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§ 6 Abs 6 KVA auf dem Prüfstand des Sachlichkeitsgebots

ANDREAS MAIR (INNSBRUCK)
§ 879 ABGB; § 10 AngG; § 6 KollV für Angestellte im Außendienst der Versicherungsunternehmen (KVA)
  1. § 6 Abs 6 KollV für Angestellte im Außendienst der Versicherungsunternehmen enthält eine differenzierte Regelung, die überhaupt erst einen für die AN günstigen zwingenden Anspruch auf Folgeprovision schafft und umgekehrt auch für Fälle vorwerfbaren Verhaltens des AN eine Minderung bzw einen Entfall dieser Provisionen vorsieht.

  2. Die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs ist bei kollektivvertraglichen Regelungen grundsätzlich anzunehmen.

  3. Die sowohl die Interessen der AN als auch jene der AG berücksichtigende, von den Parteien des KollV vereinbarte Regelung von § 6 Abs 6 KollV für Angestellte im Außendienst der Versicherungsunternehmen ist nicht als unsachlich anzusehen.

[1] Der Kl war von 1.8.1988 bis 29.11.2017 bei der Bekl beschäftigt. Dem Dienstverhältnis des Kl liegt der Kollektivvertrag für Angestellte im Außendienst der Versicherungsunternehmen (KollV) zugrunde. Er war zunächst als Auszubildender im Innendienst, ab 1.8.1990 als Mitarbeiter im Außendienst tätig. In der Folge wurde der Kl zum Bezirksdirektor, dann zum Direktor ernannt. Er baute gemeinsam mit seinem Vater ein Prämienvolumen von jährlich ca 3 Mio € auf und warb ca 2.400 Kunden für die Bekl an. Er entschied sich für das Provisionsmodul, wonach die Erstprovision und die Folgeprovisionen jeweils 50 : 50 aufgeteilt werden und gegen ein Modul, nach dem zunächst eine höhere Provision bei nachfolgender niedriger Folgeprovision lukriert wird. Die Provisionen wurden in Form eines monatlichen Akontos ausgezahlt, die tatsächliche Abrechnung erfolgte jeweils im Jänner oder Februar des Folgejahres. Die letzte Provisionsakontierung erfolgte im Dezember 2017, ein Teil dieses Betrags wurde mit der Endabrechnung von Jänner 2018 wieder in Abzug gebracht.

[2] Die Bekl erstellt jährlich einen Vertriebsplan, in dem sämtliche Definitionen zu Bezugsmodellen, Bonifikationen, Wettbewerben und Kapazitäten für den Betrieb der Bekl enthalten waren. Unter Pkt 2.4 im Vertriebsplan 2017 wurden die Bonifikationsbedingungen für 2017 festgelegt, nach denen ua Anspruch auf eine Bonifikation Vermittler/innen haben sollten, die über ein aufrechtes Dienstverhältnis zum 31.12.2017 verfügten. Zusätzlich wurde festgehalten, dass die Grundsätze der Auslegung von Bonifikationsausschreibungen oder ihrer Berechnung nicht auf dem Rechtsweg angefochten werden können und sich die Bekl – Abteilung Vertriebsstrategie – den Bonifikationsausschluss teilnehmender Vermittler/innen bei Verstößen gegen die Wertungsrichtlinien vorbehält.

[3] Im März 2016 erhielt der Kl eine Direktorenbonifikation in Höhe von 32.560 € brutto, im März 2017 von 22.443,53 € brutto.

[4] Das Dienstverhältnis zwischen den Parteien endete durch Entlassung. Diese wurde vom Kl gerichtlich angefochten. Das Klagebegehren wurde mittlerweile rechtskräftig abgewiesen.

[5] Mit Urteil des Bezirksgerichts * vom 4.9.2019 wurde der Kl wegen des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB und des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt. Zusätzlich wurde er zu einer Ersatzleistung an die privatbeteiligte Bekl in Höhe von 314,80 € verurteilt. Hinsichtlich der weiteren Ansprüche wurde die Bekl auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Der Verurteilung liegen drei fingierte Versicherungsmeldungen des Kl über Kühlgutschäden zugrunde. Die Verurteilung wegen des Vergehens der Urkundenfälschung beruhte auf dem Verfälschen von zwei Kündigungsschreiben, um eine vorzeitige Entbindung aus Verträgen bei anderen Versicherungen zu erreichen.

[6] Der Kl begehrt, die Bekl schuldig zu erkennen, ihm eine Provisionsabrechnung hinsichtlich der bis 30.11.2017 von ihm vermittelten und aufrechten 399 Versicherungsverträge zu legen, dies für den Zeitraum 1.1.2018 bis 31.12.2018 und 1.1.2019 bis 31.12.2019 und über die Direktorenbonifikation, genannt * für 2017, sowie den sich aufgrund der Rechnungslegung ergebenden Guthabensbetrag zu zahlen. Weiters begehrt er festzustellen, dass die Bekl verpflichtet sei, für sämtliche vom Kl bis zum 30.11.2017 vermittelten und aufrechten Versicherungsverträge auch weiterhin die erwirtschafteten Provisionen an den Kl auszubezahlen. Er bringt vor, die Folgeprovisionen seien unabhängig vom Ausgang des Entlassungsanfechtungsverfahrens zu zahlen. Es bestehe ein Rechnungslegungsanspruch gem Art XLII EGZPO. Weiters habe er ein rechtliches Interesse an der Feststellung, dass die Bekl dazu verpflichtet sei, solange die Verträge aufrecht seien, entsprechende Provisionen zu zahlen. § 6 Abs 6 des KollV sei sittenwidrig und nichtig nach § 879 ABGB. Subsidiär müsse das richterliche Mäßigungsrecht zur Anwendung gelangen. Die Direktorenbonifikation habe er jahrzehntelang aufgrund seiner Spitzenumsätze erhalten. Es sei daher zu einer schlüssigen diesbezüglichen Vereinbarung gekommen, weshalb diese Bonifikation ihm auch für 2017, zumindest jedenfalls anteilig, zustehe. Auch diesbezüglich bestehe daher ein Rechnungslegungsanspruch.

[7] Die Bekl bestreitet und bringt vor, die vom Kl geltend gemachten Ansprüche seien entlassungsabhängig. § 6 Abs 6 KollV schließe Folgeprovisionen für den Fall der gerechtfertigten Entlassung aus. Aus dem Vertriebsplan ergebe sich, dass Grundlage für eine Bonifikation ua sei, dass keine groben Verstöße gegen die in diesem Betriebsplan enthaltenen Wertungsrichtlinien vorlägen. Solche Verstöße seien aufgrund des der Entlassung zugrunde liegenden Sachverhalts gegeben.

[8] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach § 6 Abs 6 KollV habe der Kl aufgrund der berechtigten Entlassung keinen Anspruch auf Folgeprovisionen und daher auch nicht auf Rechnungslegung. Diese Kollektivvertragsbestimmung sei auch nicht sittenwidrig. Auf § 6 Abs 6 KollV sei das richterliche Mäßigungsrecht nicht anzuwenden. Ein Anspruch auf die Direktorenbonifikation bestehe nicht, da der Vertriebsplan vorsehe, dass ein solcher ein aufrechtes Dienstverhältnis zum 31.12.2017 voraussetze.

[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl gegen diese Entscheidung nicht Folge. § 6 Abs 6 KollV sei nicht sittenwidrig. Der Kl sei aufgrund seiner Malversationen, wegen derer er auch rechtskräftig strafrechtlich verurteilt worden sei, gerechtfertigt entlassen worden. Es bestehe daher kein Anspruch auf Provisionen nach Ende des Dienstverhältnisses. Auch bei Zugrundelegung eines vom Kl geforderten abgestuften Systems sei ein Entfall der vom Kl geltend gemachten Nachprovisionen sachgerecht. Die bestehende Kollektivvertragsbestimmung sei nicht mit Fällen vergleichbar, in denen ein DG mit einem DN einen vertraglichen Vorausverzicht für Provisionsansprüche vereinbare. Den Kollektivvertragsparteien sei zu unterstellen, eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung sowie einen gerechten Ausgleich der sozialwirtschaftlichen Interessen der Arbeitsvertragsparteien herbeiführen zu wollen. Es liege auch keine einer richterlichen Mäßigung unterliegende Konventionalstrafe vor.

[10] Für die Direktorenbonifikation sehe der Vertriebsplan vor, dass das Dienstverhältnis zum 31.12. aufrecht sein müsse. Das sei beim Kl nicht der Fall gewesen. Damit habe er die Voraussetzungen für die Bonifikation nicht erfüllt. Für das Entstehen eines vertraglichen Anspruchs aufgrund einer Betriebsübung sei entscheidend, welchen Eindruck der AN als sorgfältige Überlegung vom Erklärungsverhalten des AG haben durfte. Der Kl habe im vorliegenden Fall nur davon ausgehen können, dass die Bekl die Bonifikation entsprechend den Regelungen im Vertriebsplan definiere und festlege. Dass diese anders gewesen wären als in den Vorjahren, habe er nicht behauptet. Damit sei aber Voraussetzung für einen Anspruch ein aufrechtes Dienstverhältnis zum 31.12. [...]

[16] 2. Unstrittig ist, dass auf das Dienstverhältnis des Kl zur Bekl der KollV für Angestellte im Außendienst der Versicherungsunternehmen anzuwenden ist.

[17] Dessen § 6 lautet:

„Provisionszahlung nach Auflösung des Dienst- verhältnisses

[...]

(5) Es besteht kein Anspruch auf Folgeprovision oder auf Teile einer solchen, wenn der Angestellte etwas unternimmt, was eine Beeinträchtigung oder Schmälerung des Geschäftsbestandes oder der geschäftlichen Interessen oder des Ansehens des Dienstgebers zur Folge haben könnte.

(6) Ebenso besteht kein Anspruch auf Folgeprovision oder auf Teile einer solchen, wenn der Angestellte vom Dienstgeber vorzeitig entlassen wird (§ 27 Angestelltengesetz).

[...]“

[18] 3. Auch vom Kl wird nicht bestritten, dass bei Zugrundelegung von § 6 Abs 6 KollV aufgrund der von den Gerichten als gerechtfertigt erkannten Entlassung des Kl grundsätzlich kein Anspruch auf Folgeprovisionen besteht. Der Kl macht vielmehr geltend, dass die kollektivvertragliche Regelung gegen § 879 ABGB verstößt.

[19] 4. Der Kl behauptet einen aufrechten Anspruch auf Nachprovisionen. Provisionen fallen unter den weiten Entgeltbegriff des Arbeitsrechts (Preiss in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 10 AngG Rz 13; vgl RS0027975). Dabei vergütet eine Abschlussprovision dem AN die Tatsache des zustande gekommenen Geschäftsabschlusses, eine Vermittlungsprovision, die für den AG erfolgreiche Vermittlungstätigkeit (Mair in Reissner, AngG3 § 10 Rz 6 mwN).

Eine Betreuungsprovision vergütet dem AN hingegen die Erhaltung, Erneuerung und Erweiterung des bestehenden Vertragsbestands (9 ObA 603/93).

[20] Bei der in der Versicherungsbranche üblichen Folgeprovision handelt es sich dem Wesen nach um eine Vermittlungsprovision, die durch mehr als einmalige Erfolgsvergütung vorgenommen wird. Die Folgeprovision gebührt meist für 400 die vom Angestellten durch selbständige Werbung vermittelten Versicherungsverträge nach Maßgabe des Prämieneingangs (RS0027977). Da Folgeprovisionen ihrem Entlohnungszweck nach an die Dauer des (Versicherungs-)Vertragsverhältnisses anknüpfen und (mangels diesbezüglicher besonderer Vereinbarung) nicht an den aufrechten Bestand des Arbeitsverhältnisses, stehen sie dem provisionsberechtigten Angestellten grundsätzlich auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu, solange das vermittelte Vertragsverhältnis weiterhin aufrecht bleibt. Dementsprechend wird – bezogen auf das schon beendete Arbeitsverhältnis – auch vom Anspruch auf „Nachprovision“ gesprochen (Jabornegg in Löschnigg/Melzer, AngG11 § 10 Rz 31).

[21] 5. Für Vermittlungsprovisionen ist daher grundsätzlich davon auszugehen, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Konnex zwischen der erbrachten Arbeitsleistung und dem Erwerb des Anspruchs auf Provision unberührt lässt (RS0027962). Im Zweifel steht dem Angestellten Provision für alle Geschäfte zu, die durch seine Tätigkeit während der Dauer des Arbeitsverhältnisses zwischen der Kundschaft und dem AG zustande gekommen sind.

[22] 6. Die Vereinbarung, dass der Provisionsanspruch erst mit der Zahlung des Kunden entsteht, ist keine von diesem Grundsatz abweichende Vereinbarung, weil sie nur den Zeitpunkt des Entstehens des Provisionsanspruchs betrifft, der durchaus auch erst nach Ende des Vertragsverhältnisses liegen kann (RS0027962 [T1]). Mangels abweichender Vereinbarung bleibt der Anspruch auf Verprovisionierung bereits während des Arbeitsverhältnisses abgeschlossener Geschäfte daher selbst dann bestehen, wenn die diesbezüglichen Zahlungen auch erst nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eingehen (vgl 9 ObA 287/01y mwN, vgl auch Preiss in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 10 AngG Rz 43).

[23] 7. Gemäß der dispositiven Natur der Abs 3 und 4 des § 10 AngG können für den Provisionsverdienst auch vom Gesetz abweichende Regelungen zum Provisionserwerb und zur Provisionsfälligkeit getroffen werden. Dabei ist allerdings die Sittenwidrigkeitsgrenze des § 879 ABGB zu beachten (Preiss in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 10 AngG Rz 47). Davon abgesehen kann daher eine Provisionsvereinbarung zwischen AN und AG aufgrund des dispositiven Charakters des gesamten Provisionsrechts inhaltlich beliebig ausgestaltet werden.

[24] 8. Eine derartige inhaltliche Regelung für Folge-(Nach-)provisionen haben die Kollektivvertragsparteien in § 6 KollV vorgenommen.

[25] Es entspricht der stRsp, dass der normative Teil eines KollV nach den Auslegungsregeln der §§ 6, 7 ABGB auszulegen ist (RS0008807; RS0010088). Die Gerichte haben die Kollektivverträge aber dahin zu prüfen, ob sie gegen höherrangiges Recht, also die Verfassung, europäisches Unionsrecht, zwingendes Gesetzesrecht, die guten Sitten oder tragende Grundsätze des Arbeitsrechts verstoßen (8 ObA 30/00w).

Kollektivvertragliche Rechtsansprüche sind zwar in jeder Richtung regelbar. Die Gestaltungsfreiheit der Kollektivvertragsparteien findet aber ihre Schranke in der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte, vor allem in der Konkretisierung der wertausfüllungsbedürftigen Generalklauseln des Zivilrechts (insb § 879 ABGB; RS0018063 [T4]). Allerdings sind auch verschlechternde Regelungen in Kollektivverträgen unangreifbar, wenn sie den Grundsätzen der Sachlichkeit und Verhältnismäßigkeit entsprechen (RS0008687 [T26]).

[26] Sachliche Differenzierungen sind somit zulässig. Die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs ist bei kollektivvertraglichen Regelungen grundsätzlich anzunehmen (RS0038552). Bei der Prüfung, ob eine Kollektivvertragsbestimmung gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz verstößt, darf insb auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass den Kollektivvertragsparteien ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum sowohl hinsichtlich der angestrebten Ziele als auch der zur Zielerreichung eingesetzten Mittel zusteht (8 ObA 19/06m mwN). [...]

[35] 10. Bei Prüfung der Regelung des § 6 KollV ist zunächst zu berücksichtigen, dass diese in ihrer Gesamtheit betrachtet zunächst nicht den Entfall von Nachprovisionen vorsieht, sondern diese im Gegenteil nach einer Dauer des Dienstverhältnisses von drei Jahren auch nach dessen Ende zwingend in Höhe von 50 % des Anspruchs, der bei aufrechtem Dienstverhältnis bestünde, vorsieht. Für den Fall der Beendigung des Dienstverhältnisses bei Anspruch auf eine Alters- oder Berufsunfähigkeitspension, Krankheit oder Unglücksfall beträgt dieser Anspruch sogar 60 %. Weiters ist auch bei Tod des DN ein Anspruch der Witwe/des Witwers und minderjähriger Unterhaltsberechtigter vorgesehen.

[36] Gegenüber § 10 AngG, der für angestellte Provisionsvertreter wie ausgeführt keine zwingende Vorschrift bezüglich Nachprovisionen enthält, ist der KollV somit günstiger, da er bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen grundsätzlich zwingend Nachprovisionen in bestimmter Höhe vorsieht.

[37] Auf der anderen Seite sieht der KollV in Fällen, in denen der AN eine konkurrenzierende Tätigkeit ausübt bzw die geschäftlichen Interessen des AG schädigt sowie im Fall der gerechtfertigten Entlassung eine Minderung bzw einen Entfall der Nachprovision vor. [...]

[39] Der KollV versucht daher einen Ausgleich zwischen dem wirtschaftlichen Interesse des AG im Hinblick auf möglichst geringe Folgeprovisionen und dem des AN an einer günstigen Regelung zu finden, die Folgeprovisionen im angemessenen Ausmaß sichert, indem sie bei grundsätzlicher Garantie eines Anspruchs auf Folgeprovisionen verschiedene Ausnahmen vorsieht, die für deren Entfall im Wesentlichen ein – detailliert geregeltes – gegen arbeitsvertragliche Verpflichtungen verstoßendes Verhalten des AN voraussetzen.

[40] 11. Dabei ist entgegen der Revision auch bei Betrachtung des § 6 Abs 6 KollV allein der Entfall des Anspruchs des AN nicht (nur) von einer 401 einseitigen Erklärung des AG abhängig, sondern setzt ein die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar machendes Verhalten des AN voraus. Damit unterscheidet sich dieser Fall von dem der Kündigung oder unzulässigen vorzeitigen Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch den AG. Er ist auch nicht vergleichbar mit den zuvor zitierten Fällen, in denen dem AN durch eine entsprechende Vereinbarung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht unwesentlich erschwert wurde.

[41] Richtig ist zwar, dass § 6 Abs 6 KollV vom Wortlaut her nicht auf ein schuldhaftes Verhalten des AN beschränkt ist. Allerdings enthält der KollV in § 6 Abs 2 wie ausgeführt eine gesonderte Regelung für die in der Revision angesprochene Beendigung des Arbeitsverhältnisses infolge Krankheit oder Unglücksfall. Auch daraus ist zu erkennen, dass die Kollektivvertragsparteien eine differenzierte Regelung unter Berücksichtigung der Interessen sowohl der AG als auch der AN vereinbarten.

[42] Im Übrigen wurde – worauf bereits das Berufungsgericht hingewiesen hat – das Arbeitsverhältnis des Kl aufgrund eines Sachverhalts beendet, der auch zu einer strafgerichtlichen Verurteilung des Kl wegen Betrugs zu Lasten der Bekl geführt hat. Selbst bei einer teleologischen Reduktion von § 6 Abs 6 KollV auf Entlassungen aufgrund schuldhaften Verhaltens des AN, wäre für den Kl daher nichts zu gewinnen. Auf die Höhe eines dabei entstandenen Schadens kann es dabei nicht ankommen, da es sich beim Entfall von Folgeprovisionen nicht um einen „Schadenersatzanspruch“ des AG handelt, sondern um eine Folge des vertragswidrigen Verhaltens des AN.

[43] Vom Fehlen eines abgestuften Systems, wie die Revision vermeint, kann daher nicht gesprochen werden. Auch insoweit ist nicht von einer Unsachlichkeit des § 6 Abs 6 KollV auszugehen.

[44] 12. Richtig ist, dass, soweit man davon ausgeht, dass Nachprovisionen bereits verdientes Entgelt mit Abschluss des jeweiligen Versicherungsvertrags darstellen, die Regelung des § 6 Abs 6 KollV inhaltlich zu einem Entfall dieses schon verdienten Entgelts führt, begründet ausschließlich durch ein nachfolgendes vertragswidriges Verhalten des AN.

[45] In der E 9 ObA 7/90 hat der OGH in Auseinandersetzung mit dieser Frage die Bestimmung des KollV dahingehend beurteilt, dass es sich bei den in § 6 genannten Voraussetzungen für den nach dem Gesetz (§ 10 AngG) nur bei Vereinbarung geschuldeten Anspruch auf Folgeprovision nach Auflösung des Dienstverhältnisses nicht um auflösende Bedingungen für einen bereits entstandenen Anspruch, sondern um Bedingungen für das Entstehen eines derartigen Anspruchs auch noch nach Auflösung des Vertragsverhältnisses handle, sodass die Anordnung, dass dieser bei einer Entlassung nicht entstehe, zulässig sei. Dem hält die Revision entgegen, dass es sich tatsächlich um eine Bedingung für den Entfall eines bereits entstandenen Anspruchs handle.

[46] Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der KollV wie ausgeführt eine gegenüber § 10 AngG zwingende Bestimmung für Folgeprovisionen enthält, deren Voraussetzungen in § 6 KollV geregelt sind.

Insoweit haben die Kollektivvertragsparteien die (auch negativen) Bedingungen dafür festgelegt, wann dem AN ein solcher Anspruch zukommt und wann nicht.

[47] 13. Zusammenfassend ist daher davon auszugehen, dass § 6 des KollV eine differenzierte Regelung enthält, die überhaupt erst einen für die AN günstigen zwingenden Anspruch auf Nachprovision schafft und umgekehrt auch für Fälle vorwerfbaren Verhaltens des AN eine Minderung bzw einen Entfall dieser Provisionen vorsieht. Diese die Interessen sowohl der AN als auch der AG berücksichtigende, von den Parteien des KollV vereinbarte Regel ist nicht als unsachlich anzusehen. Gegen die Gültigkeit der kollektivvertraglichen Regelung bestehen daher keine Bedenken. Entsprechend dem KollV steht aber dem Kl kein Anspruch auf Nachprovisionen zu, weil er gerechtfertigt entlassen wurde.

[48] 14. Richtig ist, dass das in § 6 Abs 5 KollV vorgesehene Erlöschen des Anspruchs auf Folgeprovision als Konventionalstrafe beurteilt wird, die dem richterlichen Mäßigungsrecht unterliegt. Jabornegg sieht auch in § 6 Abs 4 KollV nichts anderes als eine sehr weit gefasste und mit Konventionalstrafe abgesicherte Konkurrenzklausel, auf die demnach die Schutzvorschriften der §§ 36 bis 38 AngG anzuwenden seien (Jabornegg in Löschnigg/Melzer, AngG11 § 10 Rz 38). Die Revision geht davon aus, dass bei Wirksamkeit des § 6 Abs 6 KollV auch die darin angeordnete Rechtsfolge dem richterlichen Mäßigungsrecht unterliegt.

[49] In der bereits zitierten E 9 ObA 7/90 hat der OGH den Charakter des § 6 Abs 6 KollV als Konventionalstrafe verneint. Daran ist festzuhalten. Geht man wie die E 9 ObA 7/90 davon aus, dass in der Art der Beendigung eine negative Voraussetzung für das Entstehen des Anspruchs liegt, kommt eine Mäßigung schon mangels Anspruchs nicht in Betracht. Anders als § 6 Abs 5 KollV stellt Abs 6 aber auch keinen (pauschalierten) Schadenersatzanspruch dar. § 6 Abs 6 KollV setzt vielmehr nur ein vertragswidriges Verhalten des DN voraus, aber nicht, dass dieses Verhalten auch nur zumindest geeignet ist, einen Schaden zu verursachen. Ein einer Konventionalstrafe vergleichbarer Fall liegt daher schon grundsätzlich nicht vor.

[50] 15. Damit besteht aber kein Anspruch des Kl auf Folgeprovisionen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Zu Recht haben daher die Vorinstanzen das Begehren auf Rechnungslegung, soweit es sich auf die Folgeprovisionen bezieht, abgewiesen. [...]

ANMERKUNG

Die im rechtlichen Umfeld des KollV für Angestellte im Außendienst der Versicherungsunternehmen (KVA) angesiedelte E nimmt zum einen Bezug auf die Vergütungsform der sogenannten „Folgeprovision“ und stellt zum anderen eine damit verbundene spezifische Regelung des angesprochenen KollV auf den Prüfstand des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes. Der E ist vollumfänglich zuzustimmen. 402

1.
Zur Folgeprovision(sregelung)

Bei einer Provision handelt es sich ganz allgemein um eine Entgeltart, deren Anspruchsrealisierung schwergewichtig vom Tätigkeitserfolg des AN bestimmt wird (Mair in Reissner [Hrsg], AngG4 [2022] § 10 Rz 1; Jabornegg, Die Provision als Arbeitsentgelt, in FS Strasser [1993] 137 [138]). Der OGH beschreibt dementsprechend das Wesen der Provision als „ein von der Leistung des Angestellten, aber auch von der Markt- und Geschäftslage abhängiges Entgelt in Form einer Erfolgsvergütung“ (OGH 9 ObA 603/93 Arb 11.172 = DRdA 1995/12, 148 [Geist]). Da die im AngG enthaltenen Regelungen zur Provision (§§ 10 bis 13) weitgehend dispositiv ausgestaltet sind, bleibt der Gestaltungsautonomie der Arbeitsvertragsparteien entsprechend viel Raum. Dies zeigt sich ua in der Tatsache, dass – abgesehen von den vom AngG explizit genannten Provisionsarten in Gestalt von Abschluss- und Vermittlungsprovision – die Praxis eine Vielzahl von Spielarten einer Provisionsentlohnung entwickelt hat, zu denen auch die streitgegenständliche „Folgeprovision“ gehört. Diese charakterisiert sich dadurch, dass dem AN damit die Bestandsdauer des vermittelten Geschäfts vergütet wird (OGH 14 Ob 13/86 SZ 59/44 = Arb 10.501; Preiss in Neumayr/Reissner [Hrsg], Zeller Kommentar zum Arbeitsrecht3 [2018] § 10 AngG Rz 12). Dabei kann es – aufgrund der wesensmäßigen Bezogenheit auf das ursprünglich vom AN vermittelte Geschäft – durchaus sein, dass AN auch noch nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses berechtigt sind, derartige Folgeprovisionen zu beziehen (dementsprechend ist für die Folgeprovision auch die Bezeichnung „Nachprovision“ gebräuchlich: Jabornegg in Löschnigg/Melzer [Hrsg], Angestelltengesetz11 [2021] § 10 Rz 31).

Darauf nimmt auch die Regelung von § 6 Abs 2 KVA Bezug, indem dem Angestellten grundsätzlich auch noch nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Folgeprovision zusteht, wobei die Höhe der Zahlung mit 50 % jener Folgeprovision festgelegt wird, auf die der Angestellte Anspruch hätte, wenn noch ein Arbeitsverhältnis bestünde. Kontextuell relevant sind zudem die Abs 5 und 6 der vorhin zitierten Bestimmung. Danach besteht kein Anspruch auf Folgeprovision, wenn der Angestellte etwas unternimmt, was eine Beeinträchtigung oder Schmälerung des Geschäftsbestandes oder der geschäftlichen Interessen oder des Ansehens des AG zur Folge haben könnte (§ 6 Abs 5 KVA). Zudem versagt § 6 Abs 6 des maßgeblichen KollV den Anspruch auf Folgeprovision auch dann, wenn der AN vom AG vorzeitig entlassen wird.

Letztere Regelung betraf den Kl des Ausgangsverfahrens. Obwohl damit das Scheitern seiner Klage klar auf der Hand zu liegen schien, versuchte der Kl, sein Prozessziel mit der Argumentation zu erreichen, hinter der Bestimmung von § 6 Abs 6 KVA stehe eine zugunsten des AG statuierte pauschale Schadenersatzregelung, die dem richterlichen Mäßigungsrecht unterliege. Dieser Argumentation folgt der OGH nicht, da bereits auf der rechtskonstruktiven Ebene mE klar ersichtlich ist, dass § 6 Abs 6 des maßgeblichen KollV als eine vom AN zu beachtende (negative) Voraussetzung für die Anspruchsentstehung und nicht als eine auf Festsetzung einer Konventionalstrafe abstellende Regelung konzipiert ist (so bereits die einschlägige Vorentscheidung OGH 14.2.1990, 9 ObA 7/90).

2.
Sachlichkeitsprüfung im Kontext des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes

Breiteren Raum nimmt in der vorliegenden E die rechtliche Auseinandersetzung mit dem zweiten vom Kl vorgetragenen Argument ein. Der Kl brachte vor, dass die Regelung von § 6 Abs 6 KVA als sittenwidrig iSv § 879 Abs 1 ABGB zu qualifizieren und damit unanwendbar sei. Diesen Einwand nimmt der OGH zum Anlass, seine in stRsp entwickelten Positionen zu der hinter diesem Einwand stehenden Frage der Grundrechtswidrigkeit kollektivvertragliche Regelungen zu aktivieren und fallbezogen zu bekräftigen.

Grundsätzlich ist unbestritten, dass Kollektivverträge an die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Grundrechte gebunden sind (stRsp: OGH 9 ObA 602/92 SZ 65/163 = DRdA 1993/45, 369 [Resch] = ZAS 1995/1, 12 [Schrammel] als Grundsatzentscheidung und zuletzt etwa OGH 8 ObS 6/23z wbl 2024/75, 296 = DRdA-infas 2024/69, 162; aus der Lehre statt vieler: Reissner, Lern- und Übungsbuch Arbeitsrecht7 [2023] 377; Marhold/Brameshuber/Friedrich, Österreichisches Arbeitsrecht4 [2021] 573 f; Felten/Mosler, 100 Jahre Kollektivvertragsrecht, DRdA 2020, 91 [96 f]), wobei schwergewichtig der Gleichheitssatz (Art 7 B-VG; Art 2 StGG) und das Grundrecht auf Eigentum (Art 5 StGG; Art 1 1. ZPMRK) der kollektivvertraglichen Regelungsautonomie rechtliche Grenzen setzen. Dementsprechend berühren einschlägige Entscheidungen zentral die Fragen nach der Zulässigkeit von verschlechternden Eingriffen in bestehende Rechtspositionen und der Verschiedenbehandlung von AN-Gruppen durch sozialpartnerschaftlich im Wege von Kollektivverträgen geschaffener Normen (Khakzadeh-Leiler, Die Grundrechte in der Judikatur des Obersten Gerichtshofs [2011] 100 ff).

Die Grundrechtsbindung kollektivvertraglicher Regelungen steht dabei auch nicht in einem wesensmäßigen Gegensatz zu der dem KollV als Rechtsquelle zugebilligten „Richtigkeitsgewähr“ (OGH 9 ObA 57/24h ZAS 2025/7, 33 [Prankl] = EvBl 2025/87, 292 [Baringer]), da der Staat die in seiner Rechtsordnung enthaltenen, in Gestalt verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte zum Ausdruck kommenden Wertvorgaben auch gegenüber jenen vertraglichen Gestaltungen verteidigen muss (dies aufgrund der Schutzpflichtendimension der Grundrechte; dazu näher Mair, Die Außenseiterwirkung des Kollektivvertrags [2020] 335 ff), die – wie eben im Fall des KollV zugebilligt – „eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen“ (aus der stRsp etwa OGH 9 ObA 57/24h ZAS 2025/7, 33 [Prankl] = EvBl 2025/87, 292 [Baringer]). 403

Der auch in der vorliegenden E zum Ausdruck kommende Vertrauensvorschuss gegenüber der Verhältnismäßigkeit von Eingriffen kollektivvertraglicher Regelungen in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen ist vom Prinzip her gerechtfertigt (siehe dazu Runggaldier, Grenzen der Kollektivvertragsautonomie bei der Regelung des Entgelts [1995] 25 f). Hervorzuheben ist das methodische Vorgehen, mit dessen Hilfe der OGH die Konformität der vom Kl angegriffenen kollektivvertraglichen Regelung mit den Vorgaben des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes bejaht. Durch eine Analyse der einschlägigen Vorjudikatur, die sich mit einzelvertraglichen Regelungen über den Verlust von Folgeprovisionsansprüchen beschäftigen (Rz 27 bis 34 des vorliegenden Urteils, vorstehend nicht abgedruckt), gelingt es dem OGH mE überzeugend, die relevanten regelungsbezogenen Interessenpositionen und deren Gewichtung herauszuarbeiten. Dadurch wird deutlich sichtbar, dass für einen vom OGH aufzugreifenden „Exzess“ (OGH 8 ObA 19/06m Arb 12.608 = DRdA 2008/4, 39 [Resch ]) im Gestaltungsermessen der Kollektivvertragsparteien der vorliegende Fall tatsächlich keine Anhaltspunkte liefert.