SchneiderArbeitgeberbegriffe und arbeitsrechtlicher Drittbezug

Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2024, 274 Seiten, gebunden, € 82,20

MATTHIAS NEUMAYR (LINZ)

Beziehungen des AG zu Dritten haben in vielfältiger Weise Einfluss auf Arbeitsverhältnisse. Zwar unterliegen der Abschluss und der Inhalt von Rechtsgeschäften mit Dritten grundsätzlich der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit. Gleichzeitig darf diese Freiheit nicht dazu ausgenützt werden, um Mitbestimmungsrechte zu untergraben. Auch wenn § 91 Abs 2 ArbVG das allgemeine Informationsrecht des BR auf personenbezogene AN-Daten bezieht, die „der Betriebsinhaber ... automationsunterstützt aufzeichnet“, kann es doch keinem Zweifel unterliegen, dass das Informationsrecht auch dann besteht, wenn der AG die Aufzeichnung auf ein Drittunternehmen auslagert.

Der in der Praxis wohl bedeutsamste Drittbezug liegt in der Aufspaltung der AG-Funktion bei der Arbeitskräfteüberlassung: Hier kann ein Dritter, der Beschäftiger, durch Ausübung des Weisungsrechts unmittelbaren Einfluss auf die arbeitsvertragliche Beziehung ausüben, die zwischen dem Überlasser und dem AN besteht. Ähnliche Situationen zeigen sich bei Arbeitsverhältnissen in Konzernen und bei Tätigkeiten im Rahmen von Arbeitsgemeinschaften. Weisungen durch einen anderen als den Vertragsarbeitgeber erhalten AN auch bei neuen Phänomenen wie Plattformarbeit oder der Arbeit in Matrixstrukturen. Ein Exkurs zu den §§ 332 ff ASVG bestätigt die Problematik insofern, als die Rsp zu § 333 ASVG häufig vor die Frage gestellt ist, wer in solchen Arbeitsverhältnissen als AG den Haftungsausschluss in Anspruch nehmen kann.

Mit den beschriebenen (arbeitsrechtlichen) Phänomenen eines Drittbezugs befasst sich die von Sebastian Krebber an der Universität Freiburg im Breisgau betreute Dissertation von Philipp Schneider. Unter den Drittbezug fallen Sachverhalte, in welchen ein Dritter unmittelbar oder mittelbar Einfluss auf das Rechte- und Pflichtengefüge eines arbeitsvertraglichen Verhältnisses nimmt, indem er das Weisungsrecht ausübt oder indem der AN in den Betrieb eines Dritten eingegliedert ist. Latent besteht die Gefahr von Umgehungen, Missbrauch und Schutzdefiziten: So ist für die Einhaltung des AN-Schutzes primär der vertragliche AG verantwortlich, obwohl dieser die Arbeitsbedingungen im Beschäftigerbetrieb nur begrenzt beeinflussen kann. Genau diesen Aspekt hat § 2 Abs 1 Z 1 AÜG im Auge, wonach das AÜGden Schutz der überlassenen Arbeitskräfte, insbesondere in arbeitsvertraglichen, arbeitnehmerschutzund sozialversicherungsrechtlichen Angelegenheiten“ bezweckt. § 6 AÜG setzt dies in der Form um, dass für die Dauer der Beschäftigung der Beschäftiger als AG iSd AN-Schutzvorschriften gilt; außerdem obliegen die Fürsorgepflichten des AG auch dem Beschäftiger.

Anders als das österreichische AÜG beschreitet das deutsche Gesetz zur Regelung der AN-Überlassung (dAÜG) in seinem § 10 Abs 1 S 1 den Weg einer gesetzlichen Fiktion: Im Fall der Unwirksamkeit des Arbeitsvertrags zwischen Verleiher (Überlasser) und Leih-AN gilt ein Arbeitsverhältnis als zwischen dem Entleiher (Beschäftiger) und dem Leih-AN zustande gekommen.

Ähnliche Vorstellungen können auch der EuGH-Rsp entnommen werden: In den Entscheidungen C-290/12, Della Rocca, und C-681/18, JH/KG, leitet der EuGH aus der Leiharbeits-RL 2008/104/EG (obiter) das Bestehen eines vorübergehenden Arbeitsverhältnisses zwischen Beschäftiger und AN ab; in der E Della Rocca spricht der EuGH von einem komplexen und spezifisch arbeitsrechtlichen Konstrukt, das ein „doppeltes Arbeitsverhältnis“ einschließt. In einer zweifellos außergewöhnlichen Konstellation zeigte sich der EuGH im Anwendungsbereich der Koordinierungsverordnung (EG) 883/2004 offen, eine nicht am Arbeitsvertrag beteiligte Person als AG zu behandeln (C-610/18, AMFB), wenn sie zu Weisungen und zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses befugt ist. Auffällig ist eine jüngere, zum Internationalen Zivilverfahrensrecht ergangene E (C-604/20, ROI Land Investments), in der – entgegen der Formulierung des Art 20 Abs 1 Brüssel Ia-VO – für die Auslegung des AG-Begriffs nicht auf das Bestehen eines Arbeitsvertrags, sondern auf ein diffuses „Unterordnungsverhältnis“ abgestellt wird. Insgesamt bietet die EuGH-Rsp kein einheitliches Bild; auffällig ist jedoch die Bereitschaft, die AG-Stellung vom Arbeitsvertrag in Richtung Eingliederung zu entkoppeln.

Rechtsvergleichend wird in der Arbeit auf das französische Recht, auf das Recht von England und Wales und auf US-amerikanisches Recht Bezug genommen – Rechtsordnungen, die mit der Figur des „co-employeur“, des „associated employer“ bzw des „joint employer“ arbeiten. Mit diesen Hinweisen wird eine international wahrnehmbare Tendenz bestätigt, dass die AG-Stellung zunehmend weniger über die arbeitsvertragliche Stellung als über die Ausübung von AG-Funktionen definiert wird. Dabei wird aber nicht unbedingt eine „umfassende“ AG-Stellung angenommen, sondern eine auf einzelne Regelungsbereiche begrenzte Verantwortlichkeit, sodass dem AN mehrere AG gegenüberstehen.

Abgesehen von einigen rechtsvergleichenden Bezugnahmen ist die Arbeit zum deutschen Arbeitsrecht geschrieben, das sich in dem behandelten Rahmen – ungeachtet der immer wieder erkennbaren Gemeinsamkeiten – doch merkbar vom österreichischen Arbeitsrecht unterscheidet. Sie ist gut lesbar und strukturiert geschrieben und weckt das Interesse an der Beobachtung internationaler Entwicklungen, die sich tendenziell von einem arbeitsvertraglich dominierten Verständnis in Richtung eines stärker am öffentlichen Recht orientierten materiellrechtlichen AG-Begriffs („Ausübung von Arbeitgeberfunktionen“) zu bewegen scheinen.

Die Arbeit schließt damit, dass mit dem Abstellen auf die Ausübung von AG-Funktionen kein eigenständiger AG-Begriff herausgearbeitet wird, sondern dass damit der Anwendungsbereich des Arbeitsrechts auf nichtvertragliche Drittbeziehungen ausgeweitet werden soll. Allerdings fehlt dem Konzept dogmatische Eigenständigkeit und es kommt zu Friktionen mit dem Grundsatz der Vertragsfreiheit: So könnte der AN konsequenterweise einen AG aufgedrängt bekommen, den er sich gar nicht ausgesucht hat. Im Individualarbeits- 506 recht ist letztlich eine Abstrahierung der AG-Stellung vom Vertrag ohne besonderen Wert; es gibt aber durchaus Konstellationen, in denen ein Dritter als „nichtvertraglicher Arbeitgeber“ neben den Vertrags-AG tritt.