164Tödlicher Arbeitsunfall – Regressanspruch gegen Dienstgeber wegen grob fahrlässiger Verstöße gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften
Tödlicher Arbeitsunfall – Regressanspruch gegen Dienstgeber wegen grob fahrlässiger Verstöße gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften
Der Versicherte erlitt im Jahr 2020 während der Arbeit zwei Krampfanfälle. Ein Anfall ereignete sich beim Lenken des Firmenfahrzeugs, wodurch der Versicherte das Gaspedal durchdrückte und gegen ein Gebäude fuhr. Der AG wies den Versicherten an, sich medizinisch untersuchen zu lassen. Da die Ehegattin des Versicherten dem AG mitteilte, dass die Untersuchungen keine Diagnose ergeben hätten und der AG kurz danach einen weiteren Anfall des Versicherten beobachtete, bei dem dieser plötzlich zu Boden fiel, als er auf einer Baustelle neben einer Wand arbeitete, untersagte er dem Versicherten aus Sicherheitsgründen das Lenken des Firmenfahrzeugs. Da sich der Versicherte nicht daran hielt, beendete der AG das Arbeitsverhältnis noch im Jahr 2020. Am 1.4.2022 ersuchte der Versicherte den AG, ihn neuerlich zu beschäftigen. Befragt nach seinem Gesundheitszustand erklärte der Versicherte, dass es ihm gut gehe, weshalb er wiederum als Facharbeiter eingestellt wurde. Aufgrund von Aussagen von Arbeitskollegen und Freunden des Versicherten, die darüber spekulierten, ob er allenfalls Epileptiker sei, und aufgrund der beiden Anfälle aus dem Jahr 2020, untersagte er ihm das Lenken des Firmenfahrzeugs. Sonstige Anweisungen für Einschränkungen bei der Ausübung seiner Arbeitstätigkeit oder für besondere Sicherheitsvorkehrungen erteilte er hingegen nicht. Am 2.4.2022 ereignete sich auf der Baustelle eines Einfamilienhauses der verfahrensgegenständliche Arbeitsunfall, bei dem sich der Versicherte tödliche Verletzungen zuzog. Der Unfall ereignete sich dadurch, dass der Versicherte aufgrund eines plötzlichen Krampfanfalles ohne jede Abwehrbewegung von einer Trapezleiter zu Boden fiel.
Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, dass das Klagebegehren, dem klagenden Sozialversicherungsträger stehe im Insolvenzverfahren eine unbedingte Insolvenzforderung von € 10.088,70 sowie eine bedingte Forderung (künftige Pflichtaufwendungen) von € 359.208,81 zu, dem Grunde nach zu Recht besteht. Der AG habe den Arbeitsunfall infolge mehrfacher Verstöße gegen AN-Schutzvorschriften grob fahrlässig verschuldet.
Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des bekl Masseverwalters nicht Folge und ließ die Revision nicht zu. Es warf dem AG als gravierenden Verstoß gegen AN-Schutzvorschriften vor, dass er seiner Verpflichtung als AG, für die Sicherheit und Gesundheit der AN bestehende Gefahren zu ermitteln und zu beurteilen (§§ 4, 7 ASchG) nicht nachgekommen sei. Hätte er vor Beginn der dem Versicherten aufgetragenen konkreten Tätigkeit, die zu dessen Unfalltod geführt habe, eine Ermittlung und Beurteilung der Gefahren vorgenommen und dabei nach § 4 Abs 2 ASchG berücksichtigt, dass der Versicherte aufgrund seiner gesundheitlichen Verfassung bei bestimmten Arbeiten einer besonderen Gefahr ausgesetzt wäre oder andere AN gefährden könnte, hätte er ihn gem § 6 Abs 3 ASchG nicht mit Arbeiten dieser Art beschäftigen dürfen. Es sei auf der Hand gelegen, dass der Versicherte aufgrund seines Anfallsleidens bei Verrichtung von Tätigkeiten auf einer Stehleiter in einem ganz besonderen Maße gefährdet gewesen sei.
Die ao Revision des Bekl wurde mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückgewiesen.
Der OGH führte begründend aus, dass die Frage, ob jemand einen Arbeitsunfall durch grobe Fahrlässigkeit verursacht hat, nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen ist und – von Fällen einer vom OGH iSd Rechtssicherheit wahrzunehmenden Fehlbeurteilung abgesehen – keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung darstellt (RS0085228). Die angefochtene Entscheidung, die das Fehlverhalten des AG als grob fahrlässig beurteilte, bewege sich im Rahmen des den Gerichten eingeräumten Beurteilungsspielraums. Die vom Revisionswerber behauptete Informationspflichtverletzung des Versicherten 374 stelle unter Berücksichtigung der konkreten Kenntnisse des AG über dessen Gesundheitszustand auch kein so gravierendes Mitverschulden des Verletzten dar, das etwas am hervorgekommenen groben Verschulden des AG ändern würde. Wie vom Berufungsgericht zutreffend ausgeführt, hat der AG nicht bloß unzureichende, sondern überhaupt keine Maßnahmen getroffen, um eine allfällige Gefährdung für den Versicherten bei Erbringung seiner Arbeiten hintanzuhalten.