146Einvernehmliche Auflösung auf Initiative des Arbeitgebers: Keine Pflicht des Arbeitnehmers zur Aufklärung über bestehende Entlassungsgründe
Einvernehmliche Auflösung auf Initiative des Arbeitgebers: Keine Pflicht des Arbeitnehmers zur Aufklärung über bestehende Entlassungsgründe
Der Bekl war bei der Kl bzw deren Rechtsvorgängern von 1.9.1980 bis 31.3.2020 als Angestellter beschäftigt. Von 25.6.2012 bis 30.3.2020 war er in ein Unternehmen, an dem die Kl beteiligt war, entsandt und dort als kollektivvertretungsbefugtes Mitglied des Vorstands tätig. Dieses Unternehmen stand in langjähriger Geschäftsbeziehung mit einer Gesellschaft, an der der Bekl (treuhändisch) bis Dezember 2018 beteiligt war. Diese Beteiligung verschwieg der Bekl bewusst, um seine wirtschaftlichen Vorteile durch die Gewinnausschüttungen (an sich und seine Ehegattin) aufgrund der Treuhandstellung zu verheimlichen. Auch in einer von ihm unterfertigten „Fit & Proper-Erklärung“ vom März 2017 führte er diese nicht an.
Mit einer – über Initiative der Kl – zwischen den Parteien am 1.4.2019 abgeschlossenen Vereinbarung wurde das Dienstverhältnis zum 31.3.2020 einvernehmlich aufgelöst. Aufgrund dieser Auflösungsvereinbarung erhielt der Bekl eine „freiwillige Abfertigung“ von € 718.405,30 und eine freiwillige AG-Zahlung zur *-Pensionskasse von € 29.000,-. Hätte die Kl von der Beteiligung des Bekl Kenntnis gehabt, hätte sie die Auflösungsvereinbarung nicht abgeschlossen. Erst im Frühjahr 2021 erfuhr die Kl von einer möglichen Beteiligung des Bekl.
Die Kl begehrte Schadenersatz wegen arglistiger Täuschung in Höhe der freiwilligen Abfertigung und der freiwilligen Einmalzahlung zur Pensionskasse. Der Bekl habe sie bewusst über sein Wohlverhalten als DN und entsandter Vorstand getäuscht, indem er falsche Tatsachen vorgespielt und bewusst falsche Angaben gemacht und für eine ihrer Konzerngesellschaften absichtlich nachteilige Verträge abgeschlossen habe. Bei Kenntnis des wahren Sachverhalts hätte sie den Bekl entlassen und die Auflösungsvereinbarung nicht abgeschlossen.
Der Bekl wendete dagegen ein, dass nicht er auf die Auflösungsvereinbarung hingewirkt habe, sondern diese im Interesse der Kl gelegen sei, die auch die Initiative dazu ergriffen habe. Keinesfalls habe er diese listig herbeigeführt.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Bekl wäre im Rahmen seiner vorvertraglichen Aufklärungs- und Sorgfaltspflichten verpflichtet gewesen, seine Beteiligung offenzulegen. Bei Abschluss der Auflösungsvereinbarung habe er gewusst, dass die Kl, hätte sie von seiner Beteiligung gewusst, keine Vereinbarung über freiwillige Zahlungen abgeschlossen hätte. Die Kl könne daher vom Bekl den Ersatz des Schadens fordern, der ihr durch die vom Bekl arglistig herbeigeführte Auflösungsvereinbarung entstanden sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Bekl Folge und wies das Klagebegehren ab. Zusammengefasst vertrat es die Rechtsauffassung, dass die allfällige Verwirklichung eines Entlassungsgrundes für sich genommen keine List in Bezug auf die Auflösungsvereinbarung begründe. Dass der Bekl auch noch im 352 zeitlichen Zusammenhang mit dem Angebot zur einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses die – damals im Übrigen nicht mehr bestandene – Beteiligung weiterhin verschwiegen habe, könnte ihm nur dann als List angerechnet werden, wenn er verpflichtet gewesen wäre, die Kl vor dem Abschluss der von ihr angebotenen Auflösungsvereinbarung über das mögliche Vorliegen eines Entlassungsgrundes zu informieren, um ihr eine Entlassung anstelle des Abschlusses einer Auflösungsvereinbarung zu ermöglichen. Eine solche Verpflichtung könne aus der Treuepflicht des AN aber nicht abgeleitet werden. Mangels einer Verpflichtung des Bekl, das Vorliegen des möglichen Entlassungsgrundes anlässlich des an ihn gerichteten Auflösungsangebots der Kl zu offenbaren, liege in der bloßen Verschweigung dieses Umstands keine List.
Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision zur Frage zulässig, inwieweit ein AN, dem der AG ein Angebot zur einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses unterbreite, verpflichtet sei, ein von ihm in der Vergangenheit gesetztes, möglicherweise eine Entlassung rechtfertigendes Verhalten zu offenbaren, sodass im Verschweigen dieses Verhaltens durch den AN eine arglistige Veranlassung der für den AG gegenüber einem Entlassungsausspruch nachteiligen Auflösungsvereinbarung liegen könne.
Der OGH beurteilt die Revision als zulässig, aber nicht berechtigt.
Schweigen kann List iSd § 870 ABGB beinhalten, wenn der Schweigende eine ihm obliegende Aufklärungspflicht unterlässt. Dabei kommt es maßgeblich auf die Umstände des Einzelfalls an.
Nach der Rsp trifft den AN eine Treuepflicht, die ihn dazu verhält, auf betriebliche Interessen des AG entsprechend Rücksicht zu nehmen. Er hat insb alles zu unterlassen, was den unternehmerischen Tätigkeitsbereich, dessen Organisationswert und dessen Chancen beeinträchtigt und die Interessen des AG zu gefährden geeignet ist. Der konkrete Umfang der Treuepflicht ist ebenfalls von den Umständen des Einzelfalls abhängig.
Der Senat hält die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, der Bekl sei im Rahmen seiner arbeitsrechtlichen Treuepflicht nicht verpflichtet gewesen, die Kl vor Abschluss der Auflösungsvereinbarung auf seine (treuhändische) Beteiligung und damit im Ergebnis auf das Vorhandensein eines (allfälligen) Entlassungsgrundes hinzuweisen, für zutreffend.
In der OGH-E vom 21.2.1984, 4 Ob 15/84, die in der Lehre – soweit ersichtlich – unwidersprochen blieb, hat der OGH ausgesprochen, dass keine Rechtspflicht des AN besteht, noch vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses dem AG alle diesem bis dahin unbekannt gebliebenen Entlassungsgründe mitzuteilen, weshalb auch das Unterlassen einer Meldung der (angeblichen) Konkurrenztätigkeit durch den AN nicht als rechtswidrig angesehen werden kann. Nach OGH 9 ObA 76/01v vom 7.6.2001 kann ein (wenn auch grober) Verstoß gegen eine Treuepflicht für sich allein die seinerzeit getroffene Auflösungsvereinbarung nicht beseitigen.
Nach Berger (in Runggaldier, Abfertigungsrecht [1991] 268) ist ein AN nicht verpflichtet, dem AG einen diesem unbekannt gebliebenen Entlassungsgrund mitzuteilen. Anders sei lediglich der Fall zu behandeln, dass der AN – anders als im vorliegenden Fall, in dem die Initiative zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses von der Kl ausging – tatsächliche Vertuschungshandlungen mit dem Vorsatz setzte, dem AG den Entlassungsgrund zu verheimlichen. Kietaibl (Irrtum und Aufklärung im Arbeitsverhältnis, DRdA 2023, 439 [446]) geht von Arglist nur aus, wenn entweder der AN die Gespräche über die einvernehmliche Auflösung initiiert oder auf zulässige Fragen des AG im Rahmen des Gesprächs unrichtige Antworten gibt. Beides ist hier nicht der Fall.
Auch ein DN, an den aufgrund seiner höheren Position bzw in einer besonderen Vertrauensstellung in der Regel ein strengerer Maßstab an die Treuepflicht anzulegen sein mag, handelt nicht rechtswidrig, wenn er dem DG vor Abschluss der vom DG angestrebten Auflösungsvereinbarung nicht jene Umstände darlegt, die seine Entlassung berechtigen würden. Die Aufklärungspflicht des Bekl ist alleine aufgrund seiner gehobenen Stellung nicht höher anzusetzen als die eines anderen DN. Eine Pflicht des DN zu einer umfassenden Interessenwahrung, wie sie der Terminus „allgemeine Treuepflicht“ suggerieren könnte, besteht nicht.
Dass der Bekl aufgrund konzerninterner sowie bankrechtlicher und aktienrechtlicher Vorschriften seine Beteiligung (auch in der von ihm abgegebenen „Fit & Proper-Erklärung“) während des aufrechten Dienstverhältnisses offenlegen hätte müssen, mag durchaus sein, begründet aber (nach dem Schutzzweck dieser Normen) ebenfalls keine Pflicht des Bekl, die Kl vor Abschluss der von ihr initiierten Auflösungsvereinbarung von einem von ihm – schon länger zurückliegenden – (allenfalls) gesetzten Entlassungsgrund in Kenntnis zu setzen und sich damit einer (nach den Behauptungen der Kl) strafbaren Handlung zu bezichtigen. Die begehrte Feststellung, dass der Bekl seine Beteiligung bei jeder einzelnen Vertragsverlängerung mit der Gesellschaft melden und die schriftliche Zustimmung des Gremiums einholen hätte müssen, ist daher rechtlich nicht relevant.
Da die Revision der Kl damit insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufweist, ist sie zurückzuweisen. 353