGG hier keine Abhilfe zu schaffen oder beweisrechtlich relevante Modifikationen zu bewirken vermag: Denn daraus ergibt sich lediglich, dass der Inhalt kollektivrechtlicher Normen amtswegig zu ermitteln ist;* es handelt sich also um eine spezielle Ausprägung des Grundsatzes iura novit curia.* Allerdings muss sich eine Partei im Verfahren in der Tatsacheninstanz (idR also im erstinstanzlichen Verfahren)* auf die betreffende (anspruchsbegründende oder anspruchsvernichtende) Bestimmung des KollV berufen;* insoweit sind entsprechende Tatsachenbehauptungen zur Konkretisierung erforderlich.* Nach der Rsp zählt daher das Berufen auf einen KollV zum notwendigen Tatsachenvorbringen; ein amtswegiges Erforschen hat nicht stattzufinden.* Ein einmal Verfahrensgegenstand gewordener KollV ist dann (mit seinem gesamten Inhalt) nicht nur zugunsten des Rechtsstandpunkts der sich ausdrücklich auf ihn berufenden Partei, sondern im Rahmen der rechtlichen Beurteilung auf den gesamten Prozessstoff anzuwenden.* Allerdings stellt § 43 Abs 2 ASGG gerade keine Regelungen darüber auf, welche der Prozessparteien das entsprechende Tatsachenvorbringen zu erstatten hat; die Bestimmung liefert oder impliziert also keine Regelung der Behauptungs- und Beweislast hinsichtlich kollektivvertraglicher Normen. Zudem bezieht sich § 43 Abs 2 ASGG – wie erwähnt – allein auf den Inhalt einer kollektivvertraglichen Norm, nicht hingegen auf die Vorfrage ihrer Anwendbarkeit in einem konkreten Fall.

Mangels Spezialregelung kommen daher die allgemeinen prozessualen Regeln über die Behauptungs- und Beweislast zum Tragen.

Fraglich ist hier zunächst, ob bzw inwieweit die (wie erwähnt insb von Noga zentral ins Treffen geführte*) Richtigkeitsvermutung kollektivvertraglicher Regelungen (besser: „Richtigkeitsgewähr“*) Auswirkungen auf die Verteilung der Behauptungs- und Beweislast in Individualprozessen namentlich über Kündigungsentschädigungen zeitigt. Vorauszuschicken ist hier, dass eine beweisrechtlich relevante Vermutungsregelung nur dann gegeben ist, wenn eine Norm aus dem Vorliegen bestimmter Tatsachen (Vermutungsbasis) Folgerungen zieht, die dann aufgrund der Vermutung keines Beweises mehr bedürfen, sodass die Partei nur die Behauptungslast, nicht aber die Beweislast trägt.* Folgende Beispiele mögen dies veranschaulichen: Haben die Parteien für einen Vertrag die Anwendung einer bestimmten Form vorbehalten, so wird nach § 884 ABGB vermutet, dass sie vor Erfüllung dieser Form nicht gebunden sein wollen. § 924 Satz 2 ABGB normiert die Vermutung, dass ein Mangel bereits bei der Übergabe vorhanden war, wenn der Mangel innerhalb von sechs Monaten nach der Übergabe hervorkommt. § 1297 ABGB normiert die Vermutung, dass jemand, der den Verstandesgebrauch besitzt, eines solchen Grades des Fleißes und der Aufmerksamkeit fähig sei, der bei gewöhnlichen Fähigkeiten angewendet werden kann. § 1428 Satz 2 ABGB normiert die Vermutung, dass eine geschuldete Zahlung geleistet wurde, wenn der Gläubiger einen Schuldschein (auch ohne Quittung) an den Schuldner zurückgegeben hat. In solchen Fällen wird aus einer Vermutungsbasis auf das Vorliegen einer anderen (unmittelbar relevanten) Tatsache geschlossen (Tatsachenvermutung, praesumptio facti).* In manchen Fällen wird von einer Vermutungsbasis auf das Bestehen eines Rechts oder Rechtsverhältnisses geschlossen (Rechtsvermutung, praesumptio iuris): So hat etwa der Besitzer einer Sache die rechtliche Vermutung eines gültigen Titels für sich (§ 323 ABGB); zudem wird die Redlichkeit des Besitzes vermutet (§ 328 ABGB).* In solchen Fällen muss der durch die Vermutung Belastete entweder den Gegenbeweis gegen die Vermutungsbasis oder (bei vorhandener Vermutungsbasis) den Beweis des Gegenteils erbringen, dass im konkreten Fall kein Kausalzusammenhang zwischen der Vermutungsbasis und der vermuteten Tatsache bzw dem vermuteten Recht bzw Rechtsverhältnis besteht.*

Die hinsichtlich der Richtigkeitsvermutung kollektivvertraglicher Regelungen durchwegs zitierte Judikatur besagt nun im Wesentlichen, dass den Kollektivvertragsparteien bei der Auslegung einer kollektivvertraglichen Norm zumindest im Zweifel unterstellt werden darf, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und daher eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeiden* wollten und dass die Verhältnismäßigkeit des Eingriffes bei kollektivvertraglicher Regelung grundsätzlich anzunehmen* ist. Damit bezieht sich die Richtigkeitsvermutung iSd Judikatur ganz offensichtlich darauf, dass kollektivvertraglichen Regelungen im Zweifel unterstellt werden darf, dem verfassungsrechtlichen Legalitätsprinzip gerecht zu werden. Damit ist jedoch keine beweisrechtlich relevante Vermutungsregelung im obigen Sinn verbunden, aus der sich eine Vermutung hinsichtlich des Anwendungsbereichs einer kollektivvertraglichen Norm im System der Rechtsordnung ableiten ließe, die durch den Beweis der Nichtigkeit der kollektivvertraglichen Norm zu entkräften wäre.

Insb begründet auch der Umstand, dass ein KollV eine ausdrückliche Regelung enthält, nach der in den erfassten Branchen Saisonbetriebe überwiegen, keine Vermutungsbasis iSd § 270 ZPO. Insoweit hat der OGH in den beiden erwähnten Entscheidungen 9 ObA 116/21f und 9 ObA 137/21v deutlich ausgesprochen, dass das Überwiegen von Saisonbetrieben durch die Kollektivvertragsparteien zwar deklarativ festgehalten, jedoch nicht normativ festgelegt werden kann, weil dieser Umstand tatbestandliche Voraussetzung für ihre Regelungsbefugnis ist. Solchen Bestimmungen kann daher auch keinesfalls der Charakter einer Vermutungs- bzw Beweislastregelung zukommen.*

Daher ist die Frage der Beweislastverteilung auch in Fällen, in denen der betreffende KollV eine ausdrückliche Regelung enthält, nach der in den erfassten Branchen Saisonbetriebe überwiegen, stets nach der Grundregel über die Beweislastverteilung zu klären.

Insoweit meint Noga, die Richtigkeitsvermutung (und damit eine Beweislast des AN betreffend die Nichtigkeit der kollektivvertraglichen Regelung) lasse sich „im Ergebnis bereits aus den allgemeinen Beweislastregeln ableiten“.* Er knüpft dabei insb an Resch* an: Dieser hat sich in einer Besprechung der aufgrund eines Feststellungsantrags gem § 54 Abs 2 ASGG ergangenen E des OGH9 ObA 602/92 mit der Unwirksamkeit einer kollektivvertraglichen Verpflichtung des AN zur Leistung von Beiträgen für seine Altersversorgung auseinandergesetzt, welche nicht aus dem Arbeitsverhältnis abgeleitet werden kann und daher nicht den typischen Inhalt des Arbeitsvertrages bildet. Insoweit sei „vorweg einmal“ von der Gültigkeit der kollektivvertraglichen Bestimmung auszugehen; dies ergebe sich schon aus der Beweislast im Zivilprozess, die denjenigen trifft, der die Nichtigkeit des KollV behauptet, sodass sich bereits daraus im Ergebnis eine Zweifelsregel zugunsten der Gültigkeit des KollV ergebe.*

Entsprechendes könnte bei erstem Zusehen auch aus der Judikatur zur Verteilung der Beweislast iZm der Sittenwidrigkeit rechtsgeschäftlicher Haftungserklärungen gefolgert werden: Insoweit judiziert der OGH,* dass in solchen Fällen die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen der die Sittenwidrigkeit begründenden Eigenschaften eines Rechtsgeschäfts bei demjenigen liegt, der sich auf die Sittenwidrigkeit beruft;* dies wird insb aus dem Ausnahmecharakter der Sittenwidrigkeit gefolgert.

Diese Judikatur kann allerdings mE nicht auf die hier interessierende Fragestellung übertragen werden: Denn sie betrifft die Verteilung der Beweislast iZm einer Inhaltskontrolle von Vereinbarungen bzw Normen. Im konkreten Fall geht es aber nicht um Fragen der Verhältnismäßigkeit bzw Sittenwidrigkeit; im Fokus steht vielmehr die vorgelagerte Frage der Anwendbarkeit einer kollektivvertraglichen Norm auf einen konkreten Sachverhalt, nämlich die Frage, ob eine kollektivvertragliche Norm überhaupt von der gesetzlichen Ermächtigung in § 1159 ABGB gedeckt ist.

Damit ist das Augenmerk wiederum auf die – bereits erörterten – Grundregeln über die Beweislastverteilung zu legen.* Zu beachten ist insoweit zudem, dass die gesetzliche Bestimmung des § 1159 ABGB regelungstechnisch die Basis, die jeweilige kollektivvertragliche Bestimmung betreffend Saisonbranchen hingegen die Ausnahmeregelung darstellt. Zwar trägt nicht automatisch diejenige Partei die Beweislast, welche sich auf einen Ausnahmefall beruft; gleichwohl kommt dem Regel-Ausnahme-Verhältnis bei der Bestimmung der Beweislastverteilung durchaus Bedeutung zu.* Im konkreten Fall ist dieser Gesichtspunkt mE sogar zentral, zumal der Gesetzgeber die Ermächtigungen zur abweichenden kollektivvertraglichen Regelung in § 1159 Abs 2 letzter Satz und § 1159 Abs 4 letzter Satz ABGB an das Vorliegen einer Branche, in der Saisonbetriebe iSd § 53 Abs 6 ArbVG überwiegen, geknüpft hat: Das ausnahmsweise Vorliegen einer Saisonbranche ist also die tatsächliche Voraussetzung für die gesetzliche Ermächtigung zur Festlegung einer kollektivvertraglichen Ausnahmeregelung.

In einer solchen Konstellation ist nicht demjenigen die Beweislast aufzubürden, der sich auf die gesetzliche Grundregelung beruft, sondern demjenigen, der sich auf die (den Prozessgegner belastende) Ausnahmeregelung stützen möchte: Wer die kürzere kollektivvertragliche Kündigungsfrist für sich in Anspruch nehmen will, ist also behauptungs- und beweispflichtig für das Vorliegen einer Saisonbranche und die daran geknüpfte Anwendbarkeit der kürzeren kollektivvertraglichen Kündigungsfrist. Eine bloße Berufung auf das Vorhandensein der Kollektivvertragsnorm wäre insoweit keinesfalls ausreichend; vielmehr ist auch die Geltungsgrundlage der kollektivvertraglichen Regelung (also das Vorliegen einer Saisonbranche) zu behaupten und zu beweisen.

Daraus folgt insb: Macht der AN auf der Basis der langen gesetzlichen Kündigungsfrist des § 1159 ABGB Kündigungsentschädigung geltend, so muss er nicht das Nichtvorliegen einer Saisonbranche und damit die Nichtigkeit der kollektivvertraglichen Ausnahmeregelung behaupten und beweisen.* Vielmehr trägt der beklagte AG die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass eine Saisonbranche vorliegt und deshalb die kürzere kollektivvertragliche Kündigungsfrist zum Tragen kommt.

Bleibt unklar, ob eine für die Anwendbarkeit der kürzeren kollektivvertraglichen Kündigungsfrist vorausgesetzte Saisonbranche vorliegt (non liquet), dann ist nach der allgemeinen Beweislastgrundregel* so zu entscheiden, als wäre festgestellt worden, dass eine Saisonbranche nicht vorliegt. In diesem Fall sind die gesetzlichen Kündigungsfristen und -termine des § 1159 ABGB als Entscheidungsgrundlage heranzuziehen.