161Keine volle Kostenerstattung bei Ausweichen auf einen Wahlarzt wegen drei- bis vier-monatiger Wartezeit für Kassen-Orthopädie-Termin
Keine volle Kostenerstattung bei Ausweichen auf einen Wahlarzt wegen drei- bis vier-monatiger Wartezeit für Kassen-Orthopädie-Termin
Der Kl fragte im Mai 2023 wegen Kreuzbeschwerden bei mehreren Orthopäden, die Vertragspartner des bekl Sozialversicherungsträgers (in der Folge: Bekl) sind, um einen Termin an. Da ihm erst in drei bis vier Monaten ein Termin angeboten wurde, ließ er sich im Sommer 2023 (erfolglos) bei einem Orthopäden im Ausland behandeln.
Anschließend bezahlte der Kl für eine am 23.11.2023 durch einen (österreichischen) Wahlarzt für Orthopädie vorgenommene Behandlung € 75,32, wofür ihm die Bekl € 38,02 rückerstattete. Die Erstattung von weiteren Kosten lehnte die Bekl mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid ab. 371
Dagegen erhob der Kl Klage und begehrt die Erstattung des Differenzbetrags mit der Begründung, dass es ihm aus Gründen, die ausschließlich in der Sphäre der Bekl lägen, nicht möglich gewesen sei, die erforderliche Krankenbehandlung innerhalb einer vertretbaren Frist in einer Vertragseinrichtung der Bekl zu erlangen. Der Kl brachte weiters vor, dass die Bekl für die entsprechenden Behandlungen, selbst wenn er zeitgerecht eine Vertragseinrichtung der Bekl konsultieren hätte können, zumindest € 75,32 aufwenden hätte müssen und es nicht der Realität entspreche, dass er bei einem Vertragsarzt nur € 38,02 bezahlen hätte müssen. Des Weiteren erhob der Kl den Vorwurf, dass § 131 Abs 1 und 6 ASVG verfassungswidrig seien.
Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Ein Termin von drei bis vier Monaten sei noch zu akzeptieren, der dem Kl ersetzte Betrag ergebe sich nachvollziehbar aus der Honorarordnung. Ein medizinischer Notfall iSd § 131 Abs 3 ASVG sei nicht vorgelegen. Zudem wies das Berufungsgericht darauf hin, dass sich das Vorbringen des Kl, dass er keinen Vertragsarzt in Anspruch nehmen hätte können, auf die Behandlung des von ihm im Juni (im Ausland) beigezogenen Orthopäden und nicht auf die verfahrensgegenständliche Behandlung am 23.11.2023 beziehe.
Der OGH wies die ao Revision des Kl mit dem gegenständlichen Beschluss mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zurück.
Der OGH begründete seine Entscheidung damit, dass nach § 131 Abs 6 ASVG eine Kostenerstattung bis zu 100 % des Kassentarifs in der Satzung des Krankenversicherungsträgers vorgesehen werden kann, wenn eine flächendeckende Versorgung der Versicherten durch Verträge nicht in ausreichendem Maß gesichert ist. Dies ist nach dem OGH gem § 131 Abs 6 Satz 2 ASVG im Regelfall dann anzunehmen, wenn keine Gesamtverträge nach dem sechsten Teil des ASVG bestehen (OGH 26.2.2021, 10 ObS 142/20k, Rz 55).
Der OGH führte weiters aus, dass es dem Kl deutlich vor Inanspruchnahme eines Wahlarztes im November 2023 (nämlich spätestens im September 2023) möglich gewesen wäre, einen Vertragsarzt zu besuchen und daher die Beurteilung der Vorinstanzen betreffend des Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 131 Abs 6 ASVG jedenfalls keiner Korrektur bedarf. Der OGH hielt zudem mit Verweis auf die E des OGH vom 18.3.2025, 10 ObS 101/24m, fest, dass die ao Revision der Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Bestimmung des § 131 Abs 3 ASVG mangels eines akuten Notfalls nicht zur Anwendung kommt, nicht entgegengetreten sei.
Zum Vorwurf der Verfassungswidrigkeit verwies der der OGH darauf, dass der VfGH bereits zu G 24/98 vom 18.3.2000 die 80 %-Regel in § 131 Abs 1 ASVG und auch die Norm des § 131 Abs 6 ASVG als verfassungskonform qualifiziert habe und auch gegen die Pauschalierung der Berücksichtigung der Mehrkosten keinen Einwand hatte.
Bereits das Berufungsgericht hat iS gesicherter Judikatur darauf verwiesen, dass dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum verfassungsrechtlich insoweit zusteht, als er in seinen rechtspolitischen und wirtschaftspolitischen Zielsetzungen frei ist. Gerade im Sozialversicherungsrecht ist nach dem OGH eine durchschnittliche Betrachtungsweise (in casu damit auch Pauschalierungen und fixe Tarifmodelle) erforderlich, die auf den Regelfall abstellt und damit Härten in Einzelfällen nicht ausschließen kann. Warum diese Grundsätze nicht auch für das System der Erstattung von Kosten der Krankenbehandlung gelten sollen, vermag das Rechtsmittel nicht aufzuzeigen.