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Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für Krisenpflegeeltern

KRISZTINAJUHASZ

Krisenpflegeeltern gehörten bereits vor Inkrafttreten der Neuregelung mit BGBl I 2019/24BGBl I 2019/24 zu den nach § 2 Abs 1 KBGG grundsätzlich anspruchsberechtigten Personen und begründen mit dem Kind ab dem ersten Tag der Übernahme einen gemeinsamen Haushalt iSd § 2 Abs 6 KBGG.

SACHVERHALT

Der Magistrat der Stadt Wien übergab das am 13.10.2017 geborene Kind am 17.10.2017 der Kl und ihrem Ehegatten in Krisenpflege. Am 6.1.2018 kam das Kind zu Langzeitpflegeeltern. Vom 18.10.2017352 bis 16.1.2018 waren die Kl und das Kind am selben Hauptwohnsitz gemeldet. Zum Zeitpunkt der Übergabe wusste die Kl nicht, wie lange die Krisenpflege dauern wird. Die Krisenpflegeeltern waren bereit, das Kind so lange zur Pflege im gemeinsamen Haushalt zu übernehmen, wie dies tatsächlich benötigt wurde. Von Oktober 2017 bis Jänner 2018 bezog der Ehegatte der Kl Familienbeihilfe für das Kind.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die Kl beantragte das Kinderbetreuungsgeld in der Kontovariante für 365 Tage ab Geburt des Kindes. Die Bekl lehnte den Antrag mit Bescheid ab.

In der gegen diesen Bescheid gerichteten Klage begehrte die Kl die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes vom 13.10.2017 bis 6.1.2018. Die Bekl brachte vor, dass eine dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft fehle, da diese mindestens 91 Tage durchgehend dauern müsse.

Das Erstgericht verpflichtete die Bekl zur Leistung des Kinderbetreuungsgeldes in Höhe von € 2.778,16 für den Zeitraum vom 17.10.2017 bis 6.1.2017, mit der Begründung, dass die in § 2 Abs 6 KBGG geforderte dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft bereits ab dem ersten Tag der Unterbringung des Krisenpflegekindes vorliege.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl nicht Folge und erklärte, dass Krisenpflegeeltern zum Kreis der in § 2 KBGG genannten anspruchsberechtigten Pflegeeltern gehören. Sie hätten aufgrund der Besonderheiten einer Übernahme in Krisenpflege Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld, auch wenn sie das Kind weniger als 91 Tage im gemeinsamen Haushalt betreuen.

Der OGH hielt die Revision der Bekl für zulässig, aber für nicht berechtigt.

Der OGH kam zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld im vorliegenden Sachverhalt erfüllt sind, weil die Kl als zum Kreis der anspruchsberechtigten Personen gehörende Krisenpflegeperson das Kind am 17.10.2017 auf unbestimmte Zeit in ihrem Haushalt aufnahm und sie im Betreuungszeitraum vom 17.10.2017 bis 6.1.2018 an derselben Wohnadresse hauptwohnsitzlich gemeldet waren.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„1. […] Ein gemeinsamer Haushalt liegt nur dann vor, wenn der Elternteil und das Kind in einer dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft an derselben Wohnadresse leben und beide an dieser Adresse auch hauptwohnsitzlich gemeldet sind. Der gemeinsame Haushalt gilt bei mehr als 91-tägiger tatsächlicher oder voraussichtlicher Dauer einer Abwesenheit des Elternteils oder des Kindes jedenfalls als aufgelöst (§ 2 Abs 6 Satz 1 und 3 KBGG idF BGBl I 2016/53BGBl I 2016/53).

2. Die Novelle BGBl I 2019/24BGBl I 2019/24brachte folgende Änderungen:

2.1 Nach § 2 Abs 1 Z 2 KBGG idF BGBl I 2019/24BGBl I 2019/24hat auch eine Krisenpflegeperson Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für ein Krisenpflegekind.

[…]

2.2 Die Definition des gemeinsamen Haushalts in § 2 Abs 6 Satz 1 wurde dahin präzisiert, dass eine dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft mindestens 91 Tage durchgehend dauern muss. § 2 Abs 6 KBGG wurde zudem um folgenden fünften Satz ergänzt: ‚Eine Krisenpflegeperson hat unabhängig davon, dass nie eine dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft mit dem Krisenpflegekind vorliegt, Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für dieses Krisenpflegekind, sofern sie es mindestens 91 Tage durchgehend in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft betreut.

2.3 Nach § 2 wurde § 2a eingefügt, der lautet:

‚§ 2a. (1) […] Krisenpflegepersonen sind keine Pflegeeltern im Sinne dieses Gesetzes, die auf Pflegeeltern anzuwendenden Bestimmungen sind jedoch auf Krisenpflegepersonen sinngemäß anzuwenden, es sei denn, dieses Gesetz sieht abweichende Bestimmungen für Krisenpflegepersonen vor.(2) […] Krisenpflegekinder sind keine Pflegekinder im Sinn dieses Gesetzes, die auf Pflegekinder anzuwendenden Bestimmungen sind jedoch auf Krisenpflegekinder sinngemäß anzuwenden, es sei denn, dieses Gesetz sieht abweichende Bestimmungen für Krisenpflegekinder vor.‘

2.4 Diese Neuregelungen sind nach der Übergangsbestimmung in § 50 Abs 23 KBGG idF BGBl I 2019/24BGBl I 2019/24rückwirkend mit 1.7.2018 in Kraft getreten. Sie sind im vorliegenden Fall […] noch nicht anzuwenden (RIS-Justiz RS0008715). Die Zugehörigkeit zum Kreis der Anspruchsberechtigten sowie die Anspruchsvoraussetzungen einer dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft sind (unstrittig) noch nach dem KBGG idF BGBl I 2016/53BGBl I 2016/53 zu beurteilen.

3.1 § 184 Satz 1 ABGB idF KindRÄG 2013, BGBl I 2013/15BGBl I 2013/15(zuvor wortgleich § 186 idF BGBl I 2000/135), definiert Pflegeeltern als Personen, welche die Pflege und Erziehung des Kindes ganz oder teilweise besorgen und zu denen eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahe kommende Beziehung besteht oder hergestellt werden soll. […]

3.2 Nach einhelliger Meinung ist die Pflegeelterneigenschaft kraft Gesetzes gegeben, wenn die beiden gesetzlichen Tatbestandsmerkmale faktisch vorliegen […].

3.3 Die Gesetzesmaterialien (584/A 26. GP 3) qualifizierten anlässlich der Neuregelung der Krisenpflege im KBGG Krisenpflegeeltern aufgrund der ‚ständigen Rechtsprechung des OGH (8 Ob 54/11s; 1 Ob 129/15z)‘ nicht als Pflegeeltern im Sinn des § 184 ABGB, weshalb Krisenpflegeeltern seit diesen, 353auch im Bereich des Kinderbetreuungsgeldes […] keinen Anspruch gehabt hätten.

3.4 Beide – als ständige Rechtsprechung bezeichnete – Entscheidungen beurteilten jedoch ausschließlich die Rechtsmittellegitimation von (unstrittig) Dauerpflegeeltern in Obsorgeverfahren […]. Die Abgrenzung Pflegeeltern von Krisenpflegeeltern war nicht entscheidungsrelevant.

[…]

3.6 Krisenpflegeeltern gehörten bereits vor Inkrafttreten der Neuregelung mit BGBl I 2019/24BGBl I 2019/24 zu den nach § 2 Abs 1 KBGG grundsätzlich anspruchsberechtigten Personen.

[…]

4.2 Der Begriff ‚dauerhaft‘ in § 2 Abs 6 KBGG aF ist ein unbestimmter Gesetzesbegriff, dessen Inhalt im Wege der Auslegung ermittelt werden muss. Die Rechtsprechung versteht unter gemeinsamem Haushalt eine auf längere Zeit gerichtete Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft (10 ObS 17/19a; […]).

4.3 Weißenböck (in Holzmann-Windhofer/Weißenböck, Kinderbetreuungsgeldgesetz [2017] § 2 KBGG Anm 2.2.1) nimmt über einen Umkehrschluss aus § 2 Abs 6 Satz 3 KBGG einen gemeinsamen Haushalt nur bei einer Dauer von mindestens 91 Tagen an.

4.4 Diese Lehrmeinung hat der Oberste Gerichtshof erst jüngst zu 10 ObS 17/19a und […] zu 10 ObS 51/19a […] abgelehnt (RS0132594). […]

4.5 § 2 Abs 6 KBGG in der hier noch nicht anzuwendenden Fassung BGBl I 2019/24BGBl I 2019/24definiert in seinem ersten Satz eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft des Elternteils mit dem Kind nur dann als dauerhaft, wenn sie mindestens 91 Tage durchgehend anhält. Nach § 2 Abs 6 letzter Satz KBGG idF BGBl I 2019/24BGBl I 2019/24hat eine Krisenpflegeperson Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für das Krisenpflegekind, sofern sie es mindestens 91 Tage durchgehend in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft betreut.

[…]

4.7 Krisenpflegeeltern werden somit nach der neuen Rechtslage anderen Elternteilen in Bezug auf die Dauer einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft, die notwendig ist, um die gesetzliche Voraussetzung des gemeinsamen Haushalts zu erfüllen, gleichgestellt.

[…]

4.9 Im Fall von Krisenpflegeeltern, die sich […] bereit erklären, ein Kind für einen unbestimmten Zeitraum, solange es nötig ist, in ihrem Haushalt zu betreuen, begründen mit dem ersten Tag der Übernahme einen gemeinsamen Haushalt iSd § 2 Abs 6 KBGG. […]“

ERLÄUTERUNG

Krisenpflegeelternschaft sieht die Pflege und Betreuung im familiären Umfeld unter Eingliederung in den eigenen Lebenszusammenhang der Krisenpflegeeltern geradezu vor. Krisenpflegeeltern übernehmen für einen Zeitraum die Elternschaft für ein Kind, bieten den Kindern sofortigen Schutz vor Gewalt und sind stabile, konstante Betreuungspersonen rund um die Uhr. Die Aufgaben von Krisenpflegepersonen betreffend Pflege und Betreuung unterscheiden sich nicht von den Aufgaben von Dauerpflegepersonen. Die zusätzlichen organisatorischen Vorgaben, Schulungen usw zeigen darüber hinaus und ergänzen diese.

Der OGH hat in dieser E klargestellt, dass Krisenpflegepersonen zum anspruchsberechtigten Personenkreis gehören. Die Dauer des Verbleibs des Kindes bei Krisenpflegeeltern schwankt und dauert unter Umständen neun bis elf Monate oder in manchen Fällen sogar länger. Wird im Rahmen einer Gefährdungssituation das Kind bei einer Krisenpflegeperson untergebracht, so begründet dies nicht nur ab dem ersten Tag der Unterbringung einen gemeinsamen Haushalt, sondern verpflichtet die Krisenpflegeperson auch zur Erbringung all jener Betreuungsleistungen (Pflege und Erziehung), die bei einem funktionierenden Familienverband bzw einer intakten Eltern-Kind-Beziehung zu erbringen wären. Die Intension der Krisenpflegeeltern, eine emotionale, dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern vergleichbare Bindung aufzubauen, sowie, dass schließlich eine solche auch oft entsteht, ist nachvollziehbar.

Die Meinung von Weißenböck (in Holzmann-Windhofer/Weißenböck, Kinderbetreuungsgeldgesetz [2017] § 2 KBGG Anm 2.2.1), wonach ein gemeinsamer Haushalt bei einer unter 91 Tagen liegenden Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft nicht begründet und eine Dauerhaftigkeit deshalb nicht angenommen werden könnte, wurde vom OGH abgelehnt. Diese Interpretation war schon deshalb verfehlt, weil sie die Tatsache verkannte, dass sie zu einem – vom Gesetzgeber nicht gewollten – ex ante-Ausschluss von Krisenpflegeeltern führen würde.

Dass eine Unterbringung bei Krisenpflegeeltern von vornherein nicht auf Dauer angelegt bzw nicht endgültig ist, liegt in der Besonderheit dieser aus der Gefährdungslage resultierenden Situation, bedeutet aber keinen in sich immanenten Verlust des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld.

Wie sich die Neuregelung (Novelle BGBl I 2019/24BGBl I 2019/24) einer Mindestdauer von 91 Tagen mit der nach wie vor aufrechten Mindestbezugsdauer von 61 Tagen (§ 3 Abs 5 KBGG) vereinen lässt, erklären die Gesetzesmaterialien nicht. Ungelöst bleibt auch das Problem, inwieweit ein – nicht mit dem anderen im gemeinsamen Haushalt lebender – Elternteil (einkommensabhängiges) Kinderbetreuungsgeld nur für die Mindestbezugsdauer von 61 Tagen in Anspruch nehmen soll.354