148Konkludentes Abgehen von vertraglich vereinbartem Schriftlichkeitsgebot in einer Provisionsvereinbarung durch betriebliche Übung ist möglich (trotz vertraglichen Ausschlusses)
Konkludentes Abgehen von vertraglich vereinbartem Schriftlichkeitsgebot in einer Provisionsvereinbarung durch betriebliche Übung ist möglich (trotz vertraglichen Ausschlusses)
Die Bekl vertreibt Tablets samt Software für die Gästekommunikation an die Hotellerie. Die Kl war bei ihr von 24.10.2016 bis 30.4.2024 beschäftigt, zuletzt als „Director Key Account Sales“ mit einem Monatsgehalt von € 7.428,- brutto (14-mal jährlich), einem Quartalsbonus von € 2.500,- brutto und einer erfolgsabhängigen Provision. Das Arbeitsverhältnis endete durch AG-Kündigung. Danach zahlte die Bekl der Kl keine Provision mehr aus.
Die zwischen den Parteien geschlossene schriftliche Provisionsvereinbarung lautete auszugsweise:
„§ 1 Begriff
Der Mitarbeiter erhält zusätzlich zu seinem Grundgehalt eine erfolgsabhängige Provision. […]
Diese Gesamtprovision teilt sich jeweils zur Hälfte in eine Abschluss- und in eine Bestandskundenpflege-Provision auf. Die Abschlussprovision stellt die monetäre Belohnung des Vertriebsmitarbeiters für seine erfolgreiche Kundenakquise dar. Die Bestandskundenpflege dient der permanenten Sicherstellung der Zufriedenheit des gewonnenen Kunden. Solange sich der Vertriebsmitarbeiter während der vereinbarten ersten Vertragslaufzeit aktiv dieser Bestandskundenpflege widmet, hat er Anspruch auf Zahlung der Bestandskundenpflege-Provision. Verlässt der Mitarbeiter das Unternehmen vor Ablauf dieser Vertragslaufzeit oder kommt er der Bestandskundenpflege nicht in ausreichendem Maße nach (Kontaktaufnahme per Telefon alle sechs Monate), erlischt der auf die Bestandskundenpflege gerichtete Provisionsanspruch.
§ 2 Provisionshöhe […]
Zur Ermittlung der Gesamtprovision wird der Vertragswert mit dem Prozentsatz multipliziert. 50 Prozent der Gesamtprovision wird als Abschlussprovision, 50 Prozent als Bestandskundenpflege-Provision ausgezahlt. […]
§ 3 Auszahlung
Der Auszahlungsanspruch entsteht nach Installation der Tablets, sobald der Kunde seiner ersten Zahlungspflicht nachkommt.
Die Abschlussprovision wird als Einmalzahlung geleistet, sobald der Auszahlungsanspruch entstanden ist. Die Bestandskundenpflege-Provision wird anteilig in monatlichen Raten über die mit dem Kunden vereinbarte Vertragslaufzeit ausgezahlt. Bei Trial-Verträgen (wo der Kunde ein vorzeitiges Sonderkündigungsrecht hat) werden Abschluss- und Bestandskundenpflege-Provision jeweils rückwirkend nach Ablauf der Testphase gezahlt.
Verlässt der Mitarbeiter das Unternehmen vor Entstehen des Auszahlungsanspruchs, wird die Provision nicht ausgezahlt. […]
§ 4 Schlussbestimmungen
Änderung und/oder Ergänzungen der Provisions- und Bonusvereinbarung bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform sowie der Unterschrift beider Parteien. Die wiederholte Gewährung von Leistungen begründet keinen Anspruch auf Gewährung von Dauer. Ausgeschlossen sind damit insbesondere Ansprüche aus betrieblicher Übung.“
Die Kl begehrte, gestützt auf die schriftliche Provisionsvereinbarung, die Zahlung von € 9.053,78 brutto sA „Bestandskundenpflege-Provision“ von 1.5.2024 (erster Tag nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses) bis 31.10.2024 (letzter Monatsletzter vor dem Schluss der Verhandlung) und die Feststellung, dass sie auch nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses den vollen Provisionsanspruch habe. Die Beschränkung des Anspruchs auf Auszahlung der „Bestandskundenpflege-Provision“ auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses sei sittenwidrig. Hilfsweise stützte die Kl das Klagebegehren auf das Vorbringen, die Parteien hätten – kraft Betriebsübung, also kraft regelmäßiger vorbehaltloser Gewährung an die Kl und die anderen AN der Bekl – eine von der schriftlichen Provisionsvereinbarung abweichende konkludente Vereinbarung geschlossen. Nach dieser stehe ihr auch der in der schriftlichen Provisionsvereinbarung als „Bestandskundenpflege-Provision“ bezeichnete Teil der „Gesamtprovision“ allein aufgrund des durch ihre Tätigkeit zustande 355 gekommenen Vertragsabschlusses mit neuen Kunden oder Ausbaus der Vertragsbeziehungen mit bestehenden Kunden zu, also unabhängig von einer „Bestandskundenpflege“.
Die Bekl beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Provisionsvereinbarung sei nicht sittenwidrig. Eine abweichende konkludente Vereinbarung (kraft Betriebsübung) habe es nicht gegeben. Eine solche wäre nach dem Schriftformgebot des § 4 der schriftlichen Provisionsvereinbarung auch unwirksam gewesen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil ab und wies das Klagebegehren ab.
Gegen das Berufungsurteil richtet sich die ao Revision der Kl. Der OGH erachtete die Revision als zulässig und iSd hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags als berechtigt. Er führte aus:
Auf die schriftliche Provisionsvereinbarung kann die Kl ihr Begehren nicht stützen:
Die – nach den Grundsätzen des § 914 ABGB auszulegende – vertragliche Regelung unterscheidet klar zwischen der „Abschlussprovision“ und der „Bestandskundenpflege-Provision“ als gleich hohe Bestandteile der „Gesamtprovision“. Die arbeitsvertragliche Provisionsregelung definiert die „Abschlussprovision“ als jenen Anteil an der „Gesamtprovision“, der dem AN die Tatsache des (aufgrund seiner Tätigkeit) zustande gekommenen Geschäftsabschlusses vergütet. Die „Bestandskundenpflege-Provision“ dagegen honoriert nicht den Geschäftsabschluss, sondern „die permanente Sicherstellung der Zufriedenheit des gewonnenen Kunden“ – zumindest durch telefonische Kontaktaufnahme alle sechs Monate im Rahmen eines aufrechten Arbeitsverhältnisses. Der Anspruch auf „Bestandskundenpflege-Provision“ erlischt daher (auch) mit dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis.
Diese Provisionsvereinbarung widerspricht weder zwingenden Bestimmungen des AngG noch dem IT-KV, der weder eine Provision vorsieht noch Vorgaben für arbeitsvertragliche Provisionsregelungen enthält. Der OGH bestätigt zudem auch die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die schriftliche Provisionsvereinbarung nicht sittenwidrig ist. Dass die weitere „Bestandskundenpflege-Provision“ ab dem Ende des Arbeitsverhältnisses wegfallen soll, ist sachlich gerechtfertigt: Mit der Auszahlung der in der Provisionsvereinbarung geregelten „Abschlusskomponente“ der „Gesamtprovision“ – der „Abschlussprovision“ – hat die Bekl die vereinbarte Vergütung für den Vorteil aus dem abgeschlossenen Geschäft geleistet. Solange die Kl die „Bestandskundenpflege“ leistete, hat die Bekl diese auch zu entlohnen. Mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses bleiben weitere Vorteile aus einer „Bestandskundenpflege“ durch die Kl aus; somit muss die Bekl auch keine weitere Provision mehr auszahlen. Ein Fall, in dem der AG nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses noch den Vorteil aus dem abgeschlossenen Geschäft hat, ohne dafür eine Vergütung leisten zu müssen, liegt daher nicht vor.
Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Kl ihr Begehren nicht erfolgreich auf die schriftliche Provisionsvereinbarung stützen könne, ist somit zutreffend.
Dennoch bedarf das Verfahren einer Ergänzung:
Die Kl rügt in der Revision zutreffend das Fehlen von Feststellungen zu ihrem hilfsweise erstatteten und von der Bekl bestrittenen Vorbringen, dass ihr (und anderen AN der Bekl) die „Bestandskundenpflege-Provision“ als der von der Vertragslaufzeit mit dem Kunden abhängige Teil der „Gesamtprovision“ regelmäßig und vorbehaltlos als von einer tatsächlichen „Bestandskundenpflege“ unabhängige weitere „Abschlussprovision“ ausgezahlt worden sei, wodurch es zu einer konkludenten Änderung der schriftlichen Provisionsvereinbarung gekommen sei.
Feststellungen zu diesem Vorbringen sind für die abschließende rechtliche Beurteilung unentbehrlich: Die regelmäßige vorbehaltlose Gewährung bestimmter Leistungen durch den AG an den AN kann nach der Rsp zu einer konkludenten Änderung des Arbeitsvertrags führen. Zwar regelt § 4 der schriftlichen Provisionsvereinbarung sowohl ein Schriftformgebot für Vertragsänderungen als auch einen Ausschluss von Ansprüchen aus betrieblicher Übung. Von diesem Formvorbehalt können die Parteien aber einverständlich (auch konkludent) abgehen. Wäre die Provisionsvereinbarung tatsächlich wie von der Kl vorgebracht geändert worden, wäre auch der ursprünglich „Bestandskundenpflege-Provision“ genannte Provisionsteil inhaltlich eine „Abschlussprovision“; er wäre nicht an die – ohnehin niederschwellige – weitere Voraussetzung der zumindest einmaligen telefonischen Kontaktaufnahme mit dem Kunden alle sechs Monate gebunden. Die Vereinbarung, dass eine „Abschlussprovision“ mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses (anteilig) entfallen solle, wäre nach den oben dargelegten Grundsätzen sittenwidrig, weil die Kl ohne sachliche Rechtfertigung aufgrund des Vertragsabschlusses mit dem Kunden verdientes Entgelt verlöre.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind daher aufzuheben. Das Erstgericht hat die fehlenden Feststellungen zur behaupteten konkludenten Änderung der Provisionsvereinbarung nachzutragen und auf dieser Grundlage die Berechtigung des Klagebegehrens zu beurteilen. 356