122Auslegung einer kollektivvertraglichen Regelung zur „Einschlägigkeit“ von Vordienstzeiten
Auslegung einer kollektivvertraglichen Regelung zur „Einschlägigkeit“ von Vordienstzeiten
Seit 2011 ist die Kl bei der Bekl bzw deren Rechtsvorgängerin am Schalter in einem Fachambulatorium beschäftigt. Ihre Hauptaufgabe war die Vergabe und Verwaltung von Arzt- und Therapieterminen, dies entweder vorab telefonisch oder am Schalter. An Vordienstzeiten wurden der Kl acht Jahre angerechnet. Auf das Dienstverhältnis findet die Dienstordnung A für Verwaltungsangestellte, Angehörige der Gesundheitsberufe und zahntechnische Angestellte bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (in der Folge: DO.A) Anwendung.
Zuvor war die Kl im Lebensmittelgroßhandel als Angestellte im Bereich der Kommissionierung tätig gewesen, wobei ihre Haupttätigkeit darin bestanden hatte, die bestellten Waren für die jeweiligen Kunden zu sammeln.
Die Kl begehrte zuletzt an Entgeltdifferenz von Dezember 2017 bis Februar 2024 11.689,25 € brutto. Ihr wären aufgrund der neuen kollektivvertraglichen Bestimmungen zur Vordienstzeitenanrechnung des § 13 Abs 3 DO.A Vordienstzeiten als Büroangestellte im Ausmaß von zehn Jahren und vier Monaten (und nicht nur acht Jahre) anzurechnen gewesen, weil sie bei ihrer früheren Tätigkeit als Unterstützung des Kommissionierleiters jedenfalls zumindest 75 % ihres nachfolgenden Aufgabenbereichs und ihrer nachfolgenden Tätigkeit als Verwaltungsangestellte im Fachambulatorium wahrgenommen habe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Eine Einschränkung auf eine facheinschlägige Tätigkeit sei der Bestimmung des § 13 Abs 3 DO.A nicht zu entnehmen. Die Tätigkeiten der Kl im Lebensmittelgroßhandel 291 und bei der Bekl als Schalterangestellte im Ambulatorium seien im Kern vergleichbar.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl Folge und wies die Klage ab. Es sei mangels vergleichbarer Tätigkeiten im Ausmaß von 75 % eine Einschlägigkeit zu verneinen. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil keine Rsp zur Auslegung des Begriffs der Einschlägigkeit iSd § 13 Abs 3 DO.A existiere.
Der OGH erachtete die dagegen erhobene Revision der Kl mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO für nicht zulässig und führte aus:
Der Auslegung von Kollektivverträgen kommt zwar stets eine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zu. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rsp des OGH zu einer konkreten Fallgestaltung liegt aber dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine klare, dh eindeutige Regelung trifft. Dies gilt gleichermaßen für Kollektivverträge. Ob durch eine Berufstätigkeit eine fachliche Erfahrung vermittelt wird, durch die ein erheblich höherer Arbeitserfolg zu erwarten ist und in welchem Ausmaß Vordienstzeiten anzurechnen sind, hängt zudem stets von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab, deren Beurteilung in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage begründet.
Die DO.A ist als KollV in ihrem normativen Teil nach den Regeln für die Gesetzesauslegung (§§ 6, 7 ABGB) auszulegen. In erster Linie ist der Wortsinn im Zusammenhang mit den übrigen Bestimmungen zu erforschen und die sich aus dem Text des KollV ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen, wobei diesen zu unterstellen ist, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung mit einem gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen anstreben. Die Erläuterungen zur DO.A stellen eine authentische Interpretation der Bestimmungen der DO.A durch die Kollektivvertragsparteien dar.
Gem § 13 Abs 1 Z 1 lit a DO.A sind für die Einstufung in das Gehaltsschema einschlägige Vordienstzeiten in anderen Dienst- oder Lehrverhältnissen als Angestellter, Arbeiter oder Lehrling bzw in einem freien Dienstverhältnis gem § 4 Abs 4 ASVG zugebrachte einschlägige Zeiten, wenn diese jeweils mindestens sechs Monate ununterbrochen gedauert haben, anzurechnen. Gem § 13 Abs 3 DO.A sind als einschlägig iSd Bestimmung Dienst- und Lehrzeiten oder in einem freien Dienstverhältnis zugebrachte Zeiten bzw Zeiten einer selbstständigen Tätigkeit anzusehen, wenn im Rahmen dieser bereits die ausgeschriebenen Tätigkeiten und Aufgaben zu mindestens 75 % wahrgenommen wurden. Für den Vergleich ist der Arbeitsplatz maßgebend, mit dem der/die Angestellte in den ersten sechs Monaten des Dienstverhältnisses (bzw nach Abschluss der Einschulungs- und Einarbeitungszeit gem § 37 Abs 2 DO.A) beim Versicherungsträger überwiegend betraut ist.
Die Erläuterungen der Kollektivvertragspartner zu § 13 Abs 3 DO.A führen dazu aus, dass zur Beurteilung der Einschlägigkeit die tatsächlich ausgeübten und nachgewiesenen Tätigkeiten und Aufgaben herangezogen und die im Rahmen der Ausübung dieser Tätigkeiten und Aufgaben erlangten Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten bei der Beurteilung berücksichtigt werden sollen.
Wie das Berufungsgericht bereits richtig ausführte, hat die Kl die bei der Bekl als Verwaltungsangestellte in einem Fachambulatorium konkret verrichteten Tätigkeiten und Aufgaben in ihrer früheren Tätigkeit als Büroangestellte im Lebensmittelgroßhandel gerade nicht wahrgenommen. Wenn die Revision meint, dass in beiden Fällen „logistisches Wissen und Kompetenz, detailgenaues Arbeiten, Flexibilität, Kommunikationsfähigkeit, Stressresistenz und effizientes Arbeiten“ gefordert sei, so spricht sie damit allgemeine Anforderungen an Bürotätigkeiten an, nicht aber einschlägige Tätigkeiten und Aufgaben. Entsprechende Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten wären nach den Erläuterungen der Kollektivvertragspartner auch nur im Rahmen der Ausübung dieser vergleichbaren Tätigkeiten und Aufgaben zu berücksichtigen.
Entgegen der Ansicht der Revision bedeutet dies auch nicht, dass nur die bei österreichischen Sozialversicherungsträgern geleisteten Vordienstzeiten anrechenbar seien, werden doch derartige Tätigkeiten zB auch in Krankenhäusern, Arztpraxen, Physio- oder Psychotherapieordinationen, Reha-Zentren etc geleistet.
Eine erhebliche Rechtsfrage wird von der Revisionswerberin nicht aufgezeigt. Die Revision war daher zurückzuweisen.