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Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für obdachlose Menschen

HELGAHESS-KNAPPBIANCASCHRITTWIESER

Eine Hauptwohnsitzbestätigung iSd § 19a MeldeG ist für Zwecke des § 2 Abs 6 KBGG einer hauptwohnsitzlichen Meldung gleichzuhalten. Dies gilt aber nur, wenn der Anspruchswerber tatsächlich obdachlos ist, eine „Scheinmeldung“ reicht nicht aus.

SACHVERHALT

Anlässlich der Geburt ihres ersten Kindes beantragte die Kl Kinderbetreuungsgeld (KBG). Als die Kl am 17.12.2012 nach der Geburt ihres zweiten Kindes einen weiteren Antrag auf KBG einbrachte, stellte sich im Rahmen einer Prüfung heraus, dass sie und ihr (erstes) Kind während des KBG-Bezuges gemeinsam als obdachlos im Zentralmelderegister gemeldet waren. Grund für die Meldung der Obdachlosigkeit war, dass es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit ihrer Mutter in deren Wohnung gekommen war und weil die Kl einen Antrag auf Zuteilung einer Gemeindewohnung gestellt hatte. Die Kl lebte im Zeitraum des Bezuges des KBG immer gemeinsam mit ihrem Kind und nächtigte zeitweise bei ihrer Mutter oder bei einer Freundin. Seit 22.1.2013 wohnt die Kl hauptwohnsitzlich in einer Gemeindewohnung.35

Die Gebietskrankenkasse widerrief die Zuerkennung des KBG für den Zeitraum vom 17.2.2012 bis 31.12.2012 und forderte die geleisteten Beträge zurück. Die Rückforderung wurde damit begründet, dass für die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen auf KBG ein gemeinsamer Haushalt mit dem Kind iS einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft und einer gemeinsamen „hauptwohnsitzlichen Meldung“ vorliegen müsse und die Kl über eine derartige Unterkunft (aufgrund der Obdachlosigkeit) nicht verfüge. Gegen diesen Bescheid wurde beim Arbeits- und Sozialgericht Klage erhoben.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die Vorinstanzen sprachen der Kl das KBG für den fraglichen Zeitraum zu. Sie begründeten dies insb damit, dass obdachlose Menschen grundsätzlich nicht vom Bezug von KBG ausgenommen sind. Hat der Gesetzgeber doch eine Möglichkeit für obdachlose Menschen geschaffen, eine Hauptwohnsitzbestätigung nach Meldegesetz zur erlangen. Der OGH hat die ordentliche Revision als zulässig erachtet, weil keine Rsp zur Frage Obdachlosigkeit und KBG vorliege, und hat das zweitinstanzliche Urteil zwecks weiterer Klärung des Sachverhalts aufgehoben.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„[…] Daraus ist abzuleiten, dass auch wechselnde Unterkunftnahmen eines Elternteils mit dem Kind als ‚gemeinsamer Haushalt‘ (§ 2 Abs 1 Z 2 KBGG) zu qualifizieren sind. Versteht man die bisher getroffenen Feststellungen so, dass die Klägerin gemeinsam mit ihrem Kind bei wechselnden Unterkunftgebern gewohnt (und gewirtschaftet) hat, sind die Voraussetzungen eines gemeinsamen Haushalts im Sinne des § 2 Abs 1 Z 2 KBGG jedenfalls erfüllt. […] Eine Hauptwohnsitzbestätigung eines Obdachlosen im Sinne des § 19a MeldeG ist einer hauptwohnsitzlichen Meldung im Sinne des § 2 Abs 6 KBGG gleichzuhalten. […] § 19a Abs 1 MeldeG ermöglicht Menschen ohne Unterkunft […], einen Hauptwohnsitz zu begründen und eine Hauptwohnsitzbestätigung bei der Meldebehörde zu beantragen. […] Die Klägerin würde daher die Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 1 Z 2 iVm Abs 6 KBGG erfüllen, wenn sie im strittigen Zeitraum tatsächlich obdachlos im Sinne des § 1 Abs 9 MeldeG gewesen wäre und für sie (und ihr Kind) eine Hauptwohnsitzbestätigung nach § 19a MeldeG ausgestellt war. Es wäre auch sachlich nicht zu rechtfertigen, dass die Klägerin nur deshalb keinen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld haben sollte, weil sie ihr Kind nicht in einer Wohnung, sondern beispielsweise in einer – von Betreuungseinrichtungen für Obdachlose zur Verfügung gestellten – Notunterkunft betreut hätte. […] Eine bloße ‚Scheinmeldung‘ eines Hauptwohnsitzes nach § 19a MeldeG, ohne dass die […] dafür erforderliche Voraussetzung […] tatsächlich gegeben war, kann nicht dazu führen, dass damit die Anspruchsvoraussetzung nach § 2 Abs 6 KBGG bereits als erfüllt anzusehen wäre. Sollten die Klägerin und ihr Kind im strittigen Zeitraum durchgehend in Unterkünften – wenngleich bei wechselnden Unterkunftgebern […] – gewohnt haben, tragen diese Feststellungen die Annahme der Obdachlosigkeit im Sinne des § 1 Abs 9 MeldeG nicht.“

ERLÄUTERUNG

Ein Anspruch auf KBG besteht nur dann, wenn ein gemeinsamer Haushalt mit dem Kind und eine hauptwohnsitzliche Meldung am Ort des gemeinsamen Haushaltes vorliegen. Ein gemeinsamer Haushalt (§ 2 Abs 1 Z 2 KBGG) liegt nach Ansicht des OGH jedenfalls dann vor, wenn ein Elternteil mit dem Kind gemeinsam wohnt, wobei wechselnde Unterkunftgeber (Mutter, Freundin, Verwandte) – wie im gegenständlichen Fall – grundsätzlich nicht schaden. Dass die Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft nur an einem Ort oder an einer Adresse oder in der eigenen Wohnung bestehen muss, ist keine Voraussetzung für den Anspruch auf KBG.

Im vorliegenden Fall war die Kl allerdings gemeinsam mit ihrem Kind nach § 19a MeldeG obdachlos gemeldet. Der Gesetzgeber hat für obdachlose Menschen, die keinen Hauptwohnsitz im klassischen Sinn nachweisen können, die spezielle Möglichkeit einer Hauptwohnsitzbestätigung nach § 19a MeldeG eröffnet. Dazu hält der OGH eindeutig fest, dass die Hauptwohnsitzbestätigung für Obdachlose einer hauptwohnsitzlichen Meldung (§ 2 Abs 6) gleichzuhalten ist.

Damit hätte die Kl die Voraussetzungen für den Anspruch auf KBG im strittigen Zeitraum auf zwei unterschiedlichen Wegen erfüllen können: Tatsächliches Wohnen in unterschiedlichen Wohnungen plus Nachweis entsprechender (wechselnder) Meldebestätigungen oder aber Berufung auf die vorgelegte Hauptwohnsitzbestätigung für Obdachlose plus tatsächliche Obdachlosigkeit (Übernachten im öffentlichen Raum oder in von Betreuungseinrichtungen für Obdachlose zur Verfügung gestellten Notschlafstellen).

Weil die Vorinstanzen nicht ausreichend geklärt haben, ob eine der beiden Varianten vorlag, hat der OGH das Verfahren zur Ergänzung des Sachverhalts zurückgewiesen.36