153Günstigkeitsvergleich bei Berechnung der Abfertigung
Günstigkeitsvergleich bei Berechnung der Abfertigung
Der Kl war von 1.8.2002 bis 30.6.2023 als Kanalwärter beim Wasserverband (einer Körperschaft öffentlichen Rechts) beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis ist kein KollV anzuwenden. Im Dienstvertrag wurde ausdrücklich die Anwendung des Salzburger GemeindevertragsbedienstetenG (Sbg Gem-VBG) in der jeweils geltenden Fassung vereinbart. Nach dem Dienstvertrag erfolgte die Entlohnung auf Basis des Entlohnungsschemas II für Arbeiter des jeweiligen gültigen Gemeindevertragsbediensteten-Schemas, wobei ua festgehalten wurde, „dass alle Regelungen betreffend Urlaub, Sonderzahlungen, Abfertigungen, etc ebenfalls in diesem Schema geregelt [sind]“. Der Kl erhielt neben dem Grundbezug verschiedene Zulagen. Weiters bezog der Kl zweimal jährlich Sonderzahlungen, die sich aus Grundbezug sowie drei der regelmäßig bezogenen Zulagen zusammensetzten.
Das Dienstverhältnis zum Kl wurde mit dessen Pensionsantritt beendet. Die Bekl berechnete die Abfertigung mit dem Neunfachen des monatlichen Grundbezugs samt einiger Zulagen, aber ohne Sonderzahlungen. Eine nach §§ 23, 23a AngG (iVm § 2 Abs 1 ArbAbfG) errechnete Abfertigung des Kl hätte unstrittig um € 9.584,31 brutto mehr betragen, welche er klagsweise geltend machte.
Das Erstgericht gab der Klage statt. Im Hinblick auf § 2 Abs 1 ArbAbfG iVm § 42 Abs 3 AngG und dem vertraglichen Beginn des Dienstverhältnisses vor dem 1.1.2003 sei unabhängig davon, ob der Kl Arbeiter- oder Angestelltentätigkeit verrichtet habe, die Anwendung der Abfertigungsregelungen nach §§ 23, 23a AngG zu prüfen. Das Sbg Gem-VBG 2001 sei mittels vertraglicher Vereinbarung im Dienstvertrag Vertragsinhalt geworden. Die Übernahme dieses Gesetzes als Vertragsschablone habe aber zur Konsequenz, dass die zufolge § 40 AngG zwingenden Bestimmungen der §§ 23, 23a AngG weiter gälten, soweit sie für den Kl günstiger wären. Während § 120 Abs 9 iVm § 61 Sbg Gem-VBG 2001 Sonderzahlungen nicht als das als Grundlage der Abfertigung relevante Entgelt definiere, sei dies nach den Bestimmungen des AngG und dem arbeitsrechtlichen weiteren Entgeltbegriff der Fall. Die Berechnung der Abfertigung nach § 23 AngG sei daher für den Kl günstiger.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Bekl Folge und änderte die Entscheidung im klagsabweisenden Sinn. Zwar seien (anders als beim „Monatsentgelt“ nach §§ 23 Abs 1, 23a Abs 1 AngG) nach § 120 Abs 9 iVm § 61 Sbg Gem-VBG 2001 Sonderzahlungen nicht in den für die Abfertigung relevanten Entgeltbegriff einzubeziehen. Mangels diesbezüglicher kollektivvertraglicher Regelungen hätte aber der Kl „im Lichte des ‚allgemeinen‘ Arbeitsrechtes“ bzw des AngG (das in seinem § 16 selbst ebenfalls keinen Anspruch auf Sonderzahlungen einräume, sondern einen solchen auf einzelvertraglicher oder kollektivrechtlicher Basis voraussetze) keinen Anspruch auf Sonderzahlungen, welche daher 361 bei Berechnung der Abfertigung auch nicht in Anschlag zu bringen wären. Demgegenüber ergebe sich ein Anspruch des Kl auf Sonderzahlungen erst aus § 61 Abs 3 des einzeldienstvertraglich vereinbarten Sbg Gem-VBG 2001, sodass dessen Anwendung schon aus diesem Grund günstiger sei. Die Argumentation des Kl ziele offenbar darauf ab, „die für ihn jeweils günstigeren Bestimmungen aus beiden ‚Systemen‘ in den Günstigkeitsvergleich einzubeziehen, was jedoch unzulässig ist (‚Rosinentheorie‘)“.
Der OGH erachtete die Revision als zulässig und berechtigt.
Nach § 2 Abs 1 ArbAbfG gebührt dem AN, wenn das Arbeitsverhältnis aufgelöst wird, eine Abfertigung, auf welche die §§ 23 und 23a AngG anzuwenden sind. Die Abfertigung beträgt nach diesen Bestimmungen ein Vielfaches des dem DN für den letzten Monat des Arbeitsverhältnisses gebührenden Entgelts. Der Entgeltbegriff des AngG umfasst auch die übrigen zusätzlichen Zahlungen, insb auch die Sonderzahlungen.
Auch nach dem Dienstvertrag im Zusammenhalt mit § 120 Abs 9 Sbg Gem-VBG 2001 beträgt die Abfertigung nach einer Dauer des Dienstverhältnisses von mehr als 20, aber weniger als 25 Jahren das Neunfache des dem Vertragsbediensteten für den letzten Monat des Dienstverhältnisses gebührenden Monatsentgelts und der Kinderzulage. Nach § 61 Abs 1 Sbg Gem-VBG 2001 bestehen jedoch die Monatsbezüge, auf die der Vertragsbedienstete Anspruch hat, aus Monatsentgelt und den in den §§ 66 bis 74 leg cit geregelten Zulagen. Soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt wird, sind diese Zulagen mit Ausnahme der Verwendungsabgeltung und der Kinderzulage bei der Bemessung von Ansprüchen nach dem Monatsentgelt diesem zuzuzählen. Nach § 61 Abs 3 Sbg Gem-VBG 2001 gebührt dem Vertragsbediensteten für jedes Kalendervierteljahr weiters eine Sonderzahlung iHv 50 % des Monatsbezugs, der ihr oder ihm für den Monat der Auszahlung zusteht. Diese Sonderzahlungen sind somit nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmungen nicht zur Bemessung der Abfertigung als Teil des Monatsentgelts heranzuziehen.
Von einseitig zwingenden gesetzlichen Normen abweichende Regelungen können nur getroffen werden, wenn sie für den AN günstiger sind. Unter sinngemäßer Anwendung der Kriterien des § 3 Abs 2 ArbVG ist daher im Verhältnis einer einseitig zwingenden gesetzlichen Regelung zu einer abweichenden Bestimmung in einem KollV, einer BV oder einem Arbeitsvertrag ein Günstigkeitsvergleich anzustellen. Dabei hat weder ein Gesamtvergleich noch ein punktueller Vergleich der Bestimmungen zu erfolgen, sondern ein Gruppenvergleich aller rechtlich und sachlich zusammenhängenden Normen zu jenem Zeitpunkt, an dem einander die in den Gruppenvergleich einzubeziehenden Bestimmungen erstmals gegenüberstanden. Einzelne günstigere Tatbestandsmerkmale sind somit nicht isoliert zu betrachten; es ist ein objektiver Maßstab anzulegen.
Der vom Berufungsgericht angestellte Vergleich auf Basis des „allgemeinen Arbeitsrechts“ ist schon deshalb kein zulässiger Vergleich, weil das konkrete Entgelt im Einzelvertrag geregelt ist, während das Gesetz kein solches Entgelt als Vergleichswert bereitstellt. Der vorliegende Fall ist daher auch nicht mit OGH vom 23.1.2002, 9 ObA 285/01d, vergleichbar, wo sich in den Vergleich einzubeziehende Entgeltbestimmungen eines KollV und einer abweichenden Einzel-(Betriebs-)vereinbarung gegenüberstanden und abzuwägen waren. Hier kann aber nicht nur kein Gruppenvergleich wie in jener Entscheidung angestellt werden, sondern es gehen auch die vom Bekl angestellten Überlegungen, welche Bestimmungen des Sbg Gem-VBG 2001 besonders vorteilhaft wären bzw welche zusätzlichen Entgelte nach dem Sbg Gem-VBG 2001 die gegenüber dem einseitig zwingenden Gesetz nachteilige Berechnung ausgleichen könnten, mangels jedweder bezifferbarer Vergleichswerte ins Leere.
Wie der OGH aber bereits wiederholt ausgesprochen hat, ist eine konkrete arbeitsvertragliche Regelung der Berechnung der Abfertigung im Wege der in einen Arbeitsvertrag einbezogenen Vertragsschablone insb ohne Einbeziehung der Sonderzahlungen ungünstiger als die gesetzliche Regelung nach § 23 AngG, nach der eine Einbeziehung weiterer Entgeltteile in die Bemessungsgrundlage für die Abfertigung erfolgt. Der wesentliche Unterschied zwischen den zwingenden arbeitsrechtlichen Bestimmungen und denen des als Vertragsschablone vereinbarten Sbg Gem-VBG 2001 besteht darin, dass nur Letzteres Sonderzahlungen nicht als für die Berechnung der Abfertigung relevantes Entgelt definiert. Dass der Kl keinen arbeitsvertraglichen Anspruch auf Sonderzahlungen hätte, ist dagegen nicht nachvollziehbar, wurden solche doch gerade durch die vertraglich vereinbarte Anwendung des Sbg Gem-VBG 2001 Vertragsinhalt.
Zusammengefasst sind daher die einseitig zwingenden Abfertigungsregelung der §§ 23 und 23a AngG, nach welchen der Berechnung auch Sonderzahlungen zugrunde zu legen sind, günstiger, sodass diese Bestimmungen des allgemeinen Arbeitsrechts weiter gelten. Der Klage war somit stattzugeben. 362