163Waisenpension: Verlängerung der Kindeseigenschaft aufgrund Erwerbsunfähigkeit
Waisenpension: Verlängerung der Kindeseigenschaft aufgrund Erwerbsunfähigkeit
Der Kl hat einen Maturaabschluss und hat durch Tätigkeiten als EDV-Techniker und Programmierer bei einem besonders sozialen AG, der auf die persönliche Situation der Mitarbeiter Rücksicht nimmt, insgesamt 124 Versicherungsmonate erworben. Der Kl leidet an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung sowie am Asperger-Syndrom, weshalb er Schwierigkeiten mit Sozialkontakten hat, in der verbalen Kommunikation beeinträchtigt ist und seine Hygiene vernachlässigt. Zugleich hatte er aufgrund seiner Erkrankung bereits vor seinem 18. Geburtstag Schwierigkeiten, pünktlich aufzustehen und sich um seine Angelegenheiten zu kümmern. Ohne den Einsatz seiner Eltern, die ihn auch noch nach seinem 18. Geburtstag regelmäßig weckten, wäre es ihm nicht möglich gewesen, pünktlich bei der Arbeit zu erscheinen; er wäre jedenfalls öfter als zweimal pro Monat zu spät gekommen. Letztlich wurde er von seinem AG wegen wiederholter Unpünktlichkeit gekündigt. Seit Juli 2019 hat der Kl einen Erwachsenenvertreter.
Ausgehend davon konnte er zum Eintritt des 18. Lebensjahres grundsätzlich die (näher umschriebenen) Tätigkeiten des Programmierers, Netzwerkadministrators, Netzwerkbetreuers oder EDV-Technikers ausüben. Die angeführten Arbeitsplätze waren auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auch in ausreichender Anzahl vorhanden. Ausgehend von einem Alleinarbeitsplatz im Back-Office-Bereich ist selbst bei einer problematischen Körperhygiene auch kein besonderes Entgegenkommen des AG erforderlich. Allerdings wird, bezogen auf die konkrete Tätigkeit, mehr als einmaliges Zuspätkommen zur Arbeit im Monat am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht toleriert.
Der 1987 geborene Kl beantragte nach dem Tod seines Vaters am 9.10.2013 am 5.8.2019 eine Waisenpension.
Mit Bescheid vom 14.11.2019 lehnte die Bekl den Antrag des Kl auf Waisenpension über das 18. Lebensjahr hinaus ab. Im zweiten Rechtsgang erkannte das Erstgericht dem Kl eine Waisenpension im gesetzlichen Ausmaß über das 18. Lebensjahr hinaus ab dem 5.8.2019 zu. Das Berufungsgericht gab der Berufung Folge und wies die Klage zur Gänze ab, weil die vorliegende Motivationsschwäche als persönlicher Umstand bei Prüfung des Pensionsanspruchs außer Betracht zu bleiben habe, als Vorbereitungshandlung in den privaten Bereich falle und von der Frage der Bewältigbarkeit des Anmarschwegs zu unterscheiden sei. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zu.
Die Revision des Kl ist laut OGH zulässig und iSd Aufhebungsantrags auch berechtigt. Der OGH führte aus, dass für die Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit nach § 252 Abs 2 Z 3 ASVG, also der Frage, ob das Kind einem Erwerb nachgehen kann, ausschließlich medizinische Gesichtspunkte ausschlaggebend sind.
Als entscheidendes Kriterium bleibt somit die Frage, ob dem Kind Erwerbstätigkeiten medizinisch auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den dazu üblichen Bedingungen bzw als Selbstständiger möglich sowie zumutbar gewesen wären. Die Überlegungen des Berufungsgerichts zur Abgrenzung organisatorischer (Vorbereitungs-)Maßnahmen zum privaten bzw häuslichen Bereich basieren auf der zum Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit ergangenen Rsp des OGH. Diese Judikatur lässt sich laut OGH jedoch nicht auf die Frage der Verlängerung der Kindeseigenschaft iSd § 252 Abs 2 Z 3 ASVG wegen Erwerbsunfähigkeit übertragen. Das hier zu beurteilende Risiko ist der Verlust des Versorgungsanspruch des Kindes, das (noch) nicht selbst für seinen Lebensunterhalt aufkommen kann, durch den Tod des unterhaltspflichtigen Angehörigen. Ausgehend von dieser abweichenden Zweckrichtung der Versicherungsleistung der Waisenpension spricht grundsätzlich nichts dagegen, bei der Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit des Kindes durch körperliche oder geistige Beeinträchtigungen verursachte Probleme mit ins Kalkül zu ziehen, den Weg zur Arbeit überhaupt 373 erst anzutreten und damit die Arbeitsstätte rechtzeitig zu erreichen.
Jedoch kann die Frage, ob der Kl aus medizinischen Gründen durchgehend daran gehindert war, von sich aus zumutbare organisatorische Vorkehrungen zu treffen, die sein (in aller Regel) rechtzeitiges Erscheinen am Arbeitsplatz gewährleisten, im vorliegenden Fall aufgrund des Urteilssachverhalts nicht abschließend beantwortet werden. Der Sachverhalt wird im fortzusetzenden Verfahren demnach noch zu verbreitern seien. Darüber hinaus ist auch noch die entscheidungswesentliche Frage zu klären, ob der Kl bereits vor seinem 18. Geburtstag und nachfolgend nicht in der Lage war bzw ist, einer selbstständigen Tätigkeit (etwa Heimarbeit) in einem solchen Ausmaß nachzugehen, dass er damit einen nennenswerten Verdienst erzielt. Im Übrigen wird auch noch zu prüfen seien, ob der Kl einen der nach den Feststellungen grundsätzlich in Frage kommenden Beruf allenfalls dann ausüben kann, wenn er den Beginn seiner täglichen Arbeitszeit innerhalb eines festgelegten Gleitzeitrahmens selbst bestimmen kann und ob entsprechende Arbeitsplätze mit Gleitzeitvereinbarung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bereits vor seinem 18. Geburtstag in ausreichender Anzahl vorhanden waren bzw nach wie vor sind.