Allzeitthema Videoüberwachung am Arbeitsplatz
Allzeitthema Videoüberwachung am Arbeitsplatz
Eine Unternehmenszentrale setzt Videoüberwachung zur Eigen-Objektsicherung ein, zwangsläufig werden auch Beschäftigte erfasst.1 Eine Supermarktkette installiert mehrere Kameras, nachdem es zu Fehlbeständen von mehreren tausend Euro gekommen war; einige nicht sichtbare Kameras fokussieren auf die Kassen, um das Verhalten der Angestellten zu überwachen.2 Nach einem Umzug in neue Büroräumlichkeiten lässt die Geschäftsleitung eine Videoüberwachungsanlage montieren, deren Aufnahmebereich neben dem Eingangsbereich auch die Bereiche Küche, Arbeitsgroßraum, Besprechungszimmer und Eingang zur Mitarbeiter- und Gästetoilette im Flur umfasst.3 Beispiele gäbe es viele, aber so einfach geht das nicht, denn eine Videoüberwachung von AN am Arbeitsplatz – egal ob geheim oder nicht – wird von Gerichten als bedeutende Einmischung in das Privatleben der Betroffenen angesehen4 und muss mit den Gesetzen jedenfalls in Einklang stehen.
Nachfolgend soll ein Überblick gegeben werden, welche rechtlichen Bestimmungen AG beim Einsatz von Videoüberwachungsanlagen zu beachten haben, welche Befugnisse dem BR zukommen, damit er die Interessen der AN wahren kann, welche Regelungen AN für sich nutzen können und wie gegen eine unzulässige Videoüberwachung im Betrieb vorgegangen werden kann.
In Betrieben wird – wie eingangs dargestellt – Videoüberwachung meist aus Gründen des Eigentumsschutzes und/oder des Schutzes der Sicherheit von Personen eingesetzt, zwangsläufig werden AN dabei oft miterfasst. AG haben daher beim Einsatz solcher Systeme auch ihre den Beschäftigten gegenüber bestehende Fürsorgepflicht nach § 1157 ABGB bzw § 18 AngG wahrzunehmen. Die Fürsorgepflicht umfasst neben dem Schutz von Leben, Gesundheit, Sittlichkeit und Eigentum der AN auch deren Persönlichkeitsrechte in ihren diversen Ausstrahlungen schlechthin (vgl §§ 16 und 17 ABGB).5 Diese Persönlichkeitsrechte der AN (zB Achtung der Privatsphäre, Recht am eigenen Bild sowie Recht auf Freiheit von unbefugter Abbildung, informationelles Selbstbestimmungsrecht ua)6 wirken auch bei der Erbringung der Arbeitsleistung fort. Eine Videoüberwachung am Arbeitsplatz stellt regelmäßig einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des AN dar und es ist vom AG darzulegen, dass diesem Eingriff ein legitimer Zweck zugrunde liegt. Auch darf nur das gelindeste Mittel zur Zielerreichung eingesetzt werden und es muss beurteilt werden, ob es nicht zur Videoüberwachung eine die Persönlichkeitsrechte weniger beeinträchtigende Alternative gibt. In einem weiteren Schritt ist zu prüfen, ob der Eingriff gerechtfertigt werden kann.7 Dabei hat eine Abwägung der beiderseitigen Interessen – die des AG auf der einen Seite (zB Überwachung zum Schutz des Eigentums, vor unbefugten Zutritten, Einbrüchen, Diebstählen etc), mit denen des AN auf der anderen Seite (zB Missbrauchsgefahr, Anzahl an zugriffsberechtigten Personen, Überwachungszweck, betriebliche Umstände) – zu erfolgen. Anzuraten ist, im Falle eines Systemeinsatzes auf umfassende Transparenz und Information der AN zu achten.8
Nicht rechtfertigbar und somit unzulässig sind Eingriffe in den höchstpersönlichen Lebensbereich (Kameras in Umkleideräumen, in oder vor Toiletten oder Sozialräumen) sowie unverhältnismäßige Überwachung (idR wenn die Kamera dauernd auf den Arbeitsplatz gerichtet ist oder wenn ein durchgehendes Bewegungsprofil erstellt werden kann) und in den allermeisten Fällen auch heimliche Überwachung.9
Ergibt die Beurteilung, dass ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der AN gerechtfertigt werden kann, gilt es aus arbeitsrechtlicher Sicht auch zu gewährleisten, dass die Mitwirkungsrechte des BR nach dem ArbVG bzw in Betrieben ohne BR allfällige Zustimmungsrechte der AN nach § 10 AVRAG eingehalten werden (siehe nachfolgend).10322
Das ArbVG räumt dem BR starke Mitwirkungsbefugnisse beim Einsatz technischer Systeme am Arbeitsplatz ein. Diese ermöglichen es ihm, beim Einsatz einer Videoüberwachungsanlage die Interessen der AN bei der Verwendung ihrer (Bild-, uU Audio-)Daten im Betrieb zu wahren. Wie vom OGH11 bereits bestätigt, handelt es sich dabei um „Pflichtbefugnisse“ des BR, die durch das Datenschutzrecht (Datenschutz-Grundverordnung,12 Datenschutzgesetz13 – siehe dazu unten) nicht beschränkt werden.14
Durch die in § 89 Satz 1 ArbVG enthaltene Generalklausel ist ein umfassendes Überwachungsrecht des BR bezüglich der Einhaltung aller die AN berührenden Normen (zB arbeits- oder arbeitnehmerschutzrechtlichen Inhalts) sichergestellt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich solche Normen etwa aus EU-Recht, Gesetz, Verordnung, KollV, BV oder Einzelarbeitsvertrag ergeben.
Der BR ist aufgrund seines nach § 89 ArbVG eingeräumten Überwachungsrechts daher befugt, beim Einsatz einer Videoüberwachungsanlage auch die Wahrung der Persönlichkeitsrechte der AN oder etwa des Datenschutzrechts zu überwachen und bei wahrgenommenen Mängeln gem § 90 Abs 1 ArbVG vom AG deren Beseitigung zu verlangen. Erforderlichenfalls kann er auch zuständige Stellen außerhalb des Betriebes (ÖGB/Fachgewerkschaft, Arbeiterkammer, ua) zu seiner Unterstützung beiziehen; bei vermuteten Verstößen gegen die datenschutzrechtlichen Bestimmungen kann er daher bei der Datenschutzbehörde intervenieren.15
Gem § 91 Abs 1 ArbVG ist der AG verpflichtet, dem BR auf Anfrage über alle Angelegenheiten, welche die wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen oder kulturellen Interessen der AN des Betriebes berühren, Auskunft zu erteilen. Der BR kann, wenn der AG trotz konkreter Nachfrage hiezu keine befriedigende Antwort gibt, das Auskunftsrecht mittels Klage gem § 50 Abs 2 ASGG beim zuständigen Arbeits- und Sozialgericht durchsetzen.16
Ein vom AG beabsichtigter Einsatz einer Videoüberwachungsanlage im Betrieb berührt idR jedenfalls die wirtschaftlichen, aber auch die sozialen Interessen der AN. Zweck der Informationsrechte ist es, der Belegschaft zu ermöglichen, auf betriebliche Entwicklungen zu reagieren, diesbezügliche Auswirkungen abzuklären und Vorschläge zu erstatten. Die Information muss die Thematik vollständig abhandeln und aufschlussreich sein und rechtzeitig, dh noch in der Planungsphase, erfolgen. Die Auskunftspflicht des AG nach § 91 Abs 1 ArbVG entsteht bei entsprechend konkreten Verlangen des BR (am besten nachweislich schriftlich). Die Konkretheit der Anfrage beeinflusst die Informationspflicht des AG; je mehr die Anfrage spezifiziert ist, desto genauer muss die Information sein.17
Nach § 91 Abs 2 ArbVG hat der AG dem BR von sich aus Mitteilung zu machen, welche Arten von personenbezogenen AN-Daten er mit dem geplanten System automationsunterstützt aufzeichnet und welche Verarbeitungen und Übermittlungen er vorsieht. Im Fall der Videoüberwachung wäre etwa über die Verwendungszwecke, die aufgezeichneten Datenarten (Bilddaten, uU Audiodaten), die Orte der Datenspeicherung, die Zugriffs- und Auswertungsmöglichkeiten, Löschroutinen etc zu informieren.18 Nach § 91 Abs 2 ArbVG ist dem BR auf Verlangen auch die Überprüfung der Grundlagen für die Verarbeitung und Übermittlung zu ermöglichen. Dh, dem BR sind Unterlagen (zB Systembeschreibung, Anwenderhandbuch) zur Verfügung zu stellen, aus denen der Leistungsumfang des Systems ersichtlich ist. Diese Unterlagen können in elektronischer Form oder auf Papier zur Verfügung gestellt werden.19
All diese Informationen sind die Basis für die Beurteilung, ob und mit welchem Inhalt eine BV nach § 96 bzw 96a ArbVG abzuschließen ist.
In den §§ 96 und 96a ArbVG ist angeführt, welche Systeme bzw Maßnahmen, die personenbezogene Daten von AN ermitteln und weiterverwenden, nur nach Abschluss einer BV eingesetzt werden dürfen. Das Ziel einer BV vor Einsatz einer Maßnahme oder 323vor Inbetriebnahme des Systems liegt in der präventiven Kontrolle und Sicherstellung der Wahrung der Rechte der AN. Der BR ist daher vom AG rechtzeitig (dh bereits in der Planungsphase) zu informieren und miteinzubeziehen, sodass er die berechtigten AN-Interessen noch einbringen kann. In der BV sind die näheren Bedingungen festzulegen, unter denen der AG die geplante Maßnahme oder das geplante System einsetzen darf – samt Vorkehrungen, um dem BR die Kontrolle der Einhaltung zu ermöglichen. Im Fall der Videoüberwachung wären etwa der (bzw die) Verwendungszweck(e) zu erheben, Anzahl und Position/Standort der Kameras festzuhalten, die aufgezeichneten Datenarten, die Orte der Datenspeicherung, die Speicherdauer sowie der Modus bei Einsichtnahmen (Fälle, wann Auswertungen stattfinden, Zugriffsberechtigte, Beiziehung des BR etc), entsprechende Sicherheitsmaßnahmen, ua verbindlich festzulegen.20
Nicht nur die „Einführung“ von Systemen nach den §§ 96 und 96a ArbVG (erstmalige Installierung) bedarf der Zustimmung durch den BR, sondern auch die Anwendung, Änderung, Umstellung, Anpassung oder Erweiterung bestehender Systeme. Dh, selbst wenn sich die Videoüberwachung bereits seit geraumer Zeit in Betrieb befindet, ist – bei Vorliegen der Voraussetzungen – eine BV dazu abzuschließen. Ebenso muss der AG neu mit dem BR verhandeln, wenn das System verändert oder adaptiert werden soll (andernfalls müsste das System deinstalliert werden).21
Bei den Tatbeständen des § 96 ArbVG handelt es sich um Fälle der notwendigen Mitbestimmung – das bedeutet, eine Maßnahme (oder der Einsatz eines Systems) darf ohne Zustimmung des BR in Form einer BV nicht durchgeführt werden. Die Zustimmung des BR kann nicht durch die Schlichtungsstelle ersetzt werden. Wird die BV gekündigt, erlischt sie ohne Nachwirkung, dh die Maßnahme ist sofort einzustellen.
Zustimmungspflichtig nach § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG sind Kontrollmaßnahmen und technische Systeme zur Kontrolle der AN, sofern diese Maßnahmen die Menschenwürde berühren. Eine Videoüberwachungsanlage fällt bereits dann unter diese Bestimmung, wenn die Einrichtung objektiv geeignet ist, die AN zu kontrollieren, auch wenn dem AG jede Kontrollabsicht fehlt.22 Für die Beurteilung, ob die Einrichtung objektiv geeignet ist, die AN zu kontrollieren, sind die konkreten Anwendungsmöglichkeiten des Systems von Bedeutung.23 Entscheidend ist, ob aufgrund der konkreten organisatorischen und technischen Vorkehrungen die Kontrollmaßnahme jederzeit eingesetzt werden kann, nicht ob sie tatsächlich eingesetzt wird.24 In einem weiteren Schritt ist zu prüfen, ob mit dem eingesetzten System die Menschenwürde berührt wird.25 Der Gesetzgeber will mit der Anknüpfung an die Menschenwürde erreichen, dass die freie Entfaltung der Persönlichkeit des AN keinen übermäßigen Eingriffen ausgesetzt ist. Entscheidend für die Zustimmungspflicht ist daher die Intensität der Kontrolle (Art der Kontrolle, zeitliche Dauer, Umfang der Kontrolle, dabei erfasste Datenarten). Es ist zu prüfen, ob das eingesetzte (Kontroll-)Mittel zum angestrebten Zweck in Relation steht oder ob es eine die Persönlichkeitsrechte (siehe dazu oben) weniger beeinträchtigende Alternative – sogenannte „gelindere Mittel“ – gibt.26 Grundsätzlich kann immer dann von einem Berühren der Menschenwürde ausgegangen werden, wenn die Kontrollmaßnahme in den davon betroffenen AN das dauernde Gefühl einer potenziellen Überwachung entstehen lässt.27
Handelt es sich um eine Videoüberwachungsanlage, die zB primär der Gefahrenabwehr, dem Diebstahlschutz dient, und stellt die Kontrolle der AN einen bloßen Nebenaspekt dar, dann kommt es darauf an, wie intensiv sich die Überwachung auf die AN erstreckt. Verbringen AN den Großteil ihrer Arbeitszeit im Blickfeld der Kamera, ist die Menschenwürde jedenfalls berührt (zB Kassabereich einer Bank); werden AN nur während eines Teils ihrer Arbeitszeit und dabei nur teilweise von der Kamera erfasst, ist die Menschenwürde nicht berührt (zB Verladebereiche);28 auch eine Kamera, die nicht einzelne AN überwacht, sondern Betriebseingänge, Betriebsanlagen, Werkhallen etc, berührt nicht die Menschenwürde, es sei denn, die Überwachung im Betrieb erreicht ein solches Ausmaß, dass beim AN das Gefühl dauernder Überwachung entstehen kann.29
Hinweis: Nach der Rsp bedarf die Beantwortung der Frage, ob durch die Kontrollmaßnahme auch ein Berühren der Menschenwürde vorliegt, in jedem Einzelfall einer umfassenden Abwägung der wechselseitigen Interessen (der Interessen des AG, der zB das Eigentum schützen will, mit den Interessen der AN, zB vor unverhältnismäßiger Kontrolle).30 Diese durch die Judikatur vorgegebene Interessenabwägung wird in der Lehre durchaus kritisch gesehen – 324wird nämlich bereits das Zustimmungsrecht des BR selbst von einer Interessenabwägung abhängig gemacht, dann wird de facto auf diese Weise das gesetzlich intendierte Mitbestimmungsrecht durch die Gerichte ausgehebelt.31 Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen eine sachliche Rechtfertigung des AG für den Einsatz einer Videoüberwachungsanlage besteht, hat der BR im Rahmen des Abschlusses der BV zu berücksichtigen, die nötigen Grenzen zu ziehen und entsprechende Schutzmaßnahmen für die AN vor unverhältnismäßiger Überwachung vorzusehen.32
Allerdings kann auch dann, wenn die Menschenwürde nicht berührt wird, eine BV erforderlich sein:
Wird die Menschenwürde nicht berührt, ist die Anwendung von § 96a ArbVG zu prüfen. Bei den Tatbeständen des § 96a ArbVG handelt es sich um Fälle der notwendigen, aber ersetzbaren Mitbestimmung. Das bedeutet, dass eine Maßnahme ohne BV nicht durchgeführt werden darf, allerdings kann die Zustimmung des BR durch die Schlichtungsstelle ersetzt werden. Der Spruch der Schlichtungsstelle wirkt wie eine BV.
Gem § 96a Abs 1 Z 1 ArbVG ist für die Einführung von Systemen zur automationsunterstützten Ermittlung, Verarbeitung und Übermittlung von personenbezogenen Daten der AN, die über die Ermittlung von allgemeinen Angaben zur Person und fachlichen Voraussetzungen hinausgehen, der Abschluss einer BV erforderlich. Eine Zustimmung ist nicht erforderlich, soweit die tatsächliche oder vorgesehene Verwendung dieser Daten über die Erfüllung von Verpflichtungen nicht hinausgeht, die sich aus Gesetz, Normen der kollektiven Rechtsgestaltung oder Arbeitsvertrag ergeben.
Auch Bilddaten, wie etwa Videoaufnahmen, fallen unter den Begriff „personenbezogene Daten“ iSd § 96a Abs 1 Z 1 ArbVG. Eine Videoüberwachungsanlage ist daher vom Anwendungsbereich des § 96a ArbVG erfasst, wenn es sich um ein automationsunterstütztes System handelt. Das trifft auf digitale Systeme, die die Aufzeichnungen speichern, jedenfalls zu. Nicht gefordert ist ein Berühren der Menschenwürde; entscheidend ist, ob das System zur automationsunterstützten Datenverwendung von personenbezogenen Daten geeignet ist oder nicht.33 Auch wenn nun die Videoüberwachung zB „nur“ dem Eigentums- bzw Objektschutz dienen soll und sie daher nicht primär darauf abzielt, AN zu erfassen, so werden dennoch oftmals Bilddaten der AN zwangsläufig verarbeitet (etwa durch Erfassen von Eingangsbereichen) bzw kann eine derartige Datenerfassung nicht wirksam ausgeschlossen werden.34 Der Ausnahmetatbestand der Erfüllung rechtlicher Verpflichtungen (zB Überwachung des Zapfsäulenbereichs bei Tankstellen) wird selten vorliegen.35
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass beim Einsatz eines Videoüberwachungssystems, das auch AN erfasst, idR davon ausgegangen werden kann, dass die Zustimmung des BR in Form einer BV – je nach Ausgestaltung des Systems – entweder nach § 96 oder nach § 96a ArbVG einzuholen ist.36
Um die Belegschaft vor jedweden, allzu intensiv wirkenden Kontrollmechanismen zu schützen, hat der Gesetzgeber den durch § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG geschaffenen Kontrollschutz auf jene Betriebe ausgeweitet, in denen kein BR errichtet ist.37 In betriebsratslosen Betrieben bedarf daher der Einsatz einer Videoüberwachungsanlage, sofern es sich dabei um eine die Menschenwürde berührende Kontrollmaßnahme handelt, gem § 10 AVRAG nur mit Zustimmung der einzelnen AN erfolgen.38 Anlässlich dieser Zustimmungserklärungen können ausreichende Schutzmaßnahmen zu Gunsten der Privatsphäre (der Persönlichkeitsrechte) der betroffenen AN bzw Garantien gegen Missbräuche durch den AG oder sonstige AN vereinbart werden.39 Diese Zustimmung kann jederzeit widerrufen werden, sofern keine schriftliche Vereinbarung über ihre Dauer getroffen wurde.
Maßnahmen, die die Menschenwürde (dh die Persönlichkeitsrechte) verletzen (etwa eine Videoüberwachungsanlage in Sozialräumen, vor Toiletten etc), sind unzulässig (siehe dazu oben). Maßnahmen, die die Menschenwürde nicht berühren, sind nicht zustimmungspflichtig (wie etwa eine Videoüberwachungsanlage auf der Außenseite des Betriebsgebäudes, die nur außerhalb der Arbeitszeiten eingeschaltet wird). 325
Neben der Beachtung der Mitwirkungsbefugnisse des BR bzw individuellen (Zustimmungs-)Rechten der einzelnen AN haben AG die Zulässigkeit einer Videoüberwachung auch nach den datenschutzrechtlichen Bestimmungen zu beurteilen.
Werden beim Einsatz von Videoüberwachung auch Bilddaten der AN, sohin personenbezogene Daten, verarbeitet, haben AG (= Verantwortliche) die Vorschriften der DSGVO und des DSG einzuhalten. Nach der DSGVO sind dies zB die allgemeinen Grundsätze der Datenverarbeitung (Art 5), die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung (Vorliegen eines Erlaubnistatbestandes nach Art 6, evtl Art 9 DSGVO), die Sicherstellung der Betroffenen-(= AN-)Rechte (Art 12 ff), die Einhaltung weiterer datenschutzrechtlicher Verpflichtungen, wie Datenschutz- und Datensicherheitsmaßnahmen (Art 24 ff). Eine Videoüberwachung ist in das Verarbeitungsverzeichnis nach Art 30 aufzunehmen und es ist zu prüfen, ob gem Art 35 DSGVO eine Datenschutz-Folgenabschätzung40 durchzuführen ist.
In den §§ 12 und 13 DSG finden sich spezifische Regelungen zur Bildverarbeitung – eingeschlossen Videoanwendungen. Das BVwG hat allerdings bereits in mehreren Erkenntnissen ausgesprochen, dass die §§ 12, 13 DSG – ausgenommen § 12 Abs 4 Z 2 DSG – mangels einschlägiger Öffnungsklauseln nicht anwendbar sind.41 Die datenschutzrechtliche Zulässigkeit von Videoanwendungen ist daher ausschließlich anhand Art 5 DSGVO (Grundsätze für die Verarbeitung personenbezogener Daten) und Art 6 sowie Art 9 DSGVO (Rechtmäßigkeit der Verarbeitung) zu prüfen. Nach dem weiterhin anwendbaren § 12 Abs 4 Z 2 DSG (in Gebrauchmachung der Öffnungsklausel des Art 88 DSGVO) ist eine Bildaufnahme zum Zweck der Kontrolle von AN unzulässig.
Auch Betriebsvereinbarungen können eine spezifische Rechtsgrundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten im Beschäftigungskontext darstellen. Der EuGH hat aber klargestellt, dass nationale Rechtsvorschriften oder Kollektivvereinbarungen (einschließlich Betriebsvereinbarungen), die auf Art 88 Abs 1 DSGVO basieren, nicht nur den Anforderungen von Art 88 Abs 2 DSGVO zur Erfüllung der an der Menschenwürde orientierten angemessenen und besonderen Maßnahmen im Beschäftigungsverhältnis nachkommen müssen, sondern auch den allgemeinen Bestimmungen der DSGVO, insb Art 5, Art 6 Abs 1 sowie Art 9 Abs 1 und 2 DSGVO. Dies bedeutet, dass Betriebsvereinbarungen als Rechtsgrundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten im Beschäftigungskontext stets im Einklang mit den Grundsätzen der DSGVO stehen müssen.42 Nicht DSGVO-konforme Datenverarbeitungen können nicht über eine „BV“ als Rechtsgrundlage „gerettet“ oder gar „immunisiert“ werden.43
Gegen die Verletzung von Persönlichkeitsrechten (§ 16 ABGB) oder dem Zustimmungsrecht nach § 10 AVRAG kann vom AN mit einer Unterlassungs- oder Beseitigungsklage vorgegangen werden. Betroffene AN können bei erheblichen Verletzungen der Privatsphäre auch einen ideelen Schadenersatz nach § 1328a ABGB bei Gericht begehren.44
Wird entgegen den Bestimmungen des ArbVG eine notwendige BV zur Videoüberwachung nicht abgeschlossen, hat der BR (wie auch der AN) einen Unterlassungs-, Beseitigungs- bzw Feststellungsanspruch gegenüber dem AG mit dem Ziel, den rechtmäßigen Zustand herzustellen.45 Der BR kann die Unterlassung und Beseitigung der Videoüberwachung gem § 381 EO auch mit einstweiliger Verfügung absichern.46
Bei Verletzungen des Datenschutzrechts kann der BR gem § 90 Abs 1 ArbVG bei der Datenschutzbehörde intervenieren. Eine betroffene Person (= AN, Betriebsratsmitglied in eigener Person) hat Anspruch auf Unterlassung und Beseitigung des rechtswidrigen Zustands. Dazu kann jede betroffene Person eine Beschwerde bei der Datenschutzbehörde einbringen. Wahlweise kann auch ein gerichtlicher Rechtsbehelf ergriffen werden.47 Betroffene können bei Datenschutzverletzungen auch Schadenersatzansprüche geltend machen: Es ist der materielle (erlittene) und immaterielle Schaden (Entschädigung für die erlittene Kränkung) zu ersetzen.48 Daneben drohen dem verantwortlichen AG Geldbußen oder Verwaltungsstrafen, die von der Datenschutzbehörde verhängt werden können.49326
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es beim Einsatz einer Videoüberwachungsanlage einiges zu beachten gilt: AG haben die auch am Arbeitsplatz fortwirkenden Persönlichkeitsrechte der AN zu beachten, dem BR sind die Mitwirkungsbefugnisse nach dem ArbVG einzuräumen bzw ist in Betrieben ohne BR die individuelle Zustimmung des AN einzuholen und nicht zuletzt müssen datenschutzrechtliche Vorgaben erfüllt werden.