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Kündigung wegen Dienstunfähigkeit: Zwischen behinderungsbedingten und „schlichten“ Krankenständen ist zu differenzieren

RICHARD HALWAX
§ 42 Abs 2 Z 2 Wr VBO 1995

Die Kl stand seit 1.6.1993 in einem Dienstverhältnis zur Bekl, auf das die Wiener Vertragsbedienstetenordnung 1995 (Wr VBO 1995) anzuwenden ist. Sie wurde für den Verwendungsbereich diplomierte medizinische-technische Fachkraft angestellt. Seit 15.5.2019 war sie Ersatzmitglied des Dienststellenausschusses der Hauptgruppe *.

Aufgrund einer Autoimmunerkrankung zählt die Kl seit dem Jahre 2000 zum Kreis der begünstigten Behinderten mit einem Behinderungsgrad von derzeit 80 %.

Mit Schreiben vom 20.7.2020 kündigte die Bekl das Dienstverhältnis der Kl gem § 42 Abs 2 Z 1, 2, und 5 Wr VBO 1995 zum 31.12.2020.

Im Zeitraum von 2015 bis 2020 wies die Kl folgende Abwesenheiten vom Dienst aufgrund von Krankenständen auf: 2015: 113 Tage (und 22 Tage Kuraufenthalt); 2016: 130 Tage; 2017: 52 Tage; 2018: 297 Tage; 2019: 277 Tage; 2020: 78 Tage.

Die bei der Kl vorliegende Erkrankung bedingt Krankenstände von drei Wochen pro Jahr. Zum Kündigungszeitpunkt 2020 sind Krankenstände von zumindest weiteren sechs Wochen pro Jahr zu erwarten. Gesamt sind daher Krankenstände von mindestens neun Wochen im Jahr prognostizierbar.

Die Kl begehrt die Feststellung des aufrechten Bestandes des Dienstverhältnisses, eventualiter ficht sie die Kündigung an. Die Bekl bestritt.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Gegen das Berufungsurteil richtet sich die Revision der Kl.

Die Revision ist laut OGH zur Wahrnehmung der Rechtsicherheit zulässig und iSd Eventualantrags auf Urteilsaufhebung auch berechtigt. Dem Erstgericht wurde die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Nach § 42 Abs 2 Z 2 Wr VBO 1995 ist die Bekl zur Kündigung eines Bediensteten berechtigt, wenn dieser für die Erfüllung seiner Dienstpflichten gesundheitlich ungeeignet ist. Nach stRsp ist dieser Kündigungsgrund auch dann verwirklicht, wenn der DN zwar grundsätzlich für seine Arbeit körperlich geeignet ist, aber Krankenstände auftreten, die den Bediensteten laufend in einem weit über dem Durchschnitt liegenden Maß an der Dienstleistung hindern.

Bei der Annahme überdurchschnittlicher Krankenstände orientiert sich die Rsp an Krankenständen, die jährlich sieben Wochen und darüber ausmachen. Beim Erfordernis des „längeren Zeitraums“ wird von der Rsp darauf abgestellt, dass sich die über dem Durchschnitt liegenden Krankenstände über mehrere Jahre erstreckten. Dennoch kommt es nicht allein auf die Dauer und Häufigkeit der in der Vergangenheit aufgetretenen Krankenstände an. Entscheidend ist vielmehr, ob daraus abgeleitet werden kann, dass der DN für die Erfüllung der Dienstpflichten gesundheitlich in Zukunft nicht geeignet ist.

Treten Krankenstände auf, die den AN laufend in einem weit über dem Durchschnitt liegenden Maß an der Dienstleistung hindern, und ist indiziert, dass dies auch in der Zukunft der Fall sein wird, so ist er somit zur Erfüllung seiner Dienstpflichten iSd § 42 Abs 2 Z 2 Wr VBO 1995 ungeeignet. Die Feststellungen würden damit grundsätzlich die Kündigung der Kl rechtfertigen.

Der EuGH hat aber bereits mehrfach ausgesprochen, dass es zu einer mittelbaren Ungleichbehandlung wegen der Behinderung iSv Art 2 Abs 2 Buchst b der RL 2000/78/EG (Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie) führen kann, wenn eine nationale Regelung ohne Unterscheidung an eine bestimmte Krankenstandsdauer eine ungünstige Rechtsfolge – etwa eine verkürzte Kündigungsfrist oder die Möglichkeit zu einer Kündigung – anknüpft, weil im Vergleich zu einem AN ohne Behinderung ein AN mit Behinderung ein zusätzliches Risiko trägt, wegen einer mit seiner Behinderung zusammenhängenden Krankheit abwesend zu sein. Angesichts dieser Judikatur des EuGH hat der OGH bereits im Fall einer auf § 42 Abs 2 Z 2 Wr VBO 1995 gestützten Kündigung festgehalten, dass dann, wenn eine undifferenzierte Berechnung krankheitsbedingter Fehlzeiten eines AN darauf hinausläuft, dass Fehlzeiten wegen mit einer Behinderung im Zusammenhang stehenden Krankheiten Fehlzeiten wegen „schlichter“ Erkrankungen gleichgesetzt werden, eine mittelbare Diskriminierung eines behinderten AN vorliegen kann. 360

Es ist somit zwischen behinderungsbedingten und „schlichten“ Krankenständen zu differenzieren. Stellt ein Gericht lediglich – wie hier – undifferenziert fest, mit welcher Gesamtzahl von Krankenstandstagen zu rechnen ist, lässt es aber offen, ob (und inwieweit) die Krankenstände auf eine Behinderung zurückzuführen sind, so leidet seine Entscheidung an einem Feststellungsmangel.

Liegt auch unter Herausrechnung des behinderungsbedingten Krankenstands ein überdurchschnittlicher Krankenstand vor, so wäre die Kündigung mangels gesundheitlicher Eignung des AN ohne Weiteres gerechtfertigt. Wird hingegen nur unter Mitberücksichtigung jener Krankenstandstage, die (auch) auf die Behinderung zurückgehen, die Gesamtkrankenstandsdauer von jährlich zumindest sieben Wochen erreicht, bei der nach der Rsp mangelnde gesundheitliche Eignung und damit ein Kündigungsrecht des AG anzunehmen ist, so ist noch zu prüfen, ob der AG geeignete Maßnahmen zur Hintanhaltung des behinderungsbedingten Krankenstands iSd Art 5 der RL 2000/78/EG ergriffen hat.

Im vorliegenden Fall geben die Feststellungen noch keine Auskunft darüber, ob die Kl (vom Ausspruch der Kündigung aus gesehen) in der Zukunft aufgrund „schlichter“ Krankenstände laufend in einem weit über dem Durchschnitt liegenden Maß – somit mehr als sieben Wochen pro Jahr – an der Dienstleistung gehindert sein wird. Ergäbe sich, dass es für eine Überschreitung der Grenze von sieben Wochen auf die behinderungsbedingten Krankenstände ankommt, wäre – nach Erörterung mit den Parteien – zu beurteilen, ob (und inwieweit) die Bekl durch geeignete, ihr zumutbare Maßnahmen die behinderungsbedingten Krankenstände hintanhalten könnte.

Dass nach der Gesetzeslage eine Institution der Kündigung zustimmen muss(te), ändert an der Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen gewöhnlichen und behinderungsbedingten Krankenständen nichts, weil der bekl AG nur dann ein Kündigungsrecht zukommt, wenn der AN gesundheitlich ungeeignet ist. Dafür sind aber zunächst nur die gewöhnlichen Krankenstandstage zu berücksichtigen und behinderungsbedingte Krankenstandstage nur dann mitzuberücksichtigen, wenn sie der AG nicht zumutbar verhindern könnte.