Resch (Hrsg)Handbuch Arbeitskräftemangel
Manz Verlag, Wien 2024, XXII, 168 Seiten, broschiert, € 42,-
Resch (Hrsg)Handbuch Arbeitskräftemangel
„Interessant ist“, so leitet Reinhard Resch, Professor für Medizin-, Arbeits- und Sozialrecht an der JKU Linz, in das von ihm herausgegebene Handbuch Arbeitskräfteüberlassung ein, „warum es einen Mangel an Arbeitskräften gibt, obwohl es gleichzeitig eine vergleichsweise hohe Zahl an Arbeitslosen gibt“ (Rz 1.4). Das lässt – und dies bestätigt sich in der Folge – vermuten, dass darin keineswegs nur Rechtsfragen erörtert werden; das belegt schon der Titel seiner Einleitung, nämlich „Aspekte der Entwicklung des Arbeitsmarktes“ (Kap. 1). Damit geleitet er gekonnt zum historischen Rückblick von Felix Butschek auf die Wirtschaftsentwicklung, die Arbeitslosigkeit und die Arbeitsmarktpolitik in Österreich für die Zeit von 1945 bis 1975. Betrachtet werden das „Wirtschaftswunder“ und die sozialpartnerschaftlich-kooperative Lohnpolitik ebenso wie die Gastarbeiterbeschäftigung, das Verschwinden der Arbeitslosigkeit im „längsten Aufschwung der Nachkriegszeit“ sowie die „Erdölkrise“ und die Wiederkehr der Arbeitslosigkeit (Kap. 2).
Michael Schöfecker präsentiert und erläutert Statistiken zum „demographischen Wandel“ und hält dabei fest, dass die Zahl der erwerbsfähigen Menschen in den nächsten 30 Jahren infolge des Übertritts geburtenstarker Jahrgänge in den Ruhestand (Rz 3.37) sinken wird, während sich der Eintritt nachrückender Generationen ins Erwerbsleben aufgrund verlängerter Bildungswege verzögert (Rz 3.40, 3.45). Nicht zuletzt wünschen sich Menschen vermehrt „sinnstiftende Jobs, kürzere Arbeitszeiten und ein ausgeglichenes Arbeits- und Privatleben“ (Rz 3.46). Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, gezielt junge Erwachsene, die sich weder in Beschäftigung noch in Ausbildung befinden, anzusprechen, die Aufstockung der Arbeitsstunden Teilzeitarbeitender durch Schaffung von Kinderbetreuungsmöglichkeiten und durch Arbeitszeitflexibilisierung zu fördern, Menschen durch Bedachtnahme auf die Bedürfnisse gesundheitlich Beeinträchtigter oder Älterer länger am Arbeitsmarkt zu halten, eine proaktive Migrationspolitik zu betreiben, Lebensphasen zu unterstützen, Arbeitslose wiedereinzugliedern und Geringqualifizierte höher zu qualifizieren (Rz 3.48-3.54). Mit dem zuletzt Gesagten ist die von Isabella Mader diskutierte Rolle von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz in der Produktivität von Wissensarbeit (Kap. 4) berührt. Künstliche Intelligenz vermag „menschliche intellektuelle Leistung von repetitiver, massenhafter Tätigkeit zu entlasten“ (Rz 4.25) und für Zwischenmenschliches freizuspielen. Dadurch könnte vielleicht der arbeitskräftemangelbedingten Stressbelastung entgegengetreten werden. Manfred Lindorfer und Helmut Stadlbauer sind den arbeitsmedizinischen Auswirkungen der dadurch bedingten Mehrbelastung von Beschäftigten nachgegangen (Kap. 5); sie stellen das Konzept der „Salutogenese“ vor (Rz 5.18-5.23), weisen darauf hin, dass sich die Betroffenen selbst dazu entscheiden, verstärkt im Homeoffice zu arbeiten, mehr Gehalt 396 einzufordern, Arbeitszeiten zu reduzieren, das Unternehmen zu verlassen oder das Berufsfeld zu wechseln (Rz 5.24-5.26), im Rahmen eines betrieblichen Gesundheitsmanagements und mittels betrieblicher Angebote zur Unterstützung von älteren Beschäftigten aber weit mehr möglich sei, um „Arbeitsschwere“ zu senken; dies vertrage sich durchaus mit gezielt gesteuerten Herausforderungen (Rz 5.61-5.63). Katja Winkler (Kap. 6) ergänzt unter theologischem Gesichtspunkt, dass die zuweilen erwartete Verknüpfung von Lohnarbeit mit Selbstverwirklichung „tendenziell eher abgelehnt wird“ (Rz 6.18); dahinter verberge sich häufig eine Mehrarbeitserwartung (Rz 6.20).
Das 7. Kapitel von Margit Kreuzhuber ist mit „Arbeitskräfteknappheit – nicht nur aus juristischer Perspektive“ überschrieben. Juristisch geht es darin etwa um die Rot-Weiß-Rot- oder die Blaue-Karte, mithin um Arbeitsmigration. Das „nicht nur“ bezieht sich am ehesten auf Überlegungen zur „Bewerbung des Arbeitsstandorts Österreich“ sowie auf Empfehlungen für internationale Rekrutierungen (Rz 7.28-7.42), weshalb dieses Kapitel zuerst übersprungen und vor dem 11. Kapitel von Michael Sadl und Karl Waser über Rekrutierung von Fachkräften aus dem Ausland gelesen werden sollte – oder das 11. und abschließende Kapitel wird vorgezogen, was womöglich besser wäre, weil dort abgabenrechtliche Fragen (zur Lohnsteuer, zu den Sozialversicherungsbeiträgen und zur Betriebsstättenthematik) bei „Foreign Local Hire“, dh bei Telearbeit aus dem Ausland, beleuchtet werden und daran die anderen schwerpunktmäßig juristischen Beiträge anschließen können: Zuerst fragt Andreas Mair nach sozialrechtlichen Regelungen, die Anreize, und nach solchen, die Fehlanreize mit Bezug auf das Engagement am Arbeitsmarkt setzen (oder setzen könnten); zu den beschäftigungsfördernden Regelungen zählt er das Wiedereingliederungsgeld, das Weiterbildungsgeld und das Umschulungsgeld, hindernd seien indes das Altersteilzeitgeld und beitragsrechtliche Regelungen zum Pensionsbezug bei Erwerbstätigkeit. Sodann behandelt Reinhard Resch selbst – unter besonderer Berücksichtigung von „Workation“ – arbeits- und sozialrechtliche Fragen mobilen Arbeitens (Kap. 9). Das verbleibende 10. Kapitel ist von Martina Gaisch verfasst. Sie stellt das DIVE-Modell (Diversity & Inclusion Value Enabler) vor und legt dar, dass und wie „Diversity und Future Skills“ dem Fachkräftemangel in den MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) entgegenwirken.
Das Buch „Arbeitskräftemangel“ ist im Lichte der darin versammelten Beiträge verschiedener Fachrichtungen fraglos ein „Handbuch“ – ein Handbuch richtet sich vornehmlich an die Praxis. Das ist auch hier der Fall: Die Autor:innen konstatieren nicht nur Probleme, sie erwägen auch Problemlösungen oder – in den Worten des Herausgebers – „mögliche Ansätze für eine Lösung der bestehenden Probleme“ (V).