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Fiktive ausländische Versicherungszeiten im zwischenstaatlichen Pensionsrecht

PETER C. SCHÖFFMANN (WIEN)
  1. „Fiktive“ kroatische Versicherungsmonate, die durch Aufwertung „tatsächlicher“ Versicherungsmonate zusätzlich zu diesen generiert werden, sind für die Erfüllung der Wartezeit des § 4 Abs 3 APG nicht zu berücksichtigen.

  2. Ausländische Versicherungszeiten werden mit der Wirkung, dem Charakter und dem Umfang in die Berechnung übernommen, wie sie das ausländische Recht generiert. Der zuständige Mitgliedstaat ist aber nicht gehindert, seine Leistungen nur von bestimmten Zeiten abhängig zu machen und für deren Berechnung auch nur diese zu berücksichtigen.

  3. Erwerbstätigen ist durch Art 45 AEUV nicht garantiert, dass die Ausweitung ihrer Tätigkeit auf mehr als einen Mitgliedstaat oder ihre Verlagerung in einen anderen Mitgliedstaat hinsichtlich der sozialen Sicherheit neutral ist.

[1] Gegenstand des Verfahrens ist der vom Kl geltend gemachte Anspruch auf Feststellung von Schwerarbeitszeiten nach § 247 Abs 2 ASVG.

[2] Der 1965 geborene Kl ist kroatischer Staatsbürger. In Kroatien war er [...] zunächst als Polizist tätig. In der Folge war er rund zweieinhalb Jahre Soldat im Kroatienkrieg und im Anschluss unselbständig beschäftigt.

[3] Seit 1.4.2001 ist er in Österreich aufhältig und hat bis zum Feststellungszeitpunkt (1.10.2022) insgesamt 258 Versicherungsmonate nach den österreichischen Rechtsvorschriften erworben.

[4] Der kroatische Versicherungsträger gab die in Kroatien erworbenen Versicherungszeiten mit 237 Monaten bekannt. Darin enthalten sind Versicherungszeiten von 178 Monaten aus der Erwerbstätigkeit und dem Kriegsdienst sowie – entsprechend den kroatischen Bestimmungen – weitere 59 Monate sogenannte „Sonderbonifikationen“, die sich aus der Aufwertung der Zeiten als Polizist mit dem Faktor 1,33 und der Zeiten als Soldat mit dem Faktor 2 ergeben.

[5] Vor Erreichen des Regelpensionsalters kann der Kl nur unter Berücksichtigung der Sonderbonifikationen 540 Versicherungsmonate erwerben.

[6] Mit Bescheid vom 9.11.2022 stellte die Bekl fest, dass der Kl (in Österreich) insgesamt 258 Versicherungsmonate erworben habe. Die Feststellung von Schwerarbeitszeiten lehnte sie ab, weil der Kl die für den Anspruch auf eine Schwerarbeitspension erforderlichen 540 Versicherungsmonate nicht vor dem Anspruch auf die Alterspension erreichen könne.

[7] Mit seiner Klage bekämpft der Kl die Aussprüche nach § 247 Abs 1 und Abs 2 ASVG und strebt die Feststellungen an, dass er bis zum 1.10.2022 insgesamt 502 Versicherungsmonate erworben habe und seine in der Zeit von 29.4.2010 bis 25.6.2012 und von 1.1.2022 bis 30.9.2022 erworbenen Beitragsmonate der Pflichtversicherung Schwerarbeitsmonate seien. Das kroatische Recht sehe vor, dass Versicherungszeiten als Mitglied der Polizei um den Faktor 1,33 und als Soldat im Kriegs einsatz um den Faktor 2 zu erhöhen seien. Dementsprechend habe der dafür zuständige kroatische Versicherungsträger festgestellt, dass er in Kroatien 237 Versicherungsmonate erworben habe. Diese Beurteilung sei für Österreich verbindlich, sodass nach Art 6 VO (EG) 883/2004 nicht nur die – den Kalendermonaten entsprechenden – 178 Monate seiner Erwerbstätigkeit und des Kriegsdienstes, sondern überdies auch die aufgewerteten Zeiten zu berücksichtigen seien. Es sei daher (bis zum Erreichen des Regelpensionsalters der Erwerb von insgesamt 540 Versicherungsmonaten möglich und demgemäß auch) das Vorliegen von Schwerarbeitszeiten zu prüfen. 489

[8] Die Bekl hielt ihren im Bescheid vertretenen Standpunkt aufrecht. Schwerarbeitszeiten seien festzustellen, wenn [...] anzunehmen sei, dass die Voraussetzungen des § 4 Abs 3 APG vor Erreichen des Regelpensionsalters erfüllt werden könnten. Das sei hier aber nicht der Fall, weil die in Kroatien erworbenen Versicherungszeiten gem Art 6 VO (EG) 883/2004 iVm Art 12 DVO (EG) 987/2009 lediglich dann mit den in Österreich erworbenen Versicherungszeiten zusammenzurechnen seien, wenn keine zeitliche Überschneidung vorliege. [...]

[9] Das Erstgericht [wies die Klage ab].

[10] Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. [...]

[11] Das Berufungsgericht ließ die Revision zu [...].

[...]

[14] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.

A. Zur Feststellung nach § 247 Abs 1 ASVG [15] 1. Warum sich der Kl durch die (den Bescheid wiederholende) Feststellung der in Österreich erworbenen 258 Versicherungsmonate beschwert erachtet (Spruchpunkt 1. des Ersturteils), ist nicht nachvollziehbar, zumal diese unstrittig sind. Mangels jeglicher Ausführungen dazu ist darauf nicht weiter einzugehen (vgl RS0043603; RS0043605).

[...]

B. Zur Feststellung nach § 247 Abs 2 ASVG

[18] 1. Mit Blick auf das soeben Gesagte ist zunächst klarzustellen, dass die Frage, ob und in welchem Ausmaß der Versicherte ausländische Versicherungszeiten erworben hat, im vorliegenden Kontext lediglich eine Vorfrage dafür darstellt, ob bis zum Erreichen des Regelpensionsalters die erforderliche Wartezeit erfüllt werden kann. Der Beurteilung dieser (Vor-)Frage kommt daher keine konstitutive Wirkung (dazu Panhölzl in Mosler/Müller/Pfeil, SV-Komm § 247 ASVG Rz 15) zu (vgl RS0042554; RS0039843 [T21]; RS0127052 [T1]; RS0041157 [T13, T15]). Ein Widerspruch mit der Rsp zu § 247 Abs 1 ASVG (oben A.2.) besteht demgemäß nicht.

[...]

[20] 2.1. Um die materiell-rechtliche Gleichstellung von Personen zu erreichen, die – wie der Kl – ihr Recht auf Freizügigkeit wahrgenommen haben, regelt Art 6 VO (EG) 883/2004 die Berücksichtigung (Zusammenrechnung) ua fremdmitgliedstaatlicher Versicherungszeiten, soweit die nach nationalem Recht anzurechnenden Versicherungszeiten für die Erfüllung der jeweiligen innerstaatlichen Anspruchsvoraussetzungen nicht ausreichen (10 ObS 109/14y ErwGr 2.2.3.). Der zuständige Träger hat dabei die fremden Zeiten so zu behandeln, als ob sie nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären. Maßgebend für die Art sowie das Ob und den Umfang der Berücksichtigung mitgliedstaatlicher Zeiten ist das Pensionsrecht jenes Mitgliedstaats, unter dessen Geltung die Zeiten zurückgelegt wurden. Der danach zuständige Träger entscheidet hierüber grundsätzlich verbindlich und einheitlich für alle Mitgliedstaaten, dh mit Tatbestandswirkung (RS0113189 [T1 bis T4]; 10 ObS 158/10y ErwGr 2. ua; vgl RS0113185).

[21] 2.2. Flankiert wird die Regelung des Art 6 VO (EG) 882/2004 durch Vorschriften über Sondersysteme (Art 51 VO [EG] 883/2004) sowie die Überschneidung und Umrechnung von Versicherungszeiten (Art 12 Abs 2 bis Abs 6 und Art 13 DVO [EG] 987/2009), die hier aber nicht zur Anwendung gelangen:

[22] 2.2.1. Nach Art 12 Abs 2 DVO (EG) 987/2009 sind die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats zurückgelegten Versicherungszeiten denjenigen Zeiten hinzuzurechnen, die nach den Rechtsvorschriften anderer Mitgliedstaaten zurückgelegt wurden, sofern sich diese Zeiten nicht überschneiden. Ein Fall der Überschneidung liegt demnach nur vor, wenn Zeiten mehrerer Mitgliedstaaten in dieser Weise aufeinandertreffen (vgl Spiegel in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht Art 12 DVO 987/2009 Rz 10; Schuler in Fuchs/Janda, Europäisches Sozialrecht8 Art 6 VO [EG] 883/2004 Rz 10).

[...]

[24] 2.2.3. [...] Art 51 VO (EG) 883/2004 ist nicht einschlägig. Das Berufungsgericht hat zu Recht ausgeführt, dass Art 51 Abs 1 VO (EG) 883/2004 schon deshalb nicht zur Anwendung kommt, weil der Kl in Österreich keine Pension aus einem Sondersystem beantragt. Selbst wenn man der Ansicht des Kl folgt, wonach die Sonderbonifikation aus einem kroatischen Sondersystem stammt, würde dies mangels eines vergleichbaren Sondersystems in Österreich nach Art 51 Abs 2 VO (EG) 883/2004 wiederum nur zur Berücksichtigung der kroatischen Sonderbonifikationen im (österreichischen) allgemeinen System führen (Kapuy in Spiegel, aaO, Art 51 VO [EG] 883/2004 Rz 3 ff).

[25] 3. Im Rahmen des allein maßgeblichen Art 6 VO (EG) 883/2004 ist zwar richtig, dass die Mitteilung eines Mitgliedstaats über Versicherungszeiten verbindlich ist (vgl EuGH C-372/02, Ad[a]nez-Vega, Rz 36).

[26] 3.1. Nach der Rsp des EuGH bleiben aber die Mitgliedstaaten dafür zuständig, die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der sozialen Sicherheit festzulegen und auch zu verschärfen, sofern diese keine offene oder versteckte Diskriminierung von AN der Union bewirken (EuGH C-440/09, Tomaszewska, Rn 24; EuGH C-306/03, Saldago Alonso, Rn 27; vgl auch EuGH C-866/19, SC, Rn 27). Dem System der Sozialrechtskoordinierung ist demnach immanent, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente unterschiedlich sind (EuGH C-523/13, Larcher, Rn 48 ua). Die Mitgliedstaaten sind daher berechtigt, nicht nur eine Wartezeit für die Eröffnung eines Anspruchs auf eine in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehene Rente vorzuschreiben, sondern auch die Art der Versicherungszeiten festzulegen, die dafür berücksichtigt werden können (EuGH C-306/03, Saldago Alonso, Rn 31). Dh, ausländische Zeiten werden zwar mit der Wirkung, dem Charakter und dem Umfang in die Berechnung übernommen, wie sie das ausländische Recht generiert (vgl Wunder in beck-online.GK [Kasseler Kommentar] Art 6 490 VO 883/2004 Rz 9). Der zuständige Mitgliedstaat ist aber nicht gehindert, seine Leistungen nur von bestimmten Zeiten abhängig zu machen und für deren Berechnung auch nur diese zu berücksichtigen (vgl Leopold in BeckOK Sozialrecht, Art 6 VO 883/2004 Rz 10 [Stand 1.3.2025 beck-online. beck.de]), was insofern auch dem Beschluss H6 der Verwaltungskommission vom 16.12.2010 (A[B] l C 2011/C-45/04 [Anhang Bsp 2] – abgedruckt in Spiegel, aaO Anl 3) entspricht.

[27] 3.2. Wie schon die Vorinstanzen zutreffend betont haben, sind dem österreichischem Recht „fiktive“ zusätzliche Versicherungsmonate, also Zeiten, die sich mit „tatsächlichen“ Versicherungsmonaten zeitlich decken, fremd. Zwar können einander überlappende Versicherungszeiten entstehen. Für die Feststellung der Leistungen aus der PV werden diese durch das Zusammenfassen zu Versicherungsmonaten aber immer nur einfach gezählt (§§ 231, 232 ASVG; vgl RS0102492). Sie sind daher keine Zeiten, die in Österreich für die Erfüllung von Wartezeiten berücksichtigt werden. Obwohl die mitgeteilten kroatischen Sonderbonifikationen grundsätzlich auch in Österreich als Versicherungszeiten anzuerkennen sind, sind sie ihrer Art nach aber keine Versicherungszeiten, die für die Erfüllung der Wartezeit des § 4 Abs 3 APG zusätzlich zu den für denselben Zeitraum bereits (unstrittig) anzurechnenden „tatsächlichen“ Zeiten heranzuziehen sind (so im Ergebnis auch Spiegel, aaO, Art 12 DVO [EG] 987/2009 Rz 11; Kapuy, aaO, Art 51 VO [EG] 883/2004 Rz 12; Schuler, aaO, Art 6 VO [EG] 883/2004 Rz 13 [vgl dagegen Rz 6]).

[28] 4. Zusammenfassend entspricht die Ansicht der Vorinstanzen, die „fiktiven“ kroatischen Versicherungsmonate, die durch Aufwertung „tatsächlicher“ Versicherungsmonate zusätzlich zu diesen generiert werden, seien für die Erfüllung der Wartezeit des § 4 Abs 3 APG nicht zu berücksichtigen, der Rechtslage.

[29] 4.1. Entgegen der Ansicht des Kl steht dem der Grundsatz, dass die Mitteilung des (Trägers des) zuständigen Mitgliedstaats nicht zu prüfen ist (oben B.2.1.), nicht entgegen. Denn dadurch wird nicht die Qualität oder das Ausmaß der kroatischen Versicherungszeiten anders als in der Mitteilung des kroatischen Trägers beurteilt, sondern der Prüfung, ob die Wartezeit des § 4 Abs 3 APG erfüllt ist, nur jene Zeiten zugrunde gelegt, die die nach den innerstaatlichen Vorschriften festgelegten Voraussetzungen erfüllen.

[30] 4.2. Ebenso wenig steht das im Widerspruch mit dem Recht auf Freizügigkeit. Denn das bloß koordinierende Sozialrecht der Europäischen Union schafft kein einheitliches, harmonisiertes „Europäisches Sozialversicherungssystem“. Einem Erwerbstätigen ist durch Art 45 AEUV daher nicht garantiert, dass die Ausweitung seiner Tätigkeit auf mehr als einen Mitgliedstaat oder ihre Verlagerung in einen anderen Mitgliedstaat hinsichtlich der sozialen Sicherheit neutral ist (EuGH C-134/18, Vester, Rn 32; 10 ObS 83/23p Rz 59; 10 ObS 96/19v ErwGr II.2. mwN ua).

[...]

[32] Der Revision ist daher insgesamt nicht Folge zu geben.

[...]

ANMERKUNG
1.
Einleitung

Der Fall betrifft die Zusammenrechnung von Versicherungszeiten nach Art 6 VO (EG) 883/2004 (ABl L 2004/166, 1 idF ABl L 2019/186, 21). Der Kl begehrte die Feststellung der relevanten Versicherungszeiten für die Schwerarbeitspension (§ 4 Abs 3 APG; § 247 Abs 2 ASVG). Er war zuletzt in Österreich und davor in Kroatien versichert. Streitig war, ob auch 59 Versicherungsmonate kroatischer „Sonderbonifikationen“ angerechnet werden müssen. Nur unter dieser Voraussetzung wäre ein vorzeitiger Pensionsantritt des Kl vor dem Regelpensionsalter möglich gewesen. Die „Sonderbonifikationen“ stammen aus der Beschäftigung des Kl als Polizist und Soldat im Kroatienkrieg. Aus diesen Beschäftigungen stammen Versicherungsmonate, die nach dem kroatischen Recht aufgewertet wurden, sodass auf einen Kalendermonat ein Versicherungsmonat sowie bis zu ein zusätzlicher Monat (eben die Sonderbonifikation) entfällt. Der Pensionsversicherungsträger berücksichtigte nur die tatsächlichen Monate, nicht aber die Sonderbonifikationen. Der OGH bestätigt diese Entscheidung, was im Ergebnis auch überzeugt.

2.
Zusammenrechnung nach Art 6 VO 883/2004
2.1.
Grundsätzliches

Ansprüche auf Versicherungsleistungen können Mindestversicherungszeiten voraussetzen. Dies betrifft neben der AlV (Anwartschaften nach § 7 Abs 1 Z 2 iVm § 14 AlVG) allen voran die PV. Weil dem Sozialversicherungsrecht das Territorialitätsprinzip zugrunde liegt, wird zunächst nur auf Versicherungszeiten abgestellt, die nach der jeweiligen Rechtsordnung zurückgelegt wurden. Dies beeinträchtigt aber die Freizügigkeit am Binnenmarkt: Mit einer Verlegung des Beschäftigungsortes kann auch ein Zuständigkeitswechsel im Sozialversicherungsrecht einhergehen, der dann wieder zum Anspruchsverlust in den betroffenen Zweigen führt, weil in der neu anwendbaren Rechtsordnung noch keine Versicherungszeiten vorliegen können. Deshalb forderten schon die Römischen Verträge die Zusammenrechnung (Totalisierung) aller für den Erwerb von Leistungsansprüchen relevanten Zeiten (nunmehr Art 48 Satz 1 lit a AEUV), sodass auch ausländische Versicherungszeiten zu berücksichtigen sind. Die Zusammenrechnung ist damit ein Spezialfall der Sachverhaltsgleichstellung nach Art 5 VO 883/2004 (Leopold in BeckOK Sozialrecht Art 6 VO 883/2004 Rz 4; Schuler in Fuchs/Janda [Hrsg], Europäisches Sozialrecht8 [2022] Art 6 VO 883/2004 Rz 3). Während Art 5 eine Berücksichtigung 491 von Leistungen, Einkünften, Sachverhalten und Ereignissen anordnet (etwa die Berücksichtigung der Kindererziehung für den Pensionsanspruch), bezieht sich Art 6 auf Zeiträume (Fuchs in Knickrehm/Roßbach/Waltermann [Hrsg], Sozialrecht-Komm9 [2025] VO 883/2004 Rz 49).

Nach allgemeinen kollisionsrechtlichen Kategorien handelt es sich dabei um einen Fall der Substitution. Diese fragt danach, ob ein normatives Tatbestandsmerkmal einer inländischen Sachnorm auch durch ein ausländisches Rechtsinstitut erfüllt werden kann. Dies ist zu bejahen, wenn die inländische Norm die Substitution zulässt und zweitens das ausländische Institut funktionsäquivalent ist (Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts [2005] 137 f). Dass die Substitution grundsätzlich zulässig sein muss, ergibt sich schon aus dem Unionsrecht selbst. Art 6 VO 883/2004 stellt insoweit eine Äquivalenz zwischen den verschiedenen Rechtsordnungen her, sodass der Tatbestand (hier § 4 Abs 3 Z 1 APG) auch ausländische Sachverhalte berücksichtigen muss (vgl Wunder in BeckOGK Art 6 VO 883/2004 Rz 1 [Stand 1.3.2020, beck-online.beck.de]). Zentral für unseren Fall ist daher die Frage der Funktionsäquivalenz: Entspricht die kroatische Sonderbonifikation einem österreichischen Versicherungsmonat wie ihn konkret § 4 Abs 3 Z 1 APG voraussetzt?

Art 6 VO 883/2004 sieht ein zweistufiges Verfahren vor: In einem ersten Schritt teilt der ausländische Träger alle Zeiten mit, die für den Leistungsanspruch relevant sind (dazu 2.2.). In diesem Zusammenhang wird hier auch auf die Bindungswirkung dieser Mitteilung eingegangen (dazu 2.3.). Im zweiten Schritt hat der inländische Träger zu entscheiden, welche der mitgeteilten ausländischen Versicherungszeiten er mit den inländischen zusammenrechnet (dazu 2.4.).

2.2.
Erste Stufe: Mitteilung der Versicherungszeiten

Bei einem Antrag auf Alterspension wird ein „Kontakt-Träger“ bestimmt (Art 45 Abs 4 VO [EG] 987/2009, ABl L 2009/284, 1 idF ABl L 2017/76, 13). Dies war hier aufgrund der Antragstellung in Österreich der österreichische Pensionsversicherungsträger. Damit beginnt auch das zwischenstaatliche Feststellungsverfahren, an dem alle Mitgliedstaaten beteiligt sind, in denen relevante Zeiten zurückgelegt wurden (Art 46 Abs 1 VO 987/2009). Es gilt hier also das Konzept der europaweiten Antragstellung, wie es in ähnlicher Weise auch in anderen Bereichen angewandt wird (vgl etwa Art 68 Abs 3 VO 883/2004 für die Familienleistungen), sodass die Antragstellung gegenüber dem Kontakt-Träger auch als Antrag gegenüber allen anderen beteiligten Trägern gilt (Art 50 Abs 1 VO 883/2004). Nachdem der Kontakt-Träger die Antragstellung weitergeleitet hat, teilen wiederum die beteiligten Träger dem Kontakt-Träger die relevanten pensionsrechtlichen Zeiten mit, die nach ihren Rechtsvorschriften zurückgelegt wurden (Art 47 Abs 5 VO 987/2009). Diese Mitteilung erfolgt im Rahmen des elektronischen Datenaustauschsystems EESSI (Electronic Exchange of Social Security Information) und konkret mit der Bescheinigung SED (strukturiertes elektronisches Dokument) P5000.

In dieser Mitteilung haben die beteiligten Mitgliedstaaten alle nach ihren Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungszeiten bekanntzugeben, die für den Leistungsanspruch relevant sind. Nach Nr 2 des Beschlusses Nr H6 der Verwaltungskommission (ABl C 2011/45, 5) muss der Kontakt-Träger die von einem anderen Mitgliedstaat mitgeteilten Zeiten „ohne Infragestellung ihrer Qualität“ berücksichtigen. Die „Qualität“ von Zeiten wird auch als ihre „Art und Wirkung“ beschrieben (etwa Otting in Schlegel/Voelzke [Hrsg], jurisPK-SGB I4 [2024] Art 6 VO 883/2004 Rz 15; Leopold in BeckOK Sozialrecht, Art 6 VO 883/2004 Rz 7b). Ihrer Art nach kann es sich bei der Versicherungszeit entsprechend der Legaldefinition nach Art 1 lit t VO 883/2004 um Beitragszeiten, Beschäftigungszeiten, Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit sowie alle gleichgestellten Zeiten handeln. Die Wirkung der Zeiten beschreibt hingegen, ob sie nur für die Anspruchsbegründung oder nur für die Höhe oder für beides relevant ist. Die Berücksichtigung hat nach dem Beschluss Nr H6 „einheitlich“ zu erfolgen (vgl ErwGr 2). Die konkrete Qualität einer ausländischen Versicherungszeit spielt also keine Rolle für die Frage, ob diese Zeit vom inländischen Träger zu berücksichtigen ist (Weber in Hauck/Noftz [Hrsg], EU-Sozialrecht Art 6 Rz 12a; Spiegel in Spiegel [Hrsg], Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht Art 6 VO 883/2004 Rz 5). Wichtig ist aber: Berücksichtigen, wie es nach Nr 2 des Beschlusses Nr H6 heißt, und Zusammenrechnen sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Berücksichtigen heißt lediglich, dass diese Zeiten vom Kontakt-Träger für die Zusammenrechnung grundsätzlich zur Verfügung stehen. Auch die kroatischen Sonderbonifikationen waren daher jedenfalls zu berücksichtigen. Die entscheidende Frage war aber, ob diese grundsätzlich zu berücksichtigenden Zeiten auch im konkreten Fall zusammenzurechnen sind.

2.3.
Die Bindungswirkung der Bescheinigung der Versicherungszeiten

Bevor wir auf die Zusammenrechnung zurückkommen, ist auf die Verbindlichkeit der Mitteilung einzugehen. Der OGH hält die Mitteilung der Versicherungszeiten für verbindlich (siehe Rn 25 des Urteils) und verweist dabei auf die EuGH-Rs Adanez-Vega (C-372/02, ECLI:EU:C:2004:705). Der EuGH beruft sich in der – vom OGH zitierten – Rn 36 auf die Rsp zur Entsendebescheinigung (nunmehr auch Bescheinigung A1). Diese zeichnet sich tatsächlich durch eine sehr hohe Bindungswirkung aus (vgl allein EuGH C-359/16, Altun ua, ECLI:EU:C:2018:63). In Rn 48 des Urteils in der Rs Adanez-Vega meint der EuGH dann aber, dass die Mitteilung den Kontakt-Träger gerade nicht binde und widerlegt werden könne. Die E in der Rs Adanez-Vega spricht also vielmehr gegen eine Bindungswirkung der Mitteilung der Versicherungszeiten. In der Rs Bouman stellt der EuGH sogar explizit 492 klar, dass die Rsp zur Entsendebescheinigung nicht auf die Bescheinigung der Versicherungszeiten übertragen werden könne (EuGH C-114/13, ECLI:EU:C:2015:81, Rn 27; vgl auch Leopold in BeckOK Sozialrecht Art 6 VO 883/2004 Rz 17).

Vieles spricht aber dennoch für eine Bindungswirkung hinsichtlich der Frage, welche Versicherungszeiten für die Zusammenrechnung prinzipiell zur Verfügung stehen: Zunächst lässt sich die Rechtsprechungslinie, auf der die Widerlegbarkeit gründet, auf die Rs Romano (98/80, ECLI:EU:C:1981:104, insb Rn 20) zurückverfolgen (vgl dazu die Nachweise bei EuGH-Rs Adanez-Vega, Rn 48; EuGH C-102/91, Knoch, ECLI:EU:C:1992:303, Rn 52). Diese E behandelt aber die Verbindlichkeit von Rechtsakten der Verwaltungskommission und nicht der Mitgliedstaaten und ist damit nicht konkret einschlägig. Zudem weist Zwinger (Europäische Sozialverwaltung [2023] 83 f) zutreffend darauf hin, dass die Rsp seit der Rs Romano weiterentwickelt wurde und vor allem das Inkrafttreten des AEUV eine differenziertere Betrachtung verlangt. Immerhin nimmt der EuGH im Koordinierungsrecht auch abseits der Entsendebescheinigung schon seit langem eine Bindungswirkung an; dies betrifft etwa die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (EuGH 22/86, Rindone, ECLI:EU:C:1987:130, Rn 15). Zuletzt ist zu bedenken, dass die Bindungswirkung darin besteht, dass ein Mitgliedstaat nicht einseitig von der Entscheidung eines anderen Mitgliedstaats abgehen darf, sondern zuvor ein Dialog- und Vermittlungsverfahren eingeleitet werden muss. Der EuGH weitete diese Pflicht zum Dialog- und Vermittlungsverfahren zuletzt beträchtlich aus, sodass es nicht einmal mehr eine Bescheinigung (oder einen Beleg) braucht. Der EuGH sah schon dann eine Verpflichtung zum Dialog- und Vermittlungsverfahren, wenn ein Mitgliedstaat seine Zuständigkeit annehmen will, obwohl die AN bereits in einem anderen Staat versichert sind, ohne dass dazu aber eine Bescheinigung vorliegt (EuGH C-421/23, ONSS [Faux certificats A 1], ECLI:EU:C:2025:36). Bisher wurde eine solche allgemeine Pflicht zum Dialog- und Vermittlungsverfahren nicht angenommen, sondern vielmehr von einer Präzisierung durch die VO 987/2009 abhängig gemacht (vgl etwa Spiegel in Fuchs/Janda [Hrsg], Europäisches Sozialrecht8 Art 76 Rz 23 ff; Leopold in BeckOK Sozialrecht Art 76 VO 883/2004 Rz 28 ff [Stand 1.3.2025 beckonline. beck.de]). Soweit der EuGH nun aber von derart starken Loyalitätspflichten ausgeht, ist es nicht konsequent, der Bescheinigung der Versicherungszeiten (SED P5000) eine Bindungswirkung zu versagen. Insoweit ist dem OGH durchaus zuzustimmen, wenn er eine stärkere Bindungswirkung annimmt. Die Ansicht des EuGH, wie er sie etwa in den Rechtssachen Adanez-Vega und Bouman vertritt, kann hingegen wenig überzeugen.

2.4.
Zweiter Schritt: Zusammenrechnung der Versicherungszeiten

Prinzipiell sind die gemeldeten ausländischen Versicherungszeiten vom inländischen Träger so zu berücksichtigen, als ob es sich um Zeiten handelt, die nach den inländischen Rechtsvorschriften zurückgelegt worden sind. Wie oben erläutert, wird hier zunächst nicht nach der Wirkung der Versicherungszeiten differenziert. Zwar betrifft die Zusammenrechnung stets nur das Ob der Leistung, meldet der ausländische Träger aber eine Versicherungszeit, so ist es unerheblich, dass diese nach dem ausländischen Recht nur anspruchserhöhend, nicht aber anspruchsbegründend wirkt (vgl ErwGr 2 des Beschlusses Nr H6). Sie ist grundsätzlich dennoch zusammenzurechnen.

Nach der stRsp des EuGH bleibt der zusammenrechnende Mitgliedstaat aber dafür zuständig, die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der sozialen Sicherheit festzulegen. Diese Voraussetzungen dürfen nur nicht diskriminierend angewandt werden (EuGH C-866/19, SC, ECLI:EU:C:2021:865, Rn 25; EuGH C-440/09, Tomaszewska, ECLI:EU:C:2011:114, Rn 24).

Die Äquivalenzregeln greifen insoweit nicht in die unterschiedlichen Voraussetzungen für die Leistungsgewährung ein. Die Mitgliedstaaten können damit selbst festlegen, wann ausländische Versicherungszeiten funktionsäquivalent sind. Die Leistungsgewährung kann insb von einer Mindestversicherungszeit abhängig gemacht werden. Dabei kann auch die Art und Begrenzung der Versicherungszeiten festgelegt werden, die für die Mindestversicherungszeit berücksichtigt werden (EuGH C-306/03, Salgado Alonso, ECLI:EU:C:2005:44, Rn 31), sodass etwa Versicherungszeiten vorausgesetzt werden dürfen, die auf eine Erwerbstätigkeit zurückgehen. Zwar hat der inländische Träger also die mitgeteilten ausländischen Zeiten zu berücksichtigen, ob diese aber tatsächlich mit den inländischen zusammenzurechnen sind, ist dann nicht mehr nach Art 6 VO 883/2004, sondern im Wege der Sachverhaltsgleichstellung nach Art 5 VO 883/2004 zu beurteilen (Nr 3 des Beschlusses Nr H6; Spiegel in Spiegel [Hrsg], Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, Art 6 VO 883/2004 Rz 6).

Die Sachverhaltsgleichstellung nach Art 5 VO 883/2004 verlangt die Gleichstellung von Leistungen, Einkünften, Sachverhalten und Ereignissen. Ausländische Sachverhalte (wie hier Versicherungszeiten) sind also einer vergleichenden Prüfung zu unterziehen (EuGH C-522/13, Larcher, ECLI:EU:C:2014:2458, Rn 52). Dabei ist zu ermitteln, ob die fiktiven kroatischen Versicherungszeiten einen „ähnlichen“ Zweck verfolgen, wie ihn die Mindestversicherungszeit nach dem österreichischen Recht voraussetzt (EuGH Rs Larcher, Rn 57). Müsste hingegen eine Gleichstellung ungeachtet einer Ähnlichkeit vorgenommen werden, würde dies den zusammenrechnenden Staat in seiner Zuständigkeit beschränken, sein System der sozialen Sicherheit frei auszugestalten (vgl ErwGr 11 VO 883/2004). Mindestversicherungszeiten im österreichischen Pensionsrecht stellen sicher, dass ein Leistungsanspruch erst nach entsprechend langer Beitragszahlung in Anspruch genommen werden kann, sodass nur jene Personen in den Genuss von Leistungen kommen, die der Versichertengemeinschaft bereits eine bestimmte Zeit angehören 493 und durch ihre Beitragsleistung zur Finanzierung der Leistungsverpflichtungen der Gemeinschaft beigetragen haben (OGH 10 ObS 406/90 SSV-NF 5/1). Hingegen beruht die kroatische Sonderbonifikation lediglich auf einer Vervielfachung der ihr zugrunde liegenden Versicherungszeit. Ihr steht keine Beitragsleistung gegenüber und auch kein Zeitraum der Zugehörigkeit zur Versichertengemeinschaft, der über die Versicherungszeit hinausgeht, die vervielfacht wurde. Die Sonderbonifikation soll, soweit hier relevant, lediglich einen früheren Pensionsanspruch ermöglichen, indem innerhalb eines Kalendermonats Zeiträume von mehr als einem Monat zurückgelegt werden können. Insoweit ist die kroatische Sonderbonifikation nicht mit der Versicherungszeit funktionsäquivalent, wie sie im österreichischen Pensionsrecht vorausgesetzt wird. Die Funktionsäquivalenz besteht auch nicht gegenüber Ersatzzeiten nach §§ 227 ff ASVG oder gegenüber Zeiten einer Teilversicherung in der PV nach § 8 Abs 1 Z 2 ASVG. Die Sonderbonifikation ist vielmehr eine begünstigende Modifikation der Anspruchserfüllung. Eine Hinzurechnung dieser Zeiten würde damit aber mittelbar in die österreichischen Anspruchsvoraussetzungen eingreifen. Schließlich ist mit den Sonderbonifikationen eine schnellere Anspruchserfüllung möglich als vom österreichischen Recht vorgesehen. Wird die Anspruchserfüllung erleichtert, bedeutet dies effektiv nichts anderes, als dass die Anspruchsvoraussetzungen herabgesetzt werden. Eine solche Vergünstigung ist aber in § 4 Abs 3 Z 1 APG nicht angelegt. Da Österreich für sein System der sozialen Sicherheit zuständig bleibt, kann eine Anrechnung unterbleiben.

Indem der Kl seinen Beschäftigungsort nach Österreich verlegte und dadurch österreichisches Recht für ihn maßgeblich wurde, verlor er diese spezifische Begünstigung des kroatischen Rechts. Wie der OGH aber zutreffend meint, gebieten weder die Grundfreiheiten noch das Koordinierungsrecht, dass die Ausübung der Freizügigkeit zwangsläufig neutral sein muss. Das Unionsrecht schützt vor spezifischen Nachteilen der Verlagerung des Beschäftigungsortes, schließt aber die Folgen nicht aus, die zwangsläufig damit einhergehen, dass eine neue Rechtsordnung zur Anwendung kommt (EuGH C-393/99 und C-394/99, Hervein ua, ECLI:EU:C:2002:182, Rn 51).

3.
Schluss

Die E des OGH verdeutlicht die Grenzen der zwischenstaatlichen Koordinierung im Bereich der PV. Ausländische Versicherungszeiten sind grundsätzlich zu berücksichtigen, aber nur dann zusammenzurechnen, wenn sie funktionsäquivalent sind. Die kroatische Sonderbonifikation erfüllt diese Voraussetzung nicht, weil ihr weder eine (eigene) Beitragsleistung noch eine Zugehörigkeit zur Versichertengemeinschaft zugrunde liegt. Der OGH bestätigt damit, dass die bloße Mitteilung ausländischer Zeiten nicht automatisch zu deren Berücksichtigung im österreichischen System führt. Die E steht im Einklang mit der unionsrechtlichen Kompetenzverteilung und dem Grundsatz, dass die Ausübung der Freizügigkeit nicht zwingend neutral hinsichtlich sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche verlaufen muss. All das betrifft aber nur die Frage, ob überhaupt ein Anspruch besteht. Selbstverständlich können die kroatischen Sonderbonifikationen für die Anspruchshöhe zu berücksichtigen sein, wenn der kroatische Träger – im Rahmen der Pensionsberechnung – seine anteilige Leistung ermittelt (Art 52 Abs 1 lit b VO 883/2004). 494