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Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz verpflichtet nicht zur Anwendung kollektivvertraglicher Kündigungsfristen

ALBERT WERFRING

Der Kl war seit dem Jahr 2016 für das in Deutschland ansässige Unternehmen der Bekl als Außendienstmitarbeiter für den Vertrieb von Fahrrädern in Österreich tätig. Er betreute dieses Gebiet von seinem Wohnort in Österreich aus und reiste nur alle paar Monate für Besprechungen zum Unternehmensstandort nach Deutschland.

Wäre die Bekl in Österreich ansässig, wäre der KollV für Handelsangestellte anwendbar. Die Bekl hatte jedoch keine Niederlassung in Österreich. Im Arbeitsvertrag wurde unter Bezug auf deutsche Rechtsvorschriften eine Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsletzten vereinbart. Es war im Verfahren nicht mehr strittig, dass eine schlüssige Rechtswahl zu Gunsten des deutschen Rechts erfolgte. Am 18.10.2023 kündigte die Bekl das Dienstverhältnis zum 31.1.2024.

Der Kl begehrte € 19.881,13 brutto sA mit dem Argument, dass der KollV für Handelsangestellte eine Eingriffsnorm iSd Art 9 Rom I-VO sei. Nach diesem wäre das Dienstverhältnis nur zum Ende des Quartals kündbar gewesen, sodass dem Kl eine Kündigungsentschädigung gebühre. Ferner habe er nach § 3 Abs 2 LSD-BG Anspruch auf das kollektivvertragliche Entgelt, das am Arbeitsort gebühre, sodass die Bekl auch die kollektivvertraglichen Gehaltserhöhungen für die Jahre 2023 und 2024 schulde.

Die Bekl wendete ein, dass sie nicht in Österreich ansässig sei und daher der KollV für Handelsangestellte nicht zur Anwendung käme. Der Kl sei über dem kollektivvertraglichen Mindestentgelt entlohnt worden, sodass er aus § 3 Abs 2 LSD-BG keinen Anspruch auf kollektivvertragliche Gehaltserhöhungen ableiten könne.

Das Erstgericht sprach dem Kl € 17.891,26 brutto sA zu und wies das darüber hinausgehende Klagebegehren ab. Da der schriftliche Dienstvertrag auf deutsche Rechtsvorschriften Bezug nehme, sei von einer konkludenten Rechtswahl zu Gunsten des deutschen Rechts auszugehen. Nach dem Günstigkeitsprinzip des Art 8 Abs 1 Rom I-VO gelange aber österreichisches Recht einschließlich des KollV für Handelsangestellte zur Anwendung, wonach ein Arbeitsvertrag nach dem fünften Dienstjahr nur unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten zum Quartalsende gekündigt werden könne. Ein Anspruch auf überkollektivvertragliche Entgelte könne aus § 3 Abs 2 LSD-BG nicht abgeleitet werden, sodass dieses Mehrbegehren nicht zugesprochen wurde.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung ab und wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Da die Bekl nicht in Österreich ansässig sei, unterliege das Arbeitsverhältnis nicht dem KollV für Handelsangestellte. Somit sei die Kündigung nicht fristwidrig erfolgt, da iSv § 20 Abs 3 AngG zulässig der Monatsletzte vereinbart worden sei.

Der OGH wies die Revision des Kl als zulässig, aber unbegründet zurück und schloss sich inhaltlich dem Berufungsgericht an:

Gem Art 8 Abs 1 Rom I-VO unterliegen Individualarbeitsverträge dem von den Parteien gewählten Recht. Die hier zu Gunsten deutschen Rechts getroffene Rechtswahl darf nach Art 8 Abs 1 Rom I-VO jedoch nicht dazu führen, dass dem AN der Schutz entzogen wird, der ihm durch Bestimmungen des Rechts, welches mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre, gewährt wird. Nach Art 8 Abs 2 Rom I-VO unterliegt der Arbeitsvertrag dem Recht des Staates, in dem der AN in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Da der Kl als Außendienstmitarbeiter in Österreich arbeitete, wäre mangels Rechtswahl österreichisches Recht anzuwenden.

Nach § 20 Abs 2 und 3 AngG kann der AG das Arbeitsverhältnis nach dem vollendeten fünften Dienstjahr nur zum Ablauf des Kalendervierteljahres kündigen, doch kann mittels Vereinbarung der Monatsletzte als Kündigungstermin festgelegt werden. Der OGH stellte fest, dass im vorliegenden Fall eine solche Vereinbarung getroffen und eine dreimonatige Kündigungsfrist eingehalten wurde. Der Kl wiederum berief sich auf den KollV für Handelsangestellte, wonach eine Kündigung nur unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten zum Ende eines Kalenderviertels möglich ist, wenn das Arbeitsverhältnis länger als fünf Jahre gedauert hat.

Auch kollektivvertragliche Regelungen sind nach dem Höchstgericht in den Günstigkeitsvergleich nach Art 8 Abs 1 Rom I-VO einzubeziehen. Dies ergibt sich aus dem Normzweck der Regelung, die verhindern will, dass dem AN durch die Rechtswahl der Schutz zwingender Bestimmungen des nationalen Rechts entzogen wird. Eine Berücksichtigung von Kollektivverträgen im Rahmen des Günstigkeitsvergleichs nach Art 8 Abs 1 Rom I-VO setzt aber voraus, dass das Arbeitsverhältnis ohne Rechtswahl dem jeweiligen KollV unterliegen würde. Unter keinen Umständen kann die Anwendung der kollisionsrechtlichen Vorschrift in Art 8 Abs 1 Rom I-VO dazu führen, dass der AN Ansprüche erwirbt, die ihm nach nationalem Recht gar nicht zustehen.

Für das österreichische Recht gilt, dass nach § 8 ArbVG nur jene AG kollektivvertragsangehörig sind, die zur Zeit des Abschlusses des KollV Mitglieder 363 der am KollV beteiligten Parteien waren oder später werden. Eine Außenseiterwirkung ist in § 12 ArbVG nur für AN vorgesehen, nicht aber für AG. AG ohne Niederlassung in Österreich unterliegen deshalb nur den gesetzlichen Vorschriften, nicht jedoch den kollektivvertraglichen Regelungen. Da der Kl sich selbst ohne Rechtswahl nicht auf den KollV für Handelsangestellte berufen könnte, sind die dort enthaltenen Regelungen über die Beendigung auch im Rahmen des Günstigkeitsvergleichs nicht zu berücksichtigen.

Nach § 3 Abs 2 LSD-BG hat ein AN mit gewöhnlichem Arbeitsort in Österreich, dessen AG seinen Sitz nicht in Österreich hat und nicht Mitglied einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft in Österreich ist, zwingend Anspruch auf jenes gesetzliche, durch Verordnung festgelegte oder kollektivvertragliche Entgelt, das am Arbeitsort vergleichbaren AN von vergleichbaren AG gebührt. Die Bestimmung betrifft dem Wortlaut nach nur Entgeltansprüche, nicht aber sonstige kollektivvertragliche Regelungen. Eine analoge Anwendung auf kollektivvertragliche Kündigungsfristen kommt nicht in Betracht, weil § 2 Abs 3 LSD-BG die Anwendung kollektivvertraglicher Vorschriften über die Beendigung des Arbeitsvertrages ausdrücklich ausschließt. Der Kl bekämpfte ferner die Rechtsansicht der Vorinstanzen nicht mehr, wonach er aus § 3 Abs 2 LSD-BG keinen Anspruch auf überkollektivvertragliches Entgelt ableiten könne.

Laut dem OGH bestehen gegen eine Beschränkung der kollektivvertraglichen Kündigungsvorschriften auf Arbeitsverhältnisse zu inländischen AG auch keine unionsrechtlichen Bedenken: Eine Beeinträchtigung der AN-Freizügigkeit nach Art 45 AEUV durch erleichterte Kündigung könnte nur in einer Behinderung des Zuzugs oder Wegzugs liegen. Der EuGH verneint eine solche Beeinträchtigung aber, wenn sie auf Umständen beruht, die zu ungewiss und zu indirekt sind (EuGH 13.3.2019, C-437/17, Gemeinsamer Betriebsrat EurothermenResort Bad Schallerbach GmbH, Rn 40). Dies gilt insb für Vorschriften, die erst bei der Beendigung relevant werden. Unter Verweis auf OGH vom 25.6.2025, 9 ObA 94/24z, wonach der Umstand, dass der Kündigungsschutz nach §§ 105 Abs 3-7, 107 ArbVG einen in Österreich gelegenen Betrieb voraussetzt, keinen Verstoß gegen Art 45 AEUV begründet, verneint der OGH auch in diesem Fall einen Verstoß gegen die AN-Freizügigkeit.