Covid-19 und Arbeitsrecht: Die fünf häufigsten Fragen aus der aktuellen Beratungspraxis

Autor: PHILIPP BROKES
aus: DRdA-infas 3/2020

Spätestens seit Ende Februar 2020, als zum ersten Mal Personen in Österreich positiv auf das „Corona-Virus“ (SARS-CoV-2) getestet wurden, stellte sich zunehmend die Frage, inwieweit bestehende arbeitsrechtliche Regelungen ausreichen würden, um aufkommende Problemfälle im Zusammenhang mit den zu treffenden innerbetrieblichen Schutzmaßnahmen oder dem Anspruch auf Entgeltfortzahlung abschließend zu klären.

Als eines der wenigen bekannten „Krisengesetze“ sollte das Epidemiegesetz aus dem Jahr 1950 die Grundlage bilden, um Entgeltfortzahlungsansprüche von AN, deren Arbeitsleistungen auf Grund von Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie kurzerhand entfallen würden, in vollem Umfang aufrecht zu erhalten und AG hierfür einen Kostenersatzanspruch gegenüber dem Bund zu gewähren. Die generelle Anwendbarkeit des EpidemieG wurde jedoch mit der Schaffung der COVID- 19-Maßnahmengesetze außer Kraft gesetzt und mit dieser Vorgangsweise eine Vielzahl rechtlicher Probleme begründet. So wurde schon mit Inkrafttreten des ersten sogenannten „COVID- 19-Maßnahmengesetzes“ am 16.3.2020 (BGBl I 2020/12BGBl I 2020/12) und in Folge den darauf basierenden Verordnungen klar: Antworten auf arbeitsrechtliche Fragestellungen würden nur auf Umwegen zu finden sein.

Der vorliegende Beitrag fasst die häufigsten Fragen zusammen, die an die BeraterInnen der AK Wien seit Beginn der Corona-Krise herangetragen wurden.

1.
Darf der Arbeitgeber für die Dauer von COVID-19 einseitig Homeoffice anordnen?

Grundsätzlich handelt es sich bei Homeoffice bzw Telearbeit um eine Verlegung des bisher bedungenen Arbeitsortes.

Obwohl einzelne Arbeitsverträge mit bereits geltenden Versetzungsklauseln AG teilweise die Möglichkeit eröffnen, den Arbeitsort einseitig zu ändern, folgt schon aus dem Wesen eines unselbstständigen Arbeitsverhältnisses, dass die Arbeitsleistung grundsätzlich im Organisationsbereich des AG zu erbringen ist. Die genannten Klauseln können daher nur zu einer Versetzung innerhalb der Betriebsräumlichkeiten des AG führen, nicht hingegen eine Verpflichtung von AN begründen, ihre private Wohnung für berufliche Zwecke zur Verfügung zu stellen.

Während weder das EpidemieG noch das COVID-19-MaßnahmenG eine eindeutige Verpflichtung begründen, unselbstständige Arbeit in der eigenen Wohnung zu erbringen, stellt § 2 Z 4 letzter Satz der COVID-Betretungsverbots-VO, BGBl II 2020/108BGBl II 2020/108, zusätzlich klar:

„Dabei ist darauf zu achten, dass eine berufliche Tätigkeit vorzugsweise außerhalb der Arbeitsstätte erfolgen soll, sofern dies möglich ist und Arbeitgeber und Arbeitnehmer darüber ein Einvernehmen finden.“

Im Ergebnis ist aus der geltenden Rechtslage daher weder eine Ermächtigung des AG abzuleiten, Homeoffice einseitig anzuordnen, noch besteht ein Rechtsanspruch des AN, Arbeitsleistungen zu Hause zu erbringen. Die Einführung von Homeoffice ist daher stets an das Vorliegen einer diesbezüglichen beidseitigen Vereinbarung gebunden.

2.
Darf mir der Arbeitgeber aktuell auch andere Tätigkeiten zuweisen, als die sonst von mir ausgeübten?

Typischerweise ist der eigene Tätigkeitsbereich Teil des (üblicherweise mündlichen oder schriftlichen) Arbeitsvertrages und wird im Vorfeld, zumeist bei Eintritt in den Betrieb, entsprechend abgegrenzt, soweit nicht zugleich ein Änderungsvorbehalt bezüglich der Tätigkeit im Arbeitsvertrag vereinbart wurde.

Die Zuweisung vertraglich nicht bedungener Tätigkeiten bedeutet: Eine Änderung dieses abgegrenzten Tätigkeitsbereiches wäre daher zugleich eine Vertragsänderung, die der Zustimmung beider Vertragsparteien bedarf.

Allerdings schwingt in diesen Fällen stets die arbeitnehmerseitige Treuepflicht mit, die sich bei bestimmten Sachverhalten in einer allgemeinen Schadensminderungspflicht konkretisiert. So ist von einer Verpflichtung jedes AN auszugehen, ihm bekannt gewordene drohende Nachteile für das Unternehmen nicht nur dem AG anzuzeigen, sondern sie gegebenenfalls – im Rahmen des Zumutbaren – durch ein aktives Tun abzuwenden.

Gerade in Krisensituationen kann sich in Einzelfällen daher auch die Verpflichtung ergeben, Tätigkeiten zu verrichten, die vom Arbeitsvertrag grundsächlich nicht gedeckt sind. Der arbeitsund betriebsverfassungsrechtliche Versetzungsschutz bleibt davon selbstverständlich unberührt.

3.
Ich muss nach einer Flugreise eine 14-tägige Heimquarantäne antreten. Bekomme ich für diesen Zeitraum mein Entgelt weiterbezahlt?

Auf Grundlage der 105. Verordnung des Gesundheitsministers, BGBl II 2020/105BGBl II 2020/105, haben sich österreichische StaatsbürgerInnen und Personen mit Aufenthaltsrecht in Österreich, die auf dem Luftweg ins Bundesgebiet einreisen, in eine selbstüberwachte, 14-tägige Heimquarantäne zu begeben. Damit liegt grundsätzlich ein Dienstverhinderungsgrund vor, der – sofern nicht selbst verschuldet – Entgeltfortzahlungsansprüche nach sich ziehen kann.

Die Rechtsgrundlage für die Entgeltfortzahlung erscheint dabei in diesen Fällen durchaus konfus: Grundlage für die gegenständliche Verordnung ist § 25 EpidemieG; eine generelle Norm mit Verordnungsermächtigung, mit der Maßnahmen zur Verhütung der Einschleppung einer Krankheit aus dem Ausland verhängt werden können. Die vom Gesundheitsminister gewählte Maßnahme wurde in einer 14-tägigen Absonderung gefunden, wie sie etwa von § 7 EpidemieG konkret vorgesehen ist.

Das EpidemieG regelt hierzu in seinem § 32 die Entgeltfortzahlung für Personen in einem Arbeitsverhältnis, wenn sie etwa von einer der taxativ aufgezählten Maßnahmen (zB Absonderung nach § 7 leg cit) betroffen sind und ihre Arbeitsleistung in Folge unterbleibt.

In ihrer Vollzugspraxis stützen sich die Behörden jedoch gar nicht auf § 7 EpidemieG, sondern subjektivieren die generelle Norm des § 25 EpidemieG unmittelbar, etwa so, als wäre eine Absonderung iSd Verordnung eine andere Maßnahme als eine Absonderung nach § 7 EpidemieG. Dies mit einer nicht unwesentlichen Konsequenz: Der Entgeltfortzahlungstatbestand des § 32 EpidemieG erfasst Verordnungen nach § 25 EpidemieG gar nicht.

Es erscheint naheliegend, dass im Falle einer behördlich angeordneten Absonderung das Entgeltrisiko jedenfalls nicht betroffene AN tragen können. können. Schon aus diesem Grund wäre die Vollzugspraxis zu ändern und sollten zur Subjektivierung der generellen Norm individuelle Bescheide stets auf Grundlage des § 7 EpidemieG ergehen. Die Notwendigkeit einer Novellierung des Entgeltfortzahlungstatbestands bleibt davon unberührt.

Bis dahin ist eine rechtskonforme Lösung vorerst nur nach Maßgabe des § 8 Abs 3 AngG bzw § 1154b Abs 5 ABGB zu finden, die für Dienstverhinderungen, die in der Sphäre des AN entstehen, jeweils den Anspruch auf Entgeltfortzahlung während einer verhältnismäßig kurzen Zeit vorsehen. Dass der in der Lehre oftmals zitierte Zeitraum von „einer Woche“ dabei lediglich ein Richtwert ist und der Anspruch gerade nicht statisch auf eine Woche beschränkt ist, erscheint in genau solchen Sachverhalten durchaus erwähnenswert. Gerade in der aktuellen Sondersituation ist jedenfalls davon auszugehen, dass auch eine 14-tägige Dienstverhinderung dem Maßstab der Verhältnismäßigkeit standhalten würde.

Mangels Anwendbarkeit des § 32 EpidemieG ist in diesen Fällen folglich auch kein unmittelbarer Kostenersatzanspruch für den AG vorgesehen.

4.
Der Schulunterricht fällt aus – darf ich zu Hause bleiben, um mein Kind zu betreuen?

Spätestens mit der Aussetzung des Regelunterrichts in Lehranstalten ab 16.3.2020 stellt sich immer öfter die Frage, inwieweit Eltern ihren Betreuungspflichten zu Hause nachgehen können, ohne dabei den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses und damit eingehende Ansprüche auf Entgeltfortzahlung zu berühren. Dabei spielt es keine unwesentliche Rolle, dass der Betrieb in Kindergärten und Schulen – entsprechend der Ankündigung des Bildungsministeriums – nicht gänzlich eingestellt, sondern lediglich eingeschränkt wurde. Das Betreuungsangebot sollte demnach aufrecht bleiben und Eltern zugutekommen, die etwa weiterhin ihren beruflichen Pflichten nachkommen müssten.

Damit wurde das Vorliegen einer klassischen Dienstverhinderung wegen der notwendigen Betreuung eines Kindes praktisch verunmöglicht: Nachdem eine Betreuung im vorliegenden Fall nur „freiwillig“ erfolgen würde und eine daraus allenfalls resultierende Verhinderung an der Arbeitsleistung wohl durch den AN „verschuldet“ iSd § 8 Abs 3 AngG bzw § 1154b Abs 5 ABGB wäre, entfiele in letzter Konsequenz auch ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung.

Gleichzeitig wird seit Beginn der Pandemie von Regierungsvertretern fast schon gebetsmühlenartig kommuniziert, alle denkbaren Möglichkeiten auszuschöpfen, um zu Hause zu bleiben – Kinderbetreuung inklusive.

Um diesen Spagat berufstätigen Eltern betreuungspflichtiger Kinder zu ermöglichen, wurde mit § 18b Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (AVRAG), BGBl I 2020/12BGBl I 2020/12, die Möglichkeit geschaffen, eine bezahlte „Sonderbetreuungszeit“ von bis zu drei Wochen in Anspruch zu nehmen.

Dogmatisch als eine besondere Ausgestaltung der Dienstverhinderung aus der Sphäre des AN anzusehen, wurde die Inanspruchnahme der Sonderbetreuungszeit ausdrücklich an die Zustimmung des AG geknüpft.

Nach mehrfacher Erweiterung des Geltungsbereichs (zuletzt mit dem 3. Covid-19-Gesetz, BGBl I 2020/23BGBl I 2020/23) kann die Maßnahme in folgenden Fällen für die Dauer von bis zu drei Wochen in Anspruch genommen werden, sofern die Arbeitsleistung des AN nicht für die Aufrechterhaltung des Betriebes erforderlich ist sowie kein anderer Anspruch auf Dienstfreistellung (etwa nach dem AngG, ABGB oder UrlG) besteht:

  • Betreuung von Kindern bis zum vollendeten 14. Lebensjahr, sofern die Schule oder Kinderbetreuungseinrichtung behördlich geschlossen wurde, wobei ein eingeschränkter Betrieb mit dem genannten Betreuungsangebot genügt;

  • Betreuung von Menschen mit Behinderung unabhängig von deren Alter, für die eine Betreuungspflicht besteht, weil

  • die Einrichtung der Behindertenhilfe, Lehranstalt für Menschen mit Behinderung oder höher bildenden Schule, in der die Betroffenen üblicherweise betreut oder unterrichtet werden, aufgrund behördlicher Maßnahmen teilweise oder geschlossen wurde, oder

  • die Person mit Behinderung auf Grund einer freiwilligen Maßnahme üblicherweise ohnedies zu Hause betreut wird, oder

  • für die Person mit Behinderung üblicherweise die persönliche Assistenz in Anspruch genommen wird und diese in Folge von Covid-19 nicht mehr sichergestellt ist;

Betreuung von pflegebedürftigen Personen, wenn deren Betreuungskraft iSd Hausbetreuungsgesetzes (24-Stunden-Betreuung) in Folge von Covid- 19 ausfällt (Sabara/Lindmayr, Die neue Sonderbetreuungszeit während der Coronavirus-Krise, ARD 6694/4/2020 [4]).

Die in diesem Zusammenhang erforderliche Angehörigeneigenschaft ist dabei weit zu interpretieren und umfasst, den Gesetzesmaterialien nach, alle „Bluts- und Wahlverwandten“ (402/A BlgNR 27. GP 31). Dem AG gebührt für ein Drittel des während einer Sonderbetreuungszeit fortgezahlten Entgelts ein Kostenersatz aus Bundesmitteln.

5.
Der Arbeitgeber bietet mir zur Überbrückung der Corona-Krise eine einvernehmliche Lösung an. Soll ich diese annehmen?

Immer wieder wird von AG im Zusammenhang mit Krisensituationen nahezu reflexartig eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses vorgezogen, um besonders rasch Personalkosten zu reduzieren und so die Liquidität zur Überbrückung wirtschaftlich schwieriger Phasen zu sichern.

Anstatt dabei auf das arbeitsrechtliche Krisenbewältigungsinstrument schlechthin zurückzugreifen und die staatlich geförderte „Kurzarbeit“ einzuführen, wird nicht selten eine einvernehmliche Auflösung „mit Wiedereinstellungszusage“ angestrebt, die geradezu impliziert, dass der Beendigungswille auf nur kurzfristigen wirtschaftlichen Überlegungen fußt. Dabei wird oftmals übersehen, dass die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses entgeltliche Beendigungsansprüche nach sich zieht, die von der Bezahlung des aliquoten Urlaubs- und Weihnachtsgeldes hin zur Abgeltung offener Zeit- und Urlaubsguthaben reichen.

Stundungen dieser Ansprüche mit deren Mitnahme in die angestrebte Wiedereinstellung haben in der Vergangenheit nicht selten zu Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Bezug von Arbeitslosengeld geführt: So wurden derartige Auflösungen durch das Arbeitsmarktservice vielmehr als vorübergehende Karenzierungen ohne Verlust des Arbeitsplatzes anstatt als tatsächliche Beendigungen mit faktischer Arbeitslosigkeit gewertet, was folglich zur Abweisung entsprechender Anträge auf Arbeitslosengeld führte.

Davon abgesehen lässt sich in derartigen Maßnahmen weder ein Vorteil für AN noch – bei genauer Betrachtung – für den AG erblicken. Unklar formulierte Wiedereinstellungszeitpunkte sorgen wiederholt für Unmut bei betroffenen AN und erschweren oftmals die Durchsetzung der daraus resultierenden Ansprüche. Der bürokratische Aufwand einer Endabrechnung, die Abmeldung von der Gesundheitskasse, die Ausstellung eines Dienstzeugnisses und einer Arbeits- und Entgeltbestätigung und gegebenenfalls die Aufsetzung einer entsprechenden Wiedereinstellungsvereinbarung sind vor dem Hintergrund eines ohnedies schwer bewältigbaren Ausnahmezustands mit einem zusätzlichen zeitlichen und finanziellen Aufwand verbunden.

Es überrascht daher nicht, dass sich in der bisherigen Beratungspraxis von Arbeiterkammern und Gewerkschaften zu Covid-19 klar der Tenor „Kurzarbeit statt Beendigung“ durchsetzen konnte.